WerkstattbesuchFamilie Boudalas fertigt historische Modellschiffe in dritter Generation

Morten Strauch

 · 03.08.2024

Tochter Rigina und Vater Yannis Boudalas mit kleinen Modellen, die sie als Souvenirs anbieten
Foto: YACHT/ M. Strauch
Auf der griechischen Sporadeninsel Skopelos lebt die Familie Boudalas vom Modellschiffbau. Bereits vor sieben Generationen wurde der Grundstein für diese Tradition gelegt. Besuch in einer anderen Welt

Die Nördlichen Sporaden sind bekannt für traumhaft schöne Ankerbuchten und teils dicht bewaldete Inseln. Skopelos Stadt auf der gleichnamigen Insel gilt touristisch gesehen als Perle des Ägäis-Archipels. Je weiter man sich in den steil ansteigenden Gassen hocharbeitet, desto ruhiger wird es. Da viele Wege für Autos unpassierbar sind, werden einige Dienste wie die Müllabfuhr auch heute noch mit dem Esel erledigt. Die weiß getünchten Häuser werden von Orangenbäumen, Wein oder Oleander verziert und von schnurrenden Katzen flankiert.

In einem solchen Haus, etwas abseits in einem weniger touristischen Teil der malerischen Hafenstadt gelegen, ist mit Bountalas Shipbuilding die Modellbauwerft der Familie Boudalas ansässig. Wer das nicht weiß, ahnt im Vorbeigehen nicht, was hier für Schätze lagern. Wer aber eingelassen wird, kommt aus dem Staunen kaum heraus. Mitten im Raum steht ein riesiges Modell der „HMS Victory“, jenes Flaggschiffs, das Lord Nelson in die berühmte Seeschlacht von Trafalgar führte. Die Masten ragen bis an die Decke und inklusive des mächtigen Bugspriets misst das Modellschiff ganze vier Meter.

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Es sind jedoch nicht nur die Dimensionen, die beeindrucken. Vielmehr sind es die unzähligen Details, die offenkundig in liebevoller Sisyphusarbeit entstanden und zusammengesetzt sind. Der Rumpf aber ist so massiv gebaut, dass das Schiff problemlos die Eisklasse bekommen könnte. Stünde eine echte Besatzung im Gulliver-Format bereit, könnte sie die unzähligen Leinen bedienen und das originalgetreu nachgebaute Schlachtschiff tatsächlich segeln, als wäre es die echte „HMS Victory“, die heute noch im südeng­lischen Portsmouth liegt und als das älteste im Dienst befindliche Kriegsschiff der Welt gilt.

Triantafyllos Boudalas wurde zu einem Modellschiffbau-Pionier in Griechenland

Die Familie Boudalas baut seit über 200 Jahren und bereits in siebter Generation Schiffe. Früher waren die noch viel größer als die eindrucksvolle Miniaturausgabe der „HMS Victory“. Denn die ersten Generationen hatten sogar eigene Werften im rumänischen Konstanza sowie in Tampa, Florida. Doch es zog sie zurück in die griechische Heimat, wo sie als Schiffbauer in den traditionellen Schiffbaubetrieben der Insel, den Tarsanaden, arbeiteten.

In den 1970er Jahren mussten die an den Stränden gelegenen Werften jedoch schließen, um Platz für den aufkommenden Tourismus zu schaffen. Die zu erwartenden Einnahmen durch Hotels und Gastronomie wogen deutlich mehr bei der Abwägung durch die Regierung als der ohnehin meist defizitäre Schiffsbau. Und Sentimentalitäten wollte man sich nicht mehr länger leisten. Um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, machte Triantafyllos Boudalas damals aus der Not eine Tugend und begann, maßstabsgetreue Nachbauten von berühmten Segelschiffen anzufertigen. Sein gesamtes Wissen floss in den Modellschiffbau ein, und es war ihm wichtig, nur Originalmaterialien zu benutzen.

So wurde Triantafyllos Boudalas nicht nur zu einem Modellschiffbau-Pionier in Griechenland, er konnte auch seinen traditionellen Beruf erhalten und alles Wissen an seine Kinder Yannis und Nina weitergeben, die das Mi­kro-Handwerk fortführten und aktuell auch die eigene Tochter Rigina ausbilden. Yannis Boudalas, Modellschiffbauer der zweiten Generation, nutzt sein technisches Wissen als Elektriker, um das Innere der Schiffsmodelle mit Beleuchtung zum Leben zu erwecken. Diese moderne Note verleiht den historischen Schiffen einen zusätzlichen Zauber und bringt insbesondere Kinderaugen zum Leuchten.

