Jan Zier
· 09.03.2023
Dass der Chef eines Großkonzerns eine Auszeit nimmt, um drei Wochen lang über den Atlantik zu segeln, ist eher ungewöhnlich. Telekom-CEO Tim Höttges hat genau das getan. Wir wollten wissen, wie es war – für ihn und für seinen Skipper
Firmenchefs, die ein Faible fürs Segeln haben, sind keine Seltenheit. Doch meist sind es Klein- oder mittelständische Unternehmer, die ihre Freizeit auf dem Wasser verbringen. Den Führungsspitzen großer Konzerne, erst recht von solchen, die im Dax gelistet sind, fehlt dazu in der Regel die Zeit. Vor allem für lange Törns.
Umso bemerkenswerter, dass bei der jüngsten Atlantic Rally for Cruisers (ARC) Timotheus Höttges auf der Teilnehmerliste stand. Der Vorstandsvorsitzende der Telekom fing mit 18 Jahren auf dem IJsselmeer mit dem Segeln an. Für die ARC hatte er bei seinem Freund Torsten Krumm als Mitsegler auf dessen Swan 48 „Ambra“ angeheuert. Krumm wie auch die weiteren drei Mitsegler sind alle ebenfalls Top-Manager – und mithin gewohnt, das Sagen zu haben.
Wie kommt solch eine Crew aus lauter Führungskräften heil über den Atlantik? Ein Gespräch über erfüllbare Jugendträume, ungewohnte Hierarchien und entbehrliche Firmenbosse.
Tim Höttges: Den Konzern mit seinen 230.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu führen ist ganz eindeutig wesentlich komplexer. Aber beides ist verantwortungsvoll. Auf einem Schiff liegen Glück und Unglück unheimlich dicht beieinander. Ein kleiner Fehler, und das ganze Abenteuer ist vorbei. Aber auf einem Schiff haben Sie ein übersichtliches Team, das Sie sich zum Teil selbst aussuchen. Oder selbst entscheiden, ob Sie dabei sind. Dann ist die Hierarchie klarer. Im modernen Unternehmen gibt es nicht den einen Kapitän, der entscheidet, wo es langgeht. Die Entscheidungsprozesse und die Fülle der verschiedenen Entscheidungen, die zu treffen sind, sind komplexer und vielseitiger.
Torsten Krumm: Das stimmt. Wir sind aber vor allem Freunde, die die Leidenschaft zum Segeln teilen und achtsam miteinander umgehen. Tim und ich kennen uns seit der Jugend. Unser Traum war es immer, über den Atlantik zu segeln.
Krumm: Der Kapitän! Anders als am Markt muss man auf dem Schiff ja binnen Sekunden reagieren können, wenn Probleme auftreten.
Höttges: Die Rollen sind klar verteilt: Torsten als Skipper ist der Boss, und ich bin der Maat, der ihn unterstützt. Das hat gut funktioniert. Wir hatten während der 20-tägigen Überfahrt nicht einen einzigen Streit. Ich habe mich auf dem Vorschiff am wohlsten gefühlt, war aber auch fürs Spülen zuständig.
Höttges: Überhaupt nicht! Ich habe nicht die Kompetenz, Kapitän an Bord zu sein, also ordne ich mich ein. Ohnehin muss man die Rolle des CEO entmystifizieren. Sicher ist es nicht leicht, auf dem Boden zu bleiben, wenn man oft hofiert und natürlich privilegiert wird. Auch darum war so eine Matrosen-Erfahrung für mich gut. Allerdings bin ich auch im Konzern nicht nur am Ruder, sondern auch im Maschinenraum unterwegs.
Höttges: Ich habe da kein Problem damit. Und beim Spülen bin ich große Klasse! Abgesehen davon, habe ich bei der Telekom ein gutes Team. Auf das kann ich mich verlassen, selbst wenn ich mal schwerer erreichbar bin. Modernes Management zeichnet sich ja auch dadurch aus, dass man nicht immer demonstrieren muss, dass man der Boss ist.
Höttges: Bei der Frage, welchen Kurs wir segeln, war das wie auf einer Vorstandssitzung. Wir haben zusammengesessen, gemeinsam diskutiert und entschieden. In Manövern ist das was anderes, gerade wenn man als Crew nicht so gut aufeinander eingespielt ist. Da hilft klassische Hierarchie. Übrigens ist das in Krisen in Konzernen auch oft so. Eine weitere Gemeinsamkeit ist: Modernes Management setzt Kompetenz voraus, wie beim Segeln. Je kompetenter die Crew ist, desto mehr Freiheit kann man geben, Dinge allein zu machen. Der Manager-Sprech dafür lautet: Empowerment. Die Frage ist also: Wie kann man die Hierarchie an Bord durch Empowerment flacher organisieren?
Höttges: Einmal hat uns nachts ein tropischer Squall kalt erwischt, wir haben zu spät reagiert. Da war kurz mal Panik an Bord, die Routinen haben nicht so gut funktioniert.
Krumm: Da hätten wir früher reagieren können. Dafür gab es jeden Abend ein Debriefing mit den Fragen: Was haben wir heute gelernt? Was können wir besser machen?
