Angel CollinsonExtrem-Skifahrerin wird Segel-Abenteurerin

Kristina Müller

 · 10.04.2023

Entspannt an Bord. Collinson an der Pinne ihres Schiffs auf dem Weg nach Panama
Foto: Peter Willauer

Die US-Extremsportlerin Angel Collinson hat ihre Profikarriere als Ski-Ass an den Nagel gehängt, um mit einem alten Boot segelnd die Welt zu entdecken. Gespräch über eine ungewöhnliche Kehrtwendung

Eigentlich läuft für Angel Collinson alles nach Plan: Die junge Frau ist Profi-Skifahrerin und spezialisiert auf spektakuläre Big-Mountain-Abfahrten, bei denen die Sportler steile unberührte Hänge hinabrasen. Collinson macht Karriere, ist ein Star in ihrer Welt. Sie hat große Sponsoren und ist eine der wenigen Frauen in ihrer Disziplin.

Dann der Wendepunkt: An einem besonders schwierigen Hang stürzt sie, überschlägt sich mehrfach und überlebt wie durch ein Wunder fast unverletzt. Es ist ein Weckruf. Sie beendet ihre Sportkarriere und widmet sich ihrem lang gehegten Traum: dem Segeln.

Fast zwei Jahre lang dreht sie mit ihrem Partner eine Atlantikrunde – und findet im Langfahrtsegeln ihren neuen Lebensstil. Wir redeten mit ihr über Mut, Angst und den Aufbruch ins Ungewisse.

YACHT: Angel, wie kann man sich den Job einer Big-Mountain-Skifahrerin vorstellen?

Angel Collinson: Mit anderen Sportlern und Kameraleuten fliegt man in Helikoptern zum Fuß eines Berges und schaut von unten, wo genau man den Hang runterfahren kann. Das muss man sich unbedingt merken, denn von oben sieht man nichts, da es so steil ist und hervorstehende Felsen den Blick versperren. Man schaut mit dem Fernglas, macht Fotos, beobachtet die Schneebedingungen. Danach wird man hochgeflogen, geht alles noch einmal im Kopf durch und wird dann während der Abfahrt vom Helikopter aus und von unten gefilmt. Die Produktion dieser Skifilme sind eine der Möglichkeiten, mit Skifahren Geld zu verdienen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Ski-Community, denn darin werden die Tricks der Profis gezeigt und wo gerade der Level ist.

Skifahren war also dein Beruf?

Genau. Es dauerte zwei bis drei Jahre, bis ich in der Top-Liga angekommen war.

Dann kam ein schwerer Sturz, den du mit Glück überlebt hast. War das der Auslöser, die Ski in die Ecke zu stellen und lieber segeln zu gehen?

Als das passierte, war ich schon eine Weile bereit, mit dem Skifahren aufzuhören. Lange schien das keine kluge Idee zu sein, da es so gut lief. Ich war erfolgreich, aber ich mochte überhaupt nicht, dass mein Sport zu meinem Job geworden war. Ich war dabei herauszufinden, was ich stattdessen machen könnte. Wegen des Sturzes war ich mit Reha und Physiotherapie beschäftigt und hatte erstmals überhaupt Zeit, darüber nachzudenken.

Dann gab es aber noch einen weiteren Antrieb. Welchen?

Während ich mich von der Knieverletzung erholte, habe ich meinen Partner Pete kennengelernt. Bei unserem zweiten Date haben wir herausgefunden, dass wir beide den Traum haben, mit einem Partner um die Welt zu segeln. Bei unserem dritten Date hat er mir Segeln beigebracht, und bei unserem vierten haben wir uns gefragt: „Was wäre, wenn wir einfach ein Boot kaufen und es tun?“ Ich hatte das Geld, er hatte die Erfahrung und das Wissen. Da wusste ich schließlich: Jetzt ist der Moment gekommen, um zu gehen!

Bei unserem vierten Date haben wir uns gefragt: ‘Was wäre, wenn wir einfach ein Boot kaufen und lossegeln?’ Das war der Moment!”

War das schwierig oder hat die Freude auf das Abenteuer überwogen?

