YACHT-Redaktion
· 26.03.2023
Als engagierter Amateur auf Wettfahrtkurs in Etappen um den Globus: Das Clipper Round the World Race lässt den großen Traum Wirklichkeit werden. Ein Teilnehmer berichtet von den Vorbereitungen
In diesem Artikel:
Sie steht auf der Bucket-Liste der meisten Segler ganz oben: die Weltumsegelung. Gegen die große Sehnsucht nach Freiheit, Abenteuer und Entdeckungen spricht jedoch vieles: oft fehlende Zeit und Geld, zuweilen mangelnde Kenntnisse oder Angst. Es gibt mehrere Möglichkeiten, diesen Hinderungsgründen den Wumms zu nehmen. Eine nennt sich Clipper Round the World Race. Das ist die sportive Weltumsegelung mit dem geringsten Aufwand: betreut, organisiert, zeitlich komprimiert, vergleichsweise günstig und sogar in Etappen buchbar.
Der britische Anbieter Clipper Ventures, gegründet und bis vor Kurzem betrieben von Segellegende Sir Robin Knox-Johnston, veranstaltet die Regatta alle zwei Jahre. Hochseesegeln für alle, ausgehend von Großbritannien um den Globus, auf acht Etappen, rund 40.000 Seemeilen, über einen Zeitraum von elf Monaten.
Zwischen „Au ja, dazu hab’ ich Lust“ und „Oha, das mache ich ja wirklich!“ liegt ein langer Prozess
Doch zwischen „Au ja, dazu hab’ ich Lust“ und „Oha, das mache ich ja wirklich!“ liegt ein langer Prozess. Denn das Clipper Race bietet zwar eine verdichtete Weltumsegelung, aber auch die muss finanziert werden und braucht ihre Zeit. Elf Monate dauert der gesamte Trip und kostet umgerechnet rund 53.000 Euro, zuzüglich eines vierwöchigen Trainings zu etwa 7.200 Euro. Dazu kommen die Kosten für eine Pflichtversicherung und persönliche Ausrüstung, wobei ein Satz von Mustos HPX-Offshore-Ölzeug gestellt wird.
Aber es reizt mich. Selbstständig um die Welt werde ich es aus privaten und technischen Gründen (mir fehlt das Boot dafür) erst mal nicht schaffen. Für mein seglerisches Abenteuer habe ich mich für fünf Etappen entschieden, die mir am interessantesten erschienen. Das sind die Passagen von Atlantik, Pazifik und Indischem Ozean, die Überquerung von Äquator und Datumslinie sowie der Panamakanal. Der Vorteil einzelner Abschnitte liegt darin, dass man ferne Länder und Kontinente auch mal für ein paar Wochen genießen kann, ohne nach fünf, sechs Tagen Stoppover wieder auf das Boot und weiter zu müssen. Mehr als 80 Prozent aller Teilnehmer ziehen denn auch einzelne Etappen einer Weltumsegelung vor.
Die Anwärter müssen zunächst einen Interview-Prozess durchlaufen, in dem es in erster Linie um die Teamfähigkeit geht. Zu recht: Immerhin sind die großen Crews drei bis zu fünf Wochen auf engstem Raum zusammengepfercht. Wer für die ersten Übungswochen eingeladen wird, kann sicher sein, bei bestandenen Prüfungen seine Wunschetappen segeln zu dürfen.
Seglerische Kenntnisse oder gar Hochsee- und Regatta-Erfahrung wird für die Teilnahme nicht vorausgesetzt. Clipper erwartet jedoch neben sozialer Kompetenz eine ausreichende körperliche Fitness. Beides zeigt sich meist schon während des ersten einwöchigen Trainings. Die Teilnehmer der Regatta kommen üblicherweise von allen Kontinenten, mehrheitlich jedoch aus Europa, hier vornehmlich aus Großbritannien (knapp 50 Prozent), und sind zwischen 18 und 79 Jahre alt. Eine deutliche Überzahl bilden erwartungsgemäß Männer ab einem gewissen Alter (50 plus), jedoch ist der Anteil der Frauen innerhalb der Crews mit etwas über 30 Prozent bemerkenswert hoch. Insgesamt sind es an die 700 Teilnehmer, die sich auf die elf Rennyachten und acht Etappen verteilen, wobei jedes Boot durchgängig mit einer Crew von 17 bis 21 Personen besetzt ist, zuzüglich eines professionellen Skippers und einer AQP – Additional Qualified Person (First Mate).
Wer welchem Team und welcher Yacht zugewiesen wird, entscheidet Clipper. Ausschlaggebend sind weniger die seglerischen Erfahrungen oder der sportliche Ehrgeiz als vielmehr persönliche und berufliche Befähigungen: So werden zunächst Ärzte und Krankenpfleger auf die Boote verteilt, dann Mechaniker sowie Elektriker und später andere für den laufenden Betrieb einer Yacht nützliche Personen.
