”Panope”Vom Blauwasser-Schoner zum komfortablen Kutter

Dieter Loibner

 · 09.04.2023

Kein Cockpit, dafür ein Deckshaus. Die Allwetteryacht ist so unkonventionell wie die Benennung nach einer Riesenmuschel
Foto: YACHT/D. Loibner

Die Metamorphose eines Blauwasserschoners zum komfortablen Kutter im Kleinformat begann im letzten Jahrtausend und ist noch nicht abgeschlossen. Wie ein Segler das Werk seines Vaters weiterführt

Mit schäumender Bugwelle und gerefftem Groß rauscht „Panope“ über die Mystery Bay nahe Port Townsend im US-Bundesstaat Washington. Riesig, fast bedrohlich sieht der Kutter aus der Froschperspektive des Begleitbootes aus, eigentlich erstaunlich bei einer Rumpflänge von nur zehn Metern. Crew braucht’s nicht, denn das Schiff ist für den Solobetrieb ausgelegt. Nur der Schiffseigner, Steve Goodwin, 54, ist an Bord und lümmelt lässig im Heckkorb, weder Hand am Steuer noch Autopilot in Betrieb. Muss er auch nicht, denn „Panope“ mit ihrem Knickspantrumpf aus Aluminium und ihrem langen Kiel segelt sich ganz von selbst. Ohne Ruderdruck, wie auf Schienen.

„Auf der Kreuz fährt sie wie ein Güterzug“, schwärmt Goodwin über das Boot, das er seit Kindesbeinen kennt und segelt. „Ab zehn Knoten Wind, wenn das leeseitige Schanzkleid unter Wasser gerät, ist Musik drin“, führt er weiter aus. Am besten, so Goodwin, segelt der Kutter raumschots bei mittlerem Wind. Reffen müsse er erst ab Windstärke sechs. Und wenn’s doller bläst, reicht die Fock, aber auch dann steuere sich „Panope“ praktisch von selbst.

Sie segelt ohne Ruderdruck, wie auf Schienen. Und auf der Kreuz fährt sie wie ein Güterzug. Am besten ist sie raumschots unterwegs”

Kuttertakelung statt Schonerrigg

Geschuldet ist dieses ausgewogene Segelverhalten auch der Kuttertakelung, die das alte Schonerrigg ersetzte und dem Schiff ein anderes Aussehen und bessere Segeleigenschaften bescherte. Goodwin versetzte dafür den Mast weiter nach vorn an die Stelle des alten Fockmastes und installierte später einen klappbaren Bugspriet, an dem eine gute gebrauchte Fock mit 17 Quadratmeter angeschlagen wird, womit sich Segel- und Lateraldruckpunkt besser balancieren lassen.

Reduziertes Gewicht, keine Überhänge, die Liegeplatzgebühren in die Höhe treiben, einfache Bedienung und geringere Wartung sind weitere Pluspunkte dieser Takelung. Praktisch und ungewöhnlich ist die diagonale Schäftung am Fuß des massiven Alumastes, der mit einer Jüttstange praktischerweise in wenigen Minuten von einer Person gelegt werden kann.

Die “Panope” ist eine robuste Alu-Yacht

Bei der Rumpfkonstruktion handelt es sich um eine Saugeen Witch, gezeichnet von Thomas E. Colvin, dessen Entwürfe bei Liebhabern schwerer, stabiler und ozeantauglicher Fahrtenboote beliebt waren. Diese sind nicht auf Performance ausgelegt, sondern auf Stabilität und Vielseitigkeit, weshalb es keine einheitliche Takelung gibt. Goodwins Vater Lynn, 83, ein pensionierter Meeresbiologe, orderte „Panope“ in den siebziger Jahren als Gaffelschoner bei der mittlerweile geschlossenen Greenwich-Werft in Vancouver, Kanada, und wollte damit eigentlich auf große Fahrt gehen.

