Nachruf auf Erich Wilts„Ein Seglerleben reicht nicht, um alles zu entdecken“

Ursula Meer

 · 09.12.2022

Nachruf auf Erich Wilts: „Ein Seglerleben reicht nicht, um alles zu entdecken“Foto: Crew der FREYDIS
Die Segel-Welt trauert um Erich Wilts

„Wenn nur ein kleiner Teil eurer Wünsche für uns in Erfüllung geht, dann haben wir noch ein schönes Jahrzehnt vor uns“, lautet der letzte Eintrag auf der Website von Heide und Erich Wilts. Doch nicht einer durfte mehr in Erfüllung gehen: am 2. Dezember ist Erich Wilts nach schwerer Krankheit im Alter von 80 Jahren verstorben

Der vom Entdeckergeist getriebene Pionier unter den Fahrtenseglern hat mit seinem Kielwasser ein Muster in die Weltmeere gezeichnet, mehr als 350.000 Meilen lang und oft jenseits der üblichen Langfahrtrouten. Es begann in heimatlichen Gewässern im ostfriesischen Leer, auf der Ems und im Wattenmeer, die er schon als Kind mit der Jolle erkundete. Später als Student heuerte er zu längeren Törns auf der Nordsee an und überquerte 1962 erstmals den Atlantik.

Zu Hause fuhr er fast jedes Wochenende mit seiner Finn-Jolle über das Wattenmeer nach Norderney. „Das war das Beeindruckendste, was ich überhaupt beim Segeln erlebt habe: Mit dem kleinen Boot von der Küste weg, und in der Ferne konnte man die Insel kaum sehen.“ Angesichts seiner seglerischen Höchstleistungen eine beinahe unglaubliche Feststellung, die nicht wenig beeinflusst sein dürfte von dem Umstand, dass er dort 1969 „seine“ Heide kennenlernte. Beide waren seitdem kaum getrennt voneinander zu denken, ihre Ehe einer Symbiose gleich oder, wie beide es beschrieben: „mehr gemeinsam geht nicht“.

Kein Jahr ist es her, dass die YACHT die beiden in ihrem Heidelberger Haus besuchte und mit ihnen über die Abenteuer und Herausforderungen sprach, die sie in mehr als 50 Jahren gemeinsamen Seglerlebens gesucht hatten. Erich, dessen Augen zwischen lockigem Haar und Vollbart leuchteten, sprach davon mit tiefer, ruhiger Stimme, Heide seine, er ihre Sätze ergänzend. Kurz vor Heides und auch seinem achtzigsten Geburtstag war Zeit für einen Rückblick und auch den nach vorne: die „Freydis“ aus Island nach Schottland und dann irgendwann auch nach Leer zu holen; aber nicht unbedingt auf geradem Wege. „An manche Orte kann ich viele Male fahren, und nie wird es mir langweilig. Die Ile Ouessant zum Beispiel oder die Scilly Islands: Ich möchte dort immer wieder hin und fühle mich dann wie zu Hause. Das sind Highlights, die ich nicht abhake, sondern auf die ich mich immer freue“, schwärmte Erich. Vielleicht auch noch einmal Kap Hoorn? Darüber waren sich beide nicht einig; Erich hätte schon gewollt.

Kap Hoorn als Sehnsuchtsort

Wohl auch, weil das berüchtigte Kap der Beginn der wagemutigen Törns der Wilts war. Es war ein kleines Buch, das beide große Pläne machen ließ: „Als erste Deutsche Yachtsegler rund Kap Horn“ beschrieb, wie zwei Berliner 1972 das unmöglich Geglaubte gewagt hatten. „Davor war Kap Hoorn für uns jenseits von Gut und Böse, aber damit wurde es real. Wir wollten eigentlich in die Karibik. Das hatte sich erledigt. Kap Hoorn rief“, erzählte Erich in einem Ton, in dem andere Menschen von der Entscheidung zwischen Hemd oder Pullover berichten. Sie rundeten es, und ganz Südamerika gleich mit; wenn man schon einmal unterwegs war.

Ihre Neugier trieb beide zeitlebens. Nun war es ja nicht so, dass eine Weltumsegelung an sich damals, in den frühen achtziger Jahren, als etwas ausgedehnter Urlaubstörn betrachtet wurde und sich die Fahrtensegler in jeder Bucht die Ankerkette in die Hand drückten. Unberührte Natur und neue Kulturen gab es in den warmen Breiten noch reichlich und recht kommod zu entdecken.

