OstseeratBaerbock mit 100 Millionen gegen Munitionsaltlasten

Max Gasser

 · 06.06.2023

Ostseerat: Baerbock mit 100 Millionen gegen MunitionsaltlastenFoto: Estonia Navi
Sprengung zweier Minen in einem Abstand von hundert Metern in der Tallinner Bucht
100 Millionen Euro für ein Sofortprogramm – die Länder der Ostseeregion wollen die Räumung der Munitionsaltlasten auf dem Meeresgrund stark intensivieren. Ab 2024 soll eine mobile Bergungsplattform zum Einsatz kommen. Offshore-Windkraft soll weiter ausgebaut werden

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Zwei Tage lang hat sich der Ostseerat in der vergangenen Woche in Wismar ausgetauscht. Neben außenpolitischen Themen stand auch der Punkt Munitionsaltlasten wieder auf der Agenda des Treffens der Anrainerstaaten (zuzüglich Norwegen und Island). Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) zeigte sich entschlossen und versprach zudem den Einsatz einer mobilen Bergungsplattform ab 2024. Diese ist bereits seit Längerem im Gespräch und sollte ursprünglich schon in diesem Jahr realisiert werden.

Neben einem Etat von 100 Millionen Euro, der für das Vorhaben vom Bund freigemacht wurde, hofft Baerbock auf die Unterstützung von Windparkbetreibern. Denn die am Ostseerat beteiligten Saaten wollen ihre Offshore-Windkraftleistung nun bis 2030 gemeinsam versiebenfachen. Die Betreiber sollen sich an den kostenintensiven Bergungen beteiligen, um in betroffenen Gebieten überhaupt Offshore-Windkraftanlagen bauen zu können.

Munitionsaltlasten so geht der Kampfmittelräumdienst bisher bei der Bergung vor

Schon lange kennt jeder Segler die War­nun­gen vor Verunreinigungen durch Munition aus den Seekarten. Laut Umweltbundesamt liegen am Grund deutscher Nordsee- und Ostseegebiete Altlasten von ungefähr 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Munition und 5.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe – eine Gefahr für Mensch und Meeresumwelt.

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Es sind weit überwiegend Hinterlassenschaften des Krieges. Während er noch andauerte, waren die Gewässer vermint. Zudem versenkten die Nationalsozialisten gegen Kriegsende große Bestände, damit sie nicht den Alliierten in die Hände fielen – oder womöglich bei einem feindlichen Angriff zu einer verheerenden Großexplosion führten. Die gezielte Ver­minung von Flachwasserzonen, also potenziellen Ankergründen, war dagegen nicht beabsichtigt. In küstennahe Bereiche gelangte Sprengstoff erst nach Kriegsende. Unter Aufsicht der alliierten Streitkräfte wurde dorthin unbezünderte Munition verbracht, zum Beispiel ins Unreingebiet Kolberger Heide. Deshalb ist das Ankern dort verboten. Ebenso verfuhr die Sowjetarmee mit ihrem Explosiv-Abfall in den ostdeutschen Binnenseen.

Gegenwärtig wird bei Gefährdung der Schifffahrt durch Munitionsaltlasten diese durch Kampfmittelräumdienste entschärft und geborgen. Später landet die Munition zur Vernichtung in der einzigen deutschen Entsorgungsanlage in Munster.

Munitionsversenkungsgebiete werden bisher nicht geräumt

Große Objekte auf dem Meeresboden werden mit Hilfe von Sonartechnik gefunden. Sehr oft entdeckt der Kampfmittelräumdienst unbekannte Gegenstände, die als „Verdachtspunkte“ bezeichnet werden. Dann werden Taucher runtergeschickt und müssen sich diese Punkte sehr genau anschauen. Das kann jedoch schwierig sein, da im Laufe der Jahrzehnte Sedimentschichten den Punkt überlagert haben können. Erst wenn die Taucher den Gegenstand unmittelbar sehen, wissen sie, ob es ungefährliche Gegenstände sind oder es sich tatsächlich um Munition handelt.

Bei reinen Taucharbeiten wird meist ein Umkreis von 500 Metern gesperrt, bei Sprengungen unter Wasser wird der Sicherheitsbereich auf 1.000 Meter bis zu einer Seemeile erweitert. Diese Bereiche können jedoch in Abhängigkeit von Wassertiefe und Art und Umfang der Arbeiten und der Munition auch variieren. Informationen über solche temporären Sicherheitszonen werden auf dem üblichen Weg in den „Bekanntmachungen für Seefahrer“ veröffentlicht.