Als Fliegenfischer, der im konservativen Idaho fern des Ozeans aufwuchs, waren Boote für ihn primär Mittel zum Zweck. Vom Segeln hatte er keine Ahnung, doch ein Freund überredete ihn, eine Saugeen Witch aus Aluminium mit knapp fünf Millimeter Wandstärke zu bestellen, unausgebaut, für 13.000 US-Dollar. „Der sagte mir: ‚Maschine brauchst du nicht‘, aber das war ein Fehler“, erzählt Lynn, der nachträglich einen 15-PS-Yanmar-Diesel installieren ließ. Den Innenausbau aus Eiche und Zeder nahm er selbst vor, denn Holzarbeiten machten ihm Spaß. Stapellauf war 1981 – mit Hilfe eines Haustransporteurs. „Wir gingen mit dem Boot zum Fischen, fingen Krabben und Shrimps, segelten nach Norden zum Barkley Sound auf Vancouver Island und mal nach Cabo San Lucas in Mexiko“, erinnert sich Goodwin senior. „In Cabo konnten wir gratis im Hafen liegen, und in den Straßen liefen überall Hühner rum.“

Durch seinen Beruf als Meeresbiologe kam „Panope“ auch zu ihrem Namen. Lynn Goodwin war in den sechziger Jahren nämlich maßgeblich daran beteiligt, die Verbreitung der Elefantenrüssel- oder Königsmuschel im pazifischen Nordwesten zu erforschen. Die heißt mit wissenschaftlichem Namen Panopea generosa, wird aber ob ihrer Form auch Penismuschel genannt. Diese Meerestiere werden heute in großem Stil für den Export nach Asien gezüchtet, wo sie als Delikatesse gelten und als angebliches Aphrodisiakum.

Sohn Steve krempelt die “Panope” um und arbeitet bis heute daran

Irgendwann wurden Vater Lynn das Segeln und „Panopes“ Wartung zu beschwerlich, aber vor allem die 900-Meilen-Kreuz von Cabo nach San Diego auf dem Weg nach Norden schmeckte ihm nicht mehr. Damals ließ er das Boot per Laster zurück nach Port Townsend schaffen, und irgendwann kam der Tag, an dem sie verkauft werden sollte. Doch Sohn Steve wollte das Schiff in der Familie behalten, wurde der neue Eigner und krempelte es für die Nutzung als Küstenkreuzer deutlich um.

Begonnen haben die Arbeiten um die Jahrtausendwende. Und sind bis heute nicht abgeschlossen. Seitdem ist der Winter die Zeit zum Rackern, der Sommer die Zeit zum Segeln, denn „Panope“ blieb auch während des Umbaus einsatzbereit.

Goodwin junior ist ein multidisziplinär talentierter Autodidakt, der sich viele handwerkliche Fertigkeiten als Bootsbauer, Yachtcrew, Baupolier und Metallkünstler aneignete. Schweißen, Tischlerei oder Elektrik beherrscht er im Schlaf. Nebenher werkt er als Systemspezialist in der Cape-George-Werft, wo er auch die eine oder andere Arbeit für seinen Refit von „Panope“ erledigen darf. Goodwin kann allerdings nicht nur Boote, sondern baute auch zwei Häuser und ein Flugzeug, dabei konnte er zu der Zeit noch gar nicht fliegen.

Sobald er den Pilotenschein für kommerzielles Fliegen in der Tasche hatte, gründete er Goodwin Aviation, sein eigenes Luftfahrtunternehmen, mit dem er Rundflüge mit einem Doppeldecker veranstaltete und besonders eilige Passagiere per Taxiflieger zum internationalen Flughafen von Seattle beförderte. Um mit seinem Bootsprojekt, das nebenherlief, flexibel zu bleiben, schweißte Goodwin einen einachsigen Anhänger, der so exakt balanciert ist, dass er nur einen Kleinlastwagen benötigt, um die sieben Tonnen schwere „Panope“ vom Winterlager bei seinem Haus zur Werkstatt und zur Marina zu trailern.

Zuerst ersetzte er den kleinen Schiffsdiesel, den der Vater nachträglich einbauen ließ, durch ein 40-PS-Modell, das für den Einsatz in den Tidengewässern und Stromschnellen der Inside Passage besser geeignet ist. Das nächste Projekt war optisch wie funktional ein radikaler Eingriff: Goodwin opferte das Cockpit „Panopes“ für ein Deckshaus, das er aus Aluminium zusammenschweißte und das den Kajütaufbau achtern verlängerte. Auf zwei Längsbänken finden darin bis zu sechs Personen Platz, komplett wettergeschützt, aber mit Rundumsicht durch große Fensterflächen.

