Max Gasser
· 08.02.2023
Das mediale Echo war riesig, und noch immer wird es nicht still um Clarisse Crémer. Vergangene Woche wurde die junge Mutter und Hochseeseglerin von ihrem Sponsor vor die Tür gesetzt. Die Empörung war groß – sind tatsächlich Banque Populaire und die Veranstalter der Vendée Globe schuldig, oder ist es die Seglerin selbst?
Clarisse Crémers Teilnahme an der Vendée Globe 2024 scheint wieder realistisch zu sein. Vergangene Woche hatte die 33-jährige Französin emotional das Ende der Zusammenarbeit mit ihrem Sponsor Banque Populaire verkündet. Auch das französische Geldinstitut veröffentlichte eine Mitteilung und kündigte an, nach einem neuen Skipper für die kommende Vendée Globe zu suchen. Gründe für die Kündigung seien die Schwangerschaft Crémers und die damit verbundenen Konsequenzen gewesen.
So habe die Seglerin aufgrund ihrer Schwangerschaft im vergangenen Jahr nicht ausreichend Seemeilen gesammelt, um realistische Aussichten auf eine Qualifikation für die Vendeé Globe 2024 zu haben. Dem hatte Crémer in ihrem Statement widersprochen und glaubt stattdessen fest daran, es schaffen zu können.
Grund für den Streit ist eine Regeländerung der Veranstalter der Vendeé Globe. Bis zur Ausgabe 2020 hatte es ausgereicht, die Regatta zu vollenden, um sich für die kommende Auflage zu qualifizieren. Das gelang Clarisse Crémer 2020 sogar als bester Frau. Für 2024 muss nun jedoch jeder Seemeilen sammeln, unabhängig davon, ob zuvor schon eine Vendée Globe vollendet wurde. Absolviert wird diese Qualifikation bei ausgewählten Regatten der Imoca-Klasse.
Im Regelwerk heißt es: “Jedes Imoca/Skipper-Paar muss bei mindestens zwei Qualifikationsrennen (eines im Jahr 2022 oder 2023 und eines im Jahr 2024) am Start sein. Mindestens eins davon muss auch beendet werden.”
Wichtig ist hierbei die Paarung Boot und Segler als eine Einheit für die Qualifikation. Denn Crémer ist bisher auf einem geliehenen Imoca gesegelt und hat erst im Dezember mit der ehemaligen “Apivia” ihr potenzielles Boot für die Vendée Globe zur Verfügung gestellt bekommen. Das würde auch für den möglichen neuen Skipper gelten, denn außer Ex-“Apivia”-Eigner Charlie Dalin und “Biotherm”-Skipper Paul Meilhat (als Mitsegler von Dalin) hat niemand mit diesem Imoca zählbare Rennen absolviert. Beide kommen jedoch aufgrund ihrer eigenen Neubauten und Kampagnen als Neubesetzung für Banque Populaires Ex-“Apivia” nicht in Frage. Wären also die Chancen auf eine Qualifikation für einen neuen Skipper dieselben wie für Clarisse Crémer?
Nicht ganz, denn einen Haken gibt es. Der Veranstalter hat die Teilnehmerzahl auf 40 Starter begrenzt, die Nachfrage wird jedoch höher erwartet, und die Hürde von zwei Qualifikationsregatten ist nicht allzu hoch. Daher wird eine Rangliste erstellt, die dieses Problem regelt. Sortiert wird nach gesammelten Seemeilen im Qualifikationszeitraum. Haben also mehr als 40 Skipper über die Qualifikationsregatten eine Startberechtigung erlangt, erhalten diejenigen den Vorzug, die am meisten Seemeilen auf dem Konto haben.
Für diese Seemeilen gelten jedoch andere Regeln als für die oben erklärte grundsätzliche Qualifikation. So wird eine größere Anzahl von Regatten berücksichtigt als die oben gelisteten. Zudem werden auch zweihand oder mit Crew gesegelte Seemeilen gewertet (Faktor 0,5 bzw. 0,25), und es geht lediglich um den Skipper. Dieser muss zwar mit einem Imoca gesegelt sein, aber es ist egal, mit welchem. Die Skipper/Imoca-Paar-Regel gilt hier also nicht.
