„Amphitrite“Ein legendärer Schoner mit einzigartigem Werdegang

Stefan Schorr

 · 29.05.2023

Der 44 Meter lange Dreimastschoner diente mehrfach als historische Filmkulisse
Foto: YACHT/Stefan Schorr
Die „Amphitrite“ im Detail
Der Dreimast-Schoner „Amphitrite“ zählt zu den  ältesten noch segelnden Yachten der Welt. Seit 1976 lernen Jugendliche an Bord traditionelle Schifffahrt

Als 1887 auf der renommierten Yachtwerft Camper & Nicholsons die Zweimast- Rennschoneryacht „Amphitrite“ vom Stapel läuft, sind große Segelschiffe aus Holz ohne Maschinenantrieb längst nicht mehr up to date. Dennoch hat sich Alexander Donald McGregor gegen eine moderne stählerne Dampfyacht mit Annehmlichkeiten wie Zentralheizung entschieden, als er 1884 der Werft im englischen Gosport den Bauauftrag erteilt. Und erhält nun sein 161 Tonnen schweres Meisterstück des Konstrukteurs Ben Nicholson Senior. Der Holz-Schoner aus Teak auf Eiche, mit 33 Meter hohem Großmast und einer Tuchfläche von bis zu 1360 Quadratmetern, ist dessen letzter, bester und schönster Segelyachtentwurf.

Der 1845 geborene McGregor wollte ein schlankes, schnelles Schiff mit strömungsgünstig geformtem Außenkiel aus Blei und außerdem ein schwenkbares Kielschwert, um steifer, effektiver und vielseitiger segeln zu können. Das Mittelschwert wird jedoch bereits zum Ende der Saison 1889 wieder ausgebaut. Da die Konstruk­tionspläne von Camper & Nicholsons offensichtlich zerstört wurden und bis heute nicht auffindbar sind, ist über die Verwendung des Schwertes wenig bekannt.

Die Anforderungen an den Schoner waren umfangreich

„Der Rumpf sollte die höchsten Masten und die größte Segelfläche tragen können. Daher musste er außergewöhnlich stark gebaut werden, um dem gewaltigen Zug der Wanten und Stagen bei der großen Segel­fläche und starkem Wind standzuhalten“, schreibt Günther Bendt im Buch „Amphi­trite – eine der ältesten segelnden Yachten der Welt“. 1990 erstmals von Ewald Kruse im Koehler Verlag veröffentlicht, verantwortete Herausgeber Theo-Peter Koesling 2012 eine deutlich erweiterte Neuausgabe des Werkes. Darin konnte das Autorenteam die Lebensgeschichte der „Amphitrite“ etwa um schiffbauliche Aspekte und die Regattatätigkeit in den 1880er- und 1890er-Jahren ergänzen.

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Auf Regatten war der 44-Meter-Schoner, der den Namen einer der 50 Töchter des griechischen Meeresgottes Nereus und der Okea­ni­de Doris trägt, sehr aktiv. Alexander Donald McGregor wurde im Mai 1888 in die Royal Yacht Squadron aufgenommen und nahm in der beginnenden Saison auch erstmals an Regatten teil. 1889 fuhr die „Amphitrite“ ihren ersten Sieg ein, dem viele weitere folgten.

Anpassungen zu Lernzwecken an Bord

„Das riesige Großsegel von damals wäre jetzt mit Jugendgruppen nicht mehr handhabbar“, sagt Ansgar Höffe, einer der ehrenamtlichen Kapitäne des Schiffs. Mit der heutigen Unterteilung des Segelplans auf drei Masten hat die „Amphi“, wie sie liebevoll von der Stammcrew genannt wird, ein handi­geres und vor allem unkompliziertes Rigg. „Nach zwei, drei Tagen können die häufig vorher unerfahrenen Wachen im Normalfall schon selbstständig Wenden und Halsen fah­ren“, erklärt der Kapitän. „Lediglich das Setzen und Bergen der großen Breitfock erfordert ein wenig Übung. Wegen des Nutzens des Rahsegels bei achterlichen Winden lohnt sie sich jedoch.“

Ansgar Höffe, Jahrgang 1952, kam 1976 zu Clipper. Der Seefahrtschüler sprang kurzfristig als Steuermann auf dem Vereinsschiff „Seute Deern“ ein, als sein Dozent verhindert war. Seither fährt er jedes Jahr auf Clipper-Yachten. Der Nautiker machte 1985 beruflich seine erste Reise als Kapitän auf großer Fahrt, wurde 1992 Weserlotse und ging Ende 2017 in den Ruhestand.