“Panope” kann mit zehn Grad Neigung trockenfallen

Das originale Holzsteuerrad, das sein Vater zimmerte und das die Züge zum Ruderquadranten bewegt, baute Goodwin an Backbord des Niedergangs ein, mit einer Vertiefung für die Speichengriffe. Er habe das Deckshaus nicht „auf Überlebenskampf ausgelegt“, erklärt Goodwin. Der Zweck des Bootes sei vielmehr das Küstensegeln in höheren Breiten, wo es in den Ankerbuchten der Fjorde auch im Sommer kalt und regnerisch sein kann. Komfort war also Trumpf. Dabei würde „Panope“ mit ihrem langen Kiel und der knapp 1,7 Meter langen Alustütze zum Trockenfallen auch im Watt gute Figur machen. Bei Bedarf bolzt Goodwin diese Stütze in einen der ungebrauchten achteren Püttingbeschläge, die noch vom Schonerrigg übrig sind. Auf diese Weise steht das Boot mit etwa zehn Grad Neigung am Strand, womit einerseits dem Komfort an Bord geholfen ist und andererseits Wartungsarbeiten am Unterwasserschiff möglich sind.

Der Fischkutter-Aufbau überdacht den Steuerstand, zum Wohnen geht’s wie üblich einen Stock tieferFoto: YACHT/D. Loibner
Der Fischkutter-Aufbau überdacht den Steuerstand, zum Wohnen geht’s wie üblich einen Stock tiefer

„Innen größer als außen“ lautet eine Floskel zur Beschreibung der Raumverhältnisse von Kompaktautos, doch im übertragenen Sinn gilt sie auch für die wohnliche Kajüte „Panopes“. Von der steilen Niedergangstreppe bis zur selbst entworfenen und gebauten Kompost-Toilette im Bugabteil, die Urin und Fäkalien säuberlich trennt und Geruchsbelästigung verhindert, ist der Wohnraum hauptsächlich in roter Zeder und Eichenholz gehalten und komplett offen gestaltet. Lediglich halbhohe Schotten oder Rahmenschotten trennen Kombüse, Salon und Schlafraum voneinander. Daraus ergibt sich ein luftiges und freundliches Ambiente, Privatsphäre gibt es allerdings so gut wie keine. Insgesamt finden hier bis zu sechs Personen Schlafgelegenheiten, aber für längere Törns wären vier ideal. Die Salonbänke lassen sich mit ein paar Handgriffen zu Kojen umfunktionieren, jene an Steuerbord mit Kojenbrett für die Freiwache bei Nachttörns.

Ebenfalls praktisch ist die Konstruktion des stabilen und variablen Salontisches, der dank eines multidimensionalen und robusten Schwenkarms in jeder beliebigen Position arretiert und so als Schreibtisch, Esstisch oder gar als Werkbank genutzt werden kann.

Der Tender hängt an einem einarmigen Davit

Seit dem Umbau gibt es auch jede Menge leicht zugänglichen Stauraum unter den Kojen, im Bug, seitlich im Maschinenraum oder im Heckbereich. „Wir haben bis zu vier Wasserfahrzeuge auf Törn dabei, und keiner merkt’s“, lacht Goodwin. Da wären ein Stand-up-Paddelboard, ein Schlauchboot, ein Tandemkajak (alle aufblasbar und entsprechend kompakt zu verstauen) und der Walker-Bay-Plastiktender, der an einem einarmigen Davit hängt, der sich im Hafen samt Beiboot um 180 Grad nach vorn schwenken lässt, um die Gesamtlänge zu verkürzen und Liegekosten zu sparen.

Das Dingi lässt sich am Einarm-Davit über das Boot schwenken, das spart LiegegeldFoto: YACHT/D. Loibner
Das Dingi lässt sich am Einarm-Davit über das Boot schwenken, das spart Liegegeld

Trotz allem zusätzlichen Gewicht und Gedöns an Bord: Auch die Segeleigenschaften lagen ihm am Herzen. So entfernte er mit einiger Mühe den größten Teil des alten Betonballasts und etliche Bleibarren aus der Bilge, um mehr Gewicht weiter vorn unterzubringen, damit „Panope“ auf ebenem Kiel schwimmt. Die Bleibarren goss er kurzerhand mit einem provisorischen Ofen in ihre neue Form, um sie exakt in die Ausnehmungen der Bilge einzupassen und mit Epoxid und Glasfaser zu versiegeln, damit sie nicht mit den Aluplatten des Rumpfes in Berührung kommen. „Panopes“ Ballast ist weitgehend betonfrei, vorlicher und tiefer positioniert, sehr zum Wohle der Segeleigenschaften.