Ein weiteres Kriterium der Crew-Zuteilung ist das Verhältnis von Weltumseglern zu Teilnehmenden, die nur einzelne Strecken fahren („Legger“). Hier legt Clipper Wert darauf, die angelernten Befähigungen und Erfahrungen gerecht auf die Boote zu verteilen. Pro Schiff fahren daher im Durchschnitt acht Weltumsegler mit.
Das ist das einzige für Amateure offene Rennen, das ihnen die Chance gibt, den Everest der Meere zu erobern, die Weltumsegelung” (Sir Robin Knox-Johnston)
Alle vier Trainingswochen finden ausgehend vom südenglischen Hafenstädtchen Gosport statt. Nach dem ersten Kennenlernen der Teilnehmer im vergangenen Mai geht es gleich auf eine der Trainingsyachten. Und selbst als halbwegs erfahrener Segler beschleicht mich das Gefühl, von einem VW Käfer in ein Formel-1-Auto umzusteigen: Ich hatte ungefähr eine Ahnung, wie das Segeln auf einer solchen Rennmaschine funktioniert, aber es brauchte schon einige Trainingstage, bis ich den Aufbau des Schiffs und des Riggs halbwegs verstanden hatte. Allein im „Snakepit“, einer Aussparung hinter dem Mast, laufen beeindruckende 15 Leinen zusammen, und keine einzige davon ist eine Schot! Wozu 15 Leinen im Rigg?
Bei den Trainingsbooten handelt es sich um 68 Fuß große ausgemusterte Rennyachten früherer Veranstaltungen. Man bekommt aber dennoch schnell ein Gefühl für das tatsächliche Rennen, bei dem auf modernen 70-Fuß-Clipper-Booten gesegelt wird. Es gibt keine Kabinen, sondern nur offene Kojen, die krängungsbedingt auf einer Seite höhenverstellbar sind, zwei Klos ohne Türen (dafür immerhin mit schicken roten Plastikvorhängen), keine Dusche, keinen Kühlschrank.
Egal ob 20 oder 20.000 im Meilenbuch stehen, jeder Anwärter ist verpflichtet, an allen vier Trainings teilzunehmen. Und das aus gutem Grund: Für einige ist der erste Trainingstag auch die erste Begegnung mit einer Yacht, und sogar für segelerfahrene Teilnehmer ist auf einer Clipper-Rennmaschine nicht alles selbsterklärend. Das Training beginnt mit einer umfangreichen Sicherheitseinweisung und dem Check inklusive Aufblasen der zugewiesenen Rettungsweste.
Nachdem Winschen, Leinen und andere Bestandteile erläutert sind, legen wir ab, es geht auf den Solent. Und hier zeigt sich schließlich auch dem eingefleischten Seebären, warum ein Grundlagen-Training auf einem Clipper-Boot unentbehrlich ist: Allein das Setzen von Groß, Staysail und Yankee nimmt gut eine halbe Stunde in Anspruch – und macht deutlich, warum die Schiffe mit einem Coffeegrinder ausgestattet sind: Das 150 Kilogramm schwere Großsegel mit Muskelkraft oder einer normalen Winsch zu setzen wäre schier unmöglich. Und auch die erste Wende ist in kaum weniger als 25 Minuten zu schaffen. Bis wir überhaupt begreifen, wie der Ablauf zwischen Kommandokette, Backstagen, Ruderlage und Überholen der beiden massigen Vorsegel vonstattengeht, benötigt es schon rund ein halbes Dutzend einfacher Wendemanöver. Hilfestellung leistet ein kleines bunt bebildertes und wasserfestes Handbuch, das jeder Teilnehmer ausgehändigt bekommt und das auf einfachste Weise die Abläufe erklärt.
Obwohl alle Skipper durchweg freundlich, professionell und äußerst kompetent sind, merkt man ihnen doch eine gewisse Ermattung an. Wer über Wochen und Monate hinweg immer und immer wieder dieselben Abläufe erklären muss und dabei von 20 Augenpaaren meist unverstanden angeschaut wird, fällt wohl unweigerlich in eine verschleißbehaftete Routine.
Die Trainingsskipper sind im Übrigen nicht die Skipper des tatsächlichen Rennens; diese stehen zum Zeitpunkt der ersten Trainings noch gar nicht fest. Vielmehr handelt sich um ehemalige Rennskipper, junge Aspiranten für diese Aufgabe oder einfach nur Schiffsführer, welche die Trainings als lukrative Nebentätigkeit ansehen. Gemeinsam haben sie nur eines: Sie sind Mitglieder der Ausbildungselite – RYA Ocean Master Instructors.
Die Tage der ersten Trainingswoche enden immer wieder im Hafen, was vielen Teilnehmern entgegenkommt: Wenn schon das erste Mal auf einem Segelboot, so freuen sich doch die meisten, abends sowohl festen Boden unter den Füßen zu haben als auch die ersten Nächte in den Bunks, den wenig gemütlichen Kojen, ohne Krängung verbringen zu können.
