Martin Hager
· 18.04.2023
Die nach dem Wikinger-Comic benannte „Hägar V“ wurde von Yachtdesigner Harry Miesbauer für einen leidenschaftlichen Regattasegler konstruiert. Gleichzeitig bietet die Scuderia 65 auch Komfort für lange Törns
„Hägar der Schreckliche“ ist ein gefürchteter Wikinger-Häuptling, Bärenfell, gehörnter Helm und roter Bart sind seine Markenzeichen. Gemeinsam mit seiner Mannschaft sticht der grummelige Norweger regelmäßig mit seinem Schiff in See, um Schätze zu erobern.
Wer die Geschichte der bei Adria Sail in Fano gebauten Kohlefaserslup „Hägar V“ erzählt, muss einfach auf die Parallelen zu der von Dik Browne erfundenen Comicfigur verweisen. Ganz offensichtlich – der 420 Quadratmeter große Gennaker zeigt es eindrucksvoll – ist der Eigner des überaus sportlichen Harry-Miesbauer-Designs ein Fan des liebenswerten Wikinger-Anführers, der die schwierigsten „Kämpfe“ in den eigenen vier Wänden austrägt. Seine Gattin Helga hat ihre ganz eigenen Vorstellungen und zu Hause die Hosen an. Inwiefern es bei diesen Details einen Zusammenhang gibt, lässt sich nicht herausfinden. Fakt ist, auch dem „Hägar V“-Eigner, der im italienischen Bozen lebt, geht es um die Eroberung von Schätzen – allerdings in Form von Regattapokalen. Wie die römische Fünf im Namen verrät, ist die 20-Meter-Slup mit den schnellen Linien des aus Oberösterreich stammenden Yachtdesigners Harry Miesbauer nicht seine erste Yacht.
Seglerisch verbindet Konstrukteur und Eigner ein langer sportlicher Weg. Sie segelten oft gegeneinander (49er, Finn), zusammen (Melges 24) und gemeinsam über den Atlantik. „Dieses Projekt startete während einer Nachtwache beim Rolex Middle Sea Race vor einigen Jahren“, resümiert Harry Miesbauer, der seine Designerfahrung sowohl bei Luca Brenta als auch bei Mani Frers sammelte und seit 2007 zwei eigene Studios in Wien und Como betreibt. „Der Eigner und sein Kapitän philosophierten während dieser Nacht intensiv darüber, wie die perfekte Yacht aussehen müsste, und brachten die Ideen zu Papier.“
Für den Wechsel von Cruising- auf Racing-Modus lassen sich der Eisbereiter und die Waschmaschine schnell ausbauen
Das neue Schiff sollte eine Länge um 65 Fuß besitzen, die Blicke auf sich ziehen, sexy aussehen, schnell und agil segeln, eine gute Allround-Performance besitzen, seegängig sein und auch bei Offshore-Regatten mit kleiner Crew gesegelt werden können, leicht sein, ein funktionales Interieur besitzen, das genügend Komfort für Familienreisen bietet, und schwere Gegenstände wie Waschmaschine und Eisbereiter sollten sich für den Umbau in den Regattamodus leicht ausbauen lassen.
Die detaillierte Zusammenstellung mit konkreten Wünschen eines engagierten Eigners – eine Kombination, von der jeder Designer träumt. Harry Miesbauer erhielt den Gestaltungsauftrag, und die Arbeit begann. „Wir ließen uns Zeit und machten uns viele Entscheidungen nicht leicht“, so der Konstrukteur. „Um das Interieur-Layout perfekt zu erarbeiten, ging ich gemeinsam mit dem Eigner-Ehepaar und dem Kapitän auf das alte 62-Fuß-Schiff, und wir ankerten vier Tage in einer Bucht vor Porto Cervo. Wir durften erst von Bord, als wir alle mit der Aufteilung komplett zufrieden waren“, fährt Miesbauer fröhlich zurückblickend fort.