Werkstatt ist mittlerweile kleines Museum geworden

Nichtsdestotrotz pflegt er aber auch die alten Traditionen und den Aberglauben der Schiffszimmerleute, indem er die Schiffe nur in der Mondphase ausliefert, in der sinnbildlich auch genügend Wasser unter dem Kiel ist. Sogar die Nägel dürfen nicht im Schatten eingeschlagen werden, weil das Unglück bringen soll.

Alle kleinen Details der Schiffe sind aus Holz geschnitzt und alle Beschläge handgefertigt. Abgesehen von den Materialien und der Detailgenauigkeit, zeichnet die Modelle aus dem Hause Boudalas als weiteres Alleinstellungsmerkmal die minimale Verwendung von dekorativen Farben aus. Stattdessen wird mit einem matten Lack oder Wachs gearbeitet, sodass alle Details der Schiffskonstruktion aus dem heimischen Skopelos-Walnussholz sichtbar bleiben.

Yannis Boudalas’ Tochter Rigina studiert Archäologie, verbringt aber jede freie Minute in der Werkstatt, um ihre Fähigkeiten zu vertiefen und um interessierten Gäste von ihrer Familiengeschichte zu erzählen. „Einer der besten Kunden unseres Großvaters war der mittlerweile verstorbene Reeder Stravelakis. Über 30 Exemplare hatte er für ihn angefertigt. Aufgrund seiner Beziehungen konnte er von der englischen Admiralität die Baupläne für meinen Vater besorgen. Ich erinnere mich, dass wir auch ein deutsches Modell angefertigt hatten und Stravelakis es dann dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt schenkte. Der US-Präsident George Bush senior bekam ein Modell der Fregatte ‚USS Constitution‘ überreicht. Unsere Werke befinden sich größtenteils in den privaten Sammlungen von Schiffbauern, Ärzten, Politikern und vielen Künstlern.“

Aber es ist deutlich schwieriger geworden, die großen Modelle zu verkaufen, weshalb die Werkstatt mittlerweile zu einem kleinen Museum geworden ist. Neben der „HMS Victory“ gibt es weitere eindrucksvolle Modelle wie das des Teeklippers „Cutty Sark“, der „Bounty“ oder einer griechischen Galeere zu bestaunen. Auch nachgebaute Galionsfiguren, historische Schiffbauwerkzeuge und Fotografien finden sich in der kleinen Halle.

An der „HMS Victory“ hat Yannis Boudalas über ein Jahr lang täglich zehn bis zwölf Stunden gearbeitet

Doch obwohl ihr Handwerk sogar vor der Anerkennung als griechisches Kulturgut steht, kann die Familie davon nicht mehr leben. Yannis und seine Tochter arbeiten daher auch an kleinen Modellen, die als Souvenirs verkauft werden – ein Versuch, ihre Kunst Besuchern aus aller Welt zugänglich zu machen und das Erbe ihrer Vorfahren lebendig zu halten.

Verkaufspreis und eigentlicher Wert nach Arbeitsaufwand werden aber nie im richtigen Verhältnis zueinander stehen können. Zur Einordnung: An seinem Lebenswerk, der „HMS Victory“, hat Yannis Boudalas über ein Jahr lang täglich zehn bis zwölf Stunden gearbeitet. Um das große Geld geht es der Familie aber nicht. Sie ist stolz auf ihr maritimes Erbe und glücklich darüber, es einmal mehr in die nächste Generation zu tragen.

Die Modellschiffbau-Werkstatt

Yannis Boudalas ist Modellschiffbauer in sechster, seine Tochter Rigina in siebter Generation. Das Modell der „HMS Victory“ verschlang rund 4.000 Arbeitsstunden
Foto: YACHT/Morten Strauch

Seit sieben Generationen und mehr als 200 Jahren ist die Familie Boudalas mit dem Schiffbau verbunden. Heute betreibt sie eine Modellschiffswerft im griechischen Skopelos auf den Sporaden. Hier arbeiten Vater Yannis und Tochter Rigina Boudalas Hand in Hand an den imposanten Miniaturnachbauten historischer Schiffe, die von Museen und Sammlern in Auftrag gegeben werden. Daneben gehören auch Workshops zum Geschäft der Boudalas, in denen sie ihr Wissen an interessierte Modellbauer weitergeben.

Der Artikel erschien erstmals in YACHT Classic 2/2024.

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