Tatjana Pokorny
· 02.11.2022
Die Route du Rhum findet nur alle vier Jahre statt und gilt als größte Transatlantik-Regatta. Millionen verfolgen sie, Start ist am 6. November. Mit dabei: Isabelle Joschke und Boris Herrmann
Sie ist ein magisches Rennen im Heckwasser großer Meister, das Jung und Alt gleichermaßen inspiriert und wie kein zweites so viele unterschiedliche Klassen und Segler zusammenbringt“
Die Liebeserklärung des Franzosen Yannick Bestaven, amtierender Vendée-Globe-Sieger, bringt gut zum Ausdruck, warum die Wettfahrt als Königin der Transatlantik-Regatten gilt. Der gut 3.542 Seemeilen lange Kurs führt die Herausforderer vom bretonischen Saint-Malo nach Pointe-à-Pitre auf Guadeloupe, also aus dem europäischen Winter in den karibischen Sommer. 44 Jahre nach der Premiere hat sich ein Rekordfeld für den Start angemeldet.
Wenn es am 6. November zur Route du Rhum in See geht, werden 134 Solisten durch die Schleuse des Tidehafens motoren, die Ersten von ihnen bereits in der Morgendämmerung, angefeuert von Zehntausenden Schaulustigen, die sich diese Zeremonie nicht entgehen lassen wollen. Andere Fans parken derweil am Cap Fréhel, etliche Kilometer westlich vom Starthafen, und wandern zu den Klippen, von denen der Blick weit auf den Ärmelkanal geht. Eine Region im Ausnahmezustand, und das völlig zu Recht.
Denn nicht wenige der 128 Männer und sechs Frauen, die hier an den Start gehen, zählen zur Elite der Soloszene; einige Dutzend nehmen als engagierte Amateure teil, darunter Skipper der beiden Rhum-Klassen und der Class 40. Breit gefächert ist die Altersstruktur; sie reicht vom erst 20-jährigen Class-40-Herausforderer Martin Louchart aus der normannischen Fischerstadt Granville bis zum 69-jährigen Frankoalgerier André Laumet, der das Finale der Route-du-Rhum-Premiere 1978 erlebte, seit 46 Jahren im Segelsport arbeitet und in der Klasse Rhum Mono mit seinem Finot-Conq-40-Füßer „Léa“ von 2003 antritt.
Die „Rhum“, wie sie in Frankreich kurz heißt, ist und bleibt eine nationale Angelegenheit. Mehr als 80 Prozent der Teilnehmer starten unter französischer Flagge, einige wie die Deutsch-Französin Isabelle Joschke in der Imoca-Klasse auch für zwei Nationen. Doch zieht die Langstrecke eine wachsende Zahl internationaler Teilnehmer an. Im Spiel sind Großbritannien, die Schweiz, die USA, Italien, Australien, Neuseeland, Südafrika, Kroatien, Belgien, China, Japan, Algerien, Israel und Deutschland mit Boris Herrmanns „Malizia – Seaexplorer“. Drei Skipper kommen von der Inselgruppe Guadeloupe, dem Ziel, das alle erreichen wollen.
Gesegelt wird in insgesamt sechs Rennklassen: Class 40, Imoca, Ocean Fifty, Rhum Mono, Rhum Multi und Ultim 32/23. In Letzterer, der Liga der Maxi-Trimarane, treffen wahre Giganten aufeinander. Da versammeln sich Stars wie die früheren Vendée-Globe-Sieger François Gabart („SVR Lazartigue“) und Armel Le Cléac’h („Maxi Banque Populaire XI“), Thomas Coville („Sodebo Ultim 3“), Volvo-Ocean-Race-Sieger Charles Caudrelier („Maxi Edmond de Rothschild“) und drei Außenseiter zum ultimativen Powerplay auf dem Atlantik.
Mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit wird die Imoca-Klasse auf sich ziehen. Noch nie waren so viele Open 60 am Start der Route du Rhum zu finden, darunter sieben Neubauten und die besten Boote der vorhergehenden Generation. Solisten wie Paul Meilhat („Biotherm“), Benjamin Dutreux („Guyot Environnement – Water Family“) und Kevin Escoffier („Holcim – PRB“) bereiten sich bei der Transat-Regatta auf die Team-Weltumsegelung The Ocean Race vor, die am 15. Januar 2023 in Alicante startet. Das gilt auch für Boris Herrmann, der nach der Bootstaufe und einem ersten Défi-Azimut-Regattaeinsatz mit seinem Team Malizia erstmals einhand gefordert ist.
Als Erster trug sich 1978 der Kanadier Mike Birch in die Siegerliste ein. Mit dem Trimaran „Olympus Photo“ war er 23 Tage und knapp 7 Stunden unterwegs. Unvergessen bleibt der Triumph, weil Birch die Ziellinie nur 98 Sekunden vor der doppelt so großen „Kriter V“ von Michel Malinovsky kreuzte. Das ungleiche Duell sorgte für den ersten Popularitätsschub. Verschollen blieb bei der Premiere der Franzose Alain Colas. Sein Tod brachte die andere, die dunkle Seite des Rennens hervor.
