Route du RhumDas sind die Gegner von Boris Herrmann

Andreas Fritsch

 · 05.11.2022

Charlie Dalin "Apivia"
Foto: Pierre Bouras/Apivia

Am Sonntag sollte in Saint-Malo die 12. Route du Rhum starten. Beim nun auf Mitte der Woche verschobenen Start wird eine beeindruckende Flotte von 36 Imocas an der Linie sein, davon sieben Neubauten. Das sind die Top-Skipper und ihre Boote

Schon jetzt zeichnet sich ab, was für die Vendée Globe 2024 umso mehr gilt: Selten zuvor gab es so einen Boom in der Imoca-Klasse. Bis zu 15 Neubauten könnten es für die Regatta um die Welt werden. Sieben gehen bei der Route du Rhum an den Start – um sie für die Vendée zu qualifizieren und um auszuloten, wo ihr Potenzial liegt und wo es noch an technischer Finesse, an Geschwindigkeit oder Zuverlässigkeit fehlt.

Favorisiert sind die Neuen nicht. Das mag auf den ersten Blick verwundern, weil sie weitaus moderner konstruiert wurden und von den Erfahrungen der Vendée profitieren. Doch die meisten haben erst wenige Segeltage im Kielwasser, kämpfen noch mit Maleschen und werden erst in einem Jahr ihr volles Leistungsvermögen erreichen. Deshalb liegen unter Experten die stetig weiterentwickelten Boote der vorigen Generation vorn.


Wir stellen die Favoriten der 12. Route du Rhum vor:

Foto: Jean-Louis Carli/Alea/Vendee Ar

Charlie Dalin (38) „Apivia“

Der Mann, den es zu schlagen gilt. Der Franzose dominierte alle Rennen der Saison. Sein Boot ist der derzeit beste Allround-Imoca.

  • Siegchance: 90 %

Spätestens seit den Line Honors bei der Vendée Globe 2020, wo er sich bei seiner ersten Einhand-Regatta um die Welt nur nach berechneter Zeit Yannick Bestaven geschlagen geben musste, ist Dalin der Superstar der Imocas. Im finanzstärksten Team der 60-Füßer kann er immer aus dem Vollen schöpfen. So wurde das Verdier-Design von 2019, bei CDK gebaut, zusammen mit dem Mer Concept Team von Vendée-Sieger François Gabart laufend verbessert, inklusive neuer Foils. Dalin gilt als akribischer, talentierter Techniker. Die ersten Regatten gegen die neue Generation von Booten zeigte, dass diese zwar an „Apivia“ dran sind und vielleicht nach ein, zwei Jahren Feintuning sogar schneller sein könnten, aber der Weg ist lang. Taktisch machte Dalin dieses Jahr keine Fehler und siegte in drei Rennen souverän, ist als Skipper enorm gereift. 2023 bekommt er ein neues Boot, vor dem die ganze Klasse schon jetzt zittert.


Foto: Pierre Bouras/RdR

Thomas Ruyant (41) „Linked Out“

Einer der wenigen, die Charlie Dalin zuletzt Paroli bieten konnten. Der Normanne gilt als beinharter Kämpfer, der immer pusht.

  • Siegchance: 80 %

Während der Vendée musste sich das kleine Kraftpaket noch Dalin geschlagen geben, weil sein Backbord-Foil brach. Die Genugtuung kam 2021 beim Zweihand-Transat Jacques Vabre, das er mit Morgan Lagravière segelte. Dort bekämpfte er sich mit Charlie Dalin und Jérémie Beyou fast das ganze Rennen, bevor er in einem gnadenlosen Halsen-Duell vor der Küste Brasiliens auf und davon zog. Boris Herrmann schätzt Ruyant als einen der physisch und psychisch stärksten Segler ein. Das Transat war sein erster großer Sieg bei den Imocas. Und es gibt keinen Zweifel, dass er mehr will. Sein 2019er Verdier-Design, im Grunde der Konzept-Entwurf für das Ocean-Race, hat er konsequent weiterentwickelt, nach dem Rennen mit neuen Foils ausgestattet. Das wohl zweitschnellste Boot der Klasse wird er 2023 gegen ein neues tauschen. Die Route du Rhum ist sein letztes Rennen damit. Für einen Sieg wird er nichts unversucht lassen.


