West Channel Class“Gay Galliard” – wie ein britischer Seekreuzer an die Elbe kam

Lasse Johannsen

 · 22.01.2023

Die südenglische West Channel  Class „Gay Galliard“ auf der Elbe,  ihrem neuen Heimatrevier
Foto: YACHT/N. Krauss

Die Suche nach seinem Traumschiff führte den heutigen Eigner mit der West Channel Class „Gay Galliard“ zusammen. Eine Beziehung, an der er schon vor dem ersten Segeltag hart arbeiten musste

Papier ist geduldig. Das weiß auch Eckart Robohm. Doch was der Klassikerfan da liest, scheint ihm selbst dann eine Reise nach Südengland wert zu sein, wenn das „Condition Survey“, in dem die West Channel Class „Gay Galliard“ eingehend betrachtet wird, ein wenig, sagen wir mal, wohlwollend ausgefallen ist.

Man habe so etwas ja schon gehört, erklärt ihm jedenfalls Thorsten Jensen. Den Bootsbaumeister aus Wedel zieht Robohm nach Lektüre der ausführlichen Offerte im Frühjahr 2013 ins Vertrauen. Und um das nicht zu beschädigen, antwortet Jensen auf die Frage um Rat, er müsse sich das selbst anschauen. Robohm, der zu diesem Zeitpunkt schon völlig vernarrt ist in den neuneinhalb Meter langen Seekreuzer aus dem Vereinigten Königreich, beauftragt kurzerhand einen Yachttransporter damit, das Schiff seiner Träume in Jensens Werkstatt abzuliefern. „Ich dachte, das wäre günstiger, als mit Thorsten hinzufliegen“, sagt er grienend.

Doch Eingeweihten ist von Anfang an klar, dass Robohm sich, wer wollte es ihm angesichts der Ausstrahlung des charakterstarken Seekreuzers verdenken, schlicht in das Schiff und dessen harmonische Li­nien verliebt hatte. Die Angebetete hatte es ihm auf den ersten Blick angetan. Kennen­gelernt hat er sie, wie das heute so üblich ist, im Internet. „Ich hatte nach etwas Größerem gesucht“, sagt der Familienvater, der bis dahin im Urlaub mit seiner Frau, zwei Töchtern und einem Hund auf seinem alten 20er-Jollenkreuzer auf der Müritzer Seenplatte oder in Holland unterwegs war. „Ich suchte nach einem bezahlbaren Holzboot, das groß genug für die Familie sein sollte, mit dem ich aber auch allein klarkommen kann“, so Robohm, der sich immer intensiver umschaut und bei der Suche häufig an Folkebooten hängen bleibt, die ihm in jeder Hinsicht gefallen – bis auf das Platzangebot.

Konstrukteur Giles spielt in einer Liga mit Nicholson, Mylne und Co.

Bei einem Urlaub in Dänemark findet er schließlich, was er sucht: einen kompakten, aber geräumigen Seekreuzer aus Holz, mit hübschen Linien, Spiegelheck und angehängtem Ruder. Leider ist er in bedauernswertem Zustand. Und ein Restaurierungsprojekt ist nicht gerade das, wonach Robohm sucht. Doch er bringt in Erfahrung, dass das Boot aus England stammt, recherchiert den dortigen Klassikermarkt und landet letztlich bei dem auf Holzboote spezialisierten Ma­kler Peter Gregson. In dessen Portfolio stößt er auf die West Channel Class „Gay Galliard“.

Robohm findet heraus, dass es sich um eine Kon­struktion des Briten Francis Charles Morgan Giles handelt, der von 1883 bis 1964 lebte und in einem Atemzug mit den anderen großen britischen Designern seiner Zeit genannt wird – Charles Nicholson, Alfred Mylne und William Fife III. Giles betrieb seit 1920 eine eigene Werft in Teignmouth in der südenglischen Grafschaft Devon.

