12. Route du Rhum“Eine Woche Hölle” – Sturmauftakt für die Rekordflotte

Tatjana Pokorny

 · 03.11.2022

12. Route du Rhum: “Eine Woche Hölle” – Sturmauftakt für die RekordflotteFoto: Screenshot/Windy
So sieht die Windy-Prognose für den Starttag der Route du Rhum aus: Die Rekordflotte der 138 Starter erwarten zum Auftakt und in der ersten Woche Winde von 30 Knoten und teilweise deutlich mehr

Es kommt mal wieder heftig: Auch die 12. Edition der Route du Rhum wird ihrem Ruf als Auftakt-Schocker voraussichtlich mit stürmischen Winden gerecht. Ähnliche Wetterszenarien haben bereits in der Vergangenheit des Legenden-Rennens für viel Bruch und Aufgaben in Serie kurz nach dem Start gesorgt. Boris Herrmann erwartet schwere Prüfungen bei seinem Solo-Comeback und zweitem Start bei der Route du Rhum.

“Erst kommt die Feuertaufe, dann die Barfußroute”

111 Tage nach dem Stapellauf der “Malizia – Seaexplorer” wird Herrmann am 6. November in die erste Soloregatta mit seinem Neubau starten. Für den 41-jährigen Hamburger ist es die erste Soloregatta seit dem Vendée-Globe-Finale am 28. Januar 2021. Die Rekordflotte der 138 Boote mit 131 Skippern und sieben Skipperinnen erwartet – wie so oft beim Spätherbst-Klassiker Route du Rhum – ein brutaler Beginn mit einer Serie von Bewährungsproben.

Die neue “Malizia – Seaexplorer” steht vor ihrem ersten Regatta-HärtetestFoto: Pierre Bouras/Team Malizia
Die neue “Malizia – Seaexplorer” steht vor ihrem ersten Regatta-Härtetest

”Erst kommt die Feuertaufe, dann die Barfußroute”, fasst Boris Herrmann kurz zusammen, “uns erwarten voraussichtlich drei starke Stürme, die wir auf dem Kurs nach Westen bewältigen müssen.” Er selbst werde nach bislang nur knapp 30 Segeltagen mit der neuen Yacht “Malizia – Seaexplorer” vor allem die besten Konfigurationen für die schweren Prüfungen finden müssen. “Man muss sehen, wie man mit dem Seegang klarkommt, wenn das Schiff anfängt, auf seinen Foils abzuheben und dann aus Metern Höhe wieder runterkracht.”

Wie reagieren die neuen Imocas bei zehn Meter Seegang?

Eine normale Passatroute erwartet Herrmann nicht. Der Grund dafür: Das Azorenhoch liegt derzeit sehr weit südlich. Die Solisten erwarten Seegang von bis zu zehn Meter Höhe und 30 bis 35 Knoten Wind im Durchschnitt. “Da warten aber bestimmt auch Stellen mit 45 Knoten und mehr, es wird also eine Feuertaufe”, sagt Herrmann. Es sei gut möglich, dass er sein Schiff phasenweise verlangsamen müsse, um es nicht zu gefährden. Es gäbe noch keine perfektionierte Lösung für das Kreuzen der “Hochseejollen” gegen den Wind. Das müsse er im Rennen austesten.

Ein Routing-Beispiel von Boris Herrmann für die anstehende Route du RhumFoto: Screenshot/Team Malizia
Ein Routing-Beispiel von Boris Herrmann für die anstehende Route du Rhum

Herrmann erklärt einen Teil der Herausforderungen: “Das Boot segelt gerne bei 30, 35 Knoten am Wind. Die sind per se kein Problem. Wenn wir 30 Knoten bekommen, segeln wir ungefähr einen Windwinkel von 57 bis 60 Grad am Wind. Wir segeln nicht ganz hoch am Wind wie etwa eine Segelyacht auf der Kieler Förde. Bei uns ist es dann so ein bisschen ein ozeanisches Upwind-Segeln, wo man halt 60 Grad statt 40 Grad am Wind segelt. Das aber segeln wir mit 20 bis 22 Knoten Speed. Was eigentlich klasse ist, weil sich das Schiff dann schön auf dem Foil abfedert.”

