Sie bollerten unabhängig voneinander mit ihren Motorrädern über Irlands kurz gekaute Hügel. Milos knatterte mit seiner Kawasaki, Kerstin brummte mit ihrer Honda. Es knisterte. Sieben Jahre später geht es mit gerade einmal dreieinhalb Knoten auf dem bayerischen Forggensee gegen den Wind, dafür gemeinsam. Topspeed mit dem zwei PS leistenden Angelmotor am Spiegel. Aber Kerstin und Milos glühen, sie strahlen, hopsen über Deck.
Lediglich fünf Tage zuvor ging der Kleinkreuzer erstmalig zu Wasser. Sie lösen flink die Bändsel am Großsegel, führen die Rutscher in die Nut am selbst gebauten Mast. Kaum stehen die Segel, stellen sie den Propeller aus, holen den Motor auf und ein. Aus dem Schiffsbauch ertönt sogleich ein Brummen. Der Rumpf knurrt, zittert und schaufelt minzefarbenes Gletscherwasser beiseite. Nun stimmen auch die Ruderblätter ein, surren mit dem aufholbaren Kiel im Akkord, sobald die Schoten zirpend dichtgeknallt sind. Auch der Konstrukteur, Cristian Pilo, 49, ist mit an Bord. Er und Bootsbauer Milos Pupala, 45, schauen abwechselnd zur Ruderanlage und zum Kielkasten, tauschen Blicke, schmunzeln.
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Ob es doch keine gute Idee war, die Ruderblätter hohl zu bauen? Milos hatte sich in diesem Punkt nicht ganz an den Plan gehalten. Als er das Boot von der selbst gegossenen Kielbombe bis zum holzverleimten Masttopp mit seinen Händen, ein paar Maschinen und fünf Dutzend Schraubzwingen gebaut hat. Genau wie er es sich drei Jahre zuvor gewünscht hatte.
Das war 2017, Kerstin Ruhland, Programmiererin, 41, absolvierte ein dreimonatiges Praktikum bei Disney Research in Los Angeles. Vier Jahre davor waren er aus der Slowakei und sie aus Sachsen nach Dublin gekommen. „Sie machte ihren Doktor dort, und ich buk Brot“, fasst Milos die Ausgangslage zusammen, bevor sie sich kennenlernten. Er hatte sich nach seinem Merchandising-Studium eine Art Neustart gewünscht und fand sich wieder zwischen Mehl und Knetmaschine, beim Sauerteigbacken in einer „Artisan“-Bäckerei. In einer Bikerkneipe versponnen Kerstins und Milos’ Lebenskarweele. „Ich habe Kerstin dann mit einem frischen Rosmarinbrot besucht. Wer könnte da widerstehen?“, erinnert sich Milos. Während der USA-Zeit erblickten beide ein modernes Holzboot in einem der Häfen San Franciscos. „Eines Tages werde ich so ein Boot bauen“, schwärmte Milos augenblicklich. Er hielt Wort.
„Wir haben noch im gleichen Herbst begonnen, nach Plänen zu suchen“, erzählt Kerstin vom seitdem brodelnden Bootsbaufieber. Sie wogen britische Entwürfe ab und stießen dann auf Cristian Pilos „Modern Wooden Boat“-Konstruktionen, die er von Sardinien aus über das Internet vertreibt. „Die Pläne für die 6,70 Meter lange Idea 21 kosteten 450 Euro, das erschien uns günstig“, ergänzt Kerstin, „wir haben sie uns zu Weihnachten geschenkt.“ Noch im selben Jahr verhilft ihnen der Kontakt in der örtlichen Biker-Community zu einer Werkstatt für 250 Euro Monatsmiete in Mainburg. Dort waren sie mit ihrem Projekt im Rucksack für Kerstins ersten Job gestrandet, inmitten der Hallertau, einer vor allem für den Hopfenanbau bekannten Region zwischen München und Regensburg.
Bis dahin war Englisch der gemeinsame sprachliche Nenner für den Slowaken und die Sächsin. Nun mussten beide neue Vokabeln lernen – bayerisch! Zwetschgendatschi, ein Pflaumenkuchen, oder A so a Schmarrn!, was für ein Quatsch.
