Heide und Erich Wilts haben mehrfach gemeinsam die Welt umsegelt und sich in die gefährlichen hohen Breiten vorgewagt. Ihre Reisen hat Heide in zahlreichen Büchern beschrieben. Nach dem Tod ihres Mannes im Dezember 2022 Jahr hat sie die Reihe der Bücher über ihre gemeinsamen Reisen fortgesetzt. Nun ist ihr neues Buch erschienen. Über das Leben einer ungewöhnlichen Frau und ihr neuestes Werk.
Die Weltumsegler Heide und Erich Wilts waren kaum getrennt voneinander zu denken. Seit 1969 unternahmen sie spektakuläre Törns, überstanden gemeinsam Havarien und Stürme. Zu ihrem 80. Geburtstag hat die Yacht mit Heide Wilts zurückgeschaut auf über fünf Jahrzehnte als Seglerin, Forscherin und Autorin. Das Porträt erschien 2022. Im selben Jahr verstarb ihr Mann Erich.
Tosende Stürme hat sie durchstanden, um an unwirtlichen Orten zu landen, die kaum ein Mensch je betreten hat. Aus Leidenschaft für das Meer, für die Natur und ihre Geschichten. Die Strecke, die Heide Wilts unter nicht selten widrigsten Bedingungen zur See zurückgelegt hat, umspannt zwölf Mal den Globus.
In der Antarktis muss sie sich mit einem Sprung in eisige Brandung von ihrer leckgeschlagenen „Freydis II“ in eine Schutzstation an Land retten. Sie und ihr Mann Erich reparieren sie im langen, eisigen Winter. In Argentinien brennt ihr Schiff aus, am Ende verlieren sie es im Tsunami vor Fukushima. Und bauen ein neues. Denn Heide Wilts gibt nicht auf.
Dabei wollte sie schon mit Anfang 20 das Ölzeug an den Nagel hängen und Sportfliegerin werden. Aus Stuttgart war sie nach Kiel gezogen, um Medizin zu studieren und das Segeln zu lernen. Anfang der 1960er Jahre, Heide zierlich, jung und blond: Lampenputzen und Backschaft unter Deck war alles, was man ihr zutraute. „Hundeelend war mir da unten immer, ich konnte kaum etwas tun in dieser schwankenden Enge.“ Heute lächelt sie darüber, mit feinen Fältchen um die wachen braunen Augen.
Wir sind im Wohnzimmer im ersten Stock ihres 300 Jahre alten Hauses in Heidelberg. Eine hölzerne Außentreppe verbindet die Etagen, dunkles Fachwerk trennt die niedrigen Räume. Über dem grünen Sofa hängt ein Mammut-Stoßzahn. Heide öffnet eine gläserne Vitrine, zeigt ein versteinertes Walfisch-Innenohr und den Zahn eines Riesen-Urzeithais, die auf unzähligen Muscheln und funkelnden Opalen liegen. Am Esstisch dient ein rot-weißer Einbaum als Sitzbank, an seinem Bug ein Obstkorb mit Ananas und Orangen. Ewiges Eis und Südsee, die ganze Erde und ihre Geschichte: Heide hat sie gesehen.
Nie hat sie sich entmutigen lassen in einer Segelwelt, in der Frauen nichts zugetraut wurde, sie oft nicht einmal Zutritt zu Segelclubs und Schiffen hatten. In den 1970er Jahren – das Frauenbild changiert zwischen dem Dreiklang Kinder, Küche und Kirche sowie der freien Liebe der Flower-Power-Bewegung – besucht sie unbeirrt die Seefahrtschule in Leer. Bis sie den Sporthochseeschifferschein erworben hat.
„Man kann auch ohne Scheine segeln, das ist klar“, sagt sie schulterzuckend. „Ich habe sie gemacht, um in der Männerwelt bestehen zu können. Man musste sich als Frau ja ganz anders beweisen damals.“ Teil der Crew will sie sein, mitreden und ein Schiff notfalls auch allein beherrschen können. Die Segellehrer freuen sich über ihr Interesse – und ihre Zielstrebigkeit.
Die ist befeuert von den Segelpionieren Ernst Jürgen und Elga Koch, die 1967 von ihrer Weltumsegelung zurückgekehrt waren. Norderney, an einem Sommerabend 1969: Heide hat ihre erste Stelle als Ärztin auf der Nordseeinsel angetreten und besucht einen Vortrag der Kochs. „Ich war zu Tränen gerührt, so sehr haben mich ihre Geschichten beeindruckt. Ich wusste, ich will segeln und erleben, was sie erlebt haben.“ Kurz darauf lernt sie Erich kennen, der damals schon erfahrener Segler ist und der an den Wochenenden gern mit seinem Finn-Dingi von der Küste auf die ostfriesische Insel übersetzt. Beide teilen den Traum vom Segeln in aller Welt.
