Liebe Leserinnen und Leser,
das Segelsuperjahr 2024 ist so prall gefüllt mit Großereignissen wie die Osterkörbe an diesem Wochenende: In der zweiten Jahreshälfte steigen die Olympischen Spiele in Marseille. Mehr als zwei Monate America’s-Cup-Action in Barcelona folgt ab Mitte August, bevor uns die Vendée Globe ab 10. November mit Boris Herrmann und Isabelle Joschke wieder in Atem hält. Diese und viele weitere Regatten versprechen packenden Sport, vor allem aber mitreißende Protagonisten in ihrem Element.
Es gäbe keinen der drei Segelsportgipfel, auch nicht den SailGP oder andere Regatten, ohne ihre Herausforderer. Es sind die Seglerinnen und Segler, die den Regattasport prägen und ihn auch für uns zum Fest, zum Aufreger, zum Krimi und nicht selten zu einer Quelle der Inspiration machen. Sie tun uns gut.
Leistungssportler können in einer Welt voller Krisen und Unwägbarkeiten starke Felsen in der Brandung sein. So wie Boris Herrmann, der bei seiner Vendée-Globe-Premiere in kargen Corona-Zeiten einer rasant wachsenden Fanschar Abenteuer und Erlebnisse wie aufregende Ausflüge in die Freiheit schenkte und zum Helden aufstieg.
Spitzensegler sind gute Vorbilder für alle Generationen, wenn es ums Kämpfen, um Einsatzwillen, um das Erreichen von hoch gesteckten Zielen und eine vorwärtsgewandte positive Lebens- und Arbeitseinstellung geht.
Auf diese Weise haben Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer 2021 eine olympische Bronzemedaille gewonnen. Die beiden Kieler haben damit viele Menschen begeistert. Kinder und Jugendliche eifern ihnen nach. Jetzt wollen es die beiden national konkurrenzlos guten Nacra-17-Dompteure bei der Olympia-Regatta in der Bucht von Marseille wieder wissen. Ihr Ziel in diesem olympischen Sommer ist eine zweite Medaille. Dafür gehen sie „all in“.
Dass ihr Trainer Marcus Lynch sie zu Jahresbeginn völlig überraschend im Stich ließ und ein halbes Jahr vor Olympia zum amerikanischen Seglerverband US Sailing wechselte, hat sie kalt erwischt. Abrupt war ihr Erfolgstrio Geschichte. Statt ihren Schock darüber regieren zu lassen, suchte und fand das dynamische Duo mit dem Australier Andrew Palfrey in kürzester Zeit einen neuen Coach. Nun biegen sie mit entschlossener „Jetzt erst recht“-Einstellung auf die olympische Zielgerade ein.
In dieser Woche veröffentlichte das Team Kohlhoff/Stuhlemmer einen Nachdenk-Beitrag, in dem es um Profis im Segelsport, Demut und Dankbarkeit geht. Erklärt wird darin auch, warum es im Segelsport schwerer fällt, den Begriff des „Profisportlers“ anzuwenden als in anderen Sportarten. Da heißt es:
„Aufgrund der im Vergleich zum Fußball geringen Popularität des Segelns bezeichnen wir uns selber lieber als Vollzeit-Athleten im olympischen Segelsport. Wir schätzen uns glücklich und sehen es als großes Privileg, den Nacra 17 unser Büro nennen und das Segeln aktuell als unseren Beruf bezeichnen zu dürfen. Dass wir nach unserer Zeit als Kinder und Junioren im Kieler Yacht-Club über einen so langen Zeitraum und bis heute derartig viel Zuspruch und Unterstützung erfahren durften, erfüllt uns mit Stolz und stimmt uns demütig – vor allem, weil wir in vielen unserer treuesten Wegbegleiter langjährige, hoffentlich lebenslange Mentoren und Freunde kennenlernen durften. Als besonders vielschichtiger und komplexer Sport ist der Segelsport eine sehr beliebte Anlaufstelle für Menschen mit erfolgreichen und/oder inspirierenden Hintergründen aller Art, was es uns Seglern ermöglicht, über die Membran der olympischen Blase hinauszublicken und andere Perspektiven aus erster Hand kennenzulernen.“
Es steckt viel Gutes drin in diesem Bekenntnis, das man sich nur schwer aus dem Munde des einen oder anderen saturierten Fußball-Millionärs vorstellen kann.
