PorträtUnbekanntes Revier – Schwede schreibt Handbuch über Blekinge-Schären

Ursula Meer

 · 20.05.2023

Thomas Karlsson kommt aus Schweden und segelt seit seiner Jugend. Sein Heimatrevier – die Blekinge-Schären – kennt wohl keiner so gut wie er, weshalb er einen Revierführer verfasst hat. Durch eine zufällige Begegnung konnte dieser auf Deutsch übersetzt werden
Foto: privat

Wer den wenig bekannten Schärengarten im Süden Schwedens besucht, kann auf Thomas Karlssons 60-jährige Revierkenntnis zählen. Die Blekinge-Schären kennt er in- und auswendig

In diesem Artikel:

Seglers Traum von Schweden beginnt oft in den Schärenwelten von Stockholm. Dort, hoch im Norden, wo es sich am Tag herrlich durch die engen Fahrwasser kreuzen lässt, wo sich nahe Mittsommer die Sonne nur kurz hinter den Horizont begibt und ganze Nächte hindurch das stille Wasser zwischen Felsen, Flechten und Wäldern in Pastelltönen färbt.

Auf dem Weg dorthin ein rascher Schlag über die Hanöbucht – und schon ist eine kleine, feine Inselwelt verpasst: die Schärenküste von Blekinge. Ein Kleinod, das sich gut 30 Seemeilen von West nach Ost erstreckt und mit mehr als 800 Inseln und Schären aufwartet. Die Seekarte zeigt zerfranste Küste, unzählige Felsen, Tonnen und Kummel. Aber sie verspricht auch geschützte Naturhäfen und Ankerbuchten.

Wer die genaue Navigation nicht scheut und sich hineinbegibt, trifft möglicherweise auf einen älteren Herrn, der beim Anlegen freundlich die Leinen entgegennimmt. Mit seiner mittleren Statur und den blauen Augen unter weißblondem Haar ist er vielleicht nicht zu unterscheiden von vielen seiner Landsleute. Wenn er aber nach einem kurzen Schnack zwei Hefte voller Revierinfos anbietet, hat man es wohl mit Thomas Karlsson zu tun. Der 77-Jährige kennt das Revier wie seine Westentasche. Seit 60 Jahren durchstreift er es, von Hanö im Westen bis Utklippan im Osten und weiter hinauf gen Norden bis Kalmar.

Ein Handbuch für die Schärenwelt von Sölvesborg über Gö bis Kalmar

„Ich habe immer gern geschrieben und stellte einen gewissen Bedarf an Informationen zu meinem Revier fest“, erläutert er. An langen Winterabenden fasste er daher zusammen, was er darüber weiß und dort im Wortsinne erfahren hat. Es entstand ein zweibändiges Kompendium, das die Schärenwelt von Sölvesborg über Gö bis Kalmar behandelt, 84 Natur- oder Stadthäfen, die Entdeckerlaune wecken.

Grafisch eine bunte Mischung aus Aquarellen des schwedischen Künstlers Lennart Paulsson, Skizzen, Seekartenausschnitten, drolligen Cartoons und Fotos. Inhaltlich eine Schatzkiste. Karlssons praktische Hinweise gehen weit über die üblichen Informationen zu Liegeplätzen, Ansteuerung und Versorgung hinaus. Kaum ein Unterwasserhindernis, das nicht Erwähnung findet. Auch an welchen Ankerplätzen es keine Abendsonne gibt oder übertrieben laut gefeiert wird „und Bier und Selbstgebranntes und Wein für eine lallende Verbrüderung über die Generationsgrenzen hinweg sorgen“, erfährt der Leser.

Geschrieben wie ein Törnbericht, sind sie schon auf dem heimischen Sofa ein Versprechen vom schwedischen Sommer: „Genießt einen Sonnenuntergang mit Blick auf die bunten Spielzeughäuser von Ungskär und auf das unverstellte freie Meer im Osten. Da öffnet sich das Herz und die Seele schnurrt.“ Ein paar Anekdoten fügt der Autor ein und berichtet einiges über die Geschichte Blekinges und seiner Menschen.

Aus Karlssons Zeilen spricht ein humorvoller Mann mit feiner Ironie und immer mal wieder einem Augenzwinkern. Alles, was ihm wichtig oder interessant erscheint, findet Erwähnung, etwa woher der Grog seinen Namen hat oder warum Schärengarten eine falsche Übersetzung von Skärgård ist – das allerdings nur in der deutschsprachigen Ausgabe.

