“Malizia – Seaexplorer”“Nach der Route du Rhum wissen wir genau, wo wir stehen”

Andreas Fritsch

 · 01.11.2022

“Malizia – Seaexplorer”: “Nach der Route du Rhum wissen wir genau, wo wir stehen”
Die neue “Malizia – Seaexplorer” im Flight-Modus|Photo: Team Malizia/Jimmy Horel

Das Boot und 35 weitere Open 60 können Fans bis zum Start des Transatlantik-Rennens im Race-Village von St.-Malo bestaunen. Wir waren vor Ort und sprachen mit Co-Skipper Will Harris, wie sich das brandneue VPLP-Design macht und welche Schwierigkeiten es zu überwinden gab

Die Stege in St.-Malo gleichen einem Bienenstock: Oben auf der Pier schieben Zehntausende von Zuschauern täglich an dem einmaligen Regattafeld vorbei, unten wuseln Teammitglieder, Journalisten, Gäste und VIPs der Segelszene durcheinander. Alle zehn Minuten sieht man ein berühmtes Gesicht. Kevin Escoffier führt ein Fernsehteam über sein neues Boot, Charlie Dalin schaut sich mit seinem Team die neuen Boote im Feld an, Jérémie Beyou sitzt mit einem Techniker im Cockpit seiner neuen „Charal“ und schaut auf einem Bildschirm Daten durch.

Auch auf Boris Herrmanns „Malizia – Seaexplorer“ wuselt das Team herum, überall wird geschraubt, gebastelt oder die Technik ein letztes Mal kontrolliert. Wir treffen Will Harris, Co-Skipper für das Ocean Race im Januar, der uns seelenruhig wie immer ein Update über den Stand der Entwicklung des Schiffes gibt. Denn ein neuer Open 60 ist die ersten eineinhalb bis zwei Jahre ständiger „work in progress“.


Co-Skipper für das Ocean Race: Will HarrisFoto: Team Malizia
Co-Skipper für das Ocean Race: Will Harris

Will, knapp sechs Wochen sind seit der Taufe des Bootes in Hamburg vergangen. Was hat sich seitdem getan?

Es mag von außen nicht so aussehen, aber es hat sich eine Menge geändert. Es sind mehr und mehr Details, die wir bei jedem Testsegeln lernen und verändern. Vor allem in mehr Wind müssen wir noch lernen. Eins der Probleme waren dabei die Ruder. Sie vibrierten stark, und das System zum Einhaken löste teils ohne Grund während des Segelns aus, so dass wir in mehr Wind einige Sonnenschüsse gefahren sind. Die Ruder sind ja so konstruiert, dass sie hochgeklappt werden können und auch sollen, etwa wenn sie etwas berühren, das im Wasser treibt. Es ist eine Art Sicherung. Ein Haken rastet an einer Kohlefaser-Kante ein, ein Metallstück, das langsam nachgibt, ist dann die Sicherung. Das muss natürlich, wenn man richtig schnell segelt, große Kräfte aushalten, aber eben auch bei plötzlichen Belastungen auslösen. Das funktionierte nicht fehlerfrei, das Laminat in der Nähe der Sicherung bekam Risse. Da sind etwa 1,5 Tonnen Druck drauf, es ist eine feine Balance, die wir jetzt aber gefunden haben.

Hat sich das Boot denn jetzt auch bei mehr Wind bewährt?

Ja, wir hatten auf dem Delivery von Lorient nach St.-Malo richtig guten Wind, sind über längere Zeit deutlich über 30 Knoten Bootsspeed gesegelt. Topspeed waren 34 Knoten, das war natürlich sehr schön.

Habt ihr schon einschätzen können, ob der Plan bei der Entwicklung des Bootes, höhere Durchschnitts-Speeds in stärkerem Wind segeln zu können, funktioniert? Dafür war ja der hoch aufragende Bug mit dem vielen Kielsprung geplant.

In solchen Bedingungen sind wir sehr stark, das ist klar. Wellen und viel Wind liebt das Boot. Was wir lernen müssen, sind die Foils. Als Regattasegler willst du natürlich immer maximal schnell sein, da liegt es nahe, immer mit 100 Prozent Foil draußen zu fahren. Aber die Foils sind ja auch oversized, damit sie in wenig Wind schon gut funktionieren. Doch allmählich lernen wir, dass das Boot lieber mit weniger Foil bei Wind fährt, als wir es erwartet haben. Man muss den Modus erwischen, in dem das Boot praktisch nur ganz knapp über den Seegang geht, statt dass es weit herauskommt und dann wieder weit herunterfällt. So erreichen wir viel höhere Durchschnittsgeschwindigkeiten. Mit dem alten Boot bist du bei solchen Bedingungen immer mit dem Bug in den Wellenkämen stecken geblieben, das war langsam. Da das neue Boot durch die Bugform da praktisch keinen Widerstand hat, skimmt es über die Wellen hinweg. Das ist wirklich richtig gut.

Was wir jetzt noch lernen müssen, ist, wie wir das Boot gewichtsmäßig trimmen müssen. Durch die runden Rumpfformen reagiert das Boot viel sensibler auf Trimmänderungen als die alte „Malizia – Seaexplorer“ oder andere Imocas, die ein viel flacheres, breiteres Unterwasserschiff haben. Wenn wir das Gewicht in höherem Seegang weit achtern stauen, also Segel und Ausrüstung plus Tanks, kommt der Bug sehr weit hoch. Und genau umgekehrt können wir das Boot am Wind mit dem Gewicht weit vorn vor den Foils sehr stabil trimmen, dann liegt es sehr gut. Über 20 Knoten ist das Boot wirklich beeindruckend. In den mittleren Geschwindigkeiten müssen wir noch etwas den schnellsten Weg finden. In sehr leichten Winden sind wir dagegen wirklich beeindruckt, wie gut das Boot geht. Da scheint die runde Form auch überraschend gut zu funktionieren. Wir dachten eigentlich, das wäre so ein bisschen die Schwäche, aber das ist gar nicht der Fall. Nach den VPPs hätten wir da langsamer sein sollen.

