Endlich geht es im America’s Cup sportlich zur Sache. Nach langer Durststrecke treffen sich Verteidiger Emirates Team New Zealand und die fünf Herausforderer ein Jahr vor dem 37. America’s Cup zum ersten Kräftemessen auf ihren AC40-Yachten. Zwar haben die Ergebnisse keinen Einfluss auf den kommenden Kampf um die wichtigste Trophäe im internationalen Segelsport, doch bringt die Regatta erstmals seit dem letzten neuseeländischen Sieg am 17. März 2021 wieder die Segler aktiv ins Spiel.
Während die Teams den Bau ihrer neuen Cup-Yachten vom Typ AC75 weiter vorantreiben, dienen die Trainings- und Testyachten vom Typ AC40, die von den Cup-Verteidigern vom Emirates Team New Zealand kreiert wurden und auch im Youth America’s Cup und im Puig Women’s America’s Cup 2024 mit deutscher Beteiligung eingesetzt werden, beim ersten Vorspiel in Vilanova i la Geltrú als Rennboote der Wahl.
Gefordert sind alle sechs Cup-Teams: die von Grant Dalton orchestrierten Verteidiger vom Emirates Team New Zealand, Sir Ben Ainslies britisches Team Ineos Britannia, Patrizio Bertellis nimmermüde italienische Cup-Jäger vom Team Luna Rossa Prada Pirelli, American Magic vom New York Yacht Club, das Schweizer Team Alinghi Red Bull Racing und das jüngste Team der ehrgeizigen Cup-Flotte: das vom Deutsch-Franzosen Stéphane Kandler angetriebene Orient Express Racing Team, das “Bleu Blanc Rouge” wieder ins Spiel bringt.
Die Regatta wird vor allem darüber Aufschlüsse geben, welche Segelteams die kleineren One Designs aktuell am besten beherrschen und wer sich nach acht Fleetraces über drei Tage für das Matchrace-Finale qualifizieren und durchsetzen kann. Nur die beiden besten Mannschaften ziehen in das K.-o.-Duell am Sonntag (17. September) ein. Nur ein Matchrace entscheidet über den Sieg. Alle Rennen werden vom 15. bis zum 17. September zwischen 15.30 und 17.30 Uhr live via America’s-Cup-Homepage übertragen.
Nicht wenige der geforderten Segler sind gerade erst von der dritten SailGP-Regatta der vierten Saison in Saint-Tropez zurückgekehrt. Allen voran dürften Sir Ben Ainslie und seine Briten mit ihrem ersten SailGP-Regattasieg seit zweieinhalb Jahren einen ordentlichen Motivationsschub mit nach Vilanova i la Geltrú mitgebracht haben. Sir Ainslie wird sich die Steuermannsposition mit seinem olympischen Finn-Thronfolger und Landsmann Giles Scott teilen. Der viermalige Olympiasieger unterstrich vor dem sportlichen Auftakt seiner dritten Cup-Kampagne unter britischer Flagge aber auch das Ziel seines Teams: “Unsere Priorität ist klar: Es geht darum, im August 2024 das schnellste Boot ins Wasser zu bringen.”
Nach langer Zeit und intensiven Monaten steht ein Meilenstein bevor” (Peter Burling)
Mit Wiedergutmachungsgedanken werden die neuseeländischen Cup-Verteidiger Peter Burling, Blair Tuke und ihre Kiwis zur America’s-Cup-Vorregatta antreten. Sie waren in Saint-Tropez nur knapp der Katastrophe entgangen, als ihr Flügelrigg explodierte, Teile davon aufs Boot fielen und die Segler nur haarscharf verfehlten. Punktgleich hinter den dänischen Spitzenreitern liegend, konnten die Neuseeländer in der Folge den zweiten und letzten SailGP-Tag nicht mehr bestreiten. Dass sie trotzdem noch Achte wurden, lag an den brillanten Leistungen vom Vortag, die viele Beobachter von den Kiwis auch für den Cup-Auftakt in Spanien erwarten.
Peter Burling, America’s-Cup-Verteidiger und Steuermann für das Emirates Team New Zealand, sagte vor Beginn der Vorregatta in Vilanova i la Geltrú: “Wenn man darüber nachdenkt, dann steht nach langer Zeit und intensiven Monaten ein Meilenstein bevor. Wenn man sich die Flotte anschaut, dann ist es sicher das stärkste Aufgebot, das wir seit langer Zeit gesehen haben. Die Möglichkeiten, gegeneinander zu segeln, sind insgesamt recht begrenzt. Insofern sind sie von kritischer Bedeutung für die Entwicklung der Segel-Teams. Der Einsatz, mit dem sich alle Teams auf diese Regatta vorbereitet haben, zeigt das.”
