Jochen Rieker
· 09.04.2023
Die perfekte Fahrtenyacht ist eine Illusion. Die Hallberg-Rassy 400 kommt einem Traumschiff aber ziemlich nah. Was es kann, wo es hakt. Annäherung an ein Meisterstück schwedischen Bootsbaus
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Hier die Orientierung zu verlieren fällt leicht. Graubraune Granitfelsen, wohin man schaut, manche so dicht hintereinander gestaffelt, dass sie wie eine einzige Insel erscheinen. Die tückischsten aber bleiben dem Auge verborgen; sie lauern nur ein paar Handbreit unterhalb der Wasseroberfläche. Gut also, dass in der Plicht gleich drei Kartenplotter Standort und Kurs anzeigen; zwei davon sind bündig in die Steuersäulen integriert, einer steht hinter der festen Windschutzscheibe, damit auch die Crew stets den Überblick behält.
Durch das Felsenlabyrinth des westschwedischen Schärengartens zu finden sollte damit kein Problem sein – zumal mit Magnus Rassy ein Revierkenner an Bord ist, der notfalls auch mit verbundenen Augen einen Kurs an den versprengten Gesteinsformationen vorbei finden würde. Dennoch fährt auf den ersten Meilen vom Werfthafen auf Orust ins offene Skagerrak hinaus eine gewisse Anspannung mit.
Sie hat mit dem Boot zu tun, das nur ein paar Tage zuvor zu Wasser gegangen ist, und seiner nicht geringen Bedeutung. Auf die Hallberg-Rassy 400 haben viele Interessenten gewartet, damals bei ihrer Präsentation im Sommer 2021. Weil sie für Küsten- wie für Langfahrt gleichermaßen geeignet ist; eine, die sich den Bedürfnissen kleiner wie größerer Crews anpassen lässt. Das Schweizer Offiziersmesser im Programm der Traditionswerft, wenn man so will: eine für fast alle – jedenfalls all jene, die den Gegenwert eines Einfamilienhäuschens erübrigen können.
Um die HR 400 bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt auf der Messe in Ellös im Neuzustand zu präsentieren, wurde die Baunummer 1 gleich nach dem YACHT-Test im Juli 2021 wieder gekrant und in die Halle geschoben, damit der goldgelbe Farbton des makellos verlegten Teakstabdecks nur ja nicht vorzeitig vergraut. Undenkbar also die Vorstellung, wegen einer navigatorischen Unaufmerksamkeit die eigentliche Premiere zu gefährden.
Die latente Nervosität an Bord hat noch einen anderen Grund. Trotz hochsommerlich-heißer Temperaturen und wolkenlosem Himmel weht es frisch aus Nordost. Gut 5, in Böen vereinzelt auch 6 Beaufort jagen die sanft gerundeten Felsen hinab aufs tiefblaue Meer. Genug, um das Boot gleich beim ersten echten Probeschlag ernsthaft zu fordern – und es in Windeseile deutlich über Rumpfgeschwindigkeit zu beschleunigen.
Gut 95 Quadratmeter Segelfläche trägt die Rassy schon in der Standard-Ausführung; mit den als Extra angebotenen Membransegeln von Elvstrøm kommt sie auf fast 100 Quadratmeter, selbst mit Rollmast. Ihre Segeltragezahl von 4,4 ist für ein reines Fahrtenboot üppig, sie entspricht jener der vergleichbar großen X 4.0 von X-Yachts. Und so energisch tritt die Schwedin auch an.
Hart am Wind erreicht sie ohne Mühe an die 7, halbwinds stets mehr als 8 Knoten durchs Wasser. Obwohl Gennaker und Code Zero noch im Fundus fehlen und der ablandige Wind kaum Welle produziert, die sich zum Angleiten nutzen ließe, rutscht sie raumschots im Mittel auf 9, in der Spitze gar auf bis zu 11 Knoten. Ein starkes Debüt.
Auf der Kreuz zurück von der offenen See in die geschützten Außenschären offenbart sie eine weitere Tugend: Ihre beste Geschwindigkeit nach Luv macht sie bei Wendewinkeln von deutlich unter 90 Grad; auf flachem Wasser lässt sie sich bis auf 40 Grad am wahren Wind führen, ohne nennenswert an Fahrt zu verlieren. Gilt es also, eine Bö zu parieren oder eine Huk so eben noch anzuliegen, lässt sich mit der Rassy, deren Rumpf vom Mittelcockpitmodell 40C stammt, gut Höhe kneifen.
