Jan Zier
· 12.06.2022
Vor Dänemark filmten Fischer mehrere Schwertwale. In Zukunft könnte es nicht nur dort häufiger zu solchen Begegnungen kommen
Vor der Küste Nordjütlands haben Orcas vor Kurzem ein Fischerboot verfolgt. Derzeit werden die Schwertwale häufiger in der Region gesichtet, Schiffe waren dort aber zuvor noch nicht von den Tieren angegriffen worden. Es ist nicht das erste Mal, dass Orcas in unsere Breiten kommen. In der Vergangenheit tauchten sie beispielsweise schon im Kattegat oder im Skagerrak auf. Einzelne der Killerwale strandeten dabei, etwa auf Sylt oder an der niederländischen Küste.
Anders sieht es vor der spanischen und portugiesischen Atlantikküste und insbesondere nahe der Straße von Gibraltar aus. Dort werden seit 2020 immer wieder Boote bedrängt, gerammt und insbesondere ihre Ruderblätter beschädigt – meist trifft es Segelyachten mit einer Länge bis 15 Meter. Die spanische Regierung musste deshalb wiederholt besonders betroffene Gebiete für kleinere Segelschiffe sperren. Warum die Orcas es dort auf Yachten abgesehen haben, ist unklar. Es gibt dazu bislang nur Hypothesen, deswegen vermeiden Wissenschaftler es, von "Angriffen" zu sprechen.
Experten raten, im Fall einer Begegnung Ruhe zu bewahren und den Motor sowie die Elektronik auszuschalten. Weltweit gibt es etwa 50.000 Orcas in freier Wildbahn. Sie kommen vor allem im Nordpazifik, Nordatlantik und in den Polarmeeren vor. Ihr einziger Feind ist der Mensch. Warum nun auch in Nord- und Ostsee vermehrt mit Orcas zu rechnen ist, erklärt Meeresbiologe und Verhaltensforscher Karsten Brensing – selbst Weltumsegler – im Interview:
YACHT: Hat es Sie überrascht, dass Orcas jetzt auch in die Nordsee kommen?
Karsten Brensing: Nein! Diese Tiere waren schon immer sehr flexibel. Es gibt sie weltweit.
Ist also zu erwarten, dass wir sie in den Segelrevieren der Nord- und Ostsee öfter sehen?
Das ist nicht auszuschließen! Wenn sie irgendwo Nahrung finden, dann schwimmen sie da hin. Infolge der Klimaveränderung wird das Meer hier wärmer, bestimmte Tierarten wandern weiter nach Norden, und das Nahrungsangebot der Orcas verändert sich. Sie sind fit genug, um das festzustellen und anderen Orcas in ihrer Gemeinschaft auch mitzuteilen.
In der Vergangenheit wurden wiederholt Schiffe von Orcas angegriffen. Wie gefährlich sind sie für Segler?
Ich denke, es sollte sich jeder erst einmal entspannen und den Moment genießen, wenn Orcas vorbeikommen. Es sind beeindruckende Tiere! Es gibt noch nicht einen einzigen Fall, in dem ein Orca in Freiheit einen Menschen umgebracht hat. Sie können aber Menschen töten und haben das in Gefangenschaft auch schon getan.
Aber Orcas haben vor Spanien und Portugal doch immer wieder Boote gerammt und sich in Ruderblätter verbissen!
Das ist ein sehr besonderer Fall, den ich intensiv verfolgt habe. In Zeiten der Corona-Pandemie haben die Tiere erfahren, wie sich ein stiller Ozean überhaupt anhört. Jetzt kommt der Lärm zurück. Es könnte sein, dass sie nun einfach frustriert sind. Gegen die großen Frachtschiffe können sie nichts ausrichten, gegen langsame Segler aber schon, gerade am Ruder. Das ist allerdings noch Spekulation.
Sie halten es aber schon für möglich, dass sich die Tiere an uns rächen wollen?
Sie unterscheiden sich in ihrem Denken und Fühlen nicht großartig von Menschen, und sie haben ein ausgeprägtes und komplexes Sozialleben. Orcas leben in einer Kultur, und ein Angriff auf Segelboote konnte sich deswegen als eine Art kulturelle Tradition in der Population etablieren. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass sich das hier im Norden verbreitet. Das ist eine Ausnahme, was da vor der iberischen Küste passiert.
Wie kann man sich als Segler vor Angriffen schützen?
Ich rate von Geräten ab, die Orcas mit unangenehmen Geräuschen vertreiben sollen. Möglicherweise macht sie das erst recht aggressiv. Auch von dem Tipp, rückwärts zu fahren, halte ich wenig. Die Tiere könnten sich dadurch bedroht fühlen. Mein Rat: Das Echolot ausmachen, wenn man es nicht zwingend braucht. Ein Echolot wirkt wie ein Leuchtfeuer!