„Doric”Eine Alu-Yacht, die es so kein zweites Mal gibt

Jan Jepsen

 · 07.05.2023

Die 16,50 Meter lange Yacht ist als Yawl getakelt und weist traditionelle Linien auf
Foto: Jan Jepsen
Die „Doric” im Detail

Die „Doric“ ist eine Alu-Yacht aus dem Jahr 1966. Aufgrund ihres Alters ist sie gleichzeitig ein Klassiker mit interessanter Vorgeschichte

Wolfgang Kalensee war vergleichsweise jung, als er einem Freund im Museumshafen von Rostock beim Aufslippen half, „unmittelbar vor ihrem schönen Löffelbug“, wie er heute sagt. Mit „ihrem“ ist sein jetziges Schiff, die „Doric“, gemeint – ein Design des Amerikaners Bill Tripp jr., schön, markant. Als gelernter Bootsbauer wusste Kalensee genau, worauf er sich einließ. Und konnte besser zwischen Traum und Realität beziehungsweise Realisier- und Restaurierbarkeit unterscheiden als manch anderer, der sich wegen einer Yacht schon um Kopf, Kragen und seinen Kontostand gebracht hatte.

Liebe auf den ersten Blick geht eigentlich anders, gesteht Kalensee. „Der Zustand der Alu-Yacht ‚Doric‘ ließ seinerzeit doch sehr zu wünschen übrig“ – als hätte da jemand seine Aufsichtspflicht schwer bis sträflich vernach­lässigt. Der damalige Eigner kam, anders als er selbst, offenbar eher vom Theoretischen. Äußerlich war die Alu-Yacht noch das geringste Problem. Bei Alu haben Rost und Holz­wurm bekanntlich wenig Chancen; lediglich bei vier Bronzebeschlägen entdeckte der Experte Alufraß, regelrechte „Attacken“. Ansonsten war die Substanz solide – wie für die Ewigkeit gebaut und zeitlos schön.

Eine besondere Alu-Yacht

„So ein Schiff wie die ‚Doric‘ hatte ich bis dahin in Deutschland noch nicht gesehen“: ein Cruiser/Racer mit breiten Laufdecks, langen Überhängen, einem ergonomischen, fast futuristisch anmutenden Aufbau. Die Yawl wurde 1966 von Abeking & Rasmussen bei Bremen als Regattayacht für den Amerikaner Stanley Tannanbaum gebaut. „Das zweite Schiff überhaupt“, fügt Kalensee hinzu, „das bei A&R aus Aluminium entstand.“ Nummer 1 war die „Germania VI“ für Gustav Krupp gewesen.


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Einen Winter später nach dem ersten Rendezvous lag die Alu-Yacht „Doric“ noch immer im Rostocker Museumshafen. Mittlerweile nicht mehr hoch und trocken, fährt der heutige Eigner fort. Sie war ihm zwar aus den Augen, aber nie ganz aus dem Sinn gekommen. Der Freund hatte sein Boot abgeslippt und war an der „Doric“ längsseits gegangen. Kalensee half beim Verlegen eines neuen Teakdecks und musste täglich ein paarmal über das Schiff klettern. Wie jemand, der so nach und nach seinen Claim absteckt: 16,50 Meter über Deck, 18 Meter gesamt. 4,20 Meter breit. 2,50 Meter tief. Knapp 20 Meter hoch. Jeder Gang über das großflächige Deck weckte Begehrlichkeiten beim Bootsbauer.

„Und eine Dosis Mitleid“, gesteht Kalensee. Fragen kann man ja, dachte er und rief den Eigner an. Ob er sich das Schiff mal unter Deck ansehen könne? Konnte er. Sogar allein. Was er dann im Inneren der Yacht antraf, hätte jeden vernünftigen Menschen auf der Hacke kehrtmachen lassen.