Es sind die Geschichten der Segelsportprotagonisten, die auch uns lernen, träumen, mitfiebern, mitfreuen oder mitweinen lassen. Wir identifizieren uns mit ihnen, leiden mit ihnen, freuen uns mit ihnen. Wie viel harte Arbeit hinter ihrer Leistung und den Erfolgen steckt, wird dabei leicht übersehen.
Segelleistungssportler kennen keine 40-Stunden-Woche. Ihre Arbeitswochen haben mindestens sechs Tage. Die Tage beginnen früh morgens im Fitness-Studio und enden nach kraftzehrenden Stunden auf dem Wasser mit Debriefings, Presseanfragen, technischen Herausforderungen und logistischen Hausaufgaben.
Deutschlands historisch erfolgreichster Lasersegler Philipp Buhl hatte seine nie endende Arbeit und Hingabe vor seiner zweiten Olympia-Teilnahme in Enoshima 2021 in einen ebenso sehenswerten wie zeitlosen Clip gegossen.
Im Buhls Video geht es nicht um schneller, höher, weiter, sondern um Hingabe und Einsatzwillen für das große Ziel: eine olympische Medaille. Als Fünfter hat er sie vor drei Jahren in Enoshima im größten olympischen Feld der Ilca-7-Segler trotz starker Leistung nicht bekommen. Die ansteckende Freude an seinem Sport ist geblieben. Aktuell kämpft Philipp Buhl um seine dritten Olympia-Chance. Der Weltmeister von 2020 ist nicht nur als Spitzensportler ein Vorbild. Er inspiriert mit seiner Beharrlichkeit und überzeugendem Fairplay auf dem Wasser.
So wie Boris Herrmann in seiner Domäne des Offshore-Segelns in Verbindung mit Team Malizias Bemühungen um Klimaschutz und die Gesundheit der Ozeane. Der Mann, für den die Google-Suchmaschine heute in einer Drittelsekunde mehr als 2,7 Millionen Ergebnisse ausspuckt, wurde nicht als Segelstar und fünffacher Weltumsegler geboren.
Auch er, der heute gern gesehener Gast in Deutschlands großen Talkshows ist, hat sich seine Erfolge hart erarbeitet und musste tiefe Täler durchschreiten, bevor er mit starken Mitstreitern an seiner Seite zu dem wurde, der er heute ist: ein nahbarer Profi und international bekannter Segelsport-Player, der wie die Olympioniken und weitere Segelsport-Vorreiter mehr zum Vorbild taugt als manch ein saft- und kraftloser Politiker in unserer Zeit, denen das Anpacken und Machen, das Vorleben einer positiven Lebenseinstellung so schwer zu fallen scheint.
Man könnte und müsste an dieser Stelle viele deutsche Segelsportlerinnen und Segelsportler nennen, die mit ermutigender Kraft agieren, Härten meistern und Hindernisse überwinden, um ihre Ziele zu erreichen. Anastasiya Winkel ist so eine: Die gebürtige Urkrainerin und Sportwissenschaftlerin kämpft mit ihrem Ehe- und Steuermann im 470er-Mixed um ihren zweiten Olympia-Start und engagiert sich in ihrer neuen Heimat Deutschland für ukrainische Flüchtlinge, nutzte die Segelszene und ihre Mitstreiter im German Sailing Team, um Wohnungen und Unterkünfte zu vermitteln. Da hat sich das Netzwerk Segelsport-Deutschland stark bewährt.
Weil dieser Segelsport ein komplexer Sport für kluge Köpfe ist, trifft man in ihm auf überdurchschnittlich viele multitalentierte Menschen mit der Fähigkeit, über den Horizont hinauszublicken. Einen wie Buhls jüngeren Herausforderer ums Olympia-Ticket: Nik Aaron Willim ist Leistungssportler und Buchautor (“Grüne Tiger”), leidet gleichzeitig seit Langem unter Bruximus, dem unbewussten starken Zähneknirschen und -pressen, sowie den damit verbundenen Kopfschmerzen und Schlafproblemen. Seine Ziele verfolgt der 27-Jährige trotzdem unbeirrt – und optimistisch.