Dieser Aspekt wird erheblich zur Entscheidung des Sponsors beigetragen haben. Während Crémer bisher keine einzige Meile zu verbuchen hat, hätte man nun die Möglichkeit, einen Skipper an Bord zu holen, der auf anderen Booten bereits Qualifikationsmeilen gesammelt hat. Dieser muss dann auf Banque Populaires neuem Imoca (Ex-”Apivia”) das kommende Transat Jacques Vabre sowie zumindest einen der beiden Wettbewerbe 2024 bestreiten.
Mit Nico Lunven, der mit Team Malizia aktuell das Ocean Race segelt, hätte man bereits einen Kandidaten an der Hand. Lunven hatte unter anderem die alte Banque Populaire 2022 anstelle von Crémer über die Weltmeere gejagt.
Ebenso kontrovers diskutiert wie die Entscheidung des Sponsors wurde auch die Reaktion des Veranstalters der Vendée Globe. Dieser hatte die Anfragen durch Banque Populaire stets abgelehnt und so eine Sonderregelung oder die Vergabe der Wildcard verhindert. Deshalb zeigte sich Crémer in ihrer Stellungnahme nicht nur von ihrem Sponsor, sondern auch von den Ausrichtern enttäuscht. Sie zielt dabei sowohl auf das Aufstellen der neuen Qualifikationskriterien als auch auf ihre Untätigkeit in der aktuellen Situation ab. Einen Tag nach dem Bekanntwerden der Kündigung hatten auch die Ausrichter ihren Standpunkt öffentlich gemacht: “Um die Fairness aller Kandidaten für die nächste Vendée Globe zu wahren, kann sich die Rennorganisation unter keinen Umständen erlauben, die Regeln zu ändern, wenn das Auswahlverfahren bereits begonnen hat.”
Denn die neuen Qualifikationsregeln wurden bereits im Oktober 2021 veröffentlicht, weit vor der Schwangerschaft Crémers also – ihr Kind wurde im November 2022 geboren.
Sowohl das mediale Echo als auch die Reaktionen innerhalb der Klasse waren gewaltig. Frauen würden durch die neuen Regeln benachteiligt, so der Tenor. Nahezu alle Größen des Hochsee-Segelsports meldeten sich zu Wort. Besonders die weiteren Seglerinnen in der Imoca-Klasse wie Isabelle Joschke, Pip Hare oder Sam Davies waren entsetzt. Letztere betonte: “Ich werde alles dafür tun, um Seglerinnen in der Imoca-Klasse und bei der Vendée Globe zu unterstützen. Ich will Sponsoren davon überzeugen, dass es keinen Grund gibt, Frauen im Segelsport nicht zu fördern.”
Auch aufgrund dieser Reaktionen erscheint es laut Insiderberichten mittlerweile als wahrscheinlich, dass die Klasse trotz ihres Statements zuvor zurückrudert. Denn sowohl das Image von Banque Populaire als auch das der Vendée Globe litt unter den Ereignissen.
Die Wildcard, die frei an einen nicht qualifizierten Segler geht, könne Crémer zu diesem Zeitpunkt nicht fest zugesichert werden, so die Veranstalter. Komplett geschlossen wurde diese Tür allerdings auch nicht: “Die Wildcard ist eine Möglichkeit, die mit dem Team Banque Populaire und Clarisse Crémer diskutiert wurde. Dies kann erst am Ende des Auswahlverfahrens entschieden werden, da die Vendée Globe nicht weiß, welche Skipper in Frage kommen könnten.”
Wie die Seglerin und ihr Sponsor damit umgehen werden, ist bisher nicht abzusehen, es herrscht Funkstille auf allen Kanälen. Allerdings soll es Bestrebungen von Banque Populaire geben, Clarisse Crémer wieder an Bord zu holen. Sie hatte sich vergangene Woche jedoch noch klar von ihrem Sponsor distanziert: “Ich bin entschlossen, wieder zu segeln, und zwar unter den Farben eines vertrauenswürdigen Partners, dessen menschliche Überzeugungen ich teile.”