Hauke Schmidt
· 13.05.2023
Der extreme Leichtbau „Shogun 50” verbindet spektakuläre Segeleigenschaften und Optik mit exquisiter Verarbeitung. Eine Fahrtenyacht der Extraklasse
Eigentlich passt nichts: der Flieger verspätet, kaum Wind, dazu eine Wettervorhersage, die acht Grad Lufttemperatur und kräftigen Dauerregen prophezeit – aber dann dieses Boot, das sofort jedwede widrigen Umstände in den Hintergrund treten lässt. Schon am Liegeplatz ist die Shogun ein Biest: aggressive, zugleich aber elegant fließende Linien, selbst das Teakdeck folgt der Rumpfkontur. Und erst der negative Steven mit den markanten Sprayrails, der genau den Winkel des Vorstags fortführt. Dazu noch der ausfahrbare Gennakerrüssel – kaum zu glauben, dass dieses Geschoss von der schwedischen Rosättra Båtvarv gebaut wurde. Deren Typen namens Linjetts liegen direkt daneben. Sie gelten zwar nicht als langsam, stehen aber für gediegene Cruiser in zeitlosem Design und höchster Verarbeitungsqualität statt für radikale Optik und konsequenten Leichtbau.
Die Fahrtenyacht Shogun 50 ist der krasse Gegenentwurf. Der 50-Fußer aus Vollcarbon wiegt trotz Hubkiel gerade einmal 7,8 Tonnen. Das sind fast 500 Kilogramm weniger, als eine Club-Swan 50 auf die Waage bringt. Dem finnischen Edelracer ähnelt die Shogun nicht von ungefähr. Eigner und Initiator Mats Bergryd hatte ursprünglich den ersten Schwan in Finnland bestellt. Der enorme Tiefgang der Swan schränkte das Segeln in den Stockholmer Schären aber stark ein. Außerdem erwies sich das auf große Crews ausgelegte Konzept für ihn als unpraktisch. „Mats wollte nicht immer eine Fußballmannschaft anrufen müssen, um segeln zu gehen“, so Shogun-Konstrukteur Håkan Södergren, der mit dem Eigner befreundet ist und den Auftrag für das Boot bei einem gemeinsamen Mittagessen an Land ziehen konnte.
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Die Anforderungen waren klar: genauso schnell und edel wie die Swan, aber weniger Tiefgang. Außerdem sollte sich das Boot von einer Familiencrew beherrschen lassen, zugleich regattatauglich sein und ein behagliches Interieur besitzen.
Eine ambitionierte Aufgabe für das Vater- Sohn-Gespann Håkan und Oscar Södergren. Die Reihe der von ihnen an Bord geholten Spezialisten liest sich wie das Who’s who des schwedischen Hightech-Bootsbaus. Die Berechnung des Laminats und das Fräsen des Schaumkerns übernahm der Sandwichmaterial-Produzent Diab. Die Negativformen wurden bei Macromould gefräst. Hubkiel, Rigg und Ruder stammen vom
Carbon-Experten Marström Composite und sind bei sechs Bar Überdruck im Autoklaven gebacken. Das Knowhow für die Epoxid-Vakuum-Infusion liefert Vaxholm Composite. Zwar werden auch die Rümpfe der Linjetts seit fünf Jahren mit Vinylesterharz im Infusionsverfahren gebaut, ein superleichtes Kohlefaser-Epoxid-Sandwich erfordert aber mehr Erfahrung. Zusammen mit den Bootsbauern der Rosättra-Werft ergab sich also eine sehr kompetente und effiziente Allianz. Von der ersten Skizze bis zum fertigen Boot vergingen gerade einmal 18 Monate.
Zurück an Bord der Fahrtenyacht: Drohend stauen sich die grauen Wolken über der Ålandsee. Noch verspricht das Wetterradar ein, zwei trockene Stunden, bevor der Dauerregen einsetzen soll. Kurze Orientierung im riesigen Cockpit, dann geht es los. Gekonnt manövriert Designer Södergren die Shogun aus der Box. Er hat das Boot als Einziger der Crew schon unter Segeln erlebt.
Bei der ORCi-Weltmeisterschaft vor Oxelösund hat die Shogun mit der Eignercrew bereits ihr erstes Rennen gewonnen. Aber selbst Werftchef Markus Gustafsson und Projektleiter Daniel Gustafsson waren noch nicht mit ihr unterwegs.