„Warum ein Boot, einen Kleinkreuzer bauen, hier gibt es weit und breit kein Wasser, nur Hopfen“, entschlüpfte es spontan dem Werkstattvermieter. Dessen Skepsis schwoll, als Milos mit wenig mehr als einer Stichsäge von Bosch kam – als einzigem Elektrowerkzeug. „Ich wollte von Beginn an nur gute Maschinen kaufen, dafür wenige, und die war eben die erste, die ich fürs Aussägen der Spanten benötigte.“ Ja mei! Was soll’s. „Aber er war dann doch beeindruckt von unserem Projekt“, erzählt der Selbstbauer. Milos, gut gelaunt, emsig und fröhlich, hatte dessen Interesse bereits schanghait. Denn der Vermieter kurvte mit seinem Gabelstapler in die Werkstatt, als die bald gelieferten 25 Platten Bootsbausperrholz vom Lastwagen zu heben waren.
Mein Großvater und mein Vater haben oft mit Holz gearbeitet, und ich war immer dabei“, erläutert Milos seine Überlegungen, sich ein solches Projekt zuzutrauen. Also ran an die Spanten: „Kerstin und ich hatten eine rigorose Übereinkunft, unser Budget nicht zu sprengen“, und deswegen druckte Milos die PDF-Dateien auf A4-Makulaturpapier. „25 Zeichnungen je 48 Seiten haben wir auf dem Wohnzimmerboden kniend zusammengeklebt.“ 1200 Blätter! Zuvor stand aber noch eine maßstäbliche Zeichnung an, ob der fertige Kleinkreuzer überhaupt aus der Werkstatt um die Ecke ins Hopfenland geboren werden könnte, zehn Zentimeter Platz ergab das Planspiel.
Schon die Spanten überragen das Maß einer Sperrholzplatte. Das verlangte, sie mit langen Überlappungen zu verbinden, zu schäften – als erste größere Herausforderung und Anlass für das Anschaffen des Elektrohobels. Milos baute sich eine Vorrichtung für die flache Abschrägung, um große Leimflächen und gute Kraftübertragung zu gewinnen. „So eine Lehre heißt im Slowakischen Slang Vorrichtung, solche Dinge kommen wohl aus dem Deutschen.“
„Der Vermieter schaute täglich auf Bier mit Karamellriegel vorbei, verlieh Maschinen immer ohne Berechnung“, erläutert Milos die Genese vom Werkstattvermieter zum Freund. Beim Gießen der Kielbombe hob der abermals mit seinem Stapler das Fass mit den zu schmelzenden Bleistücken über die Feuerstelle und schwenkte die Brühe in die vorbereitete Betonhalbform. Scheiß da nix, dann feid da nix! Bedeutet etwa: Wird schon klappen.
Milos besorgte weiter eine Tischkreissäge, eine Schleifmaschine, mehrere Akkuschrauber und fand für jede Herausforderung Lösungen, die er mit seinen Mitteln umsetzten konnte. „Youtube was my friend“, strahlt er. Aber jene Lärchenstringer auf Wasserlinienhöhe ließen sich dann trotz größter Mühe nicht genügend biegen. Keine Anleitung dazu, nicht einmal Konstrukteur Pilo wusste Rat. Milos sägte dann dort, wo die spätere Biegung am größten ist, einen Längsschlitz, bog sie mit leichter Hand über die Spanten und füllte die Lücke später mit eingesetztem Sperrholz in Schlitzstärke. Da legst di nida! Gewusst, wie.
„Ich kaufte mit der Zeit alle Schraubzwingen, die es in den Läden im Umkreis gab“, erzählt Milos, der begann, für Klemmzangen regelrecht zu schwärmen, „ein Schuhfetisch ist deutlich teurer. Und bei Schraubzwingen bekommt man immerhin für viel Geld viel Qualität.“ Milos hatte anfangs Sorge, Epoxidkleben könnte zu knifflig sein. „Was habe ich nicht alles über die komplizierte Verarbeitung angeschaut.“ „Aber wer Stück für Stück baut, wird zusehends besser und versierter“, versichert Konstrukteur Pilo. Wenn bei dieser Bauweise mit Stringern, Spanten und Sperrholz wirklich einmal etwas verkehrt gemacht werde, dann seien nicht gleich ein paar Tausend Euro versenkt, wie bei einem verhunzten Infusionsrumpf.