Noch mehr Spaß bereitet es, sie auf etwas tieferen Kursen von der Leine zu lassen. So hurtig rauscht sie dann an den Schären und an den Sommerfrischlern vorbei, die auf Urlaubstörn meist nur die Genua ausgerollt haben, dass in den engeren Fahrwassern Aufmerksamkeit gefordert ist – umso mehr, als zwischen den Inseln der Wind häufig abrupt um 20, 30 Grad dreht.
Doch die Rassy verhält sich ungeachtet ihres Tempos und Temperaments selbst dann vertrauenerweckend gelassen. Hat sie einmal um die 20 Grad Krängung erreicht, braucht es schon einiges, um sie weiter auf die Seite zu legen. So lebendig sie auf Druckzunahme reagiert und an Geschwindigkeit gewinnt, so stoisch pariert sie Böen. Das liegt zum einen an ihrer hohen Steifigkeit, die sie aus 33 Prozent Ballastanteil und der Stabilität ihrer breiten Spantform bezieht. Es ist aber auch ein Verdienst der vollkardanischen, absolut spielfreien Steuerung und der Doppelruder.
Konstrukteur Germán Frers hat die Quadranten sehr weit achtern und relativ weit außen platziert. Der Vorteil dieser Anordnung ist, dass die Ruderblätter selbst bei Lage ein hohes Maß an Kontrolle bieten. Dann bleibt das leewärtige Blatt hydrodynamisch voll wirksam, während der Widerstand des Ruders in Luv vernachlässigbar klein wird, sobald es austaucht.
Wie gut das funktioniert, verdeutlicht ein Blick auf die Ruderlage-Anzeige des Autopiloten. Selbst mit vollem Groß und voller Genua lässt sich die HR 400 nahe ihrer Reffgrenze mit minimalen Ausschlägen auf Kurs halten; mehr als 3 bis 4 Grad Ruderlage sind allenfalls in Böen nötig. Und wenn sie ihren Grenzbereich doch erreicht, dann nicht gefolgt von einem jähen Sonnenschuss, sondern von einem weichen Anluven, das sich rechtzeitig andeutet und meist vom Rudergänger selbst pariert werden kann. Das schafft schnell Vertrauen.
Wer will, kann sich an Schoten und Fallen austoben. Das Cockpitlayout mit den zwei Winschpaaren auf den Sülls und den großen Tauwerkkästen hinter den Stoppern auf beiden Seiten ermöglicht aktives Trimmen. Auch von den Steuerständen kommt man gut an die Genua- und – leicht vorgebeugt – an die Großschot.
Nur der Traveller lässt sich nicht ohne Weiteres loswerfen, weil er durch eine Hebelklemme läuft. Am Testboot hakte damals zudem der Schotwagen auf der vor der Windschutzscheibe verbolzten Travellerschiene; ein Mangel infolge zu hoher Fertigungstoleranzen oder zu knapper Dimensionierung. Er wird umgehend behoben, versichert Magnus Rassy.
Ansonsten ist die Plicht nahezu idealtypisch gestaltet. Vor allem der Rudergänger findet perfekte Positionen vor. Weil das Süll bis nach achtern auf gleicher Höhe durchläuft, wirkt das Boot von der Seite zwar etwas wuchtig. Dafür kann man sich hier im Stehen gut anlehnen und mit dem Oberschenkel seitlich abstützen; wer auf den Bänken hinterm Rad sitzen mag, hat sogar eine Armauflage. Hochklappbare Podeste sorgen bei Lage für sicheren Stand. Das geteilte und gut übersetzte Achterstag stört beim Sitzen auf der hohen Kante kaum, im Stehen gar nicht.
Etwas verwunderlich ist nur, dass in der Luxusklasse selbstverständliche Positionen wie Cockpittisch, Badeplattform und Außendusche extra kosten. Unverständlich auch, warum die Genuaschienen eine Handbreit zu kurz sind, um das Vorsegel im Achterliek öffnen zu können und warum die Niro-Podeste für die Umlenkung der Genuaschot nicht geschlossen, sondern zum Cockpit hin offen sind, sodass man dort mit dem Fuß hängenbleiben kann. Es sind gleichwohl die einzigen Kritikpunkte in einem Wertungskapitel, in dem die Rassy ansonsten durchweg überzeugt.
Substanziell ist sie ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Das verdeutlicht allein schon die aufwändige Kielkonstruktion. Ihr Ballast ist wie eh und je aus Blei gegossen, das die Aufprallenergie durch Verformung besser absorbiert als das im Serienbootsbau heute aus Kostengründen übliche Gusseisen. Und der Kiel ist auch nicht direkt unter den Rumpf gebolzt; er hängt an einem tiefen GFK-Stummel mit Rezess, der die Kräfte besser verteilt und die Hebelwirkung verringert.