Foto: V. Curutchet / Imoca

Jérémie Beyou (46) „Charal 2“

Auf den ganz großen Titel wartet der Top-Skipper schon lange, er wird alles dafür geben. Ist sein Boot noch zu frisch für den Triumph?

  • Siegchance: 80 %

Der Mann ist seit Jahren einer der drei besten Skipper der Imoca-Klasse, aber es fehlte ihm oft das entscheidende Quäntchen Glück. Seine Vita ist eine beeindruckende Anhäufung von zweiten und dritten Plätzen – von der Vendée Globe bis zu diversen Transats. Bei der letzten Vendée gab es für ihn nur ein Ziel: Sieg. Doch schon kurz nach dem Start musste er für Reparaturen umkehren. Seitdem sind „Apivia“, „Linked Out“ und seine ursprüngliche „Charal“ die ewigen Spitzenreiter bei fast jedem Rennen. Doch nun hat er seit Spätsommer ein neues, radikales Sam-Manuard-Design. Enorm schlanker Rumpf, Scow-Bug, futuristische X-förmig angeordnete Ruder, um das Heck aus dem Wasser zu heben. Das Boot gilt als schnell. Es ist jedoch noch nicht so bewährt wie die besten Widersacher.


Foto: Boris Herrmann / Seaexplorer

Boris Herrmann (41) „Malizia – Seaexplorer“

Das neue Boot des Deutschen ist ein Southern-Ocean-SUV geworden. Auch das Geschwindigkeitspotenzial entspricht den Erwartungen.

  • Siegchance: 70 %

Es ist ein bisschen wie die sprichwörtliche angezogene Handbremse im Kopf: Boris startet keine zwei Monate nach der Route du Rhum mit dem Boot zum Ocean Race. Für ihn und seine Sponsoren haben die Vendée und das Etappenrennen um die Welt höhere Priorität als ein Sieg transatlantik. Entsprechend sagt er schon vor dem Start klar, dass es für ihn „ums Ankommen und Erfahrung sammeln mit dem Boot“ geht. Aber „Malizia-Seaexplorer“, deutlich massiver gebaut als die Konkurrenz, zeigte beim Défi Azimut erstaunlich gute Pace. Läuft es beim Top-Trio nicht rund, ist für Boris alles möglich – sofern sein neuer Open 60 heil bleibt. Zuletzt zeigte der hartnäckige Probleme an der Ruderanlage und andere Kinderkrankheiten. Man darf gespannt sein, wie zuverlässig das Boot schon ist. Sollte es lange Schwachwind-Anteile geben, auf dem Atlantik immer möglich, sind die leichteren Schiffe wohl bevorteilt.


Foto: Yvan Zedda / Alea

Louis Burton (37) „Bureau Vallée“

Shooting-Star der letzten Vendée und Lokalmatador. Jetzt hat er obendrein ein konkurrenzfähiges Boot, die ehemalige „L’Occitane“.

  • Siegchance: 70 %

Louis Burton war nach Sieger Yannick Bestaven die Überraschung der letzten Vendée Globe. Burton pushte seinen Foiler der allerersten Generation immer ans und übers Limit, fuhr eigentlich ständig in der Spitzengruppe mit. Er ging dafür taktische Risiken ein, segelte durch extremes Wetter, hatte mehrfach Bruch, fiel zurück, reparierte und kämpfte sich wieder nach vorn. Als er nach dem Rennen in einem gelungenen Coup Armel Tripons Manuard-Design mit dem ersten Scow-Bug der Klasse kaufte, trautem ihm viele alles zu. Doch ein früher Mastbruch warf das finanziell nicht üppig aufgestellte Team zurück. Mittlerweile scheint es wieder besser zu laufen, und Burton ist definitiv darauf aus, mit dem erst 2020 fertiggestellten Boot, das er immer besser kennenlernt, zu glänzen. Beim letzten langen Race, der Vendée Arctique, belegte er in einem sehr komplizierten Rennen den fünften Platz, seine Formkurve zeigt also klar nach oben.


Foto: E. Stichelbaut / Holcim-PRB

Kevin Escoffier (42) „Holcim PRB“

Nach seinem spektakulären Untergang mit der „PRB“ bei der Vendée ist er mit neuem Boot am Start und hoch ambitioniert.