Heide war ohnehin schon immer unterwegs. Als Kind verbringt sie vier Jahre in Kolumbien, wo ihr Vater Rektor einer technischen Universität ist. Spanisch lernen sie und ihre Schwester dort, beten ebenfalls. Ihrer Mutter reicht das nicht, sie möchte eine gute Schulbildung für ihre Töchter und kehrt lange vor dem Vater mit ihnen nach Deutschland zurück.
„Sie war eine sehr emanzipierte und eigenständige Frau,“ beschreibt Heide ihre Mutter. In Deutschland folgen weitere Umzüge, immer der Arbeit des Vaters hinterher. Zwölf Mal wechselt Heide bis zum Abitur die Schule: „Ich bin es nicht gewohnt, an einem Platz zu sein.“
Einige Jahre segeln Heide und Erich mit sportlichen Ambitionen auf der Jolle im ostfriesischen Wattenmeer oder auf Dickschiffen von Freunden auf Nord- und Ostsee. Einmal leihen sie sich eine Acht-Meter-Yacht und gehen auf Herbsttörn in die dänische Südsee. Unterwegs „explodiert“ zwar das Bord-WC, und der Petroleumofen rußt den Salon ein; Heide geht dennoch als überzeugte Dickschiffseglerin von Bord. Auf sie warten ganz andere Abenteuer.
Sie überzeugt Erich, gemeinsam ein eigenes Schiff zu bauen. Im Winter 1975 wird ihre Reinke auf den Kiel gelegt, die erste von dreien namens „Freydis“, benannt nach der Tochter Eriks des Roten, des Grönland-Entdeckers. Freydis war die erste Frau, die den Atlantik von Grönland nach Neufundland überquerte.
Der Name soll Programm werden. Mit ihrer ersten „Freydis“ segeln die Wilts nach Finnland, in den Nordatlantik, durch den Ärmelkanal bis an den Rand der Biskaya. Dann bauen sie eine zweite und umrunden in den kommenden Jahrzehnten zweimal die Welt, einmal die Antarktis; das gefürchtete Kap Hoorn lassen sie gleich dreizehn Mal in ihrem Kielwasser.
Gerade scheint die Wintersonne durch ein kleines Fenster auf den gläsernen Trans-Ocean-Preis. Der Kubus mit dem eingravierten Segelschiff im Globus ist einer von vielen Preisen, die von ihren seglerischen Höchstleistungen zeugen. Im Südwinter verbringen die beiden viel Zeit in den tropischen Revieren, besonders in der türkisblaugrünen Südsee. Sie genießen das entspannte, fröhlich-seichte Leben, die bestechend schöne Natur, die freundlichen Menschen.
Noch unverbraucht ist diese Freundlichkeit in den siebziger, achtziger Jahren. Wenige Fahrtensegler lassen den Anker in einer dieser kristallklaren Lagunen fallen. Auf Fotos aus jener Zeit sehen wir Heide, wie sie Schnitzereien gegen ein Fernglas tauscht und mit Kapitänen, Dorfvorstehern und Schamanen spricht. Sie fühlen sich willkommen auf den Gambier-, Salomonen-, Kermadec- und so vielen anderen Inseln unter der Sonne. Die Seglerin ist dann auch immer mal wieder Ärztin, versorgt Einwohner auf entlegenen Archipelen mit Medikamenten, untersucht sie, zieht Zähne, versorgt Wunden.
Einlullen lässt sie sich nicht von der sonnenbeschienen Behaglichkeit, vom weißen Sand zwischen den Zehen, von Palmen unter blauem Himmel. In Wahrheit ist die Südsee nur der warme Teil eines Jahre währenden Wechselbads.
Der andere Teil, das sind die hohen Breiten im Norden und Süden. Wenn sich dort die dichte Eisdecke in kurzen Sommern ein wenig hebt, kämpfen sie sich durch mächtige Stürme und wagen sich in nie von Freizeitseglern besuchte Regionen vor. Mehrfach muss an der Weltkugel drehen, wer ihren Reiserouten darauf folgen will, und immer wieder hinein zoomen auf all die Orte an deren äußeren Enden, von deren Existenz die meisten Menschen nicht einmal wissen.