Und weiter: “Je schneller es fährt, je sanfter wird es zumindest auf flachem Wasser oder in leichten Wellen. Und dann muss man sehen: Wie schafft man es, mit dem Seegang klarzukommen, wenn das Schiff anfängt abzuheben und aus Metern Höhe runterzukrachen. Da muss man natürlich die Geschwindigkeit verlangsamen, um einfach das Rigg nicht zu gefährden. Wir werden dann sehen, wie das geht. Es kann sein, dass wir dann auf zwölf oder zehn Knoten, also die Hälfte reduzieren müssen. Und wenn wirklich Böen mit 50, 55 Knoten reinkommen, wird man überlegen müssen, auf die Sturmfock zu wechseln. Das kostet schon mal eine Stunde Kampf auf dem Vordeck …”

Boris Herrmann auf dem Vorschiff der neuen “Malizia – Seaexplorer”Foto: Antoine Auriol/Team Malizia
Boris Herrmann auf dem Vorschiff der neuen “Malizia – Seaexplorer”

Die traditionelle Flasche Rum ist an Bord, kommt von der Lieblingscrêperie

Herrmanns positive Botschaft: “Ich fühle mich mental bereit und gestärkt, gehe mit guter Energiereserve ins Rennen.” Herrmann rechnet mit einer Renndauer von elf bis zwölf Tagen, hat Proviant für bis zu 15 Tage an Bord. Das Ankommen und die Weiterentwicklung des jungen Neubaus sind seine wichtigsten Ziele beim Solo-Comeback. Eine Flasche Rum hat er traditionell dabei. Die gab es als Glücksbringer-Geschenk von seiner Lieblingscrêperie “Boo’t a Boo” in L’Armor Plage, wo Gästen auf Wunsch sogar ein besonderer Herrmann-Crêpe serviert wird.

Wenn ich mich eine Woche durch die Hölle gekämpft habe, Muskelkater, Schmerzen und Schlafentzug langsam weichen und vielleicht ein bisschen tropische Stimmung an Bord aufkommt, dann kann ich mich beim Schnuppern am Rum einen Moment daran erinnern, dass es noch ein Leben außerhalb des Überlebenskampfes gibt.”
Beim ersten, ausführlichen Skipper’s Briefing am Mittwoch zeigten die Veranstalter diese Grafik, die erklärt, wo auf dem Kurs die Skipper in Notfällen welche Art von Hilfe erwarten können. Zu sehen ist auch, dass sie im mittleren Abschnitt des rund 3.500 Seemeilen langen Kurses auf Hilfe der in der Nähe befindlichen Schifffahrt  angewiesen sein werdenFoto: Screenshot/Grafik/Vendée Globe
Beim ersten, ausführlichen Skipper’s Briefing am Mittwoch zeigten die Veranstalter diese Grafik, die erklärt, wo auf dem Kurs die Skipper in Notfällen welche Art von Hilfe erwarten können. Zu sehen ist auch, dass sie im mittleren Abschnitt des rund 3.500 Seemeilen langen Kurses auf Hilfe der in der Nähe befindlichen Schifffahrt angewiesen sein werden

Favorit in der von Herrmann gesegelten Imoca-Klasse ist der Franzose Charlie Dalin auf “Apivia”. “Charlie ist momentan der beeindruckendste Segler auf dem Planeten”, sagt Boris Herrmann anerkennend, “man kann nicht klar genug sagen, wie dominant und stark er ist. Er hat in diesem Jahr einfach alles gewonnen. Ohne Fehler. Er macht keine Fehler. Beim Azimut-Rennen war er solo schneller als mit Crew. Trotz zahlreicher Manöver. Unvorstellbar, wie er das macht.” Den aktuellen Imoca-Streckenrekord hält Paul Meilhat (“SMA”) mit 12 Tagen, 11 Stunden, 23 Minuten und 18 Sekunden.

Imoca-Top-Favorit und “Apivia”-Skipper Charlie DalinFoto: Vincent Curutchet/Imoca
Imoca-Top-Favorit und “Apivia”-Skipper Charlie Dalin

Am schnellsten werden auch bei dieser Auflage die Trimaran-Giganten der Ultim-Klasse die Ziellinie vor Guadeloupe erreichen. Deren bestehenden Route-du-Rhum-Rekord hält bislang Francis Joyon auf “Idec Sport” mit 7 Tagen, 14 Stunden, 21 Minuten und 47 Sekunden.

Der Start der 12. Route du Rhum wird am Sonntag live via Homepage übertragen. Deutsche TV-Teams von ZDF, ARD und NDR sowie RTL+ sind vor Ort und berichten in diversen Sendungen vom Start. Das Thema Corona und der Umgang damit liegt in Händen der Teams. Offizielle Tests wird es vor dem Rennstart nicht geben. Boris Herrmann trug beim großen Vorab-Briefing als Einziger unter Hunderten Teilnehmern eine Maske.


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