Der Verein „Clipper” betreibt den Schoner

Seit 1988 fährt er bei Clipper – Deutsches Jugendwerk zur See als Kapitän, meist zwei bis vier Wochen im Jahr. „Im Prinzip auf jedem der vier Vereinsschiffe“, sagt der 66-Jährige. „Am seltensten auf der ‚Jonny‘, am häufigsten auf der ‚Amphi‘. Die gefällt mir am besten, weil sie das älteste, schönste und seglerisch interessanteste Schiff ist.“ Wie viele andere Stammcrewmitglieder auch ist Höffe fasziniert von der sehr wechselvollen abenteuerlichen, 132-jährigen Geschichte der „Amphitrite“, die zu den ältesten noch betriebenen Segelyachten der Welt gehört.

Der Verein Clipper ist der 21. Eigner der Yacht, die meist „Amphitrite“ hieß, aber auch die Namen „Dolores“, „Joyfarer“, „Hinemoa“ und „Amphitrite af Stockholm“ trug. Ersteigner McGregor verkaufte das Schiff 1892 an den Multimillionär Frederick Wills, der bis zum Weiterverkauf 1899 die größten Regattaerfolge mit dem Schoner einfuhr. Der mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp über 13 Knoten ersegelte Sieg über die größere „Yampa“ machte den Schoner „Amphitrite“ international bekannt. 1897 segelte sie im Rahmen der Jubilee-Cup-Regatta von Dover nach Helgoland. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. hatte den Cup anlässlich des 60-jährigen Thronjubiläums von Königin Victoria, seiner Großmutter, gestiftet. In Deutschland nahm die „Amphitrite“ an der Kieler Woche teil.

Der lange Werdegang der „Amphitrite”

Die nächsten beiden Jahrzehnte wurde die „Amphitrite“ als Fahrtenyacht genutzt und erhielt zahlreiche Umbauten. Im Ersten Weltkrieg blieb sie im Besitz von William Henry Peech unbeschadet, wurde weiter umgebaut und bekam modernste Technik: zwei starke Antriebsmotoren, einen Generator, eine elektrische Ankerwinde und ein mit Holz verkleidetes stählernes Deckshaus hinter dem Schonermast. Es folgten weitere Eigner, neuere Motoren und 1924, nach der letzten Regattateilnahme, der Salon und das achtere Deckshaus.

Bis heute erinnern verschiedene bau­liche Details an die ehemalige Nutzung als Luxusyacht. So etwa das erlesene Mobiliar mit dem prunkvollen Schreibtisch im Salon. Bei Clipper steht dieser der ganzen Crew zur Verfügung; zu Zeiten als Privatyacht hatte hier nicht einmal der Kapitän Zutritt: „For the owner only!“

1942 ließ die britische Admiralität die Takelage entfernen, um den Schoner im Zweiten Weltkrieg als Ballonsperrenträger gegen Tiefflieger im Plymouth Sound zu nutzen. Als Colonel W. R. Charter MC die Yacht am 1. August 1947 kaufte, war sie in einem jämmerlichen Zustand. Vor allem die Undichtigkeit des Decks war problematisch. Um die Hulk vor dem Schiffsfriedhof zu bewahren, bedurfte es einer „Werft, die das Deck fachmännisch kalfaterte, morsches Holz auswechselte und die schlimmsten Schäden ausbesserte“, heißt es im Buch über die „Amphitrite“.

Die Bauphase der „Amphitrite”

Um der Bauwerft Camper & Nicholsons diesen Auftrag erteilen zu können, musste der Bleikiel verkauft und durch günstigeren Granit als Ballast ersetzt werden. Als die „Amphitrite“ 1950 zur Werft kam, konnte der 83-jährige Konstrukteur Charles E. Nicholson (einer der drei Söhne von Ben Nicholson) es kaum glauben, „dass er 62 Jahre zuvor die Kühnheit besessen hatte, den Achtersteven der Yacht anlässlich des damaligen Umbaus zum Rennschoner auf 45 Grad anzuheben“.