Die Idee der deutschen Übersetzung

Zu der kam es nach einer zufälligen Begegnung: 2003 nimmt Thomas Karlsson am Gästesteg im Hafen Vägga vor den Toren Karlshamns die Leinen eines Laurin Kosters aus Deutschland entgegen. Bendix Klingeberg aus Itzehoe ist mit seiner Frau auf Sommertörn in den Blekinge-Schären und besitzt schon einen der Reiseführer. Klingeberg spricht Schwedisch, man kommt ins Gespräch, und schnell ist die Idee einer deutschen Übersetzung geboren.

Sie kommt zur rechten Zeit. Bis 2001 waren weite Teile Blekinges noch militärisches Sperrgebiet und für Ausländer tabu, nun aber können sie kommen. Klingeberg macht sich ans Werk, feilt an Sätzen, hadert mit mundartlichen Zitaten. Er übersetzt nicht nur, er klärt die Leserschaft in der 2004 erstmals erscheinenden deutschsprachigen Ausgabe auch über die Sache mit dem Skärgård auf. Gegen die Übersetzung „Schäre“ sei nichts einzuwenden. Gård jedoch habe wenig mit einem Garten zu tun, es sei vielmehr eine Hofstelle mit allem, was dazugehört: Ländereien, Vieh und Menschen. Ein ganzer Wirtschaftsraum. „Im Urlaub wollen wir aber wohl lieber in einem Garten segeln als in einer Wirtschaftsregion; dem wollen wir ja gerade mal entfliehen“, stellt Karlsson dazu fest.

Die Côte d’Azur Skandinaviens

Karlsson gönnt den deutschsprachigen Besuchern das romantische Wort, das so viel besser beschreibt, was sie erwartet. Denn das südliche Schweden ist vom Klima verwöhnt, hier wachsen Zitronenbäume und blühen im Dezember Rosen. Tatsächlich wird die Region der Garten Schwedens genannt und von besonders Wohlmeinenden als die Côte d’Azur Skandinaviens bezeichnet. Mancher Küstenbewohner verbringt sein ganzes Seglerleben im Schärengarten von Blekinge – und entdeckt immer noch Neues, Sommer für Sommer.

Romantisch war diese Inselwelt allerdings nie, das Leben hier war arm, karg und beschwerlich“, berichtet Thomas Karlsson, und dass das auch für seine Vergangenheit gilt. Er ist gerade einmal zehn Jahre alt, als sein Vater bei einem Jagdunfall stirbt. Doch obschon „klein, arm und vaterlos“, ist er geschäftstüchtig, verkauft Saatgut und Morgenzeitungen vor der Kirche und wandert von Tür zu Tür, um frisches Gras für die Hühner zu veräußern. Als Jugendlicher arbeitet Karlsson im Hafen, wo sich mit streng rationiertem Schnaps gute Geschäfte machen lassen. Mit 16 Jahren reicht es für das erste Boot, eine Snipe.

Mit ihren 4,70 Metern passt die Jolle in die winzigsten Ecken und saust auch über flachere Stellen hinweg. Karlssons Reviererkundung zu Wasser beginnt. Ab 1970 setzt er sie mit einer Ohlson 22 fort.

In Göteborg studiert er in den sechziger Jahren Ökonomie. Seine Abschlussarbeit verkauft er an das Motorboot-Magazin „Båtnytt“; in ihr hat er den Einfluss von Bootsmessen auf das Kaufverhalten der Verbraucher untersucht.

Karlsson arbeitet als Berater bei einer Bank sowie in einem Versand und unterrichtet junge und ältere Menschen in Betriebswirtschaftslehre. Nebenbei schreibt er Bücher, verkauft 3.000 Exemplare eines Bandes mit der Anleitung zum Reichwerden und Abschlusstests für Schulen, durch die sich mehr als 30.000 Schüler quälen.

1982, der Ökonom ist mittlerweile Vater dreier leiblicher und einer weiteren Tochter, kauft er eine Scanmar 33. Seine „Johanna“ wirkt in manch winzigem Naturhafen vielleicht etwas überdimensioniert und hat mit 1,75 Metern nicht eben wenig Tiefgang. Aber nur einmal fügt er seinem Boot und – schlimmer noch – seinem Selbstbewusstsein Schaden zu, als er eine Kardinaltonne verwechselt und aufsitzt. Ansonsten findet der Revierkenner immer irgendwo ein Plätzchen, an dem sich mit umsichtigen Manövern festmachen lässt.

Von Åland bis nach Holland

Kleine Schläge in seinem Mikrorevier unternimmt Karlsson ebenso gern wie ausgedehnte Reisen nach Åland, Dänemark und Norwegen, an die deutsche Ostseeküste und rüber in die Nordsee bis nach Holland, früher gern mit seiner Frau und den Kindern. Heute bezeichnet sich Thomas als „glücklich geschieden“, immer noch gut befreundet mit der Exfrau und sehr stolz auf die vier Töchter, die allesamt ansehnliche Karrieren gemacht haben. An seinen runden Geburtstagen lädt er die ganze Familie zu Reisen ein, nach Mexiko, Tansania oder auf die Hurtigruten.