„Bisher ist, so weit wir wissen, noch nie eine Hallberg-Rassy infolge einer Grundberührung verloren gegangen“, sagt der Werftchef. Weil er will, dass das so bleibt, geht er in dem Punkt keine Kompromisse ein. Selbst der kleine, von außen zugängliche Bronze-Bolzen, über den sich beim Einwintern die Bilge lenzen lässt, ist bis heute an jedem Boot zu finden. Ein Beleg dafür, dass die Werft allen Veränderungen zum Trotz in vielem ihren Standards treu geblieben ist.
Das gilt auch für die Güte des Ausbaus, auf dem Testboot in Eiche gehalten. Technisch wie optisch erfüllen die Holzarbeiten wie auch die sonstigen Installationen sehr hohe Ansprüche. Darauf gründet, neben Segeleigenschaften und Sicherheit, Hallberg- Rassys weltweit exzellenter Ruf.
Während die HR 400 handwerklich dem Markenimage treu bleibt, wirkt sie formal frischer, offener, zeitgemäßer denn je. Und natürlich profitiert sie enorm von dem Breitenwachstum, das unter Deck ebenso eindrücklich ist wie von außen. Es ermöglicht Optionen, die es im 40-Fuß-Format bisher noch nicht gab in Ellös: mit einer oder zwei Achterkammern, mit einer oder zwei Nasszellen, im Vorschiff mit Inselbett oder mit klassischer V-Koje.
Hier gilt es jedoch, sorgsam zu wählen. Wer etwa auf drei Kabinen nicht verzichten mag, verliert achtern die große Backskiste an Steuerbord und damit auch den Stauraum für eine umfangreiche Langfahrt-Ausrüstung – beim Testboot verblieben insgesamt nur 950 Liter Volumen an Deck. Das ist zu wenig für Dingi, Zusatzsegel, Bordräder und anderes sperriges Gepäck. Unter Deck dagegen gibt es genug Schapps und Schränke.
Verwunderlich: In den Nasszellen und in der Pantry setzt die Werft wie weiland in den achtziger Jahren auf große Schiebetüren. Die erlauben zwar einen guten Zugang zu den dahinter liegenden, erfreulich großen Staufächern, neigten im Test aber so sehr zum Verkanten, dass sie nur mit Gewalt zu bewegen waren. Das ist weder der Qualität des sonstigen Ausbaus angemessen noch dem gehobenen Preisniveau.
Denn natürlich erfordert eine Yacht dieser Rasse und Klasse, gebaut in Schweden, eine erhebliche Investition. Gut 550000 Euro sind es mit Komfortausstattung nach YACHT-Definition, gut 800000 Euro in der getesteten De-luxe-Version mit Bug- und Heckstrahlruder, E-Winschen und ausfahrbarem 40-Zoll-Fernseher. Da erscheinen die meisten Wettbewerber, alle auch aus gutem Haus, fast schon günstig; nur die noch exklusivere Contest 42CS liegt darüber.
Wind: 16 bis 18 kn (4–5 Bft.), Wellenhöhe: ca. 0,3 Meter
Für ein Fahrtenboot gut. Mit flächenoptimiertem Segelsatz auf 4,5 steigerbar
* Dimensionslose Zahl. Berechnung: 2√S/3√V. Je höher der Wert, desto mehr Segelfläche (S) hat das Schiff in Relation zur Verdrängung (V).
Gemessen in Marschfahrt (80 % der Höchstdrehzahl): 6,9 kn, 1900 min -1
Rumpf und Rigg teilt sich die HR 400 mit der 40C, ihrem Schwestermodell mit Mittelcockpit. Sie bietet vergleichbar viel Segelspaß, ist in der Kajütaufteilung aber variabler. Ein faszinierendes Fahrtenboot, das seine fülligen Linien auf See gut zu kaschieren weiß
GFK-Sandwich in Handauflage laminiert, im Kielbereich Volllaminat. Bleikiel an GFK-Stummel. Rahmenspant aus Stahl zur Aufnahme der Riggkräfte
(alle Preise Stand Q3/2021)
Grundpreis ab Werft: 516170 €
Motor, Schoten, Reling, Positionslaternen, Batterie, Kompass, Segel, Segelkleid, Polster, Pantry/Kocher, Lenzpumpe, WC, Anker/Kette, Fender, Festmacher, Feuerlöscher, E-Kühlfach, Fäkalientank mit Absaugung, Antifouling, segelklare Übergabe
Preis segelfertig*: 516170 €
Teak im Cockpit, Bugspriet mit Ankerhalterung, feste Windschutzscheibe, Genua-Rollanlage unter Deck, Bodenbretter mit Echtholz-Furnier
Garantie/gegen Osmose: 2/2 Jahre
* wie die ausgewiesenen Preise definiert sind, finden Sie hier!