Frachtsegler „Ceiba“So entsteht in Costa Rica das größte Frachtschiff aus Holz

Morten Strauch

 · 09.05.2023

Der Schoner „Ceiba“ soll ab 2025 auf der Pazifikseite der beiden amerikanischen Kontinente klimaneutral und nachhaltig Waren transportieren
Foto: DVS Marine Design/SAILCARGO

Im Mangrovenwald von Costa Rica entsteht in traditioneller Bauweise das weltweit größte Frachtschiff aus Holz. Start-up-Geist und ein unbändiger Glaube an eine grünere Zukunft treiben das ungewöhnliche Projekt voran

Von der berühmten Panamericana abgehend, schlängelt sich die Route 132 durch dünn besiedeltes Gebiet. Nach einigen Kilometern endet sie auf einer dicht bewaldeten Landzunge an einer Verladebrücke für Zuckerrohr. Davor erstreckt sich der Golf von Nicoya. Er liegt im Nordwesten Costa Ricas, an der Pazifikküste des kleinen mittelamerikanischen Staates. Kurz vor dem Ende der Route 132 liegt die Einfahrt zum Gelände der Astillero Verde, zu Deutsch: „grüne Werft“. Sie ist leicht zu übersehen; zweimal fährt Gesa Thönnessen daran vorbei. Nur ein kleines Schild weist darauf hin, dass hier, inmitten der Mangrovenwälder, eine Vision vorangetrieben wird, die nicht nur einen emissionsfreien Seehandel zum Ziel hat, sondern auch einen holistischen Ansatz von Nachhaltigkeit verfolgt.

Thönnessen ist Geschäftsführerin des deutschen Schiffsausrüsters Toplicht. Sie hält sich gerade in Costa Rica auf, ihrer „zweiten Heimat“, wie sie sagt. 2004/05 hat sie ein Jahr in dem Land verbracht. Da sie vor einiger Zeit geschäftlich mit der von der Sailcargo-Initiative gegründeten grünen Werft in Verbindung stand, nutzt sie die Chance, sich den dort im Bau befindlichen Dreimast-Schoner „Ceiba“ anzuschauen. Thönnessen kennt sich aus mit Traditionsschiffen. Über das vermeintliche Leuchtturmprojekt, das den Bildern auf der Webseite nach von einer hippen Aussteiger-Kommune betrieben zu sein scheint, hat sie einiges gehört. Wie es darum in Zeiten von Post-Corona, Energie- und Materialkrisen in der Realität bestellt ist, weiß sie nicht.

Das Ziel: Das größte Holz-Segelfrachtschiff der Welt bauen

Was sofort ins Auge fällt: Die Bootsbauer arbeiten nicht nur auf dem Werftgelände, sie leben auch dort. Morgens um sechs erwacht das Camp, begleitet von krähenden Hähnen, singenden Paradiesvögeln und lautstarken Brüllaffen. Eine halbe Stunde später beginnt bereits die erste Schicht. Aufgrund des tropischen Klimas ist jede Minute Arbeitszeit wertvoll, bevor die Sonne die Temperaturen in schweißtreibende Höhen klettern lässt.

Die Mission der Initiative: das weltweit größte Segelfrachtschiff aus Holz zu bauen, das zu hundert Prozent klimaneutral Waren auf dem Pazifik transportieren soll. Aus aller Welt sind Spezialisten dabei, die nicht nur für ihr Projekt brennen, sondern neben Hitze und Schwüle auch die spartanischen Unterkünfte in Zelten und Baumhäusern in Kauf nehmen. Bevor jemand auf die Idee kommt: Auszubildende oder ungelernte Freiwillige aus dem Ausland werden nicht mehr angenommen.

„Ihre Einarbeitung hat sich als zu aufwändig herausgestellt, sie verschlingt einfach zu viel Zeit“, erklärt Lynx Guimond. Er ist der technische Leiter des Projekts (siehe Interview unten). An diesem Tag nimmt er sich Zeit, um der Besucherin aus Deutschland die Werft und das Schiff zu zeigen. Dennoch sind es nicht nur Profis, die hier arbeiten. Den Initiatoren ist es ein Anliegen, dass mindestens die Hälfte der Helfer Costa Ricaner sind.

„Fitzcarraldo“ beim Kinoabend in der Urwald- Werft

So archaisch der Bauplatz und der noch rohe Rumpf der „Ceiba“ anmuten, die Arbeitsschritte am Schiff sind professionell durchgetaktet. Trotz der teils knochenharten Jobs, die zu erledigen sind, ist die Stimmung im Team auffallend herzlich. Das bestätigt die deutsche Fotografin Verena Brüning. Sie hat einen Monat auf dem Gelände gelebt, um das Projekt zu dokumentieren. Brüning: „An den Wochenenden werden Strandausflüge oder Motorradtouren unternommen. Einmal wurde sogar ein Kinoabend improvisiert, um in Urwald-Ambiente gemeinsam den Filmklassiker ‚Fitzcarraldo‘ anzuschauen.“ Jenen Film, in dem ein exzentrischer Klaus Kinski ein Dampfboot unter ungeheuren Strapazen durch den Amazonas-Dschungel ziehen lässt.

