NeptunkreuzerSchärenkreuzer-Klassiker mit Dreizack – aus Holz oder GFK

Lasse Johannsen

 · 23.05.2023

Still ruht der See. Mit 15 qm  Segelfläche sind Neptunkreuzer keine ausgemachten Flautenrenner
Foto: YACHT/S. Hucho

Er ist ein waschechter 15-qm-Schärenkreuzer und Einheitsklasse zugleich. Der Neptunkreuzer aus dem Jahr 1938 hat bis heute eine treue Fangemeinde – auch hierzulande

Wie von Geisterhand geschoben, bewegen sich zwei Schärenkreuzer über den Starnberger See. Dessen Oberfläche gleicht an diesem Frühsommertag einem Spiegel. Kein Lufthauch hinterlässt Spuren auf dem Wasser. Und doch kommen die langen, schlanken Boote mit dem markanten Dreizack im Großsegel ganz langsam voran. An Bord herrscht andächtige Stille. Gebannt betrachten die Mitsegler das Spiel der immer schneller hinter dem Bergmassiv am Seeufer aufkommenden Wolken, als blitzende Lichter ringsum beginnen, vor Wind zu warnen. Wind?

Da geht es auch schon los. Im wahrsten Wortsinn aus heiterem Himmel schicken die bayerischen Windgötter einen Gruß an die aus dem hohen Norden stammenden Seebewohner. Die parieren das Geschehen routiniert. Von jetzt auf gleich preschen sie hinter einer weißen Bugwelle über den See, der auf einmal zu kochen scheint. Wie Zwillinge tanzen sie mit gleicher Geschwindigkeit, gleichen Bewegungen nebeneinander her, und nur die Farbe der Rümpfe – ein weißer und ein hölzerner – verrät dem Betrachter schon auf den ersten Blick, dass jedes der beiden Schwesterschiffe eine eigene Persönlichkeit besitzt.

Neptunkreuzer sind eine eigene Klasse innerhalb der Schärenkreuzer

Lediglich Eingeweihte erkennen, dass es sich um zwei seltene Vertreter der rund 275 noch segelnden Neptunkryssare handelt. Die Konstruktion geht auf das Jahr 1938 zurück und ist vom Schärenkreuzerverband als klassenkonformer 15-qm-Schärenkreuzer anerkannt. Doch als Einheitsklasse mit strengen Bauvorschriften bilden die Neptunkreuzer innerhalb der 15-qm-Schärenkreuzer eine eigene Klasse mit bis heute reger Regattatätigkeit.

Das Heimatrevier der hölzernen „Brise“ aus dem Baujahr 1969 ist der Otterstädter Altrhein in der Nähe von Speyer. Ihre aus GFK gebaute Schwester „Swansjön“ von 1976 hat es schon vor mehr als zehn Jahren hierher auf den Alpensee verschlagen. Georg Hagemeyer, Ansprechpartner der deutschen Eigner, hatte 2009 nach einem Neptunkreuzer gesucht und das Schiff in Ostschweden gefunden.

Nun sitzt er in der kleinen Plicht und freut sich über den an „Swansjöns“ Heimat erinnernden frischen Sommerwind von über 20 Knoten, der hier im tiefen Binnenland so selten ist. Dass die große Genua anstelle der kleinen Fock gesetzt ist, stört weder das Boot noch die Besatzung.

An der Pinne des Neptunkreuzers ist Aufmerksamkeit gefragt

An der Pinne jedoch ist Aufmerksamkeit gefragt. Der kleine Schärenkreuzer segelt äußerst agil, reagiert sensibel auf das Ruder und jede kleinste Windveränderung. Luvgierig ist er dabei nicht. Wenn die Pinne kurze Zeit losgelassen wird, dann läuft das Boot bei gut eingestellten Segeln unbeirrt geradeaus. Doch die übrigen Erwartungen an das klassische Verhalten eines Langkielers erweisen sich schnell als falsch. In der Wende dreht das Boot fast auf dem Teller.