Sein Vater hatte sich für den Schoner „Amphitrite“ eher Frachtsegler als Segel­yachten zum Vorbild genommen. „Die Spanten messen gut 15 mal 15 Zentimeter, je zwei Spanten stehen im Abstand von nur rund fünf Zentimetern nebeneinander und bilden ein Paar. Die Spanten tragen außen und innen Planken von knapp acht Zentimeter Dicke. Beim Bau der „Amphitrite“ wurde ausschließlich das beste und lang­lebigste Material verwendet. Jeder einzelne ihrer über 200 Spanten besteht aus nur einem Stück, dessen Krümmung nicht über Dampf gebogen wurde, sondern natürlich gewachsen ist. Die Spanten sind ebenso wie die mächtigen Kielbalken, Vor- und Achtersteven, die Innenplanken, die Stringer und die Decksbalken aus bester englischer Eiche gefertigt. Die starken Außenplanken wurden aus bestem Burma-Teakholz geschnitten.“

Von August 1947 bis November 1955 hatte die Familie Charter die Yacht als Wohnschiff ohne Rigg genutzt. Nun zog sie wieder an Land und verkaufte das Schiff. Das wurde zum Dreimast-Gaffelschoner geriggt, um damit ins Chartergeschäft im Mittelmeer einzusteigen. Kaum dort angekommen, stand die Yacht aber schon wieder zum Verkauf und wechselte in den folgenden Jahren mehrmals in kurzen Abständen den Besitzer. 1958 wurde sie zur Barkentine getakelt.

Ende der 1960er Jahre kommt der Schoner nach Deutschland

1969 kommt die „Amphi“ in deutsche Hände. Der Berliner Fleischwarenhändler Horst Krumke kauft den Schoner für 400 000 Mark. Er hat zuvor die Horst Film KG gegründet, die vom WDR mit der Produktion einer Segelschiffsserie über Graf Luckner fürs Fernsehen beauftragt wurde.

Es entstehen 39 Episoden in drei Staffeln, in denen die fiktive Geschichte des „See­teufels“ erzählt wird, der auf seinem Schiff „Niobe“ die Welt umsegelt. Graf Luckner wird von Heinz Weiß gespielt, der später Kapitän des ZDF-Traumschiffs sein wird. Auch für den Film „Das Geheimnis der Mary Celeste“ wird die „Amphitrite“ genutzt, obwohl sie dreimastige Barkentine statt zweimastige Brigantine ist. In den Hauptrollen sind Hans-Joachim Kulenkampff und Wera Frydtberg zu sehen.

Als einige Szenen für die Graf-Luckner-Fernsehserie nachgedreht werden müssen, wird Kapitän Günther Kleen angeheuert. Der reist ins französische La Napoule und hat dabei einen Spezialauftrag des jungen Vereins Clipper in der Tasche: Er soll prüfen, ob die „Amphitrite“ ein geeignetes Schiff ist und ob der Eigner Horst Krumke es zu einem erträglichen Preis verkaufen würde.

Im November 1973 kommt die Crew für eine Überführung vom Mittelmeer nach Bremerhaven an Bord. Sie besteht zum Teil aus Clipper-Leuten. Der Verein möchte die Verkaufsverhandlungen erst nach einer Dock-Inspektion in Deutschland fortsetzen. Der Törn wird abenteuerlich. Bei zunehmendem Wind bricht der Vortopp zunächst unter der Bramrah ab und später vollends in sich zusammen. Außerdem bricht das Großpiekfall, verfängt sich im Wasser in der Steuerbord-Schraube der Maschine und setzt diese außer Gefecht. Unter Deck dringt Wasser ein, es entsteht ein Brand in der Schalttafel, wodurch ein Großteil der Schiffselektrik ausfällt. Der Klüverbaum geht ebenfalls zu Bruch.

Technische Schwierigkeiten und Umbau

Am 9. November macht die geschundene „Amphitrite“ auf Menorca fest. Erst Anfang September 1974 wird die Überführung nach einem Werftaufenthalt von Barcelona aus fortgesetzt. Am 20. September erreicht das Schiff Bremerhaven mit dem letzten Tropfen Diesel. Wieder macht es viel Wasser, eine der beiden Maschinen ist ausgefallen, eine Notbesegelung wurde erforderlich, und die Elektrik läuft sehr instabil.

Dennoch kauft Clipper die „Grand Old Lady“, und im März 1976 ist der umfangreiche Umbau abgeschlossen. Für die Nutzung auf Jugendtörns wurden mehr Kojen eingebaut; im Vorschiff befinden sich 16 Traineekojen in Stockbetten. Nach achtern geht es in die gemütlich elegante Messe, in der neuerdings auch die Generatoren nicht mehr zur Lärmbelästigung werden – vor dem Saisonstart 2019 wurde der laute Hilfsdiesel durch ein voll schallisoliertes Aggregat ersetzt. Am schmalen Gang nach achtern befinden sich an Backbord die Steuermannskammer mit zwei Kojen und hinter der stilvollen Treppe die enge Kapitänskammer, „Wandschrank“ genannt. An Steuerbord liegen von vorn nach achtern eine Sech­ser-Kammer, die zweite Steuermannskabine und die Räume für Koch und Maschinist. Im Heck ist die Segellast, in der auch Kühl- und Gefrierschränke stehen.