Mit unseren verhältnismäßig kleinen Frachtsegelschiffen lösen wir uns vom Markt, der unsere Umwelt im Stich gelassen hat“

Ganz so diktatorisch wie unter Kinski geht es auf der Werft nicht zu. Disziplin steht neben der Arbeitssicherheit dennoch ganz oben auf der Tagesordnung. Beispielsweise sind hier Stahlkappenschuhe oder Sicherheitsgurte obligatorisch. Gekocht wird von Frauen aus der Umgebung, einige der Zutaten stammen aus dem eigens angelegten Permakulturgarten. Damit nicht genug, werden Abfälle recycelt, und sogar die Kloake wird aufbereitet und als Dünger an die Bauern verkauft. Nachhaltigkeit ist hier keine leere PR-Floskel. Selbst in Costa Rica, dem Vorzeigeland des Öko-Tourismus, sucht dieses ganzheitliche Konzept seinesgleichen.

Es begann 2019 mit einem Kiel aus Tamarindenstämmen

Begonnen wurde der Bau der „Ceiba“ im Januar 2019 mit der Kiellegung: Drei massive Tamarindenstämme, die von einem Hurrikan entwurzelt worden waren, werden aus dem Norden des Landes zum damals gerade fertiggestellten Werftgelände verholt. Seitdem hat sich viel getan. 56 mordsschwere Spanten, die per Hand mit einem Flaschenzug aufgerichtet und an ihren jeweiligen Positionen fixiert wurden, bilden das Gerippe des Schiffs. Die Innenbeplankung ist abgeschlossen, die Kombüse aufs Deck gebaut. Aktuell wird an der Außenbeplankung gearbeitet, Ruder sowie die Masten stehen für dieses Jahr auf dem Plan.

Das Spantengerüst wurde Stück für Stück zusammengesetzt und dann beplankt.Foto: Jeremy Starn/sailcargo.org
Das Spantengerüst wurde Stück für Stück zusammengesetzt und dann beplankt.

Um das maritime Bauwerk fertigzustellen, wird das Holz von etwa 400 Bäumen benötigt, darunter Sitka-Fichte, Spanische Zeder und Jatoba. Wegen der strengen Gesetze Costa Ricas müssen die Bäume nachgeforstet werden. Sailcargo hat zu diesem Zweck eine Non-Profit-Organisation ins Leben gerufen, die für jeden gefällten Baum 25 neue pflanzt.

Die ‚Ceiba‘ wirkt wie eine Kathedrale“

Gesa Thönnessen ist nach ihrem Rundgang beeindruckt: „Vor diesem riesigen Schiff zu stehen, das mit so viel Liebe und Schweiß gebaut wird, hat mich sehr emotional werden lassen“, berichtet sie. „Die ‚Ceiba‘ wirkt wie eine Kathedrale, deren Erbauer sich über jedes kleinste Detail Gedanken gemacht haben.“

Krieg und Corona befeuerten das Interesse an Nachhaltigkeit

Erstaunlich ist, dass weder die Corona-Pandemie noch die durch den Ukrainekrieg verstärkten Lieferketten- und Energieprobleme das Projekt aufgehalten haben. „Im Gegenteil“, so Lynx Guimond, „viele Firmen waren so frustriert von ihren Abhängigkeiten, dass sie plötzlich ein gesteigertes Interesse für nachhaltige und widerstandsfähige Dienstleistungen zeigten. Nach und nach rückte Sailcargo international ins Rampenlicht, sodass weitere potenzielle Kunden und Investoren den direkten Kontakt zu uns suchten.“

2025 soll das 46 Meter lange Schiff in Fahrt gehen, um Bio-Waren wie Kaffee oder Kakao entlang der Pazifikküste von Süd- bis Nordamerika zu transportieren. 250 Tonnen Fracht wird „Ceiba“ aufnehmen können, was in etwa neun Containerladungen entspricht. Zum Vergleich: Das größte Containerschiff der Welt kann 24.000 der stählernen Boxen laden. Um die gleiche Menge zu bewegen, bräuchte es eine Flotte von 2.667 Frachtseglern der „Ceiba“-Klasse.