Nachdem Sieger wie America’s-Cup-Skipper Marc Pajot (1982 mit „Elf Aquitaine“) und Philippe Poupon (1986 mit „Fleury Michon VIII“) der Route du Rhum ihren Stempel aufgedrückt hatten, trauerte die Rhum-Familie 1986 erneut: Von seinem im Sturm gekenterten 85-Fuß-Maxi-Katamaran „Royale“ war Loïc Caradec über Bord gegangen und auf See geblieben.
Für internationale Schlagzeilen sorgte Florence Arthaud 1990 mit ihrem Trimaran „Groupe Pierre 1er“. „Die kleine Verlobte des Atlantiks“, wie sie auch genannt wurde, gewann die Route du Rhum als erste Frau. Das trug ihr Ruhm und Respekt ein, nebst unzähligen Heiratsanträgen ihr unbekannter Verehrer.
Mit Laurent Bourgnon auf „Primagaz“ schrieb sich 1994 ein Schweizer in die Siegerlisten ein. Vier Jahre später gelang ihm mit demselben Boot sogar das Double. Mit einer Segelzeit von 12 Tagen, 8 Stunden, 41 Minuten und 6 Sekunden halbierte er die Premierenleistung von Mike Birch fast.
Danach folgte die Epoche von „Le Professeur“: Michel Desjoyeaux, der auch die Vendée Globe prägte wie bisher kein Zweiter, siegte 2002 mit dem Orma-60-Trimaran „Géant“ in einem der bis dato härtesten Rennen. In der Biskaya wehte es phasenweise mit bis zu 75 Knoten, viele Boote havarierten. Dennoch befand Desjoyeaux voller Überzeugung, dass „diese Regatta im Herzen der Franzosen verankert“ sei.
Kaum ein Großer des Sports, der sich nicht an der Rhum versuchte: Lionel Lemonchois siegte 2006 mit „Gitana 11“ in nur 7 Tagen, 17 Stunden, 19 Minuten und 6 Sekunden. Vier Jahre später ging der Stern des ehrgeizigen Franck Cammas auf, der später im Volvo Ocean Race und im America’s Cup glänzte. Cammas gewann mit „Groupama 3“ und nannte das Rennen einen „magischen Test“.
Mit Loïck Peyron parierte ein weiterer Maestro aus der nie versiegenden französischen Quelle großer Seesegelkunst alle Prüfungen des Klassikers brillant. Bei seiner 49. Fahrt über den Atlantik gewann er die zehnte Jubiläumsauflage als Last-minute-Ersatzmann für den verletzten „Banque Populaire“-Skipper Armel Le Cléac’h in 7 Tagen, 15 Stunden, 8 Minuten und 32 Sekunden. Als „bisweilen beängstigend“ beschrieb Peyron danach seine Begegnung mit einem wütenden Biskaya-Sturm.
Über die Jahrzehnte blickten viele Herausforderer in ähnlich herbe Abgründe des Nordatlantiks, vor allem in der Auftaktphase des Rennens. 2014 sorgte Unwetter für eine Ausfallquote von knapp unter 30 Prozent. Schon in der ersten Nacht mussten elf von 91 Solisten aufgeben. Im Negativ-Rekordjahr 2002 erreichte nur rund die Hälfte der Teilnehmer das Ziel.
Aktueller Rekordhalter, diesmal aber nicht am Start, ist „Idec Sport“-Skipper Francis Joyon, der das Rennen 2018 nach nur 7 Tagen, 14 Stunden, 21 Minuten und 47 Sekunden als Flotten-Schnellster beendete. Geht es für die Ultim-Giganten diesmal nach Plan, wird dieser Rekord wohl fallen, denn die neuen 32-Meter-Maxis gehen alle auf Foils an den Start. Auch in der Class 40 und bei den Imocas sind neue Bestzeiten zu erwarten.
Wie Olympische Spiele wird die Route du Rhum nur alle vier Jahre ausgetragen. Das verstärkt die Begehrlichkeiten. In der mit 53 Booten größten Gruppe der Class 40 kämpfen die Besten auch um die Aufmerksamkeit von Sponsoren, wollen mit guten Leistungen den Sprung in die größere Imoca-Klasse schaffen. Die Route du Rhum bietet das ideale Sprungbrett dafür. Das hat zum Beispiel Co-Favorit Yoann Richomme vorgemacht, der das Rennen 2018 gewann und nun mit einer neuen Class 40 zurückkehrt, während er auf seinen Imoca für die nächste Vendée Globe wartet. Zu den aktuellen Class-40-Größen zählen außer Richomme auch Ian Lipinski, Luke Berry, Axel Trehin, Corentin Douguet, Xavier Macaire sowie der Schweizer Simon Koster.
Boris Herrmann holte bei seiner Rhum-Premiere 2018 Platz fünf in der Imoca-Klasse und damit das historisch beste deutsche Ergebnis. Zuvor hatte Jörg Riechers 2010 mit Platz sechs in der Class 40 ein starkes Stück deutsche Segelleistung abgeliefert.