Alexander Worms
· 16.04.2023
Diese Fahrtenyacht ist nicht wie jede andere. Entstanden nach den Vorstellungen des Eigners, hat die „Polina Star IV” so manche Eigenarten
Vor Elba im Mittelmeer, 6 Beaufort wahrer Wind und elf Knoten Fahrt durchs Wasser sorgen für kräftiges Pfeifen an Deck. Wellen schäumen. Gut 50 Tonnen Schiff verteilt auf knapp 30 Meter Länge arbeiten mächtig in der blauen See.
In einigen Wellen züngelt Gischt an Deck, die Fahrtenyacht „Polina Star IV“ schiebt ordentlich Lage. Das ungereffte Groß und die Kutterfock stehen wie Bretter. Hier passiert etwas, enorme Kräfte wirken auf den Carbonmast von Hall Spars, der auf dem Kiel steht, und auf den gesamten Rumpf. Das fühlt sich irgendwie gewaltig an. Urgewaltig. Laut. Beeindruckend.
Der nächste Weg führt unter Deck, um aus den Rumpffenstern in Lee einen Blick unter Wasser zu erhaschen. Und die Sensation dort trifft den Besucher völlig unerwartet: Es herrscht völlige Stille. Kein Knarzen oder Klappern, kein Quietschen, kein Rauschen des Wassers außenbords – einfach Ruhe. Entkoppelt wie in einer Raumkapsel, vorangetrieben durch eine scheinbar unbekannte Kraft bewegt diese mächtige Maschine ihre Passagiere durch das Meer. Diese Bewegung jedoch erkennt nur, wer durch besagte Fenster im Rumpf nach draußen blickt, dort das Wasser vorbeirauschen sieht.
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Denn auch die Bewegungen sind hier, im Zentrum der Macht sozusagen, eher ruhig. Nur schief ist alles. Das macht aber nichts, denn der nächste Handgriff ist nicht weit. Überall im Schiff findet die nach Halt suchende Hand eine Leiste, ein Rohr oder einen Griff. „Darauf hat vor allem Alessio großen Wert gelegt“, berichtet Arjen Conijn, der Chef der niederländischen Werft Contest Yachts, der mit an Bord ist.
Dieser Alessio heißt mit Nachnamen Cannoni und ist ein befahrener Mann. Und er ist der Kapitän, dem der Eigner bedingungslos vertraut. Beim Bau hatte er nahezu freie Hand. Wie weit dieses Vertrauen geht, verdeutlicht folgende Geschichte aus dieser Phase. Als es um die Auslegung des Segelplans ging, kam ein Rollgroß zur Sprache: „Da habe ich die Vor- und Nachteile eines solchen Setups erläutert. Und dann habe ich gesagt: Wenn das Boot ein Rollgroß erhält, werde ich nicht sein Kapitän sein“, erzählt Cannoni beim Abendessen nach der Ausfahrt. „Nach einer langen Pause, in der alle am Tisch schwiegen, hat der Eigner schließlich gesagt: ‚Dann eben durchgelattet mit Park-Avenue-Baum.‘“ Schließlich fügt der prinzipientreue Italiener grinsend hinzu: „Da fiel mir schon ein Stein vom Herzen. Das waren lange Minuten des Schweigens.“
Resultat: Jetzt prangen satte 188 Quadratmeter North-Laminat am Mast mit einem 1:2-übersetzten Fall, das am Mastfuß über eine der vier hydraulischen 88er-Lewmar- Winschen gefahren werden kann. Für Manöver wie Segel-Setzen oder Halsen kann, wenn es schnell gehen muss, der steuerbordseitige Generator gestartet werden. An den ist eine Hydraulikpumpe angeflanscht, sodass Extra-Power für schnelles Arbeiten zur Verfügung steht. Doch auch die elektrische Pumpe allein sorgt für ordentlich Druck auf den Trommeln.
Davon gibt es übrigens neben den vier am Mast im Cockpit weitere acht, vier davon in der großen 111er-Version. Auch hierzu existiert eine Geschichte: Diesmal war es der Eigner, der selbst Regatta segelt und auf dem vorherigen Schiff beobachtete, dass sein Kapitän gern mit Barberholern auf den Vorschoten arbeitete. Dazu, meinte der Eigner, brauche er doch sicher Extra-Winschen. Das fand der Kapitän auch, und so kam je Seite noch eine Trommel hinzu.