Eine kleine Flotte von Segelfrachtschiffen soll geschaffen werden

Dass sie die Welt nicht auf einen Schlag verändern können, wissen die Gründer von Sailcargo. Guimond: „Wir haben mit der Beschaffung von Materialien für ein zweites Schiff begonnen, planen aber auch den Kauf bestehender Segler wie unsere kürzlich erworbene ‚Vega‘ aus Schweden.“ Ziel sei es, eine kleine Flotte von Segelfrachtschiffen zu betreiben. „Die ‚Ceiba‘ soll zeigen, was möglich ist. Sie ist nur ein Teil unserer größeren Vision.“

Denn Fakt ist: Etwa 90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs finden auf dem Seeweg statt. Die Handelsschifffahrt ist für fast drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Zudem werden Schiffsmotoren meist mit giftigem Schweröl betrieben. Zwar hat die Internationale Seeschifffahrts-Organisation das Ziel gesetzt, die Emissionen bis 2050 um 50 Prozent gegenüber 2008 zu senken. Das aber ist für die Bootsbauer in Costa Rica nicht genug.

Als Gesa Thönnessen an diesem Tag ihren Werftbesuch beendet, ins Auto steigt, vom Gelände fährt und auf die Route 132 abbiegt, ist sie nicht nur angetan von der ungeheuren Komplexität des Projekts. Sondern auch davon, mit wie viel positiver Energie es angegangen wird. Voller Bewunderung sagt sie: „Es ist toll, dass es solch visionäre Menschen gibt, die in diesen Zeiten ihre Segel auf einen Null-Emissions-Kurs gesetzt haben.“


Technische Daten „Ceiba“

  • Gesamtlänge: 46 m
  • Breite: 8 m
  • Tiefgang: 4,30 m
  • Höhe Hauptmast über Wasserlinie: 33,50 m
  • Segelfläche: 580 m²
  • Anzahl Segel: 14
  • Crew/Gäste: 12/12 Pers.
  • Motor: elektrisch, ca. 400 PS
  • Frachtkapazität: 250 t

„Waren intelligenter verschiffen!“ - Interview mit Konstrukteur Lynx Guimond

Lynx Guimond: Der Kanadier ist passionierter Bootsbauer und Segler. Er lebt auf der Werft und ist verantwortlich für Design und KonstruktionFoto: JEREMY STARN/SAILCARGO
Lynx Guimond: Der Kanadier ist passionierter Bootsbauer und Segler. Er lebt auf der Werft und ist verantwortlich für Design und Konstruktion

YACHT: Herr Guimond, wie entstand die Idee, das weltgrößte Segelfrachtschiff aus Holz zu bauen?

Lynx Guimond: Danielle Doggett, unsere spätere CEO, und ich lernten uns kennen, als wir als Matrosen auf anderen Segelfrachtschiffen in Europa unterwegs waren. 2014 hatten wir zusammen mit John Porras, unserem heutigen Bauleiter, die Idee, ein größeres Boot auf Kiel zu legen. Damit können wir einen wirtschaftlich rentablen Warentransport in Amerika betreiben, wo es keine Segelfrachtschiffe gibt, die so etwas anbieten.

Und warum bauen Sie das Schiff in Costa Rica?

Costa Rica ist mit seinen strengen Umweltgesetzen, seiner sozialen Entwicklung und seinem Zugang zu nachhaltigem, hochwertigem Holz für den Bau von Holzschiffen prädestiniert.

Glauben Sie, dass Sie mit Ihrem Projekt tatsächlich die globale Frachtschifffahrt verändern können?

Jede Bewegung beginnt mit einem ersten Schritt. Wir erwarten nicht, dass wir die gesamte Branche umkrempeln. Aber indem wir eine Alternative anbieten, können wir zeigen, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Transportdiensten vorhanden ist. Unser größter Kunde importiert jährlich 500 Container Kaffee. Davon können wir jedes Jahr 20 Prozent emissionsfrei transportieren. Und das mit nur zwei Schiffen! Allein dieses Beispiel zeigt das enorme Potenzial auf, das wir kleinen bis mittleren Unternehmen bieten können, um die Emissionen, die beim Transport ihrer Produkte anfallen, wirkungsvoll zu reduzieren.

Was müsste aus Ihrer Sicht darüber hinaus passieren, um die Frachtschifffahrt zu dekarbonisieren?

Weniger Waren verschiffen und die dann intelligenter. Die Menge unnötiger Produkte und leerer Schiffe, die weltweit unterwegs sind, ist erstaunlich. Gäbe es zudem Subventionen, die die Kosten für lokale Produkte im Vergleich zu billigeren Importwaren senken würden, könnte die jeweilige Bevölkerung bewusst nachhaltige Entscheidungen treffen, ohne dass ihr Budget dabei eine Rolle spielt.


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