Tatjana Pokorny
· 21.10.2022
Zu Beginn des neuen Jahrtausends zählte Leonie Meyer zu Deutschlands besten Skiffseglerinnen. Dann hat die 49er-FX-Steuerfrau – lange vor der IOC-Entscheidung pro Kitesport bei Olympia – ihr Skiff gegen Board und Kite eingetauscht. Sie glaubte früh an diese olympische Kite-Chance und bekam Recht
Der Vorname Leonie steht für „die Löwin“, „die Starke“, „die Kämpferin“. Der Name hätte für Leonie Meyer nicht passender gewählt werden können. Die 29-Jährige ist nicht nur als Olympia-Kiterin mit starken Medaillenambitionen für Marseille 2024 eine „Powerfrau hoch drei“, wie ihr gerade Teamkamerad Flo Gruber bescheinigte. Dass sich Leonie Meyer bei der Formula-Kite-Weltmeisterschaft vor Sardinien nach extrem fordernden Jahren und einer Corona-Infektion zur Unzeit jetzt als Neunte in den Top Ten der Welt zurückgemeldet hat, kam unter den gegebenen Umständen einer kleinen Sensation gleich.
Zur Einordnung muss man wissen, dass diese Leonie Meyer im vergangenen Jahr parallel zum Leistungssport im Mai Mutter wurde und im Herbst ihr anspruchsvolles Medizinstudium an der Uni Kiel abgeschlossen hat. Die Lern- und Leistungstage endeten selten vor Mitternacht. Neben dem Studium war sie immer wieder in der Chirurgie im Einsatz. Ihr zweites Staatsexamen bestand sie im Herbst 2021.
Das Dreifach-Programm mit Kind, Sport und Studium hat die Athletin enorm gefordert. Sportlich musste sie in der Folge Rückschläge einstecken. Zur Kieler Woche 2021 stellte sie fest: „Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es mich so weit nach hinten katapultiert wie jetzt. Das Niveau hat in unserer Disziplin enorm angezogen.“
Hier ein Clip mit Leonie Meyer aus ihrem härtesten Jahr 2021, in dem sie studierte, Mutter wurde und trotzdem Sport auf höchstem Niveau betrieb. Dafür wurde sie von der Stiftung Deutsche Sporthilfe als vorbildliche Athletin zur Sportstipendiatin des Jahres gewählt.
Seit dem Jahreswechsel konzentriert sich Leonie Meyer hauptsächlich auf ihren Wiederaufstieg in die Kite-Weltspitze. Lebensgefährte Darian, die Eltern Sabine und Rolf Meyer und Freunde unterstützen die sympathische Kiterin auf ihrem Weg enorm. Sie hat im zurückliegenden Jahr mehr als 250 Tage im Vantour-Kastenwagen gelebt, ihren Lebensrhythmus dem Leistungssport angepasst. Meist ist der 17 Monate alte Sohn Levi mit auf Reisen. Im März sagte Leonie Meyer beim Einsatz vor Mallorca: „Wenn der Tag im Regen beginnt, aber mit gutem Training, Sonne und einem glücklichen Baby endet, das auf mich am Strand wartet, dann ist das für mich ein wunderbarer Tag.“
Mit Levi fliegt Mama Leonie in der kommenden Woche für eine Operation in die USA, wird dort vier Monate bleiben, die Genesung ihres Sohns im Blick haben, sich regenerieren und trainieren. Kurz vor dem Abflug ist die sonst stets dynamische Kämpferin in dieser Woche ausnahmsweise am Rande ihrer Kräfte.
Die Weltmeisterschaft hat ihr alles und mehr abgefordert, weil sie ausgerechnet kurz vorher von einer Corona-Infektion heimgesucht worden war. Gerade und nur halbwegs genesen, hat die Kiterin bei der WM noch mehr kämpfen müssen als sonst. Denn beim Gipfelwettkampf des Jahres ging es auch um den wichtigen Platz im Kader der Segelnationalmannschaft, den sie bislang nicht hat.
Für die Zukunft braucht sie diese Förderung, weil sich olympische Kampagnen sonst nur schwer oder gar nicht finanzieren lassen. Viel Unterstützung hatte die in Kiel lebende Leonie Meyer beim Wiederaufstieg auch von ihrem Heimatclub, dem Norddeutschen Regatta Verein. Dass sie es trotz Corona-Schwächung und bei Star-Besetzung bis ins WM-Finale der Top Ten schaffte, kann nicht hoch genug bewertet werden. Hier geht es zu den WM-Ergebnissen für Männer und Frauen.
Während Deutschlands beste Männer Flo Gruber und Jannis Maus mit den Plätzen elf und 16 etwas hinter den eigenen Erwartungen zurückblieben, aber nicht nur laut Coach Jan Hauke Erichsen ebenfalls zu den Medaillenkandidaten für Marseille zählen, war für Meyer erst im WM-Halbfinale Schluss. Zuschauer der Live-Übertragung konnten beeindruckt sehen, wie schnell Leonie Meyer auf ihrem Chubanga-Board mit Flysurfer-Kite unterwegs war. Am Ende der packenden Halbfinalrennen waren es die angegriffene Physis, kleine Fehler und Konzentrationsschwächen wie eine falsche Tonnenrundung, „die mir sonst niemals unterlaufen würden“, die eine noch viel bessere Platzierung kosteten.
Meyers erste Reaktion: „Ich ärgere mich so. Ich war so schnell unterwegs. Unter normalen Umständen hätte ich das Halbfinale dominieren müssen.“ Die gute Erkenntnis daran ist das Selbstvertrauen, mit dem Leonie Meyer nun wieder im Einsatz ist. Sie sagt ohne Allüren: „Ich gehöre in die Weltspitze.“ Und Humor hat sie auch. Mit Hinweis auf die benötigten Körper-Kilos in ihrem Sport notierte sie kürzlich unter „Partnersuche“: „Na, Nutella, wie wär’s?“
Ihre Bilanz: „Die WM war ein Kampf mit großartigen Konkurrentinnen und noch großartigeren Freundinnen, aber auch ein Kampf gegen Müdigkeit, Krankheit und Pläne, die nicht aufgingen. Ich könnte stolz auf diesen neunten Platz sein und bin es vielleicht auch bald. Aber für den Moment bin ich noch enttäuscht darüber, dass ich an Tag vier noch Dritte war und dann zurückgefallen bin.“ Glücklich ist Leonie Meyer mit ihrem gesamten Team, das sie beim Aufstieg begleitet. Großen Anteil an ihren Erfolgen in dieser Saison, sagt sie, haben ihre Coaches Alexey Chiboz und der spanische 49er-Olympiasieger Iker Martinez. Mit beiden möchte sie auch in Zukunft weiterarbeiten.
Während Deutschlands bester iQFoiler Sebastian Kördel in dieser Woche noch bis Samstag vor Brest nach bislang starker Vorstellung um die WM-Krone in der ebenfalls neuen olympischen Windsurf-Disziplin kämpft, verabschiedet sich Leonie Meyer nun für den Winter in die USA. Sie wird sich in der vorolympischen Saison 2023 zurückmelden und zeigen, wo sie als „Leo Löwenherz“ dann steht. Höhepunkt wird die alle vier Jahre ausgetragene Allianz Segel-Weltmeisterschaft für alle zehn olympischen Segeldisziplinen im Sommer in Den Haag sein. Dazu gehören jetzt auch die besten iQFoiler und die Kiter unter dem Dach des Deutschen Segler-Verbandes (DSV) – mit Leonie Meyer an der weiblichen Spitze.