Der Grund ist die Konstruktion. Von den neun Meter Rumpflänge tauchen – ohne Lage – weniger als sechs ins Wasser, der mittig sitzende Kiel ist mitsamt dem angehängten, groß dimensionierten Ruderblatt kürzer als drei Meter. Mit etwas über einer Tonne Gesamtgewicht – die Hälfte davon Ballast – ist der Neptunkreuzer außerdem sehr leicht. Und so klettert er behände über die sich aufbauende kurze, steile Welle und nimmt wenig Wasser über.

Als echte Einheitsklasse war der Neptunkreuzer ein beliebtes und vergleichsweise günstiges RegattabootFoto: Archiv Hagemeyer
Als echte Einheitsklasse war der Neptunkreuzer ein beliebtes und vergleichsweise günstiges Regattaboot

Hagemeyer stieß während der Suche nach einem Klassiker von Art und Größe eines Drachens auf den Neptunkreuzer. „Ich wollte aber an Bord übernachten können“, sagt der in München lebende Architekt. Ein weiteres Kriterium war, dass der Preis nicht so hoch wie beim Lacustre sein und sich das Boot bequem allein segeln lassen sollte, sodass auch das Hai-Boot mit seinen Backstagen nicht in Frage kam. Schnell trat daher der Neptunkreuzer auf den Plan. „Ein echter Schärenkreuzer“, so Hagemeyer, „ein Zauberwort für mich!“ Schon bevor er das erste Boot besichtigt, zieht ihn außerdem die besondere Entstehungsgeschichte der Neptunkryssare in ihren Bann.

Der erste Neptunkreuzer sollte Maler Einar Palme zu den Schären bringen

Sie geht auf ein Auftragswerk des schwedischen Konstrukteurs Lage Eklund zurück. Für seinen Freund, den Kunstmaler Einar Palme, schuf er im Jahr 1938 ein Boot im Stil der Zeit. Palme wünschte sich aber, dass es unkompliziert allein zu segeln sein und Platz für die komplette Arbeitsausrüstung des Künstlers bieten sollte. Staffeleien, Zeichen- und Malutensilien, Gepäck und Schlafplätze für Palme und auch mal einen Mitsegler. Um selbst die entlegeneren Plätze im Schärengarten ansteuern zu können, waren außerdem geringer Tiefgang und ausgesprochene Wendigkeit gefordert. Es entsteht „Après Vous“, mit der Palme fast dreißig Jahre lang die Stockholmer Schären und den Mälarsee bereist.

Seine Popularität verdankt das Boot der Tatsache, dass es als 15er Schärenkreuzer vermessen, aber preiswerter gebaut werden konnte. Segelvereine in Uppsala und Gävle ließen Schwesterschiffe bauen, und zahlreiche schwedische Yachtclubs entschieden sich für den Neptunkreuzer, wenn es darum ging, ein Lotterieboot auszuloben; eine damals sehr verbreitete Form der Nachwuchsförderung: Die Erlöse aus dem Losverkauf überstiegen den Bootspreis, der Gewinn ging in die Jugendarbeit, und das verloste Boot war Verstärkung für die neue Regattaklasse.

Seetüchtig, aber mit eingeschränktem Platzangebot

Auf diese Weise verbreitete sich der formschöne Neptunkreuzer schnell. Seine guten Segeleigenschaften sprachen sich herum, und bald stand das Boot überdies in dem Ruf, äußerst seetüchtig zu sein, was seine Popularität weiter beflügelte. Dass der Platz unter Deck nach heutigen Maßstäben knapp bemessen ist, stört damals nicht. In der YACHT heißt es noch 1958: „Durch den hohen Freibord und seine Breite ist der ‚Neppe‘ sehr geräumig – besonders, wie es die Klassenvorschriften erlauben – wenn der Mast auf Deck gestellt wird.“

Im Salon ist so viel Platz wie zu Hause unter dem Esszimmertisch.” (Sprichwort unter Neptun-Eignern)

Tatsächlich ist Reisekomfort auf dem Neptunkreuzer nur mit der obligatorischen Kuchenbude gegeben. Unter Deck gibt es zwar vier feste Kojen, in der Regel auch Einbauten mit zahlreichen Schapps, doch der Raum ist so klein, dass ein geflügeltes Wort in der Szene besagt, man habe im Salon so viel Platz wie zu Hause unter dem Esszimmertisch.