Zu den täglich durchgeführten Manövern gehört das MOB – in unserem Fall ein BOB, denn Bob ist ein 40 Kilogramm schwerer Dummy, der regelmäßig über Bord geworfen wird: im Hafen und auf offenem Gewässer, nachts oder tags unter allen Bedingungen.
Obwohl alle Teilnehmer sehr freundlich und kameradschaftlich miteinander umgehen, schälen sich schon nach den ersten Tagen die Leitwölfe heraus, wie wohl bei jeder anderen Segelcrew auch. Bei 20 oder mehr Aspiranten auf einem Boot wird es dann auch hektischer, wenn es um die Verteilung beliebter Plätze wie Steuerrad oder Snakepit während der Manöver geht. Da auch die Trainingsskipper nicht durchweg den Überblick behalten können, wer trotz Rotation wann welche Position bereits innehatte, bleibt den etwas zurückhaltenderen Teilnehmern des Öfteren nur der Zuschauerplatz übrig. Andersherum verhält es sich bei den weniger beliebten Aufgaben wie Kochen, Abwaschen und Putzen; hier werden aus Wölfen schnell Chamäleons.
Die zweite Trainingswoche wird bereits im Wachsystem gefahren, ohne abends in den Hafen zurückzukehren. Wir bekommen eine grobe Vorahnung, wie sich das Rennen um die Welt anfühlen wird. Viele erleben zum ersten Mal, was es bedeutet, an Bord einer Rennyacht zu leben, den Schlafrhythmus der Wacheinteilung anzupassen und auch in stürmischer Nacht zu segeln. Die zweite Woche startet jedoch zunächst mit einem ganztägigen Sea-Survival-Seminar. Hier lernen wir, auch ohne Boot auf einem Ozean zumindest eine Zeit lang zu überleben, als Gruppe zusammenzubleiben, eine Rettungsinsel zu besteigen. Praktischerweise findet dieser Teil im lokalen, beheizten Hallenschwimmbad statt.
In der zweiten Woche wird ebenfalls ständig manövriert und trainiert, und auch Bob geht das eine oder andere Mal (meist unverhofft) über Bord. Dauerten die Wenden in der ersten Woche noch gut eine halbe Stunde, schaffen wir sie mittlerweile in weniger als zehn Minuten. Halsen sind im Gegensatz dazu jedoch in nicht weniger als 25 Minuten zu schaffen, da Raumschotskurse auf den Clipper-Booten aus Sicherheitsgründen immer mit zwei Bullenstandern gefahren werden. Zumindest angefangene – und durch den Skipper jäh unterbrochene – Patenthalsen sind jedoch keine Seltenheit.
Das Ende einer jeden Trainingswoche bilden die Assessments. Diese umfassen sowohl theoretische als auch praktische Tests. Jeder Teilnehmer muss Fragen zum Boot, zu den Segeln, zu Sicherheitsmaßnahmen und zum Equipment beantworten, eine Handvoll Knoten vorführen, Funksprüche absetzen und relativ einfache Übungen darbieten, beispielsweise das Werfen von Leinen. Es kommt durchaus vor, dass der eine oder andere das Assessment nicht besteht. In diesem Fall bietet Clipper an, die entsprechenden Trainingslevel ein weiteres Mal (ohne Aufpreis) zu wiederholen.
Doch nicht nur die Assessments führen dazu, dass Teilnehmer aus dem Rennen ausscheiden; für einige sind die Erfahrungen der ersten und speziell der zweiten Trainingswoche beim Segeln im Wachsystem, bei Wellengang und Krängung Grund, das geplante Abenteuer abzubrechen. Über Tage hinweg andauernde Seekrankheit, gesundheitliche Einschränkungen (speziell mit Gelenken), Kälte und Nässe, harte Arbeit an den Segeln und Leinen, mangelnde Fitness und fehlender Schlaf führen vielen die Realität auf einer unbequemen Rennyacht vor Augen.
Aber nun haben wir einen langwierigen Abwägungsprozess hinter und ein großes Abenteuer vor uns. Und schon jetzt bin ich durch die Trainings ein besserer Segler geworden. Jeder von uns lernt viel dazu, auch über andere Crewmitglieder. Und vor allem über sich selbst.
Der Autor: Andreas Zerr. Der 1971 geborene Hamburger hat erste Segelerfahrungen im Alter von acht Jahren im Opti gesammelt und ist seit 2019 mit seiner Ohlson 8:8 in der westlichen Ostsee unterwegs. Der freiberufliche Filmproduzent kennt Reviere wie die Atlantikküste, Nordsee, Kanal oder Mittelmeer und arbeitet zeitweise als Ausbildungsskipper auf SKS-Törns von Kiel aus.