Das Layout überrascht mit vielen Details, weniger mit der Raumplanung. Die Eignerkabine liegt im Bug und besitzt neben einem dezentral angeordneten Doppelbett backbords noch eine schmale Koje gegenüber. Achtern schließen sich die Navigationsecke und die große, zum Salon hin offene Galley an. Der dahinter positionierte XL-Speisetisch lässt sich mittig zusammenklappen, sodass während Passagen und Regatten mehr Raum unter Deck bleibt, um Segel zu stauen oder sich zu bewegen. Robuste Handläufe sind überall an Bord gegenwärtig, ein klares Zeichen für einen Eigner mit viel Regatta- und Offshore-Erfahrung. Das Heck nehmen drei Gästekabinen ein, in denen sich alle sieben Betten an diverse Krängungswinkel anpassen lassen. Dahinter schließt sich eine Lazarette mit Platz für einen 3,40 Meter langen Tender an. „Um ein maximal leichtes Interieur zu realisieren, entstanden die Wand- und Deckenpaneele als Carbon-Sandwich auf einem Honeycomb-Kern“, verrät Konstrukteur Miesbauer, der die Rumpflinien des Scuderia 65 genannten Yachtmodells auf die weltweit gängige Vermessungsformel IRC auslegte.
Den Bau des nur 18 Tonnen verdrängenden Racer/Cruisers orderte das „Hägar V“-Team bei Adria Sail in Fano. Die Yachtbauer um Werftchef Maurizio Testuzza kennen sich mit der Fertigung schneller Custom-Formate aus, mehrere Wallys entstanden in ihren Hallen. Rumpf und Deck der Scuderia 65 laminierten die Italiener im Vakuum-Infusionsverfahren als Carbon-Sandwich, die Strukturberechnungen optimierte das Miesbauer-Team gemeinsam mit Giovanni Belgrano, der intensiv in die Konstruktion des America’s-Cup-Racers von Team New Zealand involviert war.
Segeltragezahl 6,1 im Race-Modus, 4,50 Meter Tiefgang: Die Werte sind beeindruckend, Linien und Leistung ebenso
Beim Rigg entschied sich der Eigner aus Gewichtsgründen für ein Mast-Baum-Paket von Southern Spars in Kombination mit stehendem Gut aus ECsix-Kabeln der Firma Future Fibres. Zwei Segelsets von OneSails aus Verona sorgen für Vortrieb, im Cruising-Modus mit moderatem Bermudarigg (245 Quadratmeter, am Wind) und für Regattaeinsätze mit ausgestelltem Fathead-Großsegel und insgesamt 259 Quadratmetern. Statt eines Drachenkopfs am Bug wie bei Hägars Wikingerboot sticht auf dem südländischen Schnellsegler ein knapp zwei Meter langer Bugspriet hervor, an dem ein 420 Quadratmeter großer Gennaker gesetzt wird, der raumschots für rauschende Surfeinlagen sorgt. Das nötige aufrichtende Moment garantiert ein hydraulischer Liftkiel, der den Tiefgang von 2,95 auf 4,50 Meter erhöht.
„Hägar V“ entstand mit dem klaren Fokus, bei den Offshore-Klassikern im Mittelmeer wie der Giraglia, dem Rolex Middle Sea Race, der Aegean 600 oder der Capri Sailing Week an den Start zu gehen und mit Siegestrophäen nach Hause zu segeln. Doch die Covid-19-Pandemie durchkreuzte die Pläne.
Mit einem Line-Honours-Sieg bei dem 200 Seemeilen langen Adria-Rennen La Duecento von Caorle über Grado und Susak zurück nach Caorle feierte man schließlich das Regattadebüt. Der Eigner zeigte sich sichtlich zufrieden: „Das war das perfekte Rennen, um das Schiff im Race-Modus zu testen. Der Leichtwindstart war zäh, doch bei zunehmendem Wind konnten wir uns deutlich vom gesamten Feld absetzen und mit viel Vorsprung als Erste über die Ziellinie segeln.“ Das Aegean 600 konnte „Hägar V“ nach IRC und ORC über alles gewinnen. Ob die Scuderia 65 auf weiteren Regattabahnen bald ebenso gefürchtet sein wird wie Hägar der Schreckliche bei seinen Feinden, bleibt abzuwarten. Der Start war jedenfalls vielversprechend.
Der 1966 geborene Harry Miesbauer ist Ingenieur sowie studierter Yachtkonstrukteur und war zunächst in der Elektronikindustrie tätig, bevor er in die Yachtbranche wechselte. Dort arbeitete der Österreicher für Frers in Mailand und viele Jahre für das Designbüro von Luca Brenta, das sich einen Namen mit den Konstruktionen der Wally-Yachten gemacht hat. Zuletzt war Miesbauer bei Brenta führender Yachtdesigner und Partner, bevor er sein eigenes Büro gründete. Die Scuderia 65 ist sein bislang ambitioniertestes Boot. Aktuelle Projekte langen von Cruiser/Racern diverser Größen bis hin zu einem 75-Fuß-Explorer.