Der Salon bietet nur wenig Wohnraum für die CrewFoto: YACHT/S. Hucho
Der Salon bietet nur wenig Wohnraum für die Crew

Schon zu Beginn der 1940er Jahre wird mit dem Neptunkryssarförbundet außerhalb des schwedischen Schärenkreuzerverbandes eine eigene Klassenvereinigung gegründet. Und nur fünf Jahre später erhält der „Neppe“, wie die Eigner ihr Boot liebevoll nennen, schwedischen Meisterschaftsstatus. Das Segelzeichen – Neptuns Dreizack – deutet seither nicht mehr darauf hin, dass das Boot ein waschechter 15-qm-Schärenkreuzer ist.

Der Neptunkryssarförbundet besteht bis heute. Seit 1976 gibt die Klassenvereinigung viermal im Jahr das Mitgliedermagazin „Nepparnytt“ heraus und pflegt die Internetseite www.neptunkryssare.se.

Erst Kiefer, dann Mahagoni, schließlich GFK

Eines der wichtigsten Anliegen der Klassenvereinigung ist es, von Anfang an darauf zu achten, dass der Neptunkreuzer ein erschwingliches Boot bleibt. Das betrifft anfangs vor allem den Bau, der rund 1.200 Arbeitsstunden erfordert. Für die Außenhautbeplankung ist zunächst nur billig verfügbare heimische Kiefer zugelassen. Die rund 200 Boote aus dieser Zeit sind an der meist weiß lackierten Außenhaut erkennbar. Erst 1962 wird auch Mahagoni zugelassen, weiterhin auf Eiche und Stahl in Komposit. Etwa 20 weitere Vollholzboote entstehen in dieser Weise.

Der erste GFK-Bau wird 1976 hergestellt. Die Form wird damals von der zwei Jahre zuvor als letztem traditionell gebauten Neptunkreuzer Nr. 217 „Diva“ abgenommen. Deren Deck erhält im Hinblick auf das geplante Vorhaben ein moderneres Design. Der Aufbau wird nach Vorbild des Drachen flacher, das Süll niedriger.

Neptunkreuzer aus Holz und GFK sind ebenbürtig

Ansonsten gleicht das Boot dem traditionell gebauten Vorbild wie ein Haar dem anderen. Das Gewicht und seine Verteilung im Rumpf, dessen Abmessungen, das Rigg, alles entspricht exakt den Bauvorschriften, sodass die Chancengleichheit sich beim vergütungslosen Segeln schnell zeigt. Bis heute werden die nationalen Meisterschaften der mittlerweile größten schwedischen Einheitsklasse mal von einem Boot aus GFK und mal von einem traditionell aus Holz gebauten gewonnen. Rund 70 Exemplare sind bis heute aus Kunststoff entstanden.

Auf dem Wasser verhalten sich die Schwesterschiffe gleichFoto: YACHT/S. Hucho
Auf dem Wasser verhalten sich die Schwesterschiffe gleich

Das Selbstverständnis vom billig zu segelndem Boot ist bis heute DNA der Neptunkreuzer-Segler. Und so haben es Modernisierungen in der Klasse auch stets schwer gehabt. Bis 1967 wurde auf raumen Kursen anstatt eines Spinnakers die Genua nach Luv ausgebaumt und in Lee die Fock gesetzt. Auch das Aluminiumrigg bekam erst 1982 den Segen der Klassenvereinigung. Eine weitere Veränderung ist 2006 der Ausreitgurt, mit dessen Einzug an Bord die Großschot-Travellerschiene immer häufiger verschwindet – ihr Nutzen besteht bei dem schmal geschnittenen Großsegel überwiegend im Halt beim Ausreiten.