Schaust du als Co-Skipper eine Woche vor dem Start eigentlich schon aufmerksam auf die Wetterentwicklung für die Route du Rhum?

Nicht wirklich. Du kannst dir den Trend und den Jetstream anschauen. Die geben dir eine ganz gute Idee, ob ein Tief auf Europa zukommt mit Amwind-Bedingungen, die viel Wind für den Start bringen. Diese Woche sieht es so aus, als ob einige Tiefs zum Start kommen. Die ungewöhnliche Wärme hier im Moment ist schön, bedeutet aber auch, dass es ziemlich kräftige Stürme geben kann.

Beim Bau habt ihr das Boot ja mit Hunderten von Sensoren ausgestattet, auch damit das Boot schneller und sicherer wird, auch weil der Autopilot daraus mehr lernen kann. Zahlt sich das schon aus?

Wir haben schon viel über den Mast gelernt. Wir hatten ziemlich oft Alarme, die losgingen, weil wir den Mast schon an sein Limit gebracht hatten. Das ist natürlich wichtig für uns.

In welchen Bedingungen wird es besonders gefährlich fürs Rigg?

High-Speed Reaching ist oft grenzwertig, besonders zwischen 15 und 20 Knoten Bootsspeed. Dann haben wir oft ein großes Segel oben und beginnen gerade so richtig zu foilen. Wenn es windiger ist, haben wir weniger Segelfläche oben, dann wird es besser. Wir analysieren die Daten gerade und werden die Ergebnisse wohl rechtzeitig zum Start von Boris am Sonntag haben, um noch daraus Schlüsse zu ziehen. Auf jeden Fall wird die Route du Rhum uns da auch noch weitere Erkenntnisse bringen, die dann ins Global Race einfließen werden. Das ist wichtig.

Gibt es weitere Dinge, bei denen ihr eine steile Lernkurve habt?

Reichlich. Weil die Foils so tief ins Wasser reichen, segelt das Boot manchmal voll auf ihnen mit Lage nach Luv, ist aber mit 34 Knoten unterwegs. Das ist für den Autopiloten ziemlich verwirrend. Er reagiert dann teilweise falsch, will dann anluven, um aufrechter zu segeln. Das ist dem Moment aber kontraproduktiv. Jetzt muss der Autopilot lernen, dass er nicht nur auf Lage, sondern auf deren Verhältnis zum Speed reagieren muss. Alles ziemlich komplex.

Wie wichtig ist die Route du Rhum für euch als Team für das Ocean Race eigentlich?

Oh, wir können später aus der Analyse der Daten im Ziel sehr wichtige Schlüsse ziehen, wir sind das Boot ja noch nie 14 Tage in einem Stück einhand gesegelt. Daraus können wir so viele Schlüsse ziehen, in welchen Bedingungen das Boot wie schnell gesegelt werden muss. Das wird eine steile Lernkurve, denke ich.

Haben die Testfahrten von euch eigentlich schon klargemacht, wie die optimale Aufgabenverteilung an Bord sein wird?

Mein Bereich bleibt die elektronische Seite, dass alles funktioniert, der Autopilot gut funktioniert. Nico Lunven ist vor allem in Wetteranalyse und Routing involviert. Wir lernen da alle gerade sehr viel von seiner Expertise. Und Rosie ist eine super Seglerin, sie wird viele der Aufgaben auf dem Vorschiff übernehmen. Sie kümmert sich auch um Ersatzteile und darum, dass die Systeme an Bord gut funktionieren. Als Skipper ist Boris natürlich immer für alles zuständig, aber er ist eben auch supererfahren in allen Bereichen.

Wie geht es nach der Route du Rhum weiter?

Das Boot wird dann direkt nach Alicante gesegelt und kommt aus dem Wasser, wir nehmen Mast, Kiel, Ruder alles ab und checken alles: die Verkabelung im Mast, die Kiellager, das laufende Gut auf Überbelastungen. Wir haben über den Sommer eine ziemlich lange Liste aufgestellt. Wenn man dabei eine Kleinigkeit übersieht, kann das dein Rennen später beenden. Aber mit einem solchen Boot bist du sowieso nie fertig, es ist immer „work in progress“.

Wie sieht es für dich hier in St.-Malo aus, hier liegen ja fast alle Imocas am Pier nebeneinander, schaut ihr euch da auch etwas ab?

Das ist superinteressant! Du gehst hier ständig am Heck jedes Bootes vorbei, kannst ins Cockpit schauen, da machst du schon einmal einen ziemlich langen Hals! (lacht) Da sind einfach so viele Details zu sehen. Vor fünf Jahren, als ich noch nicht so tief in der Imoca-Szene drinsteckte, hätte ich da nicht so viel gesehen, aber jetzt, da wir ein Boot jahrelang betrieben und eins komplett gebaut haben, ist das etwas ganz anderes. Es gibt ja nicht den einen Weg, so ein Boot zu bauen, jedes ist anders, doch die Details mit unseren zu vergleichen ist schon sehr, sehr spannend. Aber “Malizia – Seaexplorer” sieht völlig anders aus als der Rest der Flotte. Das hat Vorteile und auch Nachteile. Wir werden sehen, wie sich das nachher auszahlt oder eben nicht. Aber nach der Route du Rhum wissen wir definitiv, wo wir derzeit stehen!



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