Interview zu Orca-Attacken„Die Diskussion kocht hoch”

YACHT-Redaktion

 · 12.08.2024

Interview zu Orca-Attacken: „Die Diskussion kocht hoch”Foto: Brend Schuil/Team JAJO/The Ocean Race Brend Schuil/Team JAJO/The Ocean Race
Wale faszinieren. Einige greifen seit Jahren jedoch immer wieder Yachten an der europäischen Atlantikküste an
Die Bilder, die durchs Netz geistern, sind erschreckend: Wale rammen wieder und wieder die Ruder von Segelyachten, lassen erst nach langer Zeit von ihnen ab, provozieren Materialschaden und – im schlimmsten Fall – den Untergang des Bootes. Seit 2020 treten diese Vorfälle vor der südwesteuropäischen Atlantikküste, in der Straße von Gibraltar und auch in der Biskaya auf.

Betroffen sind meist Langfahrtsegler. Kein Wunder also, dass Fragen deutscher Blauwasser-Crews oft bei Trans Ocean (TO) landen, dem Verein der deutschen Hochseesegler. Bert Frisch, Organisator der Online-Seminare zu Langfahrtthemen, beschäftigt sich seit vier Jahren mit dem Thema. Er gibt einen Einblick in die aktuelle Debatte und die kontrovers diskutierten Abwehrmaßnahmen.

YACHT: Herr Frisch, kaum ein Thema bewegt die Segler der Region so sehr wie die Orcas. Wie würden Sie vorgehen, wenn Sie die Iberische Westküste oder die Straße von Gibraltar entlangsegeln wollten – präventiv und im Falle eines Angriffs?

Bert Frisch: Ich würde mir einen Wal-Pal anschaffen und hinterherschleppen. Dabei handelt es sich um einen Pinger, der den Tieren ein Warnsignal sendet. Entwickelt hat die Technologie der Heikendorfer Meeresbiologe-Professor Dr. Boris Culik. Allerdings ist unser Kutter ‚Heimkehr‘ ein spezielles, seht stabiles Boot. Ich fürchte, wenn ein Orca dort ins Ruder beißt, muss er nachher zum Zahnarzt.

Würden Sie bei der Routenwahl innerhalb der 20-Meter-Tiefenlinie bleiben, wie es oft empfohlen wird?

Nein, ich vor allem nachts nicht. Es gibt dort auch Stellnetze. Ich würde den normalen Kurs nehmen, weiter draußen. Von der Küste gehen mir zu viele Gefahren aus.

Einige Crews ziehen mittlerweile Ausweichoptionen für die Passage der portugiesischen Atlantikküste in Erwägung. Bemerken Sie bei Trans Ocean, dass Langfahrtsegler ihre Routen oder sogar Pläne aufgrund der Orcas ändern?

Ja, das ist so. Ich habe jüngst erst mit einem Segler gesprochen, der ins Mittelmeer möchte und nun den Canal du Midi als Route von der Biskaya dorthin wählt. Die Orcas sind ein Risiko und machen Angst, das ist leider so.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Wie groß ist das Risiko denn tatsächlich? Es gibt Aussagen, dass von hundert Yachten, die das Revier durchfahren, etwa zwei beschädigt werden. Ist das überhaupt zutreffend?

Es gibt leider keine verlässliche Statistik. Aber ein Blick ins AIS-Portal Marinetraffic genügt, um zu sehen, wie viele Yachten dort langsegeln. Tausende werden also nicht angegriffen. Ein riesiger Prozentsatz kommt ungeschoren davon.

Dennoch schienen sich die Vorfälle zuletzt zu häufen. Täuscht es, oder nimmt nach einer Phase scheinbar rückläufiger Vorfälle die Zahl der schweren Havarien wieder zu?

Den Eindruck habe ich, aber das ist nicht belegt. Bei Trans Ocean sind etwa 2500 Schiffe in Fahrt, von denen wir immer wieder Rückmeldungen bekommen. Von denen habe ich nicht den Eindruck, dass es deutlich mehr geworden ist. Das Problem wird aber immer stärker kommuniziert. Viele Crews haben große Angst davor, die möchte ich gern nehmen. Meine persönliche Meinung ist wie gesagt, dass ein Wal-Pal eine effektive und gleichzeitig harmlose Methode ist. Darüber gibt es mittlerweile viele positive Erfahrungsberichte. Die Frequenz mit der das Gerät arbeitet ist auf die iberischen Orcas abgestimmt.

Unter Seglern werden eine Reihe von weiteren Abwehrmaßnahmen diskutiert, die teils fragwürdig wirken und eher wie verzweifelte Versuchen, die Wale abzuwehren. Was halten Sie davon?

Die Leute erfinden alles Mögliche. Manches geht ein bisschen weit, etwa der Vorschlag, Spikes ans Ruderblatt zu schrauben. Die Diskussion kocht hoch, vergleichbar mit der über Angriffe von Wölfen an Land. Unsinn sind Spekulationen über die Farbe des Antifoulings. Oder der Vorschlag Sand oder Diesel ins Wasser zu kippen. Vieles, was diskutiert wird, würde ich nicht empfehlen, weil es Tierquälerei ist. Anfangs hieß es, man soll alles ausmachen, Motor und Echolot, und sich ‚tot stellen‘. Mittlerweile heißt es: Hebel auf den Tisch und wegfahren. Lärm machen. Das soll die Tiere abschrecken. Dafür gibt es auch weitere Beispiele.

Welche sind das?

Es hat in Alaska mal einen Ölunfall gegeben, nach dem Wale aus der betroffenen Bucht ferngehalten werden sollten. Dazu hat man Stahlrohre ins Wasser hängen lassen und darauf gehämmert, um Lärm unter Wasser zu verbreiten und die Tiere so abzuschrecken. Das hat funktioniert.

Vieles, was Segelcrews nun zur Abwehr unternehmen, sind nur kurzfristige Notwehrmaßnahmen – was könnte wirklich zur Lösung des Problems beitragen?

Es wäre gut, wenn die Wissenschaft herausfände, warum die Tiere das machen. Das wäre die Basis für weiteren Schritte.


Weiterführende Informationen: Auf orcas.pt findet sich eine Karte mit aktuellen Vorfällen sowie Verhaltenstipps. Eigene Walbegegnungen können dort zudem gemeldet werden. Auf orcaiberica.org gibt es ebenfalls Orca-News, Hintergründe und eine Karte.


Meistgelesen in der Rubrik Special