Für Frankreichs Orient Express Race Team mit der Crew um Quentin Delapierre bietet die Vorregatta eine Chance, sich nach Platz sechs beim SailGP-Heimspiel vor Saint-Tropez im Cup-Wettstreit noch weiter nach vorn zu arbeiten. Die “Davids” wollen im Ringen mit den Goliaths im America’s Cup zeigen, dass sie segelsportlich ebenbürtig sind und schnell auf Ballhöhe kommen.
Skipper Quentin Delapierre sagte in Spanien: “Wir freuen uns riesig auf unseren ersten offiziellen America’s-Cup-Wettbewerb. Es war eine steile Lernkurve für uns in den letzten Wochen, aber wir fühlen uns jeden Tag wohler auf unserem neuen AC40 und freuen uns darauf, mit den anderen Teams aufs Wasser zu gehen und ein paar Rennen zu fahren.”
Wenn man andere Teams auf One Designs mehrfach hintereinander schlagen kann, bringt das mentale Stärke für ein Team” (Tom Slingsby)
Auf voraussichtlich enge Rennen in den neuen One Designs vom Typ AC40 freut sich auch Patrizio Bertellis italienisches Team Luna Rossa Prada Pirelli. Steuermann Francesco Bruni sagte bei der letzten Pressekonferenz vor dem ersten Startschuss am Freitag: “Die AC40er sind schöne Boote, die dem Segelsport auch in Zukunft tolle Regatten bescheren werden. Sie sind großartige Boote, um unsere Fähigkeiten als Segelteam weiterzuentwickeln.”
Zum sportlichen Wert der ersten Vorregatta äußerte sich auch Superstar Tom Slingsby, der für American Magic im Einsatz ist. Vor dem Hintergrund, dass diese Regatta noch nicht auf den AC75-Cup-Booten ausgetragen wird, böte sie trotzdem mögliche Gewinne: “Wenn man andere Teams auf One Designs mehrfach hintereinander schlagen kann, bringt das mentale Stärke für ein Team.”
Um diese mentale Stärke kämpft auch das Schweizer Team Alinghi, das nach zwei Cup-Siegen 2003 und 2007, der Niederlage im ungleichen Stiftungsurkunden-Duell gegen BMW Oracle Racing 2010 und langer Pause erstmals wieder ins Cup-Geschehen eingreift. Steuermann Arnaud Psarofaghis sagte: “Wir sind sehr stolz, als Schweizer wieder dabei zu sein.”
Der 33-jährige Trimmer Bryan Mettraux, Bruder der Seeseglerin und Ocean-Race-Teilnehmerin Justine Mettraux, erklärte am letzten Trainingstag vor der Vorregatta: “Wie jedes Mal, wenn wir an einem Rennen teilnehmen, ist es das Ziel zu gewinnen! Aber bei der ersten Regatta dieses America’s-Cup-Zyklus geht es auch darum, Erfahrungen zu sammeln. Mein persönliches Ziel ist es, meinen Kopf so oft wie möglich aus dem Boot zu nehmen und gut zu kommunizieren. Das ist es, was den Unterschied ausmachen wird.“
Während auf der Bühne von Vilanova i la Geltrú alles bereit ist für die Rennen am langen September-Wochenende, geht hinter den Kulissen das Tauziehen um die Teilnahme der Amerikaner an der zweiten Vorregatta in Jeddah in Saudi-Arabien weiter. Nach wie vor haben die US-Herausforderer Sicherheitsbedenken und fordern von den Veranstaltern weitreichende Garantien ein. Ein US-Antrag beim America’s-Cup-Schiedsgericht zur Befreiung von der Teilnahmepflicht war im Frühjahr dieses Jahres zunächst abgelehnt worden.
In Spanien kocht nun erneut die Frage hoch, ob die Amerikaner an der zweiten Vorregatta vom 30. November bis 3. Dezember in Jeddah teilnehmen werden. “Ich glaube, unser Team hat noch keine Entscheidung getroffen. Aber ich habe vollstes Vertrauen, dass sie richtig entscheiden werden”, sagte American Magics Steuermann Tom Slingsby am Donnerstag vorsichtig. Auch die zweite Vorregatta in Jeddah wird auf AC40-Yachten ausgetragen, während die dritte Vorregatta im kommenden Jahr mit den dann neuen AC75-Booten der Teams bestritten wird.