Und so wären auch Bausätze aus Plänen, Anleitung und vorgeschnittenen Teilen Segen und Sorge zugleich. Einerseits sind die Spanten damit bereits fertig zum Aufstellen, die zeitaufwändigen Aussparungen für die Stringer schon ausgefräst. „Andererseits muss die Lernkurve dann steiler sein, außerdem sind CNC-Fräsungen derzeit unbezahlbar“, begründet Pilo, warum es bei ihm im Moment nur digitale oder Papierpläne gibt.
Für die Außenhaut verbaute Milos das mahagonifurnierte Sperrholz. „Als später der erste Lack darauf kam, überlegte ich, will ich dieses Boot wirklich segeln? Oder es lieber in einer Garage bewahren, gelegentlich aufpolieren und pflegen wie einen Flügeltüren-Mercedes?“ Er hätte sich nicht vorstellen können, dass jemals jemand sein Boot auch nur berühren dürfe. „Das hat sich glücklicherweise gelegt.“ Milos ist mittlerweile ganz entspannt mit seinem Augapfel, die „Alcedo“ darf für den Test der Segeleigenschaften mit reichlich Schenkeldruck rangenommen werden. Alcedo bedeutet Eisvogel, „der gleitet so wendig und mühelos übers Wasser, wir fanden, das passt“, kommentiert Kerstin die Namenswahl.
Die Doppelruder, geführt in den selbst laminierten Kohlefaseraufnahmen und, nun ja, stetig zitternd, arbeiten präzise. Als Crux dieser Bauart sind die Steuerstangen so auszulegen, dass das innere Ruder stets ein wenig stärker einschlägt. Das klappte, und so lassen sich mit der direkt arbeitenden Pinne scharfe Ecken ins Kielwasser meißeln.
Beim Dichtnehmen der Fock fällt auf, dass die Leitschiene beim Kleinkreuzer fehlt. Das Vorsegel lässt sich aber mit den beiden gebändselten Blöcken eng schoten, auch der Wendewinkel von 90 Grad passt, bei 3 Beaufort sind knapp fünfeinhalb Knoten am Wind erreichbar. Ein exemplarisches Detail, kopierwürdig. Denn Milos feierte einerseits Präzision und kaufte gleich zu Beginn eine Laserwasserwaage, verwendete sie beim Aufstellen der Spanten, bohrte mit deren Hilfe die Kielfinne. Als sich herausstellte, dass der Backbordstringer drei Millimeter länger ist als sein Pendant, rief er verzweifelt Pilo an. „Drei Millimeter“, meinte der, „das ist nichts.“ Präzision war eine Maxime von Milos.
Die beiden Biker planten aber andererseits im agilen System, legten also einen Einwasserungstermin fest, anstatt im klassischen Projektmodus weiterzuwursteln, bis auch der letzte Block montiert ist. Okay, auch bei den beiden war es vor fünf Tagen der dritte geplante Einwasserungstermin, denn ein halbes Jahr bauen – erste Planung –, das war dann doch zu sportlich. Damals sollte lediglich noch der Mast bestellt werden.
Also ging es auf die Hanseboot, aber alle Angebote lagen beim Doppelten ihres Budgets, 3000 Euro waren geplant. Einmal mehr riefen sie Pilo an. „Ich hatte schon mit der Zeit ein schlechtes Gewissen, er bietet den Selbstbauern die Hilfe zwar an, aber ich habe das schon sehr ausgereizt“, meint Milos. Auf jeden Fall, das Geld für den Mast fehlte, Pilo verbrachte einige Zeit mit Berechnungen und Zeichnungen und meldete sich zurück: „Wir schalten nun zu Plan B.“ „Welchen Plan B?“, fragte Milos. „Als ich dann hörte, jetzt gibt es einen Holzmast, dachte ich, schön, eine neue Herausforderung!“ 200 Euro kosteten die Lärchenlatten dafür, 200 Euro der Mietwagen mit Anhängerkupplung, um sie nach Hause zu bekommen. Der Mast wird rund 30 Prozent schwerer als ein Aluprofil, berechnete Pilo, Milos hat ihn nie gewogen, es sei ein „two men mast“, ein Mast, der zwei Leute zum Tragen benötige.