Das Segellayout funktioniert indes vorzüglich. Ja, es liegen ziemlich viele Leinen an Deck, das ist man im Post-Wally-Zeitalter nicht mehr gewöhnt. Segeln allerdings lässt sich das Schiff, auch mit kleiner Crew, somit bestens. So verrichten etwa die nach achtern geführten Leinen für den Gennakerhals in ihrer Freizeit auch Dienst als Bullenstander, die Fallen sind am Mast aufgeschossen, Fallenschlösser werden nicht verwendet. Alles ganz traditionell.
„Das hat doch über Jahrhunderte gut funktioniert, das muss man nicht ändern“, ist der Kapitän überzeugt. Natürlich, wer es mit noch mehr Hydraulik und Knöpfchen an der Steuersäule besser findet, der bekommt auch das von der Werft. Selbstverständlich gibt es in dieser Kategorie Schiff wenig, das nicht geht.
Die Segeleigenschaften geben dem sehr meinungsfesten Cannoni jedenfalls recht. Auf der Kreuz lässt sich die Yacht mit großer Wonne an der Windkante dirigieren. Es gibt sogar angenehmen Ruderdruck dank der Contest-typischen Kardanübertragung. Aufgrund der enormen Steifheit der Konstruktion meldet das Schiff seine Befindlichkeit an den Rudergänger.
Wer Omnibusfahren erwartet hat, wird eines Besseren belehrt; das hier ist eher eine sportliche Oberklasselimousine – eine, mit der man auch gern mal selbst fährt, anstatt nur chauffiert zu werden. „Ist doch klar: So eine Fahrtenyacht muss gut segeln. Sonst verliert der Eigner den Spaß an der Sache und kauft ein Motorboot. Wenn es nicht wie eine Yacht segelt, was ist dann der Sinn eines so großen Segelschiffs?“, fragt der Kapitän zu Recht.
Und wie sie segelt. Am Steuer fahren noch gut fünf Meter Schiff hinter einem her, nach vorn sind es fast 25. Dabei verschieben schon kleinste Steuerbewegungen den Horizont in die eine oder andere Richtung. Die Tell-Tales geben dabei Auskunft über die Strömung am Segel. Auch in Böen legen sich die gut 50 Tonnen auf die Seite, und die Contest nimmt Fahrt auf. Kaum zu glauben, aber auch ein solch großes Schiff kann sich anfühlen wie eine 45 Fuß messende Yacht.
Dabei wurde beim Segelplan größter Wert auf Vielseitigkeit der Fahrtenyacht gelegt. Genua und Kutterfock sind fest angeschlagen auf eigenen Furlern. Und in der ausgesprochen geräumigen Segellast vorn warten ein kleiner und ein großer Gennaker sowie ein Code Zero auf ihren Einsatz. Das Groß verfügt derweil über drei Reffs. Das Resultat: „Wir haben ein passendes Setup von 5 bis 50 Knoten Wind“, freut sich Cannoni. Genua und Groß bringen es dabei auf eine Segeltragezahl von 4,8. Das bewegt sich im Terrain eines Performance-Cruisers.
Als der Hafen von Scarlino nördlich von Punta Ala näherrückt, wird der Motor gestartet. Das Einzige, was man an Bord davon mitbekommt: Die Verbrauchsanzeige auf dem Volvo-Display springt im Leerlauf von 0,0 auf 2,2 Liter pro Stunde – sonst nichts. Der Motor läuft. Keine Vibration und erst recht kein Geräusch ist zu verspüren. Das ist sogar etwas unheimlich, denn durch die fehlende Rückmeldung am Ohr zweifelt der Steuermann an der Funktion des Aggregates.
Beim Thema Schallisolierung treibt es die Werft von jeher auf die Spitze. Es beginnt damit, dass der gesamte Motorraum eine von insgesamt fünf wasserdichten Abteilungen ist. Doch auch die Schallisolierung an sich ist besonders wirkungsvoll und sorgfältig ausgeführt.
