Es ist ein fortschrittliches Signal, das am 15. Mai 2023 aus der Zentrale des Deutschen Segler-Verbandes (DSV) in Richtung Leistungssport gefunkt wurde: Das Präsidium beschloss damals einstimmig, einen Sonderfonds aus Verbandsmitteln für junge Eltern mit Kindern und Olympia-Ambitionen zu schaffen. Aus diesem Fonds werden jetzt Mehrkosten unter anderem für Reisen, Unterbringung und Kinderbetreuung finanziert, damit Kinder und Eltern auch in der Trainings- und Wettkampfzeit möglichst viel Zeit zusammen verbringen können.
Ein Video-Beitrag der Sportschau zeigt jetzt erneut auf, dass diese Haltung und Umsetzung des DSV einmalig in der deutschen Sportlandschaft und keineswegs selbstverständlich ist. Tatsächlich ist der Segelverband nämlich der einzige deutsche Fachverband, der eine solche Unterstützung bietet. Initiatorin und DSV-Präsidentin Mona Küppers verrät in der Sendung, dass sie sogar Anrufe anderer Spitzenverbandspräsidenten erhalten habe, die ihr Handeln nicht sonderlich positiv aufgenommen, sondern stattdessen mit Unverständnis reagiert hätten. Der 69-Jährigen ist das allerdings egal: “Mir ist es vollkommen wurscht, was andere Fachverbände machen. Ich finde, es gehört zu unserer Verantwortung, und wir machen das einfach. Wenn wir jetzt etwas losgetreten haben, kann das ja nur positiv für unsere Athletinnen und Athleten sein!”
Den Erfolg des Modells kann Leonie Meyer bestätigen: “Es ist eine Riesenentlastung für uns als Familie”, so die Kitesurferin, die mit ihrem Sohn als erste Athletin vom Sonderfonds profitiert. Anders ist das unter anderem bei Leichtathletin Gesa Krause, die ebenfalls Teil der Kurzdokumentation ist und ihr Trainingslager in Kenia mit Familie und ohne Unterstützung absolviert. “Die Angst, Sponsoren zu verlieren oder aus dem Kader zu fliegen, ist sehr, sehr groß”, so Krause gegenüber der ARD. Es sei traurig, dass junge Athletinnen ihren Kinderwunsch deshalb aufschieben würden.
“Es kann ja nicht sein, dass in der Olympiavorbereitung Mütter und Väter wochen- und monatelang ihre Kinder nicht sehen”, stellte Küppers bereits bei Einführung des Elternfonds klar. “Höchstleistungen sind nur dann möglich, wenn die Bedingungen stimmen – und dazu gehört auch, dass Eltern und Kinder sich wohlfühlen.” Der Fonds ist auf keine begrenzte Dauer, sondern auf eine dauerhafte, nachhaltige Unterstützung angelegt.
Hintergrund für die Entscheidung war eine auch auf internationaler Ebene anhaltende Diskussion darüber, wie eine bessere Familienförderung für Männer und Frauen im Leistungssport erreicht werden kann. Das gilt für die olympische Bühne ebenso wie für das See- und Solosegeln.
Zuletzt hatte der Fall Clarisse Crémer hohe Wellen geschlagen. Die Französin hatte ihren Sponsor Banque Populaire für die geplante Vendée-Globe-Teilnahme in Folge der Geburt ihres Kindes verloren und ihren Fall öffentlich gemacht. Inzwischen hat sich der Sponsor von der Solo-Weltumsegelung zurückgezogen. Clarisse Crémer verfolgt ihre Vendée-Globe-Ambitionen mit Alex Thomson und ihrem neuen Partner L’Occitane weiter intensiv.
Ich bin nicht schlechter geworden, weil ich eine Familie habe” (Paul Kohlhoff)
“Leistungssport und Familienleben dürfen sich nicht ausschließen”, findet nicht nur DSV-Präsidentin Mona Küppers. “Mit Paul Kohlhoff und Leonie Meyer haben wir das erste Mal seit langer Zeit einen Vater und eine Mutter in der Nationalmannschaft. Diesen beiden hervorragenden Sportlern – und allen Eltern, die nach ihnen kommen – möchten wir die bestmögliche Unterstützung ermöglichen.”
Der 27-jährige Paul Kohlhoff sagte: “Das ist ein mega Statement für Leistungssportler, ein sehr positives Zeichen für alle, die sich zum Spitzensport bekennen und trotzdem Lust auf Familie haben.” Genau diese Unterstützung will der Verband leisten. Mona Küppers sagt: “Wir geben damit das Signal: Alle sind willkommen. Und wir machen die Sportwelt ein Stück diverser, indem wir junge Eltern mit Ambitionen unterstützen.”
Gerade, weil der Segelsport ein Erfahrungssport ist, sind Leistungssportler hier oftmals bis weit in ihre dreißiger Jahre erfolgreich. Nicht alle wollen so lange warten, bis sie Eltern werden. Ein international bekanntes Beispiel ist Hollands Segelstar Marit Bouwmeester, die nach drei olympischen Medaillen (Silber, Gold, Bronze) aktuell als junge Mutter im Alter von 34 Jahren auf Kurs Olympia 2024 segelt und noch einmal Edelmetall ins Visier genommen hat. Auch sie erfährt auf ihrem Weg multiple Unterstützung aus ihrem sportlichen und familiären Umfeld, allerdings keine speziellen Eltern-Fördermittel, wie sie der DSV bereitstellt.
Ich möchte eine Goldmedaille gewinnen. Ich glaube, dass ich das noch kann” (Marit Bouwmeester)
Bouwmeester sagt: “Ich möchte mich für Paris 2024 qualifizieren und meine Karriere mit Stil beenden. Für mich gibt es dabei nur eine Platzierung, die zählt: Ich möchte eine Goldmedaille gewinnen. Ich glaube, dass ich das noch kann. Deshalb bin ich hier und mache es immer noch. Ich bin meinem Freund sehr dankbar, der mir diese Chance gibt und sich sehr um unser Kind kümmert. Und ich bin meinem Trainer dankbar, der an mich glaubt. Er macht eine Menge Arbeit für mich, weil ich nicht so viel trainieren kann, wie ich möchte. Ich mache wahrscheinlich nur noch die Hälfte von dem, was ich vorher gemacht habe.”
Die deutschen Olympia-Kandidaten sind beste Beispiele dafür, dass die Elternschaft im Spitzensport nicht nur Mütter, sondern auch Väter fordert. Paul Kohlhoff hatte sich nach der Geburt seines Sohnes Bruno durchaus gefragt, ob er sein Leistungsniveau als junger Familienvater wie bislang halten können wird. Er war froh, als er zum Saisonauftakt 2023 feststellen konnte: “Ich bin nicht schlechter geworden, weil ich Familie habe.”
Leonie Meyer, Kitesurferin und Mutter eines zweijährigen Sohnes, sagt: “Es ist cool, ein Teil dieser neuen Zeit sein zu können, in der sich richtig viel zum Positiven verändert. Und der DSV ist einer der Vorreiter-Verbände.”