Neptunkreuzer “Brise” ist bis heute komplett original

Die „Brise“ entstand 1969 als vorletztes Vollholzboot in Mahagoni auf Eiche- und Stahlspanten, erzählt Eigner Heiko Schultz. Die Besatzungen beider Boote haben wieder festgemacht und sitzen auf der Terrasse des Yachtclub Seeshaupt, die Segel liegen zum Trocknen auf dem Rasen davor.

„Der erste Eigner der ‚Brise‘ war Styg Fligare, ein aktiver Regattasegler, der das Boot ‚Manana‘ nannte und damit 1972 Sieger der Serie Neptunkryssarpokalen wurde“, sagt Schultz. Er selbst fand das Boot 2010 am Bodensee. In einem Bretagne-Urlaub hatte Schultz einen kleinen Klassiker mit viel Überhang gesehen. Eine regionale Klasse, ähnlich der 15qm SNS (Serie Nationale Suisse). Auf der Suche nach etwas Vergleichbarem stieß er am Bodensee auf den damals „Maja“ heißenden Neptunkreuzer.

„Ich habe mir das angesehen und sofort gedacht, das ist das richtige Boot. Groß genug für mich und meine zwei Kinder, aber noch machbar, kleine Kajüte, trailerbar und als Schärenkreuzer auch geeignet für die Ostsee.“

Schultz segelt die „Brise“ seither als Fahrtenboot und nimmt an Klassikerregatten teil. In den West- und Ostschären war er ebenso unterwegs wie auf der Classic Week, der Bodensee Traditionswoche oder jetzt auf dem Starnberger See. Verändern musste er an dem bis heute völlig original erhaltenen Schiff nichts. Lediglich den Lackaufbau ließ er professionell erneuern, das Unterwasserschiff vom Bootsbauer überholen, und das auf Regattabetrieb ausgerüstete Rigg wurde dem Fahrtensegeln ein wenig angepasst.

Rund 30 der 300 noch segelnden Neptunkreuzer sind heute in Deutschland beheimatet

Auch Georg Hagemeyer ist mit „Swansjön“ schon auf Schwedentörn gegangen. Mit seinen zwei Töchtern an Bord erkundete er ausgiebig den Mälarsee, bevor er das Boot auf dem Landweg nach Bayern überführte.

Die Unterschiede zwischen den Holzbooten seien, so beide Neptunkreuzer-Freunde einstimmig, je nach Werft und Baujahr, abgesehen von den identischen Abmessungen, in vielen Details erheblich. Die Kunststoffboote unterschieden sich im Wesentlichen in der Ausstattung mit Beschlägen und im Erhaltungszustand. Der sei oftmals deutlich schlechter als bei den als Klassikern wertgeschätzten traditionell gebauten Schwesterschiffen.

Rund 30 Neptunkreuzer sind heute in Deutschland beheimatet. Und auch, wenn sie hier anders als in Schweden keine aktive Regattaklasse sind, werden sie von ihren Eignern als kleine Juwelen geliebt und bewahrt.


Die Klasse der Neptunkreuzer

Die Vorgabe an Konstrukteur Lage Eklund im Jahr 1937 lautete, ein Boot zu entwerfen, das auch bei viel Wind allein über See gesegelt werden kann. Gleichzeitig sollte es wendig sein und wenig Tiefgang haben, um auch entlegene Winkel des Schärengartens erreichen zu können. Innen sollte das Boot geräumig sein und bis zu drei Personen Platz zum Übernachten bieten. Es entstand ein 15er Schärenkreuzer mit etwas höherem Freibord – der Neptunkreuzer

Technische Daten Neptunkreuzer

Foto: Archiv Hagemeyer
  • Konstrukteur: Lage Eklund
  • Länge: 9,00 m
  • Wasserlinienlänge: 5,85 m
  • Breite: 1,92 m
  • Freibord: 0,55 m
  • Tiefgang: 1,20 m
  • Verdrängung: 1,15 t
  • Ballast: 0,54 t
  • Segelfläche: 22 qm
  • Großsegel: 12 qm
  • Genua: 11,5 qm
  • Fock: 7 qm
  • Spinnaker: 30 qm

Website der deutschen Eigner: www.neptun-schaerenkreuzer.de


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