Die „Doric” war in keinem guten Zustand

„Das sah doch alles eher nach Nahtod bis Koma denn nach Dornröschenschlaf aus.“ Meinte: Mit einem Kuss war es nicht getan. „Eine einzige Baustelle“, erinnert sich Kalensee und beschreibt eine Geisterbahn. „Total grottig. Ich bin fast durch die Bodenbretter gefallen.“

Die Kabel hingen wie Kraut von der Decke und aus irgendwelchen Schächten, alles auf 110 Volt ausgelegt. „Tropfsteinhölle, Schweinestall, Treibhaus für alle möglichen Keime“, fasst der Mann vom Fach zusammen. Auf manchen Seeventilen steckte nur ein armlanger, abgeschnittener Schlauch. Wenn man dagegengekommen wäre, wäre das Schiff sofort abgesoffen – seine größte Sorge während der Begehung.

Dadurch, dass ich allein an Bord war, ohne Marktgeschrei des Verkäufers, konnte ich das Schiff in Ruhe auf mich wirken lassen. Auch wenn alles ziemlich verwarzt war – mir gefiel die Aufteilung. Da war alles durchdacht.“ Im Niedergang war der ganze Servicebereich sehr zentral auf zwei Quadratmetern angesiedelt. Pantry, Kartentisch und Toilette: alles in Rufweite zum Cockpit und mit ordentlich Stehhöhe. Dann die geräumige Eignerkabine, Navigator- oder Lotsen­koje, das durch ein Flutschott separierbare Vorschiff. Und vor allem das große, seetüchtige Cockpit.

Viele Baustellen an Bord der Alu-Yacht

Auf der Alu-Yacht befand sich außerdem ein Austauschmotor von Mercedes, allerdings auf harten Füßen mit Schaltknüppel am Getriebe, noch nicht richtig marinisiert. „Hätte man den so in Betrieb genommen“, sagt Kalensee, „hätte er das Schiff vermutlich in Stücke geschüttelt.“ Und fast schlimmer noch: Bei näherer Inspektion entdeckte er an der Seite einen Wasserstreifen und rätselte – war nur der Motor in seinem früheren Leben oder das ganze Schiff schon bis zur unschönen Markierung unter Wasser gewesen? Aber da war es um den künftigen Eigner bereits geschehen.

Ein Privileg der Jugend ist die Unvernunft und dass die Träume noch höher fliegen als sonst und ergo den Verstand aus­hebeln können. Heute, gut 15 Jahre und et­liche Törns später, würde er sich solche Li­ai­son dreimal überlegen, räsoniert der Boots­bauer; damals konnte ihn das nicht schrecken. „Außerdem hatte ich doch deutlich mehr Energie für so ein Projekt“, fügt Kalensee lapidar hinzu.

Es folgte ein zweiter Anruf beim Eigner. Die Geld- und Gretchenfrage stand an. Kalensee wollte in Erfahrung bringen, ob womöglich eine schnöde Zahl einen Strich durch alle Träumerei machen würde. Am Ende kann man noch so wild entschlossen, Idealist, Fachmann, ambitioniert und alles zusammen sein, angesichts der Preisvorstellung mancher Eigner lässt sich nur kapitu­lieren. Oder man setzt auf die Zeit. Genau das war dann auch der Fall.

Die Alu-Yacht wurde zum Restaurations-Projekt

Die „Doric“ dümpelte und dämmerte im Museumshafen Rostock vor sich hin, vollkommen verwaist. Noch einen Winter später, 2005, klingelte dann plötzlich Kalensees Telefon, der Eigner war dran. Ob man sich nicht mal treffen wolle. Wollte man, natürlich. Der Deal kam zustande.

„Ab da war jeder Tag ein Abenteuer“, fasst der neue Eigner der Alu-Yacht „Doric“ die Restaurierung zusammen. Mit dem Kaufvertrag kam eine Menge Arbeit. Als Erstes tat der frisch­gebackene Besitzer das, was man normalerweise nie bei einer Yacht machen würde: Er ging mit einem Hochdruckreiniger übers Deck. „Damit“, sagt er fast schelmisch, „hatte sich der Wert des Schiffs schon am ersten Tag gefühlt verdoppelt.“ Erfreulich war auch, dass alle Winschen neu waren.