Die Maschine ist mit einem Drucklager vom Antriebsstrang entkoppelt, so können wiederum die Motorlager sehr weich ausfallen, was die Übertragung von Vibrationen auf den Rumpf verhindert. Wasser- und Hydraulikpumpen sind ebenfalls im Maschinenraum eingebaut, ebenso die Hochdruckpumpen der beiden Wassermacher, die wiederum wartungsfreundlich im Crewbereich im Vorschiff montiert sind.
Auch der durchgesteckte Mast, sonst gern der kräftige Bläsersatz im Schiffsgeräusche-Orchester, bleibt stumm. Natürlich verhindern des Weiteren spezielle Türschnapper das Klappern, und selbstverständlich liegen alle Bodenbretter auf Gummifüßen. Voraussetzung für ein ansonsten ebenfalls ruhiges Schiff ist jedoch ein steifer Rumpf. So knarzt eben einfach nichts, weil sich nichts bewegt im Seegang.
Contest Yachts erreicht das durch den Bau von Rumpf und Deck im sogenannten One-Shot-Infusionsverfahren. Dadurch entstehen sehr steife Strukturen, die obendrein viel Freiheit bei der Innenraumgestaltung lassen, weil die Konstrukteure flexibel sind bei der Platzierung struktureller Bauteile wie den Schotten.
Als die Leinen fest sind, beginnt Kapitän Cannoni mit einer Führung durch das Schiff. Alles hier trägt seine Handschrift. Und die wiederum ist geprägt durch seine misslichen Erlebnisse auf dem Vorgängerschiff, der „Polina Star III“. So verfügen alle Kabinen über ein Fluchtluk, zu dem in der Decke eine Ausziehleiter verbaut ist. Schließlich nütze ein solches Luk in mehr als zwei Meter Höhe ja nichts, wenn man es im Fall der Fälle nicht erreicht.
Die Bodenbretter sind alle, sofern nicht dauerhaft verschraubt, mit einem Knebelverschluss gesichert. „Du kannst dich nicht durch das Schiff bewegen, wenn die Bretter bei einem Wassereinbruch aufschwimmen“, berichtet Kapitän Cannoni aus Erfahrung. Die UKW-Funkanlage verfügt über einen eigenen Akku, der hoch oben im Salon installiert ist. So bleibt die Kommunikation intakt, auch wenn der Rest der Elektrik schon unter Wasser steht.
Die zentrale Lenzpumpe erzeugt einen Unterdruck in einer Leitung, die durchs ganze Schiff in jede Bilgensektion führt. Das Ventil zum Öffnen der Ansaugung ist im jeweils dahinterliegenden Bereich verbaut. So kann etwa die Vorpiek wasserdicht verschlossen und aus dem Crewquartier gelenzt werden. Die Rettungswesten sind neben dem Niedergang platziert. Zusätzlich gibt es in jeder Kabine weitere Westen, falls ein Ausstieg durch die Notluken im Deck erforderlich wird, weil der Weg durch den Niedergang unmöglich ist, etwa durch ein Feuer.
So weit die Sicherheitsfeatures für den Ernstfall. Damit es gar nicht erst dazu kommt, hat sich die Werft zusammen mit Cannoni eine ganze Reihe von Lösungen einfallen lassen. Die Tankanlage zum Beispiel: Zwei große Behälter versorgen einen Tagestank. Das geschieht durch einen mächtigen Filter, und der Transfer gelingt notfalls auch nur mittels Schwerkraft. Von dort gelangt der Diesel wieder durch Filter zu den Generatoren und zur Hauptmaschine. Der Filter für den 260-PS-Volvo ist umschaltbar und somit redundant ausgelegt.
Die Durchführung der Welle ist fettgeschmiert. Das ist heutzutage ungewöhnlich, aber bei Contest üblicherweise so gelöst: „Wir haben uns viele andere Dichtungen angeschaut, aber das scheint uns die solideste zu sein. Du kannst einfach Fett nachdrücken, und es ist dicht“, so Arjen Conijn, der CEO der Werft. Das bestätigt auch der Kapitän: „Bisher alles dicht, keine Probleme.“
Und so ließe sich die Liste fortsetzen. Die Contest 85 ist ein für die Größe dennoch erstaunlich unkomplexes Schiff. Unter Deck setzt der Kapitän zum Beispiel auf natürliche Belüftung; eine Klimaanlage ist zwar vorhanden, wird aber fast nie gebraucht. Die Konzession: Statt eines glatten Vordecks stehen dort nun sechs Lüfter. Allerdings hätten sie durchaus einen praktischen Nutzen, so der Kapitän, sie gäben Halt auf dem Weg übers Vordeck. Ästhetisch wertvoll sind die Hutzen indes nicht.