So wie Deutschlands neuolympische Top-Kiterin Leonie Meyer, “Leo Löwenherz”, die als Athletin, Medizinerin und Mutter ihr Mammut-Programm auf Kurs Olympia mit so großem Herzen und von ihrer Familie beflügelt bestreitet. Sohn Levi wurde mit einer Unterschenkelfehlbildung geboren und in seinem jungen Leben schon mehrfach bei Spezialisten in den USA operiert. Seine Mama ist immer dabei, sagt über ihn: “Er ist ein Sonnenschein, ein glückliches Kind.” Die Kraft, die sie ihm gibt, schöpft sie auch aus dem Sport.
Jeder Athlet und jede Athletin haben ihre eigene spannende Geschichte. Als Spitzensportler sind sie Motivatoren für ihre Fans. Dass ihnen als sogenannten Profis hin und wieder die Leidenschaft abgesprochen wird, weil sie Geld mit ihrem Sport verdienen, ist absurd. Das Gegenteil ist der Fall. Einigen wenigen ist es gelungen, ihre Berufung zum Beruf zu machen, weil sie besonders gut sind in dem, was sie tun. Die weite Mehrheit der in vielen Segelfeldern erfolgreichen deutschen Spitzensportler wird nicht reich mit der Profession, die zugleich ihre Passion ist.
Es gibt 2024 viele Gelegenheiten, sie kennenzulernen. Menschen wie den zweimaligen Olympia-Dritten Erik Heil, der in Sebastian Vettels jungem deutschem SailGP-Team um den Aufstieg in der Formel 1 des Segelsports kämpft. Erik Heil ist ein kluger und humorvoller Mann der eher leisen Töne, der trotz olympischer Erfolge mit beiden Füßen auf dem rauen norddeutschen Boden steht, den er als Hofbesitzer in der Nähe von Strande bewirtschaftet. Ach ja, sein Medizinstudium wuppt er außerdem noch parallel und erfolgreich. Nicht nur Erik Heil zeigt: Es ist so vieles möglich, wenn man es will.
Wir berichten gern von den schon bekannten und noch kommenden Segelsport-Persönlichkeiten. Es lohnt sich, sie kennenzulernen.
Aktuell tobt die nationale Olympiaausscheidung ihren Entscheidungen entgegen. Es geht in diesen Endspurt-Wochen darum, wer im Sommer unter den fünf Ringen um olympische Medaillen kämpfen darf. Alle Kandidaten haben ihr Leben diesem Ziel untergeordnet. Sie haben geschuftet, auf vieles verzichtet, kommen teilweise mit sehr wenig Geld klar, jagen ihre Träume, die sich am Ende aber nur für ein deutsches Boot oder Board in jeder der zehn olympischen Segeldisziplinen verwirklichen kann.
Ab Ostermontag geht es beim Spanien-Klassiker Trofeo Princesa Sofía zur Sache. In vielen der zehn olympischen Disziplinen fallen dort nicht nur im deutschen Team Entscheidungen oder Vorentscheidungen über die Vergabe der Olympia-Fahrkarten. Wir werden vor Ort sein und für Sie und Euch aus dem Segeleldorado zwischen Can Pastilla und S’Arenal berichten.
Wer gerade selbst auf Mallorca ist, bekommt dort einen guten Eindruck von der Welt des olympischen Segelsports, wo mehr als 1.000 Frauen und Männern aus 71 Nationen, Segler, iQFoil-Surfer und Kiter rund vier Monate vor dem ersten Marseille-Startschuss ihre olympischen Träume jagen. Jeder mit der eigenen Geschichte an Bord. Es macht Spaß, sie kennenzulernen.
Ich wünsche Ihnen und Euch ein wunderbares Osterwochenende und inspirierende Begegnungen!
YACHT-Autorin
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