Die Munitionsversenkungsgebiete werden bisher nicht geräumt. Das liegt nicht nur an der Masse der dort versenkten Munition, sondern auch an den ungeklärten Entsorgungswegen und nicht zuletzt an dem Gefahrenpotenzial für die Männer des Kampfmittelräumdienstes. Mit der geplanten mobilen Bergungsplattform könnte sich das ab 2024 ändern.

Falls eine Entschärfung durch Taucher nicht möglich ist, wird die Munition im Regelfall umgehend durch die Spezialisten des Kampfmittelräumdienstes gesprengt. Dabei werden die Schadstoffe jedoch nicht vollständig vernichtet, sondern erst recht in die Umwelt freigesetzt. Außerdem können Sprengungen durch den Unterwasserknall das Gehör von Meeressäugern verletzen.

Munitionsaltlasten als Gefahr für Mensch und Umwelt

Die Metallhüllen der Munitionskörper (zum Beispiel Bomben, Minen und Granaten) rosten zudem mit der Zeit durch und setzen dabei die enthaltenen Schadstoffe in die Meeresumwelt frei. Bei den Schadstoffen handelt es sich bei konventioneller Munition um sogenannte Sprengstoff-typische Verbindungen wie TNT und weitere Nitroaromaten. Insbesondere TNT gilt als giftig, krebserregend und/oder erbgutverändernd. Zudem enthält die konventionelle Munition auch Schwermetalle wie Quecksilber. Auch diese gelangen nach dem Wegrosten der Metallhüllen in die Meeresumwelt.

Darüber hinaus wurden im Ersten Weltkrieg auch Chemie-Waffen eingesetzt, im Zweiten Weltkrieg nur marginal. Sie sollten die Kampffähigkeit der Soldaten stark beeinträchtigen oder sogar zum Tod führen. In der Ostsee wurden laut Umweltbundesamt deutlich mehr chemische Kampfstoffe (5.000 Tonnen) versenkt als in der Nordsee (ca. 90 Tonnen im Helgoländer Loch).

Die meisten der bisher bekannten Unfälle mit Kampfstoffen dieser Art wurden durch Zäh-Lost (Mischung des Hautkampfstoffes S-Lost [auch bekannt als Senfgas] mit Verdickungsmittel) rund um das Versenkungsgebiet östlich von Bornholm verursacht, wobei Klumpen des Kampfstoffes in Fischernetze gerieten. Im Chemie-Portal chemie.de ist zu lesen: “Lost ist ein starkes Hautgift und erwiesenermaßen krebserregend. Die Wirkung auf die Haut ist vergleichbar mit starken Verbrennungen oder Verätzungen. Es bilden sich große, stark schmerzende Blasen. Die Verletzungen heilen schlecht. Das Gewebe wird nachhaltig zerstört und die Zellteilung gehemmt. Großflächig betroffene Gliedmaßen müssen meistens amputiert werden. Werden die Dämpfe eingeatmet, so werden die Bronchien zerstört.”

Ähnlich lesen sich auch die Auswirkungen von hochentzündlichem weißem Phosphor auf den Menschen. Dieser wurde im Zweiten Weltkrieg in Brandbomben eingesetzt. Bis heute werden Brocken von weißem Phosphor an deutsche Strände gespült. Gefährlich ist hierbei die Verwechslungsgefahr mit Bernstein – insbesondere bei Usedom, wo laut Umweltbundesamt rund 1,2 Tonnen durch Fehlwürfe von Phosphor-Brandbomben ins Meer gelangten. Warntafeln weisen die Urlauber hier auf die Gefahren hin.

Geht für Segler eine Gefahr von der Munition aus?

Beim Segeln ist das Gefahrenpotenzial, das die Munitionsaltlasten mit sich bringen, nach Ansicht von Kampfmittelexperten grundsätzlich deutlich geringer. Bei verklappter Rohrwaffenmunition sei die Wahrscheinlichkeit einer Detonation durch äußere Einwirkungen relativ gering, bei einem Großsprengkörper wie einer Mine oder einem Torpedo allerdings höher, da der sehr große Sprengstoffanteil nur durch dünnwandiges Blech umschlossen ist. Allerding müsste man zunächst mit seinem Anker einen dünnwandigen Sprengkörper treffen, und das auch noch mit der notwendigen Bewegungsenergie. Dass beide Faktoren zusammentreffen, ist wenig wahrscheinlich.

Missachtet man allerdings ein ausgewiesenes Sperrgebiet, geht man als Segler ein ernsthaftes Risiko ein. Zudem kann es aufgrund der Störung des Betriebs zu Regresszahlungen kommen. Derartige Verstöße kommen jedoch kaum vor.


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