  • Siegchance: 70 %

Kein anderer Skipper ist technisch so versiert wie Escoffier, der als studierter Ingenieur drei Imocas und drei Ultim-Trimarane maßgeblich mitentwickelt hat, unter anderem „Banque Populaire“. Er gilt als Mr Fixit an Bord und ist nach seinem Einhand-Einstieg 2019 als Nachfolger von Vincent Riou bei „PRB“ gleich mal Zweiter beim Transat Jacques Vabre geworden. Er zählt zu den Top-Skippern. Das neue Boot ist eine Art Generationen-Zwitter: Das Ur-Design ist der Verdier-Entwurf fürs Ocean Race (wie „Linked Out“) und war bereits im Bau, bevor ein US-Team zurückzog. Escoffier kaufte das Boot und ließ eine neue, 4,50 Meter lange und deutlich gerundete Bug-Sektion anlaminieren sowie neue Foils bauen. Sehr schnell bei ersten Tests, bisher wenig Probleme. Er fährt auf Sieg.


Foto: HOA

Paul Meilhat (39) „Biotherm“

Als Skipper beeindruckte er mit Top-Platzierungen auf älteren Booten. Es fehlte nur der große Sponsor. Das ändert sich nun.

  • Siegchance: 60 %

Mit dem ziemlich alten Non-Foiler „SMA“ lieferte Meilhat in den letzten Jahren ziemlich starke Leistungen ab: Sowohl bei der Vendée Globe 2016/17, bei der er an dritter Stelle liegend wegen technischen Defekts ausschied, als auch bei der Route du Rhum 2018, die er gewann, nachdem Alex Thomson in Führung liegend aufgelaufen war, beeindruckte der lange Schlaks. Jetzt hat er erstmals konkurrenzfähiges Material in Händen. Seine neue „Biotherm“ ist ein Schwesterschiff aus der Form des Verdier-Designs „Linked Out“. Während des Baus in Italien bei Persico wurde die Bugform geändert, ebenso die Ruder und Foils. Das Boot dürfte ähnlich wie Kevin Escoffiers „Holcim PRB“ segeln, ist aber erst im September ins Wasser gekommen und musste beim Défi Azimut wegen technischen Problemen aufgeben. Auf dem Papier sind Skipper und Schiff stark, wenn auch nicht ganz an der Spitze. Ob die Technik hält, ist das große Fragezeichen.


Foto: Olivier Blanchet/RdR

Yannick Bestaven (49) „Maître Coq“

Der Sieger der letzten Vendée Globe hat ein brandneues Boot, aber wenig Erfahrung mit der jüngsten Foiler-Generation.

  • Siegchance: 60 %

Man kann die Leistung von Bestaven bei der Vendée vor anderthalb Jahren nicht hoch genug einschätzen. Der Mann aus La Rochelle siegte mit einem Foiler der ersten Generation gegen die scheinbar übermächtige Konkurrenz – damit hatte kaum jemand gerechnet. Der Franzose gilt aber schon seit seiner zwei Transat-Siege in der Class 40 als brillanter Taktiker und Segler mir brutaler Härte gegen sich und sein Material. Seit dem großen Triumph war es still um ihn geworden, er wartete auf sein neues Boot. Das ist im September fertig geworden und stammt aus den Formen von 11th Hour Racing, also mal wieder ein Verdier-Design, ursprünglich fürs Ocean Race entwickelt. Aber: Im Gegensatz zu Escoffier und Meilhat hat Bestaven darauf verzichtet, der Bugsektion dem allgegenwärtigen Trend folgend nachträglich starken Sprung zu verpassen. Auch die Foils sind sichtbar anders geformt. Das „Dark Horse“ dieser Route du Rhum.


Foto: RdR/Initiatives Coeur

Sam Davies (48) „Initiatives Cœur“

Die stärkste der drei Frauen im Starterfeld hat erstmals ein brandneues Boot zur Verfügung, ein Schwesterschiff von „Bureau Vallée“.

