Der Zeitpunkt kommt oft schneller, als man denkt. Das Segel steht nicht mehr optimal, es muss erneuert werden. Wann das so weit ist, sehen Eigner sicher sehr unterschiedlich. Bei vielen Gebrauchtbooten ist noch die originale Segelgarderobe angeschlagen, diese tut meist auch nach mehr als 20 Jahren ihren Dienst, und über Ersatz wird erst nachgedacht, wenn die Nähte brüchig werden und Flicken keine Alternative mehr ist. Das Profil ist dann aber schon lange nicht mehr ideal gewesen. Durch Dehnung des Gewebes wird das gesamte Segel bauchiger, zudem wandert die tiefste Stelle vom ersten Drittel hinter dem Vorliek in die Mitte des Tuchs. Da das Segel dann nicht mehr flach getrimmt werden kann und das Profil verschoben ist, erzeugt es mehr Druck, aber weniger Vortrieb. In der Folge muss früher gerefft werden. Neben den Performance-Einbußen leidet damit auch der Komfort.
Es müssen bei der Beurteilung eines gebrauchten Segels also das Profil und der Zustand des Materials angeschaut werden. Bei Segeln aus Polyestergewebe (Dacron) verliert das Profil schneller seine Form, das Tuch selbst ist aber extrem haltbar und kann Jahrzehnte ohne große Schäden überdauern. Laminatsegel halten je nach verwendeter Faser ihr Profil deutlich länger, allerdings gehen sie durch Delaminierung mechanisch irgendwann kaputt. Kann man sich bei Dacrontuchen entscheiden, die Neuanschaffung trotz verformten Profils noch aufzuschieben, geht das bei einem defekten Laminatsegel nicht. Dafür behält Letzteres fast bis zum mechanischen Ende seiner Lebensdauer auch seine Profilierung.
Dieser Aspekt spielt auch bei der Wahl des Segeltuchs eine wichtige Rolle. Denn neue Tuche sind eine teure Anschaffung, dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die Segel der Hauptantrieb der Yacht sind. Dennoch hängt die Wahl nicht nur vom Geld ab, sondern insbesondere von der Verwendung des Schiffes. Wird das Boot nur als Daysailer auf einem Binnenrevier beziehungsweise eher wenig genutzt, hält sicher auch günstige Ware recht lange. Bei aktiven Regattaseglern sind hochwertige Tücher dagegen fast schon Pflicht. Aber auch Fahrtensegler profitieren von einer profilhaltigen und reckarmen Garderobe. Denn gut getrimmte Segel, die das Boot hoch am Wind schnell vorantreiben, können den Unterschied zwischen einem tollen Segeltag, der einem dem Törnziel näher bringt, und einem Hafentag wegen ungünstiger Windrichtung ausmachen.
Je nach verwendeter Faser und deren Verarbeitung bekommen Segeltuche unterschiedliche Eigenschaften. Die wesentlichen Kriterien sind Festigkeit, Dehnung, UV-Beständigkeit, Knickunempfindlichkeit und Preis. Die Festigkeit entscheidet darüber, wie viel Faser pro Quadratmeter Segel verwendet werden muss, und bestimmt damit über Profiltreue, aber auch Gewicht des Tuchs – je stabiler die Faser, desto besser hält ein leichtes Segel sein Profil. Die Profilhaltigkeit hängt insbesondere auch von der Dehnung der Fasern unter Last ab. Knickunempfindlichkeit und UV-Beständigkeit entscheiden maßgeblich über die Lebensdauer des Tuchs. Der Preis spielt natürlich auch eine wichtige Rolle, wobei nicht gesagt ist, dass ein besonders teures Segel auch am längsten hält. Neben der Faser spielt beim fertigen Segel auch der Schnitt eine wichtige Rolle. Besonders entscheidend für die Eigenschaften des Segels ist allerdings auch die Verarbeitung.
Hier gibt es zwei wesentliche Unterschiede: Gewebe und Laminate. Erstere sind klassisch aus Kett- und Schussfäden hergestellte Tuche, meistens aus Polyester. Es können aber auch andere Fasern zusätzlich eingearbeitet werden, dann spricht man von Hybridgeweben. Bei Laminaten werden die Fasern möglichst im Lastverlauf platziert und mit Folie verklebt. Dabei kann etwa Mylarfolie zum Einsatz kommen. Auch ob eine oder zwei Folien verwendet werden, ist unterschiedlich. Zusätzliche Ausrüstung mit Taft sorgt für größere Biegeradien und schützt die Fasern vor Brüchen beim Packen des Segels sowie vor Abrieb. Es gibt viele mögliche Fasermischungen und Fertigungsmethoden, die eine Vielzahl von Anwendungen ermöglichen.