Was auch wichtig ist fürs Gelingen eines solchen Projekts: Sozialkontakte weiter pflegen. Milos hielt die Bande zu den Bikern im Ort, versprach Bier, als es ans Umdrehen des fertiggestellten Rumpfes ging. „Die kamen dann, lauter Petrolheads mit langen Haaren, Nieten auf der Kutte und Wulstbugen.“ Bevor die Selbstbauer die Helfer einteilen konnten, hatten die den nur 300 Kilo wiegenden Kleinkreuzer-Rumpf herumgewuchtet. „Wir konnten nicht einmal Fotos machen. Die gesparte Zeit haben wir dann mit Feiern verbracht“, erzählt Kerstin.
Um voranzukommen, hielten sich die beiden an den Bauplan, aber Milos brach gelegentlich die Regel. Eine weitere dieser Eigenmächtigkeiten klappt er nun aus den Cockpit-Seitenwänden. Vier Sitze ergeben eine Hafenlounge oder Zusatzduchten hoch am Wind. Zu Milos’ Leidwesen fehlen die Polster. „Wir hatten sie auf Maß online bestellt, aber während der Corona-Zeit sind die Lieferzeiten sehr lang.“ Einwassern? Trotzdem!
Zurück am Anleger die Bootsführung: Die beiden zeigen, wo steuerbord vom Kleinkreuzer-Mastfuß die Keramikabteilung – im Moment noch eine leere Kammer – einziehen wird. Öffnen die Schapps unter der Vorschiffskoje, dort sitzen nun die beiden 12-V-Akkus, die in Reihe geschaltet 74 Amperestunden 24-Volt-Strom an den kleinen Motor liefern. Und die dafür sorgen, dass der zunächst achtern ein wenig tauchende Wasserpass nun exakt mit der Wasserlage übereinstimmt.
Weiter durch die im Moment ausgehängte Tür des Niedergangs ins loungeartige Cockpit. Öffnen der Klappen, hier kommen Smartphone oder Schäkel hin, der koffergroße Kasten unter der Pinne dort ist eine gute Fußstütze am Wind und beherbergt später die Rettungsinsel. Ob dieses weitere Staufach hier für die Fender sei? „Fender! Richtig, wohin mit den Fendern? Jetzt weiß ich’s – danke!“ Milos ist weltoffen, dauernd auf „Aufnahme“, aber auch Kerstin würde am liebsten gleich wieder ablegen. „Ich trage immer noch das kleine Mädchen in mir und liebe fantastische Welten und alles, was von der Realität entfernt ist.“ Kerstin hat ihren Doktor über Animationstechnik gemacht und besitzt ein Patent auf virtuelle Fußgänger. Sie lebt die Maxime der Generation X, Erfüllung im Job zu suchen, ach was, zwischen Job und Leben kein Blatt und schon gar keine Diskrepanz zu lassen. Des is a gmahde Wiesn! Eine sichere Sache.
Weiter zum Rigg: Die selbst gefräste Holznut, Rutscher und das Fathead-Segel mit der ausgestellten Spreizlatte im Topp, sie passen hier zusammen, und das Großsegel lässt sich gut setzen und bergen. Milos, während des Mastbaus ordentlich in Fahrt, fertigte Mastbeschläge aus Edelstahlprofilen, schliff und polierte, Hingucker. Wie auch die gefälligen Kohlefaserbeschläge am Großbaum, die er mit Zwischenfolie passgenau aufs Holz laminiert. Polsterbezüge nähen? Auch dafür gibt es Youtube-Tutorials. Den beiden fehlt noch ein Trailer, sie googelten schon mal für einen Selbstbau.
Und die Geräusche aus Kiel und Ruder? Milos montierte PTFE-Unterlegscheiben („Teflon“) zwischen den Ruderbeschlägen. Außerdem berieten Katamaransegler am Steg, dass Räder am Auto meist nicht parallel aufgehängt sind, sondern je nach Antrieb Vor- oder Nachspur haben. „Das haben wir jetzt auch an den Ruderblättern umgesetzt, und es hat sehr geholfen“, erzählt Kerstin. „Tja, der Kiel ist ein wenig tricky, ein bisschen Luft braucht es dort ja, damit er hoch- und runtergeht“, verdeutlicht Pilo das andere Brummproblem, „aber mir haben Eigner berichtet, dass sich das Geräusch mit ein wenig Zeit und Algenwachstum verkrümelt.“ Auch eine Art Bionik.
Erstes Törnziel: Klar, zu Cristian nach Sardinien, dort sei ihr Kleinkreuzer doch geboren. Mit selbst gebackenem Rosmarinbrot. Hund sans scho de Hund. Ganz schön beherzt.