Jungfernfahrt war dann im Dezember 2005. „Mit Glatteis über die Ostsee gen Nord­ostseekanal“, ohne Heizung, versteht sich; trotzdem eine Supertour. Nach letzten Arbeiten im Salon und der Pantry im Stil der Sechziger konnte 2006 die erste Saison durchgesegelt werden, weitgehend problemlos. Es folgten mehr positive als negative Überraschungen. Der stolze Eigner konnte sich davon überzeugen, dass die Segeleigenschaften der „Doric“ über alles erhaben waren. Trotz der Größe war das Schiff behände, weil leicht. Der behutsam bananenhafte Sprung im Deck und die voluminösen Überhänge brachten Auftrieb und ließen das Schiff trocken segeln, wie für den Tanz auf den Wellen der Ozeane gebaut. Trotz der Regattaambi­tion des Ersteigners ist die „Doric“ durchaus komfortabel ausgestattet. Und die Resopal-Pantry kann man wohl als Alleinstellungsmerkmal dieses Klassikers bezeichnen.

Tripps Design setzte Maßstäbe

Der Konstrukteur Bill Tripp jr. war in den sechziger Jahren einer der gefeiertsten Yachtkonstrukteure der USA. Er ist heute in Vergessenheit geraten – zu Unrecht, wie Kalensee findet. Der Mann brannte für seinen Beruf und wusste, was er tat. Als Pionier erster Glasfaserkonstruktionen trug er erheblich dazu bei, einen Paradigmenwechsel in Sachen Bootsbau einzuleiten: die Kosten für Schiffe zu senken und die Popularität des Segelns zu steigern. 1920 auf Long Island geboren, soll er bereits als Jugendlicher begonnen haben, Boote zu zeichnen. Später ging Tripp zwei Jahre bei Philip Rhodes in die Lehre. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs diente er in der Offshore Patrol, die mittels privater Yachten im Winter auf dem Nordatlantik nach deutschen U-Booten suchen sollte.

Nach Kriegsende setzte Bill Tripp seine Ausbildung beim zweiten großen Designbüro jener Jahre fort: Sparkman & Stephens. 1952 machte er sich schließlich mit Bill Campbell selbstständig. Bis zu diesem Punkt waren seine Boote durchweg aus Holz gebaut; der Werkstoff Glasfaser wurde noch mit viel Misstrauen betrachtet. Tripp erkannte das Potenzial und fing an zu experimentieren, indem er Laminatplatten dem etwas anderen Elchtest unterzog. Wenn das Paneel unter den Reifen dem Gewicht seines Jaguars ein paar Mal standhalten konnte, hatte es die erste Bewährungs­probe bestanden!

Der Konstrukteur bekommt viele Aufträge

Solche und ähnliche Experimente gaben ihm 1956 genug Selbstvertrauen, um Pläne für eine 40 Fuß lange Yawl aus GFK für ein Rennen unter der CCA-Regel (Cruising Club of America) umzusetzen. Die Yacht vom Typ Block Island entstand. Nur zwei Jahre später bekam er von der renommierten Henry Hinckley Company aus Maine den Auftrag, eine modifizierte Version der Block Island zu entwerfen. Tripp nahm einige Verbesserungen vor, und die Bermuda 40 war geboren. Gut 60 Jahre später sind die seetüchtigen Fahrten­yachten bei Blauwasserseglern so beliebt wie eh und je, sie erreichen bis heute höhere Preis als jede andere Yacht ihres Alters in der Klasse. Dieses Layout gilt vielen als das schönste Schiff der frühen Glasfaser-Ära.

