„Lumme”Ein Jollenkreuzer der Extraklasse

Stefan Schorr

 · 30.04.2023

Der Jollenkreuzer hat für mehr Wohnraum satte 30 Zentimeter Freibord zusätzlich erhalten
Foto: YACHT/Stefan Schorr
Die “Lumme” im Detail

Mit zahlreichen Extras ist dieser individuelle 20er-Jollenkreuzer mehr als nur ein Standard-Segelboot. Gebaut wurde er nach eigenen Plänen und Vorstellungen

“Dass unser Boot keinen Heimathafen hat, ist in der Bootsgröße vielleicht schon eher untypisch“, sagt Bernd Rekowski an Bord seiner „Lumme“. Grund dafür ist, dass der 20er-Jollenkreuzer nur ins Wasser kommt, wenn ein Familien-Sommertörn ansteht. Dann jedoch in immer wieder neuen Revieren, die mit dem Trailerboot auf der Straße einfach erreichbar sind. Die übrige Zeit steht das Holzboot in einer Halle.

„Für uns hat sich das als ideal erwiesen“, erklärt der 53-jährige Architekt. Ein Holzboot, das meist in einer Halle steht: Da erscheinen Horrorbilder eines ausgetrockneten Rumpfs vorm geistigen Auge. Da der von „Lumme“ formverleimt ist, besteht diese Gefahr jedoch nicht.

Eigene Ideen und Pläne für den Jollenkreuzer

Das Boot wurde 2003 von der Werft Fricke & Dannhus gebaut. Auftraggeber war ein Schiffsbau-Ingenieur, der auf der Papenburger Meyer-Werft arbeitete. Er hatte eine stattliche Menge Mahagoni- und Teakholz zur Verfügung und viele eigene Ideen und Wünsche für seinen Jollenkreuzer. Bis heute erinnert man sich in der Werft in Hüde am Dümmer an diesen besonderen Kunden. Der wollte ein seegängigeres und komfortableres Boot, nachdem er viele Jahre lang mit seiner Frau im 470er im Wattenmeer unterwegs war. Der Jollenkreuzer sollte erlauben, auf eigenem Kiel nach Helgoland zu segeln. Deshalb der Bootsname „Lumme“: auf Deutschlands einziger Hochsee­insel befindet sich der Lummenfelsen. In diesem kleinen Naturschutzgebiet brüten viele Seevogelarten, unter ihnen die namensgebenden Trottellummen. „Zum Helgoländer Lummenfelsen sind die Ersteigner dann letztlich doch nie gesegelt“, erzählt Rekowski. Der stößt 2012 im Internet auf das Verkaufsinserat des Jollenkreuzers und schlägt zu. Für Bernd und Hilgrid Rekowski ist es das zweite Familienboot.


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Das erste wurde 2005 angeschafft, als Sohn Benedikt gerade ein Jahr alt war. Sieben Jahre lang wird die BM-Jolle auf dem Unterbacher See nahe Düsseldorf gesegelt. Mit dabei ist ab 2007 auch Tochter Mara. Mit zunehmendem Alter der beiden Kinder wächst jedoch der Wunsch nach einem größeren Wanderboot.

Holzbootbau der Extraklasse

So kristallisiert sich schnell ein Jollenkreuzer als Objekt der Begierde heraus, unterstrichen durch einen Törn mit geliehenem „Jolli“ in Brandenburg: „nicht zu groß und lieber formverleimt als aus Holzplanken auf Spanten gebaut, weil das weniger pflegeintensiv ist“. Holz aber muss es sein. Rekowski: „Ich kann über die Messe in Düsseldorf laufen und werde von keiner der Serien­yachten in der Seele berührt.“ Das formverleimte Wanderboot hingegen begeistert den selbstständigen Architekten. Zumal „Lumme“ aufgrund der umfang­reichen Ideen und Wünsche des Auftrag­gebers noch deutlich hochwertiger aus­gestattet ist als die Standardversion: Holzbootsbau der Extraklasse.

Der Riss, nach dem Fricke & Dannhus seine R-Jollenkreuzer„mit harmonischen Linien und optimalem Unterwasserschiff“ fertigt, wurde 1999 vom interna­tional renommierten Konstrukteursbüro Van de Stadt in den Niederlanden gezeichnet. „Den modernen formverleimten Rumpf bauen wir mithilfe von Positivformen unter Vakuumdruck“, beschreibt die Werft die Fertigung. „Das längsfurnierte Mahagoni suchen wir sorgfältig aus und veredeln es mit einem hochglänzenden Zwei-Kom­ponenten-Lack, den wir siebenmal auf­bringen.“ „Der Rumpf der ‚Lumme‘ besteht aus vier Lagen drei Millimeter starkem Ma­hagoni-Furnier. Die Aufbauten inklusive des Kajütdachs sind ebenfalls formver­leimt“, erklärt Werftchef Jens Dannhus.