Die bei Fahrtenyachten verbreitetsten Stoffe sind Polyestergewebe. Die Faser ist sehr widerstandsfähig, Knicke und UV-Strahlung verträgt sie lange, und auch der Preis ist niedrig. Allerdings dehnt sich Polyester unter Last recht stark. Durch besondere Webarten, mehr Faser pro Quadratmeter oder Beimischung von Dyneema können auch Dacronsegel sehr profilhaltig werden. Eine bekannte Tuchvariante ist Hydranet von Dimension-Polyant. Die Dyneemafasern sind extrem stabil, dehnen sich kaum und sind knick- und UV-resistent. Allerdings ist der Preis deutlich höher als bei Polyester. Dyneema findet auch in Laminaten Anwendung. Nachteil ist, dass es bei anhaltender starker Belastung kriechen und sich so auch das Profil verändern kann.
Kevlar ist eine Aramidfaser, reckarm und hochfest, gut für performante Laminatsegel. Jedoch sind die Fasern anfällig für Knicke und UV-Schäden. Hier spricht alles für Regattasegel, die gute Leistung bringen müssen, aber auch regelmäßig erneuert werden.
Technora Black ist eine weitere Aramidfaser, die aber etwas bessere Falteigenschaften hat und nicht so empfindlich gegen UV- Strahlung ist. Damit ist es für Cruising-Laminate geeignet – ähnlich wie Vectranfasern, die auf Polyester basieren, aber von Struktur und Festigkeit her zwischen Polyester und Aramid liegen und recht robust gegenüber UV-Strahlung und Knicken sind.
Absoluter Spitzenreiter, was Festigkeit, geringe Reck- und UV-Stabilität angeht, ist Kohlefaser. Aber auch bei diesem Material gibt es zwei Nachteile: Die Fasern sind recht spröde, können also leicht brechen, und außerdem sind sie sehr teuer. Segel aus Kohlefaser sind sehr profiltreu, leicht, aber verglichen mit Polyester auch nicht besonders langlebig.
Eine Ausnahme bilden Nylonfasern, die sehr zugfest sind, dabei aber viel Reck aufweisen. Bei Gennaker und Spi ist diese Dehnung vertretbar. Zudem muss das Gewebe leicht sein, damit das Segel auch bei wenig Wind gut steht. Durch den geringeren scheinbaren Wind auf Fahrtenyachten werden diese Segel systembedingt bei eher wenig Wind eingesetzt. Die thermoplastischen Polyamide (Nylon ist der Handelsname) sind sehr knickunempfindlich und abriebfest. Für Amwind-Segel sind sie aber nicht geeignet.
Das obenstehende Diagramm zeigt die gängigen Materialien für Segel. Polyester hat seine Stärken in der UV- und in der Knickbeständigkeit und ist die mit Abstand günstigste Faser. Aber Aramid (Kevlar), Dyneema und besonders Carbon sind zugfester und steifer – Eigenschaften, die teuer erkauft werden müssen. Für größere Fahrtensegel stellt das auf Polyethylen basierende Dyneema eine gute Alternative zu Polyester und Carbon gleichzeitig dar. Zumal Carbon derart fest und steif ist, dass die übrigen Beschläge an Bord darauf abgestimmt sein sollten. Nylon kommt nur für Raumschotssegel zum Einsatz.
Jedes Laminat, ob mit Folie oder nicht, kann für eine längere Haltbarkeit mit Taft geschützt werden. Das Polyestervlies schützt vor Knicken und UV-Strahlung. Auch die Ausrüstung, etwa durchgehende Latten, bessere Rutscher, Liekbänder, Windbändsel, Fenster und Verstärkungen, ist bei jedem Segel individuell und wirkt sich am Ende auf den Preis aus. Aber wie teuer muss ein Segel sein? Will man Angebote vom einfachen Tuch bis zum Performance-orientierten Laminat vergleichen, meint Sören Hansen von Elvstrøm: „Da kann ich locker 50 verschiedene Segeltypen nennen. So einfach lässt sich die Wahl nicht auf wenige mögliche Resultate herunterbrechen. Wichtig ist die Beratung beim Segelmacher: Wie viel wird pro Saison gesegelt, wird aktiv getrimmt, sollen eventuell Regatten bestritten werden?“
Sascha Schwarck von Elvstrøm Deutschland in Heiligenhafen liefert vier Beispiele (siehe Kasten oben). Er betont, dass es zu den angegebenen Preisen zwar ein fertiges Segel gebe, durch die individuelle Ausstattung aber trotzdem größere Unterschiede auf der finalen Rechnung entstehen könnten. Die beiden ersten Anwendungsprofile mit weniger Meilen pro Jahr, keinen Regatten und eher unambitioniertem Trimm werden mit Polyestergeweben im Horizontalschnitt ausgestattet. Der Unterschied besteht in der Tuchqualität. Die Profile drei und vier bekommen Laminate, Letzteres sogar mit Technora-Black-Fasern. Das schlägt sich im Preis nieder: Die Performance-Ware kostet mehr als doppelt so viel wie das günstige Polyestergewebe. Die Preisspanne erstreckt sich zwischen 4.500 und 10.380 Euro – ein gewaltiger Unterschied. Selbst wenn es das Budget hergibt, muss die teuerste nicht die beste Wahl sein. Ein neues, gut stehendes Segel bringt bei jedem Boot mehr Segelspaß und -komfort. Die Wahl des Materials entscheidet darüber, wie lange diese Vorteile bleiben.