Aber Tripp konnte nicht nur bei ozeantüchtigen Fahrtyachten punkten, er reüssierte auch auf den Regattastrecken. Einer seiner frühen Entwürfe war eine 48 Fuß lange Slup mit Flushdeck, die bei Abeking & Rasmussen gebaut wurde. Das Schiff namens „Touche“ stellte beim 184-Meilen-Rennen von Miami nach Nassau einen Streckenrekord auf, was Tripp weithin bekannt machte und ihm viele Aufträge für neue Boote einbrachte. Im Laufe seiner Karriere wurde er ein echter Herausforderer der jahrzehntelangen Dominanz von Philip Rhodes und Olin Stephens. Tripp zeichnete fortan erfolgreiche Ocean Racer für eine arrivierte Klientel und wurde Chefkonstrukteur bei Columbia Yachts. Sein Leben endete jäh und früh. Er starb 1971 im Alter von nur 51 Jahren, weil ein betrunkener Fahrer frontal mit seinem Jaguar kollidierte. Sein Vermächtnis ist eine lange Liste bemerkenswert schöner und seetüchtiger Schiffe. Die „Doric“ ist ein erhabenes Beispiel davon – ein echter Klassiker.

Es fehlt die Abwechslung

Auch Wolfgang Kalensee ist dieser Meinung. Allerdings distanziert er sich mit seiner Alu-Yacht „Doric“ meistens von der hiesigen Szene; die sei nicht so sein Ding, erklärt er: „Die Buntheit ist weg, verglichen mit den ersten Veteranenregatten, als noch abgefiedelte Schiffe mit irgendwelchen Hippies drauf dabei waren. Da wusste man, die gehen nächste Woche wieder auf Weltumsegelung. Oder probieren es wenigstens, auch wenn sie nur bis zur Biskaya kommen. Das war denen egal. Heute ist es zum größten Teil der Geldbeutel, der die Klassikerszene übernommen hat“, bedauert Kalensee. Aus seiner Sicht als Bootsbauer, sollte man vielleicht fairerweise hinzufügen.

Der eine investiert Zeit und Knowhow, der andere Geld und Erbe in seine Yacht. Liebe allein reicht da oft nicht, leider. Sonst ergeht es einem Schiff wie Tripps wohl unfreiwillig berühmt-berüchtigtstem Entwurf, der seit Jahren in der Karibik vergeblich zum Verkauf angeboten wird: die ehemalige „Wappen von Bremen“, die als „Apollonia“ in die Annalen des Yachtsports einging. Auf ihr ereignete sich seinerzeit während einer Atlantiküberquerung ein Doppelmord, der in Klaus Hympendahls „Logbuch der Angst“ nachzulesen ist.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt: Wer kein potenzielles Geisterschiff und lieber einen modernen Tripp kaufen will, kann sich bei Bill Tripps gleichnamigem Sohn ein Schiff im Segment der Superyachten zeichnen lassen. Über den Sohn schreibt der Biograf Ted Jones, er sei zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters zu jung gewesen, um zu verstehen, was dessen Konstruktionen so besonders gemacht hatte. Und dennoch überträfe der Sohn seinen Vater auf dessen Spezialgebiet.

Bill Tripp zeichnet heute Maxis und Megayachten (unter anderem für Baltic Yachts und Michael Schmidt Yachtbau in Greifswald), von denen sein Vater noch nicht mal träumen konnte. Ob die auch wie die „Doric“, die Bermuda 40, die Fastnet 45 von Lecomte, die Columbia 50, die „Ondine“ oder etliche andere One-off-Entwürfe des Vaters das Potenzial zum Klassiker haben, muss sich aber erst noch erweisen.

Dieser Artikel erschien zuerst in YACHT 25-26/2020 und wurde für diese Online-Version überarbeitet.


Technische Daten „Doric“

Foto: Jan Jepsen 2019
  • Werft: Abeking & Rasmussen
  • Konstrukteur: Bill Tripp jr.
  • Material: Aluminium
  • Rumpflänge: 16,50 m
  • Wasserlinienlänge: 11,00 m
  • Breite: 4,20 m
  • Tiefgang: 2,50 m
  • Gewicht: 20,0 t
  • Segelfläche: 120 m²
  • Motor: 88 PS