Viele Extras machen die „Lumme” besonders

„Dieses Boot hat viele Besonderheiten“, fährt der Werftchef fort: „Das Unterwasserschiff ist mit einem Laminat verstärkt, um sicher im Watt trockenzufallen. Der Schwertkasten ist verstärkt, um ein Ballastschwert fahren zu können.“ Der Rumpf wurde rund 30 Zentimeter höher als in der Standardversion gebaut und der Aufbau noch zusätzlich erhöht. Das nimmt dem Boot etwas von seiner Eleganz, schafft aber viel Platz unter Deck. „Es gibt vermutlich nicht viele 20er-Jollenkreuzer, die wie un­serer einen separaten Toilettenraum mit Pump-WC und Fäkalientank haben“, freut sich Eigner Rekowski. Schon häufig hielten Passanten sein Boot für einen größeren 30er-Jollenkreuzer. Vier vollwertige Kojen, Stauraum unter anderem im üppigen Kleiderschrank an Backbord und die Pantry in einer ausziehbaren Box vervollständigen die Tourenausstattung. Ums selbstlenzende Teak-Cockpit schlucken große Backskisten Leinen, Fender und sonstige Ausrüstung.

So bringt die „Lumme“ 350 Kilogramm mehr Gewicht als die Standard-Touren­version auf die Waage, und ihr minimaler Tiefgang erhöht sich von 20 auf 25 Zenti­meter. Der einfach veränderbare Tiefgang durch das aufholbare Schwert und Ruderblatt und der leicht zu legende Mast eröffnen Jollenkreuzercrews vielfältige Reviere.

Der Jollenkreuzer ist verlässlich im Einsatz

Der erste Sommertörn mit „Lumme“ führt Familie Rekowski auf die Müritz und den Nebelsee. Vier Wochen lang wird das abwechslungsreiche Binnenrevier erkundet. „Auf dem Nebelsee waren wir als einziges Boot unterwegs“, erinnert sich Bernd Rekowski. „Die Festmacherleinen haben wir um Bäume gebunden und abends am Strand Lagerfeuer gemacht.“ Im ersten Sturm entscheiden die Jollenkreuzer-Neulinge sich noch für die Taktik „Segel runter und Außenborder an“. „Später sind wir dann häufig einfach vor den bedrohlich dunklen Wolken davongesegelt.“

Nach dem Törn bleibt „Lumme“ bei Bootsbaumeister Jens Christen in Waren an der Müritz in der Halle. „In der näheren Umgebung unserer Heimatstadt Düsseldorf finden wir kein Revier so lohnend, dass wir dort einen Dauerliegeplatz haben wollen“, erklärt Rekowski. „Wir wollen gern Strecke machen und nicht ständig von Ufer zu Ufer hin und her segeln.“ Bei Freunden mit Liegeplätzen in den Niederlanden sehen sie außerdem, dass diese sehr viel Zeit im Auto verbringen, um relativ wenig Zeit für das Segeln ihres Bootes zu haben. „Lumme“ wird also erst im Sommer des folgenden Jahres wieder in Waren abgeholt und lediglich 30 Kilometer weiter getrailert.

„Wir sind den Fluss Peene runter gen See gefahren“, erinnert sich der inzwischen 17- jährige Sohn Benedikt. „Das war richtig abenteuermäßig.“ Die Familie segelt auf dem Kummerower See und hält sich län­gere Zeit auf dem Achterwasser auf. Die ruhige Seite Usedoms begeistert die Düsseldorfer. Als sie über den Greifswalder Bodden segeln, treffen sie auf einen Meter hohe Wellen, „das war schon beeindruckend“. In Stralsund endet der Törn, der bis heute als spannend in Erinnerung bleibt.

Die „Lumme” ist eine Familienangelegenheit

Die umfangreiche segelfreie Zeit verbringt „Lumme“ seither meist in einer Halle der Werft am Dümmer, die rund 150 Kilometer von Düsseldorf entfernt liegt. Sechs ausgedehnte Sommertörns wurden seit 2012 gesegelt. Als selbstständiger Architekt und Lehrerin haben die Eltern die Möglichkeit, die Schulferien von „Bene“ und Mara ausgiebig zu nutzen. Für ihren Schwedentörn geht die Familie mit dem Trailer zur An- und Abreise auf die Fähre, die zwischen Deutschland und Trelleborg verkehrt. Vater Bernd ist die Reise an der schwedischen Ostküste von Kalmar bis Nyköping als die bisher schönste in Erinnerung geblieben. „Eigentlich wollten wir bis nach Stockholm, aber das haben wir nicht ganz geschafft“, erzählt Mara. Bei der Überfahrt zur Insel Öland sammeln die Rekowskis „Hochseeerfahrung“.