Unter Motor geht es den engen Vätö-sund hinaus, dann kann endlich gesegelt werden. Per Knopfdruck gleitet der Kiel hinab, statt hafenfreundlicher zwei Meter reicht die massive Carbonflosse nun ganze 3,5 Meter nach unten. Der nächste Knopf lässt das gewaltige mattschwarze Großsegel den Mast emporklettern. Das Kohlefaserrohr steht hinter dem Kiel, wodurch ein ungewohnt großes Vorsegeldreieck entsteht. „So können wir eine Selbstwendefock mit 60 Quadratmeter Fläche fahren und das Boot auch mit kleiner Crew bequem segeln“, erklärt der Designer.
Wobei der Begriff bequem relativ ist. Das Cockpitlayout ist das eines Racers mit dezidierten Arbeitsplätzen für die Trimmer. Wer nicht alle Positionen bemannen kann und trotzdem mehr als Kaffeesegeln will, muss sich viel bewegen und oft dem Autopiloten das Ruder überlassen. Zudem sollten E-Winschen an Bord sein. Eigner Bergryd hat nur die Fallwinschen elektrifiziert, Groß- und Genuaschot sowie Backstagen werden über Viergang-Winden von Karver getrimmt. Das spart Gewicht, erfordert aber auch deutlich mehr Körpereinsatz.
Gleiches gilt für die Fock. Sie wird nicht gerollt, sondern mit Gurtband-Stagreitern gesetzt. Ab 20 Knoten kann auf eine Kutterfock gewechselt werden, die samt Rollanlage fliegend gesetzt wird. Auffällig sind die kaum acht Millimeter dünnen Fallen. Alle Segel sind mit Schlössern ausgerüstet, sodass die Leinen nur wenig tragen müssen. Einmal vorgeheißt, rastet das Schloss am Mast ein. Getrimmt wird die Fallspannung anschließend vom Steuerstand aus über hydraulische Cunnigham-Systeme von Reckmann. Ins Instrumentensystem integrierte Lastsensoren liefern die nötige Rückmeldung.
Schon mit Groß und Fock wird deutlich, wie agil die Shogun segelt. Obwohl kaum mehr als acht Knoten Wind wehen, zeigt die Logge raumschots rund 7 Knoten. Die Doppelruderanlage reagiert sehr direkt, was auch an den vergleichsweise großen Blättern liegt.
Durch die weit nach achtern verlegte Mastposition wandert auch der Segeldruckpunkt Richtung Heck, und die Ruderanlage muss einen größeren Anteil der Lateralfläche liefern. „Wir haben ein gutmütiges Profil gewählt. Dadurch erzeugen die Blätter mehr Wirkung, und die Strömung reißt selbst bei extremen Bedingungen nicht ab“, erläutert Södergren das Setup.
Schlecht sind 7 Knoten zwar nicht, in der Shogun steckt aber wesentlich mehr Potenzial. Eigentlich wäre ein Gennaker angebracht. Angesichts des schmalen Schärenfahrwassers, der Wetterentwicklung mit einsetzenden Böen und der Crewstärke von nur fünf Personen mahnt der Konstrukteur aber zu Vorsicht. Das Tuch misst immerhin 230 Quadratmeter und hat die Vorschiffsmannschaft beim letzten Bergen fast über Bord gezogen. So viel zum Thema Familiencrew.
Stattdessen schlagen wir den 145 Quadratmeter großen Code Zero an. Der verdoppelt die Segelfläche, lässt sich notfalls aber vergleichsweise einfach wegrollen. Kaum ist das Segel eingetrimmt, zeigt die Shogun, was in ihr steckt – wobei vor allem die zusätzliche Krängung spürbar ist. Der schlanke Rumpf und die schmale Wasserlinie bieten recht wenig Anfangsstabilität. Erst wenn die Lage zunimmt, zeigt die 3,5 Tonnen schwere Kielbombe Wirkung. Die Logge relativiert die unspektakuläre Empfindung, sie meldet fortan zweistellige Werte.
Dann schickt die näherrückende Wolkenfront erste Böen. Die Shogun holt kurz ein paar Grad über, der Wind scheint kräftig zu schralen, und feine Gischtnebel steigen am Bug empor. Ein Blick zur Logge: 13, 14, 15 Knoten – dann ist der Drücker durch. Sofort geht der Blick nach Luv – kommt da noch mehr? Richtig, auf dem Wasser rutscht der nächste dunkle Fleck heran. Diesmal sind alle vorgewarnt und trimmen sofort nach. Mit Erfolg: die Logge schnellt nach oben – 14, 15, 16, 16,5 Knoten, das war’s.
