Aktuell machen erschreckende Bilder die Runde: Nachdem in der vergangenen Woche spanische Medien erstmals berichtet hatten, veröffentlichte gestern auch die “Bild” einen Beitrag über Segler, die in der Straße von Gibraltar angeblich auf Orcas schießen. Zu sehen ist, wie von einem Katamaran mit Feuerwerkskörpern mehrfach ins Wasser gefeuert wird. Ob die Tiere dabei verletzt oder getötet wurden, sei nicht bekannt.
Auch wenn dieser Fall nicht bestätigt ist, kommt es mit der iberischen Subpopulation seit mehreren Jahren zu kritischen Interaktionen. Aus bisher ungeklärten Gründen beschädigen die Orcas seit 2020 gezielt immer wieder insbesondere Ruderblätter von Segelyachten unter 20 Meter Länge. Drei Schiffe sind infolge einer solchen Interaktion gesunken.
Nachdem bereits im Sommer 2022 ein Video von gleich fünf Orcas an der dänischen Küste im Internet kursierte, kam es jetzt zur erneuten Sichtung in einem untypischen Gebiet. Im Skagerrak trafen deutsche Segler auf einen einzelnen Orca. Wer sich nun sorgt, die Nordsee zu besegeln, kann sich allerdings wieder beruhigen.
Zwar können die als sehr intelligent geltenden Schwertwale untereinander kommunizieren und voneinander lernen. Bisher ist jedoch nur diese eine iberische Subpopulation als gefährlich aufgefallen, ein Übersprung des Verhaltens auf die wohl Dutzenden Populationen weltweit ist laut Forschern nicht zu erwarten. “Es ist sehr unwahrscheinlich, dass dieses Verhalten des ‘groben Spiels’ mit Booten über große Entfernungen übertragen werden kann”, so Mark Simmonds, wissenschaftlicher Leiter der Meeresschutzorganisation “OceanCare”. Er kann daher Entwarnung geben: “Außerhalb des Gebiets, in dem die bekannte iberische Subpopulation lebt, besteht keine allgemeine Gefahr durch Orcas für die Schifffahrt.”
Nach einem kurzen Schreckmoment erlebte das auch das Ehepaar Daniel und Eva Lütkenhaus auf seinem dreiwöchigen Skandinavientörn. Bereits wieder auf dem Rückweg trafen sie mit ihrer Bavaria 35 Exclusive “Paikja” zwischen Lysekil (Schweden) und Skagen (Dänemark) nachmittags auf einen Schwertwal. Daniel erinnert sich, wie er die Rückenflosse, an der er den Meeressäuger erkannt habe, zum ersten Mal sah: “Sie tauchte an Steuerbord auf, dann an Backbord, ich würde schätzen in ungefähr zehn Meter Entfernung.”
“Ein bisschen Schiss hatten wir natürlich”, erzählt er weiter. Der Orca habe sich unterdessen gerollt und gedreht “als würde er sich suhlen. Und es schien mir so, als würde er das Schiff von beiden Seiten beäugen. Hinten am Ruder war er jedoch nie.” Als der Killerwal dann wieder abgetaucht war, schalteten die beiden den Autopiloten aus, umso wenig Geräusche wie möglich zu verursachen. Bei knapp 10 Knoten Wind und flacher See versuchten sie sich dann zumindest etwas zu entfernen und ließen sich in etwas Abstand treiben. Nach dem kurzen Abscannen schien das Tier überhaupt nicht mehr interessiert gewesen zu sein, erzählt der 60-jährige Architekt und leidenschaftliche Fahrtensegler.
Seine Frau hatte den Orca bis dahin noch gar nicht richtig gesehen, als sie bereits dachten, dass es wieder vorbei sei. Doch dann entdeckte sie ihn aufgrund seiner Wasserfontäne erneut, weshalb das Paar seine 35-Fuß-Yacht vollends aufstoppte. “Nachdem wir etwas Abstand zwischen ihn und uns gebracht hatten, war es einfach nur ein magisches Schauspiel”, erinnert sich Daniel noch immer fasziniert. Zweimal sei der Wal gesprungen, was sie mit dem Handy auch auf einem Video festhalten konnten. Insgesamt dauerte die Begegnung knapp zehn Minuten an, bis der Schwertwal wieder verschwand. “Wir wollten nicht umdrehen und es doch noch riskieren, die Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Daher haben wir den Kurs gehalten und die Genua wieder rausgeholt, um nach Skagen zu segeln.”
In Anlehnung an den Film “Free Willy – Ruf der Freiheit” aus dem Jahr 1993, den Daniel noch immer einmal jährlich schaut, tauften sie den Orca im Anschluss auf den Namen “Willy”. Woher dieser stammt, ist derweil allerdings nicht ganz so leicht zu klären. “Schwertwale sind von der schottischen und schwedischen Küste sowie von weiter nördlich bekannt”, erläutert Mark Simmonds. Es sei also wahrscheinlich, dass er einer dieser Populationen angehöre. Verwunderlich ist jedoch auch, dass er allein gewesen zu sein scheint, das komme selten vor. “Normalerweise ziehen sie in Gruppen umher und können recht weit verstreut sein. Sie neigen dazu, in den Gebieten zu bleiben, die ihre Familienverbände gut kennen, aber sie können sich auch weiter entfernen, vielleicht um Beute zu machen.” Ob es sich um ein Weibchen oder ein nicht adultes Männchen handelt, sei auch für den Meeressäugerexperten anhand des Videos nicht zu erkennen.
Mit Angriffen oder gefährlichen Interaktionen in der Nordsee rechnen die Experten von “OceanCare” jedoch in keinem Fall. Dennoch hätten die beiden Deutschen Segler genau richtig gehandelt. Denn allgemein rät die Organisation bei Begegnungen mit Orcas oder anderen Delphinarten auf See, sie aus der Ferne zu beobachten und zu genießen und zu versuchen, sie nicht zu stören.
Für das Ehepaar Lütkenhaus wurde die Überfahrt nach Skagen so zu einem einzigartigen Erlebnis. “Wir haben auf dieser Reise wunderschöne Sunde, Fjorde und Schären mit fantastischem Licht gesehen, aber dieses Erlebnis bleibt unvergesslich, und es tut noch immer gut, sich das anzuschauen. Das hat man mitgenommen fürs Leben.”