Zwischen den Schären gibt es zu Anfang zwei, drei Grundberührungen, bei denen das GFK-ummantelte Holzschwert in seinem Schwertkasten nach oben schwenkt. Doch schnell lernt die Crew, immer besser die Wellenbilder zu lesen und somit Felsen dicht unter der Wasseroberfläche recht­zeitig zu erkennen. Der geringe Tiefgang der „Lumme“ bietet wieder viele Freiheiten bei der Routenwahl. Abends wird geankert und am Ufer Blaubeeren gesammelt.

Entscheidet sich der Familienrat vor den nächsten Sommerferien mehrheitlich für den Südfrankreich-Urlaub ohne Boot, wissen alle, dass es „Lumme“ auch für einige Monate länger gut in der Halle geht. Rekows­kis „Jolli“ wird erst dann wieder aus der Halle geholt, wenn alle Familienmitglieder wirklich Lust auf einen gemeinsamen Sommertörn haben. So wird 2018 auf dem Bodensee gesegelt. Die Mischung aus netten Orten, der Möglichkeit, auch längere Distanzen segeln zu können und toller Wasserqualität gefällt vor allem Mara super. „Lumme“ bleibt also anschließend vor Ort in einer Halle, um 2019 wieder auf dem Schwäbischen Meer unterwegs zu sein. Da Hilgrid Rekowski sich vorher beim Skifahren an der Schulter verletzt hatte, kommt es erst 2020 zum zweiten Bodenseetörn. „Das war der perfekte Corona-konforme Urlaub.“

Der Strom wird an Bord produziert

In puncto Stromversorgung ist „Lumme“ autark. Alle Lampen (inklusive der Positions­laternen) sind auf LED-Technik umgerüstet. Ein Solarpaneel speist die Lithium-Ionen- Batterien. Eine schöne Ergänzung wäre nun noch ein Elektro-Außenborder, der den Trimm des Bootes weniger negativ beeinflusst als der jetzige Acht-PS-Benziner. „Den hat der Ersteigner wohl eher üppig dimensioniert, um eine Sicherheitsreserve im Wattenmeer zu haben.“

Inter­essant findet die Düsseldorfer Familie die unterschiedliche Wahrnehmung ihrer „Lumme“. „Im Osten Deutschlands haben wir häufig anerkennende Kommentare zu unserem schönen Holzboot gehört“, so Bernd Rekowski. Am Bodensee fühlt sich die vierköpfige Familie eher etwas mitleidig beäugt auf ihrem relativ kleinen Jollenkreuzer.

Der Jollenkreuzer ist ein echter Allrounder

Der wird am heutigen Spätsommertag noch mal auf dem Steinhuder Meer ge­segelt. Aus dem Hafen des Yachtclubs Steinhuder Meer in Wunstorf müssen Vater, Sohn und Tochter staken. Das sonnige Wetter und der gute Wind entschädigen aber für den fast schon obligatorisch niedrigen Wasserstand des Sees westlich von Hannover. Das Großsegel steigt schnell am Alumast nach oben, die Fock wird ausgerollt und ausgebaumt. Auf einen Spi verzichtet die Familie. Bernd Rekowski nennt „Lumme“ ein Drei-Leinen-Boot: „Bei uns gibt es Vorschot, Großschot und Fest­macher­leine – das war’s. Statt ständig trimmender Segler sind wir eher Wanderer auf dem Wasser. Wir reisen, um Neues kennenzulernen.“

„Dieses Boot ist und bleibt für uns ein Volltreffer“, freut sich der Düsseldorfer Architekt. „Es bindet uns nicht zu stark, und wir können damit die unterschiedlichsten Reviere erkunden. Zum Glück hat die komplette Familie immer wieder große Lust auf Neues. Vielleicht segeln wir mal im Wattenmeer. Oder im Golf von Morbihan in der Bretagne.“ Oder sogar zum Lummenfelsen.

Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 8/2022.


Technische Daten „Lumme”

  • Konstrukteur: Van de Stadt
  • Werft: Fricke & Dannhus
  • Bauweise: Formverleimtes Holz
  • Rumpflänge: 7,75 m
  • Breite: 2,50 m
  • Tiefgang: 0,25–1,65 m
  • Gewicht: 1,1 t
  • Segelfläche: 26,0 m²
  • Segeltragezahl: 4,9