Die West Channel Class für schwierige Reviere

Die Ursprünge der acht Themsetonnen verdrängenden „Gay Galliard“ liegen in der kleineren Schwester, der bereits 1946 entstandenen West of England One Design Class. „Das Design ist das Ergebnis mehrerer Besprechungen mit den Vertretern von nicht weniger als 18 Yacht- und Segelclubs“, beschreibt Giles den 25 Fuß langen Seezwerg. Die Reviere dort zeichnen sich durch starken Tidenstrom aus, der in Verbindung mit den Flussmündungen selbst im Küstenbereich zu äußerst unangenehmen Seegangsverhältnissen führen kann. Daraus resultierte der Wunsch einer hochseetauglichen Einheitsklasse für Regatten in den einschlägigen Segelrevieren West Bay, Torbay, Start Bay, der äußeren Flussmündung bei Salcombe, Plymouth, der Fowey Bay und Falmouth. Und natürlich sollte die zu schaffende Klasse sich für Zubringerregatten zwischen diesen Revieren eignen.

Als Grenzmaß hatten die Segler einen Kaufpreis an­gegeben, der bei 500 Pfund für das segelfertige Boot liegen sollte. Das Ergebnis verdrängte fünf Themsetonnen und war in etwa so groß wie ein Folkeboot. Es hatte einen hohen Aufbau, und die Kajüte bot Raum für zwei Kojen und „sitting head­room“ – Sitzhöhe. Das angehängte Ruderblatt folgte dem Wunsch größtmöglicher Robustheit. Der Vorsteven war nicht beschnitten, ein weiches Einsetzen in die See ging – den Anforderungen entsprechend – über die Geschwindigkeit.

Das Boot wurde in kürzester Zeit ein Erfolg, und bald schon äußerten Kunden den Wunsch, Giles möge ihnen auf Grundlage des Designs ein größeres Fahrzeug bauen. Auf seiner Werft in Teignmouth entstanden so schon wenig später sechs größere Typen, darunter zwei Achttonner (Themse), die „Westray“ und „Gay Galliard“.

Das Ziel des neuen Eigners: erst mal seetauglich machen

Als Robohm sie Anfang 2013 entdeckt, steht die „Gay Galliard“ seit fünf Jahren an Land. Doch Peter Gregson ist Vollprofi, was An- und Verkauf klassischer Yachten angeht. Er weiß, dass bei jedem Geschäft sein international anerkanntes Renommee leiden könnte. Damit der Seekreuzer nicht austrocknet, hat Gregson Salzwasser in die Bilge gefüllt. Und was in dem Survey aus dem Jahr 2008 steht, das Robohm postwendend zugeschickt bekommt, lässt sich hören:

„Ein interessantes Fahrzeug – in weit besserem Zustand, als man es aufgrund der vielen Voreigner erwarten sollte. Wer wirklich Interesse an einem guten, alten Boot hat, dem wird dieses seine Geschichte selbst erzählen. Und wie groß der Aufwand auch sein mag, es wieder in gute Verfassung zu versetzen – es wird sich lohnen.“

Wer wirklich Interesse an einem guten, alten Boot hat, dem wird dieses seine Geschichte selbst erzählen”

Robohm stammt aus einer Handwerkerfamilie und kann solche Zeilen durchaus deuten, auch was zwischen ihnen steht. Sein Plan, so sagt er rückblickend, sei gewesen, das Boot nicht gleich „in good order“ zu bringen, sondern erst mal einfach seeklar zu machen. Und dabei will er realistisch sein und sich zwei Jahre Zeit nehmen. Die Saison 2015 will er für erste Trimmschläge nutzen, im darauffolgenden Winter an den Feinschliff gehen und im Sommer 2016 mit seiner Jüngsten – nach ihrem Schulabschluss – eine Ostseerunde segeln. Ein vernünftig klingender Plan.