Mir war klar, dass sich da gerade ein Fenster an neuen Möglichkeiten öffnet. Den Traum, später einen Großteil meines Lebens auf dem Wasser zu verbringen, hatte ich schon, seitdem ich mit 25 Jahren zufällig zu einer Segeltour eingeladen wurde: Es fühlte sich großartig an! Mir war auch klar, dass ich nach dem Skifahren nicht zu einem Schreibtischjob wechseln konnte, sondern eine ähnlich intensive und spannende Beschäftigung brauchen würde. Etwas, was ein neues, superabenteuerliches Kapitel sein würde – ohne dabei ständig Todesangst zu haben.

Hattest du wirklich ständig Todesangst?

Die Art von Skifahren, die ich betrieben habe, birgt ein hohes Risiko, das man die ganze Zeit managen muss. Man kennt seine Fähigkeiten, aber dennoch passiert etwas und man stürzt. Es ist beängstigend da oben. Mit dieser Angst muss man sich ständig auseinandersetzen. Ich wurde es leid.

Das klingt sehr anstrengend. Wie lange hält man das durch?

Manche Leute mögen genau das, es lässt sie sich sehr lebendig fühlen. Die machen das dann wirklich lange. So ging es mir anfangs auch, aber ich brauche das nicht unbedingt. Es war eher eine tolle Erfahrung, in dieser gewaltigen Umgebung zu sein. In der Natur zu sein ist mir superwichtig. Ich habe in den letzten zehn Jahren fast jeden Tag draußen verbracht. Das war großartig.

Mit welchen Strategien hast du deine Angst bekämpft? Kann man als Segler davon etwas für haarige Situationen lernen?

Am meisten hat mir die Erkenntnis geholfen, dass ich meine Angst nicht ignorieren kann. Eine meiner Strategien war, dass ich mir vorgestellt habe, wie ich die Angst bitte, mit mir an einem Tisch Platz zu nehmen. Ich höre dann zu, was sie mir zu sagen hat, lasse sie aber nicht das Steuer übernehmen. Auf diese Weise wird sie nicht übermächtig.

Gibt es noch einen Trick?

Statt immer darüber nachzudenken, was alles schiefgehen kann, muss man sich fragen: „Was kann ich genau jetzt tun?“ Und dann all seine Aufmerksamkeit darauf richten. Das kann man auch aufs Segeln übertragen: Man darf sich nicht vom Big Picture, etwa einem aufziehenden Sturm, verrückt machen lassen. Man muss sich stattdessen auf eine Sache nach der anderen fokussieren. Atmen und Meditation helfen auch! Je besser vorbereitet man sich fühlt, desto besser ist das.

Verglichen mit der Art von Outdoor-Sport, die du betrieben hast, fühlt sich selbst Hochseesegeln als Neuling vermutlich noch relativ sicher an – richtig?

Ja, deutlich sicherer! Beim Skifahren stehst du oben an einem steilen Punkt und schaust runter. Du spürst den ganzen Druck, wenn aus dem Helikopter das Kommando kommt: „Drei, zwei, eins – go, go, go!“ Und genau dann musst du los. Beim Segeln ist es anders. Auch da passiert viel, und man muss sehr viel beachten. Aber es geht nicht alles so schnell – zumindest nicht auf unserem schon etwas betagten Boot (lacht).

Hast du dich deshalb für einen Langkieler aus Stahl für den Törn entschieden, um ein maximales Gefühl an Sicherheit zu erhalten?

Ja! Ich hatte aber keine Bedenken, Pete ist ein erfahrener Segler und kommt aus einer Familie, die schon mehrfach über den Atlantik gesegelt ist.

Angel Collinson und ihr Partner Peter Willauer suchten einen stabilen Langkieler für ihren großen Törn. Ihre Wahl fiel auf eine Wittholz 39 von 1990.Foto: Peter Willauer
Angel Collinson und ihr Partner Peter Willauer suchten einen stabilen Langkieler für ihren großen Törn. Ihre Wahl fiel auf eine Wittholz 39 von 1990.

Deine Tour auf dem Nordatlantik war der Einstieg ins Segeln und begann mit einer Überquerung von West nach Ost. Das ist ja nicht gerade die einfachste Route für den Anfang. Warum dieser Törn?

Stimmt, eigentlich wollten wir zum Auftakt auch in die Karibik! Wir konnten allerdings erst im Frühjahr starten, da ich die Saison noch zu Ende Skifahren musste. Also war es für die Karibik zu spät, es wäre ein Wettlauf gegen die aufziehenden Hurrikans geworden. Da schien es sicherer, über den Atlantik zu segeln als in die Karibik.

Der Törn war deine Hochseepremiere. Wie war’s?