Goodwin schweißte sogar noch Decksplatten aus Aluminium, die verirrtes Wasser in einen Abflussbrunnen leiten, von wo es automatisch über Bord gepumpt wird. Beispielhaft auch der Ankerkasten, der genau wie die Ankerhalterung und die manuelle Winsch am Vordeck akribisch geplant und gefertigt ist, damit die Kette sauber in ihren Behälter fällt. Das ist quasi Ehrensache, denn Goodwin betreibt zum Spaß einen informativen Youtube-Kanal, auf dem er die Haltekraft von Ankern unter Zug auf verschiedenem Untergrund testet. Anfangs nutzte er dafür noch „Panope“, bis er sich zu diesem Zweck ein offenes Skiff mit Außenbordmotor anschaffte.

Goodwins Arbeitsweisen sind unorthodox, aber das Ergebnis spricht für sich

Als selbst diagnostizierter Perfektionist wollte Goodwin auch ein sauberes Finish für die Sperrholzoberflächen in der Kajüte ganz ohne Sprühpistole erzielen. Zuerst versiegelte er die Maserung mit Epoxid oder Klarlack und flutete danach das Holz, das flach auf dem Arbeitstisch lag, mit Farbe. Um die Trocknungszeit zu verkürzen, baute er zudem eine provisorische Trockenkammer. Wie vieles an dem Projekt ist auch dieser Vorgang etwas unorthodox, doch das Ergebnis rechtfertigt letztlich die Mittel.

„Panope“ ist keine feingliedrige Diva, sondern eher ein Arbeitsboot, mit kräftigem Beschlagwerk und praktischen Details, die sie sicher und leicht bedienbar machen.

Dass der Kutter dabei auch ein markantcharmantes Äußeres zur Schau trägt, adelt den Eigner, der mit Geschick und Umsicht zu Werke ging. „Ich hatte das Gefühl, dass das vorlicher stehende Rigg dem Aufbau etwas von seiner visuellen Wucht nimmt, und dass das Deck aufgeräumter aussieht“, erklärt Goodwin zum Schluss des Segeltages. „Ich bin zufrieden, einige Dinge sind einfach netter und praktischer“, fügt er noch hinzu und wirft die Leinen los, um zurück zu seinem idyllischen Ankerplatz in Mystery Bay zu tuckern.

Dort kann er die Ruhe genießen und die nächste Baustelle auf dem Boot planen, das sein Vater vor fast einem halben Jahrhundert anschaffte und nach einer kuriosen Riesenmuschel benannte.


“Panope” mehr Arbeitsboot als Yacht

Was heute gelungen aussieht, ist das Ergebnis brachialer Bootsbauer-Grobmotorik. Videos zeigen Goodwin, wie er mit dem Vorschlaghammer die alte (immerhin von seinem Vater gefertigte) Inneneinrichtung demoliert und alles bis auf den Isolierschaum rausreißt, um seine Vorstellungen von Wohnlichkeit auf See umzusetzen. Das war längst nicht alles. Das Achterschiff erhielt ein Deckshaus, steuern kann Goodwin von innen und außen mit demselben Rad. Der Autodidakt wechselte die originale Schoner-Takelung gegen ein Gaffelrigg ohne Bugspriet, um Hafengebühren zu sparen und ein aufgeräumteres Deck mit weniger Bedienelementen zu erhalten. Hinzu kamen ein einarmiger Davit, eine Wattstütze, ein neuer Motor und diverse selbst aus Alu geschweißte Beschläge. Dies und mehr gibt es auf dem sehenswerten Youtube-Kanal des umtriebigen Bastlers:


Technische Daten “Panope”

Foto: privat
  • Typ: Saugeen Witch
  • Konstrukteur: Thomas E. Colvin
  • Material: Aluminium
  • Rumpflänge: 10,36 m
  • Wasserlinienlänge: 8,30 m
  • Breite: 3,02 m
  • Tiefgang: 1,35 m
  • Gewicht: 6,8 t
  • Segelfläche: 61,8 m²
  • Segeltragezahl: 4,1
  • Maschine (Yanmar): 40 PS

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