Großzügiger Einsatz von Sperrholz wurde zum Problem

Doch es kommt anders. „Als wir uns das hier angeschaut haben, war da denn doch ein bisschen mehr dran zu machen“, erklärt Thorsten Jensen in so breitem Küsten-Missingsch, dass das „Meeehr“ besonders lang ausfällt. Der Rumpf sei dabei gar nicht das Problem gewesen. „Da haben wir re­lativ wenig machen müssen“, sagt der Bootsbaumeister und zählt auf, dass die Tothölzer ausgewechselt werden mussten, der Ballastkiel neu verbolzt wurde, außerdem „ein bisschen Kielplanke“ und „der Bereich Püttinge“ unter seinen Händen auf die Zukunft vorbereitet wurden. Das sei es aber auch schon gewesen, so Jensen. „Das Problem war das Sperrholz.“

Es galt zwischen Osterfeuer, ewiger Baustelle oder konsequenter Restaurierung zu entscheiden“

Auf der Werft von Giles sei man Anfang der fünf­ziger Jahre offensichtlich auf Serienbau aus gewesen, anders lasse sich die großräumige Verwendung des damals neu aufgekommenen Materials nicht erklären. Das Deck ist mit einer frühen Variante belegt und mittlerweile völlig hin­über, ebenso der Aufbau, dessen Seitenwände aus längst delaminiertem Sperrholz bestehen, während die Rundungen in engen Radien formverleimt und „völlig aufgepilzt“ sind.

„Es galt zwischen Osterfeuer, ewiger Baustelle oder konsequenter Restaurierung zu entscheiden“, beschreibt Robohm die Erkenntnis der Bestandsaufnahme. „Und wir haben uns für Letzteres entschieden.“ Die Prämisse sei gewesen, Herkunft und Bestimmung dabei nicht aus dem Blick zu verlieren. Schließlich wollte Robohm das Schiff nicht nur restaurieren, um ein Schmuckstück daraus zu machen, sondern vor allem, um es intensiv im Stil des Baujahres zu segeln.

Sechs Jahre Werftarbeit an der “Gay Galliard” statt Segeln

Zu diesem Zeitpunkt dominiert im Karussell seiner Gefühle noch die Ansicht, dass die Entscheidung mutig, aber solide ist. Doch, so Robohm: „Dann fing der Abriss an. Wir haben begonnen, alles auseinanderzunehmen. Und je mehr runterkam, desto mehr kam zum Vorschein.“ Seine Philosophie sei gewesen, so viel Originalsubstanz wie möglich zu erhalten. Doch der Aufbau sei nicht zu retten gewesen. Außerdem habe es gegolten, einen Zustand herzustellen, der den künftigen Erhalt des Bootes mit vertretbarem Aufwand ermöglichen würde.

Der Point of no Return ist längst überschritten, als Bootsbaumeister Jensen wohlgemut die Säge ansetzt, um die Hütte neben das Schiff zu befördern.

An Segeln ist in den kommenden sechs Jahren nicht zu denken. Robohm gehört stattdessen zum Inventar der Werft und jongliert in der Umsetzung seines Projekts mit den Überlegungen: „Was kann ich zeitlich leisten, was fachlich, und was finanziell?“ Bei Jensen darf er unbefristet in der Halle stehen, so viel selbst machen, wie er kann, und die Werkstatt mitbenutzen, Anleitung inklusive. Er habe eine komplette Bootsbauausbildung bekommen und einige Kilo abgenommen, sagt Robohm im Rückblick auf jene Zeit. Vor allem aber habe er gelernt, während der Arbeit nur bis zum Ende des nächsten Schrittes zu denken. „Es gab Motivationslöcher. Aber je mehr es voranging, desto größer wurde der Ansporn.“