  • Siegchance: 50 %

Seit Jahren kämpfen die Frauen im Feld der Imoca 60 nicht mit den gleichen Waffen wie die männlichen Top-Skipper, denn immer waren sie mit älteren Designs am Start. Das ändert sich nun endlich: Die Britin startet mit einem Schiff aus den Formen der „Bureau Vallée“ (Ex-„L’Occitane“). Und das Boot wurde in Sachen Foils und Bugform zusammen mit Manuard noch einmal leicht überarbeitet. Es fehlt allerdings an Trainingszeit auf dem Wasser, weil es beim Bau im Kielbereich Probleme und Reparaturbedarf gab. Beim Défi Azimut kam Davies mit dem achten Platz nicht gut in Fahrt, hat sich sicherlich mehr vorgenommen. Die Vierte der Vendée Globe von 2008 wartet noch immer auf einen Podiumsplatz in einem Imoca-Rennen, wird stets hoch gehandelt, war mit dem fünften Platz beim letzten Transat schon ganz dicht dran. Vielleicht ist jetzt der große Moment für sie gekommen. Ein Sieg erscheint möglich, aber nicht wahrscheinlich.


Foto: Jean-Louis Carli/Classe Imoca

Maxime Sorel (36) „V&B Monbana Mayenne“

Der Skipper mit dem Drachen im Segel beeindruckte bei der Vendée Globe, hat nun ein ganz neues Biest: ein „Apivia“-Schwesterschiff.

  • Siegchance: 50 %

Der schlaksige Bretone mit dem Blondschopf hat einen steilen Aufstieg hingelegt: 2017 gewann er in der Class 40 die Transat Jacques Vabre und das Fastnet, dann stieg er in die Imoca-Klasse um und wurde mit einem 2007er VPLP-Design ohne Foils bei der Vendée Globe Zehnter. Das neue Schiff ist ein ganz anderes Kaliber: Es stammt aus der Form von Charlie Dalins überlegener „Apivia“. Von Designer Guillaume Verdier wurde der Bug für mehr Auftrieb modifiziert und eine neue Generation Foils gebaut. Im Juni ging das Boot ins Wasser, früher als die meisten anderen Neubauten. Und es segelt vielversprechend. Doch der Skipper stapelt tief. Für die Route du Rhum sei er noch nicht siegfähig, gab er zu Protokoll, wohl eher nächstes Jahr beim Transat Jacques Vabre. Das glaubt ihm so recht niemand: Sorel liebt den harten Wettbewerb; unter Druck hat er schon in der Class 40 geglänzt. Wenn er eine Chance sieht, wird er pushen.


Foto: Jean-Louis Carli/RdR

Benjamin Dutreux (32) „Guyot Water Family“

Ein weiteres Talent der letzten Vendée hat jetzt ein stärkeres Boot und das Offshore Team Germany als Partner.

  • Siegchance: 40 %

Der Franzose beeindruckte die Segelwelt mit einem tollen neunten Platz bei der letzten Vendée und sicherte sich in einem Coup die alte 2015er „Hugo Boss“, mit der Alex Thomson 2016 Zweiter um die Welt und 2018 Dritter bei der Rhum wurde. Deutsche Segelfans sollten mit Dutreux mitfiebern, weil er nach dem Transat zusammen mit dem Offshore Team Germany beim Ocean Race im Januar startet. Zuletzt zeigte seine Formkurve klar nach oben. Beim Défi Azimut war das erprobte und mehrfach optimierte Boot sehr schnell.


Foto: Jean-Louis Carli/Alea/VG2020

Isabelle Joschke (45) „MACSF“

Die Deutsch-Französin glänzt immer wieder mit guter Performance, doch Top-Resultate fehlen noch.

  • Siegchance: 30 %

Bei der letzten Vendée Globe und der letzten Vendée Arctique lag Joschke mit ihrem 2007er VPLP-Design mit Foils der 2020er Generation gut im Rennen – doch dann stoppte sie Bruch. Sie gilt als taktisch kluge und wenn nötig harte Seglerin. Loïck Peyron sagte nach der Vendée 2020/21, ihre Leistung hätte ihn bis zum Ausscheiden am meisten beeindruckt. Im stark besetzten Feld der Route du Rhum wäre jetzt der ideale Zeitpunkt zu liefern. Dafür müssten die Top-Favoriten freilich straucheln. Joschke selbst hofft auf eine Top-10-Platzierung.


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