Ich war nervös! Ich war noch nie offshore, hatte noch nie kein Land gesehen. Es war das große Unbekannte. Ich hatte keine Ahnung, wie es sich anfühlen würde, keine Ahnung, wie schwierig es sein würde zu kochen. Außerdem hatten wir bis zur letzten Minute am Boot gearbeitet, sodass ich erst nach dem Auslaufen versucht habe, unser ganzes Hab und Gut, unser ganzes Leben, an Bord zu verstauen. Dann sind wir gleich in schweres Wetter gekommen und hatten noch nicht einmal Platz zum Schlafen geschaffen.

Aber alles ging gut?

Es wurde der Test für meine Seefestigkeit! (lacht) Während ich unter Deck gestaut habe, bin ich immer kurz nach oben, frische Luft schnappen, auf den Horizont schauen, wieder nach unten, weiter stauen, wieder hoch, frische Luft schnappen. „Wie ätzend“, dachte ich! Dann hatten wir auch noch Wasser in der Bilge, das sich aber glücklicherweise als Frischwasser aus dem Tank herausstellte. Die erste Zeit war also taff – genau das, was ich gewohnt war.

Die erste Zeit an Bord war taff – genau das, was ich gewohnt war. Ich wollte ein neues, abenteuer­liches Kapitel in meinem Leben”

Gefällt dir das Leben an Bord?

Wir haben auf diesem Törn gelernt, was wir mögen und was nicht. Unser Ding ist es, für eine Zeit an einem Ort zu sein und dann einen langen Schlag zu einem anderen Ort zu machen. Das Wichtigste ist, dass mein Leben jetzt ganz anders und abwechslungsreich ist. Das mag ich sehr!

Was ist anders als erwartet?

Wir dachten, dass wir unterwegs nicht so viel am Boot zu tun haben würden, wenn wir vor der Abfahrt viel Arbeit reinstecken. Aber natürlich sind wir ständig mit Reparaturen und Ersatzteiljagd beschäftigt.

Du hast schon einmal ein Hobby zum Beruf gemacht. Ist das jetzt auch in Bezug aufs Segeln dein Plan?

Tatsächlich habe ich mich zuerst gefragt, ob ich mit Segeln Geld verdienen kann. Ich habe meine Sponsoren gefragt, ob sie bereit sind, für Expeditionen mit dem Boot zu bezahlen. Dann habe ich aber realisiert, dass ich die Langfahrt als Auszeit vom Arbeiten sehen möchte. Bis uns das Ersparte ausgeht oder wir einen Weg finden, unterwegs Geld zu verdienen.

Ist das gelungen?

Das lief nach dem Motto Trial and Error. Viele, die unterwegs sind, wollen mit ihrem Lebensstil Geld verdienen, mit Youtube-Videos und Patreon. Das haben wir kurz ausprobiert, aber das ist so gar nicht mein Ding! Aus meiner Erfahrung in der Ski- und Filmbranche weiß ich, wie viel Arbeit dahintersteckt, alles festzuhalten und zu schneiden. Ich habe diesen Prozess gehasst, das hat mich nie interessiert. Ich habe gesagt: „Pete, du kannst das gern versuchen, aber ich bin raus.“

Einen Plan für die Zukunft gibt es bestimmt dennoch, oder?

Der Plan ist, die Arbeit vom Segeln zu trennen, um die Zeit an Bord so kostbar zu bewahren, wie sie ist. Sie soll Freizeit sein! Ich wusste, dass das verloren gehen wird, wenn wir zu hart daran arbeiten, aus dem Lebensstil Segeln Geld zu machen. Also kommt das Boot nun an Land, und wir arbeiten eine Weile. Pete ist Fotograf, und ich habe eine Ausbildung als Gesundheitstrainerin. Das habe ich früher schon gemacht, und es bereitet mir großen Spaß. In einigen Monaten segeln wir dann weiter.

Wo soll die Reise dann hinführe? Das Boot ist in Panama, der Pazifik liegt zum Greifen nah.

Genau! Dort wollen wir auch hinsegeln.

Und danach weiter um die Welt im Teilzeitmodell?

Unser Traum ist es, an diesen wirklich abgelegenen Orten im Pazifik zu sein, zu ankern und zu tauchen! Es geht uns mittlerweile mehr darum, die Welt mit dem Boot zu entdecken, solange wir Lust darauf haben – und so lange wie möglich! Wir müssen nicht um jeden Preis um die Welt.


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