Nach weiteren fünf Minuten sitzt die Übung, und die Crew ist im Endorphinrausch. Der Blick zur Logge wird überflüssig. Sobald die feine Gischtfahne in Luv über den Steven weht, geht es mit mehr als 16 Knoten voran. Kaum vorstellbar, welches Feuerwerk die Shogun unter Gennaker zünden muss. Dann kommt der Regen und mit ihm die Flaute. Die Rückkreuz zur Werft wird nass, kalt und vergleichsweise zäh. Viel mehr als
7 Knoten sind nicht mehr drin, dafür ist die Höhe spektakulär: Gefühlt zeigt der Windex direkt nach vorn. 38 Grad wahren Windeinfall meldet das elektronische Messinstrument, der scheinbare Wert liegt um 19 Grad.
Gerade bei Leichtwind spielt die Shogun ihre schlanken Linien und das geringe Gewicht aus. Langsam kriecht die Kälte unters nasse Ölzeug. Gut, dass die Dieselheizung bereits läuft und unter Deck kein nackter Racer wartet. Ganz im Gegenteil, das Interieur mutet überaus wohnlich an. Das Baumaterial tritt nur in Form des Kielkastens und als Designelement zutage. Schotten, Fronten und Bodenbretter sind mit heller Eiche furniert, und selbst die Türrahmen erwecken den Eindruck, aus massivem Holz zu bestehen.
Dabei verbergen sich hinter allen Baugruppen Schaumkerne mit hauchdünnen Kohlefaserschichten. Einen großen Anteil an der heimeligen Anmutung haben die Deckenpaneele, die nicht nur für eine angenehme Akustik sorgen, sondern auch mit extrem kleinen und gleichmäßigen Spaltmaßen aufwarten. Dahinter steckt mehr als nur die fachkundige Hand der Bootsbauer: Die Fahrtenyacht wurde bis in letzte Detail am Rechner entworfen. Mit den ermittelten Daten wurden anschließend aufwändig Negativformen für sämtliche Bauteile und Verkleidungen gefräst.
Allein in das sogenannte Engineering, sprich die Umsetzbarkeit der Design-Lösungen, hat Oscar Södergren ungefähr 1500 Arbeitsstunden investiert. Anschließend folgten der Formenbau und die Vakuum-Infusion der Carbonbauteile. Lohn der Mühe: Selbst komplizierte Elemente weisen ein perfektes Finish auf, ohne dass ein Gramm Spachtel nötig gewesen wäre.
„Eine Herausforderung waren die großen Sichtcarbon-Teile für Bad, Navigation und speziell in der Pantry“, sagt Projektleiter Daniel Gustafson. Die klare Oberfläche wirkt geradezu wie eine Lupe, die schon die geringste Unregelmäßigkeit im Faserverlauf ans Licht bringt.
Beim Layout des Interieurs hatte Bergryd seine eigenen Vorstellungen. Damit sich das Boot gut für Langstreckenregatten nutzen lässt, wie das ÅF Offshore Race oder die Caribbean 600, gibt es keinen klassischen Salon. Stattdessen befindet sich am Niedergang ein großer Arbeitsbereich, in dem Segel gestaut und zum Wechseln vorbereitet werden können. Außerdem sind dort die Navigationszentrale und ein Ölzeugschrank untergebracht. Richtung Bug schließt der solide Kielkasten an, der gleichzeitig Bad und Pantry trennt. Seekojen gibt es keine, da die Freiwache im Regattamodus auf der hohen Kante schläft.
Der eigentliche Wohnbereich verteilt sich auf die beiden symmetrischen Achterkammern, die gemessen an der Schiffsgröße eher knapp ausfallen, und das Vorschiff. Dort findet sich allerdings keine echte Eignerkammer, sondern ein großes U-Sofa mit Platz für sechs Personen. Durch den weit nach vorn gezogenen Aufbau und die Decksluken ist es trotz des wolkenverhangenen Himmels angenehm hell.
Trotzdem ist das Layout mit dem zum Bug verlagerten Salon speziell. Für potenzielle Eigner, die mehr Privatsphäre wünschen, hat Södergren daher gleich eine Variante mit konventioneller Aufteilung und separater Vorschiffskammer gezeichnet.
Derzeit ist die Shogun 50 ein Einzelstück. Die Bauweise in Negativformen hat aber das Potenzial zur Kleinserie. Damit würde sich auch der Bauaufwand relativieren. Laut Daniel Gustafsson stecken rund 11 000 Stunden in der Fahrtenyacht, wohlgemerkt ohne den Formenbau. Die nächste Baunummer ließe sich nach seiner Schätzung mit etwa 7500 Stunden fertigstellen. Rund 1,5 Millionen Euro muss ein Eigner für die Shogun 50 anlegen. Damit liegt sie etwa auf dem Niveau einer ClubSwan 50, bietet aber variablen Tiefgang und ist deutlich stärker individualisierbar als die finnische Einheitsklasse.
Dieser Artikel erschien zuerst in YACHT 2/2020 und wurde für diese Online-Version überarbeitet.