Die Tochter ist so fasziniert, dass sie ein Bootsbauer-Praktikum absolviert

Zum Glück für Schiff und Eigner lässt die Familie ihn gewähren und hinterfragt nicht die zeit- und kostenintensive Parallelwelt, in die er regelmäßig entschwindet. Obwohl seine Frau seinerzeit ihre Eltern pflegt und ihm nicht beistehen kann, stärkt sie ihm den Rücken: „Ich habe keine Zeit, dir zu helfen, aber du kannst das gern machen.“ Sie ahnt vermutlich gar nicht, wie sehr sie durch diese Einstellung zum Gelingen des Projekts beiträgt. Tochter Inken nimmt vom ersten Tag an auch ganz praktisch teil und ist so fasziniert von der Arbeit mit Holz, dass sie eigens ein Praktikum beim Boots­bauer absolviert.

Heute sind die Strapazen vergessen. Es ist ein hochsommerlicher Tag, und Familie Robohm macht „Gay Galliard“ wie eine lange eingespielte Crew am Steg der Jensen-Werft seeklar für einen der ersten Schläge auf der Elbe. Die tragende Rolle des Eigners im Geflecht Boot, Mitseglerinnen und Hund hat sich, seit das neue Familienmitglied schwimmt, merklich relativiert, und gut gelaunt geht es gemeinsam hinaus auf den Strom. Der schwache Wind reicht eben aus, um die Segel zu füllen, die am ebenfalls neu gebauten Mast gesetzt werden, während Inken Robohm das Ruder fest in der Hand hält.

Das Vorhaben, die West Channel Class im Stil ihrer Zeit zu segeln, ist gelungen. Der glänzende Lack lässt sie aussehen wie frisch ausgeliefert, und die Beschlagsausstattung ist ori­ginal oder dem Original entsprechend nachgebaut. Moderne Details fallen nicht ins Auge. Die Dyneema-Fallen auf den Mastfallwinschen etwa sind farblich so abgestimmt, dass sie aussehen wie der ehedem verzinkte Draht. Ihre Seetüchtigkeit kann die herausgeputzte Britin heute zwar nicht unter Beweis stellen; wie durchdacht und funktional sie ist, dagegen schon.

Nun soll die Historie der “Gay Galliard” erforscht werden

Als die Robohms ihre „Gay Galliard“ wieder am Werftsteg vertäut haben, wird es gemütlich in der Plicht. Aus den Tiefen des Kartenfachs kramt der Eigner alte Schätze. Das schiffseigene Registerbuch etwa, in dem jeder Besitzwechsel penibel handschriftlich verzeichnet wurde und aus dem hervorgeht, dass die West Channel Class bis zuletzt in Teignmouth beheimatet war.

Jetzt, wo die handwerkliche Arbeit geschafft sei, so Robohm mit fröhlichem Gesichtsausdruck, könne er sich endlich der Erforschung der Historie seiner Yacht widmen. Wenn er das mit ähnlichem Engagement betreibt wie die Restaurierung, wird er sicher noch so manche Episode ans Tageslicht befördern, ganz wie es im Survey prophezeit wurde. Denn Biss hat Robohm in den letzten Jahren bewiesen.

„Eine gewisse Zähigkeit braucht man auch für so ein Projekt“, sagt Thorsten Jensen, der sich schon häufiger mit alten Klassikern in ausweislich „gutem“ Zustand konfrontiert sah; Papier ist eben geduldig. Die Eignerfamilie der „Gay Galliard“ war es aber auch – und kann die Zeit mit ihrem Neuzugang künftig umso entspannter genießen.


Technische Daten “Gay Galliard”

  • Klasse: West Channel Class 1952
  • Konstrukteur/Werft: Morgan Giles
  • Baumaterial: Mahagoni auf Eiche
  • Länge über alles: 9,60 m
  • Länge in der Wasserlinie: 7,90 m
  • Breite: 2,40 m
  • Tiefgang: 1,50 m
  • Verdrängung/Ballast: 5/2,8 t
  • Segelfläche: 42 q
Foto: Robohm
Foto: privat

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