Diese winzigen Punkte auf der Weltkarte sind Heides Leidenschaft. „Die einzigartige, unberührte Natur in den entlegensten Winkeln der Erde zu erleben, das geht ja nur auf dem eigenen Kiel. Diese Erkenntnis war wie eine Offenbarung für mich!“
Südgeorgien ist einer dieser Orte, auf dem 54. Breitengrad mitten im Südatlantik, gut 750 Meilen von den Falkland-Inseln als nächstem möglichen Halt entfernt. Eine wunderbare Insel sei das, mit Gletschern in allen Farbschattierungen, die dem Weiß des Eises Tiefe geben, und mit unzähligen Tieren -„Zum Ausrasten schön“. Heides Augen leuchten.
In der Welt der Tiere, Steine und Fossilien kann Heide förmlich versinken. Stundenlang mit gesenktem Kopf bei eisig brausendem Wind in ihrem warmen, roten Overall zwischen kargen Felsen nach diesen Schätzen suchen, die ihr viel über die Geschichte der Erde erzählen und deren schönste Exemplare in ihrer Vitrine Platz finden.
„Ich bezeichne mich als Landratte, die segelt. Weil mich viele Sachen interessieren, außerhalb des Segelns“, sagt Heide. Die gemeinsamen Törnpläne richten sich folglich auch nach ihrem Forscherdrang. Wenn es irgendwo etwas Besonderes zu entdecken gibt, „dann möchte ich dort hin, auch wenn wir dafür einen Umweg in Kauf nehmen müssen“, sagt sie und klopft dabei mit dem Zeigefinger auf den Tisch.
Ein solcher „Umweg“ kann dann auch schon mal Wochen ruppigen Segelns bedeuten. Etwa, wenn Heide noch einmal nach Spitzbergen will, zur Wiege der Eisbären auf dem Nordostland. Oder auf der kleinen, unbewohnten Insel Kayak im Golf von Alaska auf den Spuren der Naturforscher des 18. Jahrhunderts wandern möchte. Wenn dann eine Grizzli- Attacke ihrem Ansinnen ein vorzeitiges Ende setzt, gibt es anderswo Neues zu entdecken. Oft kämpfen sie sich dabei durch Stürme, die nicht viel mehr als die nötigsten Bewegungen zulassen. Erschöpfung und Seekrankheit reisen dann mit. Anspannung und Angst erleben sie, voller Adrenalin, dann die Euphorie nach überstandener Not bis hin zur völligen Erschöpfung und komatösem Schlaf. „Man muss große Leidenschaft und eine gewisse Leidensfähigkeit mitbringen, sonst kann man das nicht machen“, bemerkt Heide ruhig.
Ist es ruhiger auf See, nutzt sie die Zeit zum Schreiben, Lesen und Forschen. Als Erich und Heide Anfang der neunziger Jahre ihre Berufe aufgeben, um fortan mehr zu segeln, müssen sie auch ihren Lebensunterhalt mit dem Reisen bestreiten. Heide schreibt damals schon, auch neben ihrem Beruf als Klinikärztin. Ihre Bibliografie umfasst inzwischen 18 Bücher und einige hundert Reportagen.
Sie nimmt ihre Leser mit um die Welt und über den Polarkreis auf „die Rennstrecke hintereinander herjagender Tiefdruckgebiete mit brüllenden, schreienden, kreischenden Winden, mit tosenden, brausenden Stürmen“.
Nun ist ihr neues Werk „Lichter am Horizont - Eine Segelreise von Australien nach Ostfriesland“ erschienen. Darin erzählt Heide Wilts von der Heimreise der „Freydis“ nach einer anspruchsvollen Antarktisumsegelung und einer GEO-Expedition in Melanesien Anfang der 2000er Jahre. Die Reise führte sie von Australien nach Bali, über den Indischen Ozean mit der Weihnachtsinsel, den Maskarenen und Madagaskar nach Südafrika, Namibia und über den Atlantik mit St. Helena und Ascension zum östlichsten Zipfel Südamerikas, von dort schließlich zum Heimathafen ihrer Segelyacht „Freydis“ in Ostfriesland.
Eine Reise voller Abenteuer und Erlebnisse: Opalfelder, Aborigines und Krokodile in Australien, Palast eines Rajas auf Bali, schwerer Sturm im Indischen Ozean, Angriff eines Elefanten in Namibia … Strapazen, Krankheit, Tod, überraschende Glücksfälle. Und am Ende die Erkenntnis: Das alles war es wert!
Das Buch ist zum Preis von 25 € erhältlich im Buchhandel, beim Ihleo Verlag (email@ihleo.de) oder direkt bei Heide Wilts, mit Bordstempel und Signatur (wilts@freydis.de).