Die zwei Toiletten an Bord befinden sich im vorderen Aufbau an Deck. Im Frühjahr 2006 wurde das „Tandemklo“ mit zwei nebeneinander stehenden WC-Schüsseln durch zwei Toiletten mit einer Trennwand dazwischen ersetzt. Beide Toilettenräume im neu konstruierten Deckshaus haben eine Außentür, Waschbecken und Dusche. Unter Deck gibt es drei weitere Waschräume.

Gutes Holz braucht gute Pflege

Als Dreimast-Gaffelschoner trägt das ehemalige Regattaschiff mit maximal 450 Quadratmeter Segeln am Wind (plus 90 Quadratmeter Breitfock) noch knapp ein Drittel der ehemaligen Fläche. Der neue Schonermast ist aus Stahl statt aus teurerem Holz gefertigt. „Die Macke im Holzdeck vom Aufprall der Rah beim Überführungstörn wurde jahrelang wie ein Heiligtum behandelt“, erzählt Höffe. Inzwischen wurde aber ein neues Deck verlegt.

Die Saison der „Amphitrite“ beginnt zum Hamburger Hafengeburtstag. Nach zahlreichen Ostseetörns wird der Schoner dann häufig Mitte Oktober zur J. Ring-Andersen Skibsværft in Svendborg gesegelt, um dort über den Winter wieder auf Vordermann gebracht zu werden. Seit rund 30 Jahren kommt die „Amphi“ in die Hände der dänischen Holzbootsspezialisten. Die fertigten auch 1993 die schlankeren, hölzernen Stengen. Damals bekam der Besanmast wieder ein Gaffelsegel statt des zwischenzeitlich verwendeten Hochsegels. Diese Besegelung hat bis heute Bestand.

Bereits seit 1981 wird der Rumpf in Naturholzoptik gefahren. Das ursprüngliche elegante Weiß und zwischenzeitliche Schwarz lässt sich mit modernen Farben auf dem Holz, das einen Ölfilm bildet, nicht malen. Deshalb fällt die Entscheidung für den offenporigen gut pflegenden Holzschutz mit Be­naröl. Lediglich Galion, Heckzier, Namensschilder und ein breiter weißer Streifen über dem Wasserpass und über der Wallschiene sind noch in Rot und Weiß gepönt.

Die Stärke der „Amphitrite”: ihre Robustheit

Nach wie vor beeindruckend ist die Robustheit des 132 Jahre alten Schiffs. Problematisch sind allenfalls jene Stellen, an denen Stahl auf Holz trifft, also an den Beschlägen. Deshalb wird die „Amphitrite“ seit gut zehn Jahren geschont. Ansgar Höffe ist einer von lediglich zwei Clipper-Skippern, die mit der „Grand Old Lady“ rund Skagen gesegelt sind. Dieser Törn wird nicht mehr wiederholt; Nordsee oder gar Atlantik sind inzwischen tabu.

Eine Zäsur: Alexander Donald McGregor ließ sich 1887 die „Amphitrite“ bauen, um auch bei schwerstem Wetter segeln zu können. „Hierzu musste er sich auf sein Schiff absolut verlassen können, und das konnte er nur, wenn es aufgrund seiner baulichen Qualitäten so zuverlässig und robust war, dass ihr Eigner keine kostspieligen und langwierigen Reparaturen befürchten musste“, heißt es im Buch über die Yacht.

Aber heute muss die alte Lady eben doch etwas geschont werden. Aus einem guten Grund: um ihrer wechselvollen Geschichte auf der Elbe und der Ostsee noch viele weitere Jahre hinzufügen zu können.

Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 18/2019 und wurde für diese Online-Version überarbeitet.


Technische Daten „Amphitrite”

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  • Werft: Camper & Nicholsons
  • Baujahr: 1887
  • Gesamtlänge: 44,33 m
  • Breite: 5,70 m
  • Tiefgang: 3,70 m
  • Masthöhe (über Deck): 28,00 m
  • BRZ: 110
  • Segelfläche: 540 m²
  • Maschine: 2x 173 kW/235 PS

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