Krumm: Ich würde sagen: Ja! Kritik muss dabei immer konstruktiv sein, nie persönlich.
Höttges: Menschen, die eine gewisse Coolness mitbringen, ohne Hasardeure zu sein, managen solche Situationen anders als solche, die dann versuchen, das nach einem Lehrbuch abzuarbeiten, aber dazu unter Stress nicht in der Lage sind. Wer nicht gestresst ist, hat auch in der Gemeinschaft weniger Konflikte.
Höttges: Ich bin seit 16 Jahren im Vorstand. Im Rahmen der letzten Vertragsverlängerung habe ich gesagt: „Ich brauche mal vier Wochen Auszeit.“ Mir war es wichtig, noch mal eine neue Inspiration zu bekommen und meine Komfortzone zu verlassen. Ich wollte es mir selbst noch einmal unbequem machen, meine Blase des Gewohnten verlassen.
Höttges: Nein. Viele können das aber auch nicht. Wobei unbezahlte Auszeiten im Management unterhalb der Vorstandsebene absolut üblich sind. Aber auch ein Vorstandsvorsitzender ist ein Mensch und muss die Möglichkeit bekommen, seine Träume zu leben! Man darf sich nicht nur auf seine Karriere und den Beruf konzentrieren.
Höttges: Es gab viele, die gesagt haben: „Mach das!“ Auch meine Frau. Und es gab in der Firma viele, die sich Sorgen gemacht haben – schließlich habe ich eine hohe Verantwortung. Wir haben die Atlantiküberquerung aber sehr gut, eher schon übervorbereitet. Und es ist nichts passiert.
Krumm: Wir haben gerade in puncto Sicherheit alle nötigen Vorkehrungen getroffen.
Höttges: Es gibt da drei wichtige Punkte. Erstens: Definiere klar, wo dein Ziel ist, aber mach dich nicht zu sehr davon abhängig, was du ursprünglich geplant hast. Du musst immer auf die Situation und dein Umfeld reagieren. Zweitens: Beherrsche dein Geschäft im Detail. Man muss wissen, was man tut an Bord. Wer sein Geschäft nicht versteht, kann vielleicht managen, aber nicht führen. Drittens: Die Einstellung, der Teamgeist und der Wille, die eigene Komfortzone zu verlassen, zählen. Es kommt darauf an, nicht nur darüber zu reden, was man gern machen möchte, sondern es auch zu tun.
Krumm: Aus dem beruflichen Hamsterrad raus und auf so ein Schiff zu gehen, auf dem ja nicht permanent etwas passiert – das war schon eine Herausforderung für Tim. Dass das anfangs für ihn ungewohnt war, hat man gemerkt.
Höttges: Prinzipiell ja. Nach den ersten vier eher stürmischen Tagen dachte ich: „Was machst du jetzt den Rest der Tour?“ Aber in den täglichen Routinen ändert sich der eigene Rhythmus dann sehr stark. Ich habe zum Beispiel nachts extrem viel geschrieben und unfassbar viel über Schiffe gelernt. Dafür braucht man Zeit, das lernt man ja nicht im Schlaf, sondern nur in der inhaltlichen Auseinandersetzung. Da vergeht der Tag dann wie im Flug.
Höttges: Doch. Ich bekam einmal in der Woche ein langes Briefing über alle Themen, die die Deutsche Telekom betreffen. Diese Mails habe ich ausführlich beantwortet. Als wir in St. Lucia ankamen, wartete dann natürlich viel Arbeit auf mich. An Bord war ich hingegen sehr „digital detoxt“ und auf die Atlantiküberquerung fokussiert. Wir sind alle entbehrlich – und gar sicher für 20 Tage! Wenn ein Unternehmen mit 230.000 Mitarbeitern allein von meiner Präsenz abhängen würde, hätte ich etwas Grundlegendes falsch gemacht. Wenn mein Team dagegen funktioniert, ist das viel wertvoller, als wenn ich immer zeige, wie wichtig ich bin.
Höttges: Nein.
Höttges: Absolut! Es muss ja nicht gleich eine Atlantiküberquerung sein. Beim Segeln kann man sehr viel lernen – über Verantwortung, über Haltung, über Empowerment, über Belastungen, über sich selbst: Gerade in der Flaute hab ich meine Ungeduld gespürt. Aber die Verbundenheit mit der Natur mitten aus dem Meer ist – Achtung, Wortspiel! – sehr erdend.
Höttges: Ich habe Torsten abends immer mal Geschichten vorgelesen und mich mit ihm über Themen unterhalten, für die man normalerweise keine Zeit hat. Gelangweilt habe ich mich wirklich keine Minute. Und in der Flaute sind wir eben schwimmen gewesen. Auch das war großartig.
Krumm: Es war extrem kurzweilig – allein die Lichtverhältnisse ändern sich ständig. Man sieht wirklich sehr viel.
Krumm: Nein, wir konnten offen über alle Probleme reden.
Höttges: Der größte Konflikt, den wir unterwegs hatten, entstand beim Skat!