Aber zwei, drei, dazu noch schlecht aufgenommene Fotos eines Einhandseglers aus der Antarktis ließen für die Wilts diesen Teil des Weltumseglerlebens zu kurzen Aufwärmphasen werden: „Kap Hoorn, und dann man gleich weiter“, beschrieb Erich ostfriesisch knapp die Entscheidung, sich in jene entlegenen und menschenleeren, gefährlichen hohen Breiten zu wagen, die jeden Besucher mit tosenden Stürmen abzuschütteln suchen und mit „saugefährlichen“ Landgängen aufwarten.

Nach Rückschlägen immer wieder aufgebrochen

Sie strandeten in der Antarktis und verbrachten dort einen Winter, mit dem leckgeschlagenen Boot in Sichtweite in einer Schutzstation. Fielen bei Ebbe im Sturm auf einem Felsen trocken, „vom Orkan geschüttelt wie von einer wilden Faust“, verloren ihr zweites Boot im Tsunami vor Fukushima. „Es gab Abende, da lag ich in der Koje und dachte, mir zerspringt das Herz“, berichtete Erich von manch haarsträubender Situation. Doch sie standen immer wieder auf, machten sich ein um das andere Mal wieder auf Richtung Eis und Sturm. Für diesen Mut und ihre fahrtenseglerischen Höchstleistungen erhielten sie zahlreiche Preise und Auszeichnungen.

Es gab Abende, da lag ich in der Koje und dachte, mir zerspringt das Herz

„Es ist schon eine gewisse Herausforderung, sich dort zu bewegen, wo es extrem zugeht. Wer die antarktische Konvergenz überschreitet und im Südpolarmeer segelt, ist Extremsegler. Ob er will oder nicht“, beschrieb Erich die Törns. Aber einmal hindurchgekämpft, durften sie entdecken, was sonst kaum ein Mensch je zu Gesicht bekommt: bizarre Fels- und Eisformationen, die ihre Gestalt mit dem wandernden Licht ändern, Pinguine, Robben und Seelöwen, die Menschen nicht als Gefahr betrachten und ebenso neugierig sind wie die staunenden Besucher, tiefe Stille oder dröhnend berstende Eisschollen. „Ein Seglerleben reicht nicht, um all die Küsten und Buchten zu entdecken“, hörte man ihn des Öfteren sagen.

Zum Schluss noch einmal auf die Sandwich-Inseln, das war Erichs Traum

Besonders hatten es Erich die Sandwich-Inseln angetan: Die Vulkane, fauchend Funken in den Nachthimmel schleudernd und giftige Dämpfe ausstoßend. Diese menschenfeindlichen Krater, die steil aus dem Südatlantik aufragen, nannte er „schier unglaublich, unvorstellbar. Ich wollte eigentlich jetzt, zum Schluss meines Lebens, noch einmal dahin. Was ich dort gesehen habe, hat mich am meisten fasziniert.“

Unzählige angemessen ehrfurchtsvolle Segler nahmen sie mit, in Büchern, Bildern und Vorträgen, mit Hunderten teilten sie die Faszination auf ihrem Boot in diesen hintersten Erdwinkeln. Aus einigen wurden Freunde fürs Leben. Noch vor wenigen Wochen sprach Erich trotz seiner schweren Krankheit am Telefon mit etwas schwacher Stimme, aber voller Vorfreude von geplanten Treffen mit diesen langjährigen Mitseglern auf der „Freydis“ im Hafen von Leer. „Ich brauche das wie der Fisch das Wasser: dieses Zusammensein an Bord, die Gespräche über Fahrten und Erlebnisse mit den Weggefährten.“

Dieser Optimismus hat Erich durch sein Leben getragen, hat ihn Stürme abwettern und Havarien überstehen lassen. Immer auf seiner Gefährtin namens „Freydis“, die nun, von erfahrenen Skippern aus Island überführt, im Hafen von Leer in der Obhut guter Freunde liegt. Vor allem aber immer an der Seite seiner Frau Heide. Ihr gilt unser tiefes Mitgefühl.


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