Wenn Technik verbaut ist, dann ist sie redundant, wie etwa die Wassermacher und die Generatoren. Beide sind jeweils baugleich, sodass die Ersatzteilversorgung erleichtert wird. Der Plan des Eigners ist, eine Weltreise zu unternehmen, bei der er selbst viel an Bord ist und auch steuert. Daher musste die Fahrtenyacht sowohl gut segeln als auch auf See komfortabel sein.
Letzteres erreichen Werft und Konstrukteure durch die sogenannte Center-Line- Strategie. Pantry, Betten und Nasszellen sind allesamt so weit wie möglich entlang der Schiffslängsachse eingebaut, sodass man etwa beim Duschen auf See weniger Schiffsbewegungen spürt. Auch die Schränke öffnen weitestgehend in Fahrtrichtung oder umgekehrt, damit bei Lage der Inhalt nicht herausfallen kann.
Alle Kojen verfügen über Leesegel, alle Ecken sind rund. Die werden übrigens nicht nur an den Stößen als Leiste aufgesetzt, sondern als ganzes Profil in speziellen Formen laminiert. Das ist ein sehr haltbarer, aber auch aufwändiger Fertigungsweg, da für jede Ecke eine eigene Laminierform gebaut werden muss, in der die einzelnen Furnierlagen miteinander verklebt werden. Natürlich geschieht das ebenfalls unter Vakuum. Gleiches gilt für die Befestigung des Teakdecks; auch hier wird geklebt statt geschraubt, wegen der Langlebigkeit.
Aus Sicht der Werft ist die „Polina Star IV“ sicher ungewöhnlich. Es ist das größte Schiff, das das Familienunternehmen je gebaut hat. Doch es zeigt auch, wie ernst man in Medemblik das Thema Kundenwünsche nimmt. „So ein festes Bimini ist natürlich nicht sehr schön. Auch die Doradelüfter auf dem Vordeck finden wir nicht so gelungen. Und Contests sind meist dunkelblau. Doch der Kunde wollte es anders, und dann ist es einfach unsere Aufgabe, das bestmöglich umzusetzen“, erklärt Arjen Conijn.
So ist die 85 CS fast schon mit Reminiszenzen an Exploreryachten versehen: die einfache Robustheit, die sich durchs ganze Schiff zieht, der grundsolide Bau, die Redundanz wichtiger Systeme, der stets gut bedienbare Segelplan und der pflegeleichte und in warmen Gefilden kühler bleibende weiße Rumpf.
All das hat die Werft professionell umgesetzt, als ob der Bau einer derart besonderen Fahrtenyacht etwas ganz Alltägliches sei. Doch das war es nicht: Ein solches Format passt zum Beispiel schlicht nicht durch die Schleuse, die die Werft vom IJsselmeer trennt. Der Transport auf freies Wasser erfolgte per Ponton; von dort aus ging die „Polina Star IV“ in ihr Element. „Das war morgens früh um sechs“, erinnert sich Arjen Conijn. „Ich war an dem Tag verhindert, aber mein Vater war in aller Herrgottsfrühe dort und hat Fotos gemacht. Er hat sie mir gleich geschickt. So ist das in einem Familienbetrieb.“
Aus den Erzählungen von Kapitän und Werftchef ist durchaus ein kleines bisschen Stolz zu hören. Das übrigens ganz zu Recht: Denn der eine hat für seinen Eigner ein Schiff Wirklichkeit werden lassen, auf dem dieser seinen lang gehegten und wegen widriger Umstände um Jahre verschobenen Wunsch, um die Welt zu segeln, tatsächlich verwirklichen kann.
Die anderen haben einen kleinen Familienbetrieb in 60 Jahren zu einer renommierten Werft entwickelt, die großartige Schiffe wie die Fahrtenyacht „Polina Star IV“ bauen und dafür Kunden finden kann.
Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 15/2019.