Vom Verkauf der Bücher werden diese Reisen nicht finanziert. Reich werde man damit nicht, aber Verluste habe er auch nicht gemacht. Wie viele Revierführer er bis heute verkauft hat, ist sein Geschäftsgeheimnis. Seinem Ego sind die ihm entgegengebrachte Sympathie und die positive Resonanz ohnehin die größte Entlohnung.

Und so hält Karlsson Vorträge über Blekinge, spricht im Radio und verfasst Artikel. Allzu berühmt möchte er aber nicht werden; kaum, dass ihm ein Foto seiner selbst zu entlocken ist. Denn das kann mitunter auch zu schwer erklärbaren Situationen führen, etwa wenn eine ihm unbekannte Seglerin mit überbordendem Entzücken seinen Namen ruft – und seine Töchter den Vater mit großen Augen anblicken.

Es gibt aber auch diese Momente, in denen sich Segler für seine unermüdlichen Recherchen und Revier-Updates bedanken. Dann bringt ihm vielleicht jemand selbst gezogene Tomaten, Honig aus eigener Imkerei oder kommt mit zwei Bieren längsseits.

Geschenke erhalte ich besonders von den deutschen Seglern“, stellt Karlsson fest und lächelt dabei.

Wohl weil sie dank seiner unermüdlichen Recherchen schöne Buchten und Orte finden.

Vertrauen auf das Ehrenwort unter Seglern

Einige Jahre lang wurde die deutsche Ausgabe sogar mit einigem Erfolg über einen großen deutschen Verlag verkauft. Seit dieser den Vertrieb eingestellt hat, vertraut der Autor auf das Ehrenwort unter Seglern: Auf Bestellung verschickt er sie im PDF-Format. Leicht ließen sie sich so gratis weiterverteilen, aber „ich hoffe auf die Ehrlichkeit“. Auch auf Vorkasse verzichtet er, die Zahlungsmoral seiner Kundschaft sei durchweg gut. Vorsichtshalber hat er dennoch seine Bücher mit einem Warnhinweis versehen: „Das Kopieren dieses Heftes führt zu Skorbut, rufschädigenden Krankheiten nach dem Hafenbesuch, Mastbrüchen, Motorstörungen, Flauten, plötzlichem Seenebel sowie dramatischen Begegnungen mit unbekannten Untiefen. Setzen Sie Schiff und Besatzung nicht diesen Gefahren aus!“

„Im Übrigen“, so Karlsson weiter, „falls jemand Interesse am Erwerb der Rechte für die deutschsprachige Ausgabe hat, bin ich gesprächsbereit.“

Ans Aufhören denkt der 77-Jährige nicht. Im Frühling bringt er persönlich seine Büchlein in die kleinen Buchläden entlang seiner Küste, im Herbst holt er übrig gebliebene Exemplare wieder ab. Von Mai bis Ende August lebt er auf seiner „Johanna“. Dicht am Geschehen in Blekinge, kann er stets die neuesten Revierinfos in seinem Blog veröffentlichen. Von hier aus vertreibt er auch seine Bücher über das Internet. Dafür hält er keinen Onlineshop vor und dockt sich erst recht nicht an große Versandhändler an. Eine schlichte E-Mail genügt, schon geht spätestens nach einem Tag die Lieferung raus. Das ist seine freiwillige Selbstverpflichtung.

Nur manchmal, wenn seine „Johanna“ an einem sonnigen Sonntagmorgen in einer ruhigen Bucht sanft um den Anker schwoit, hofft der Rentner: „Bitte keine Kundschaft heute! Ich möchte einfach hierbleiben“, und fügt lachend an: „Was für ein toller Händler!“


Zur Person: Thomas Karlsson

Der 77-jährige Schwede aus Karlshamn ist Segler seit Jugendtagen und kennt sein Heimatrevier wie kein Zweiter. In zwei Publikationen, die auch in deutscher Sprache zu haben sind, teilt er sein Wissen und beschränkt sich dabei nicht auf nautische Informationen


Thomas Karlssons Törn-Empfehlungen für die Blekinge-Schären

Unzählige Ankerbuchten, Naturhäfen und vier kleine Städte mit gastfreundlichen Häfen finden sich im Blekinge-Schärengarten – die Auswahl fällt schwer. Revierkenner Thomas Karlsson empfiehlt sechs Orte, vom Osten mit seinen reizvollen, kargen Außenschären bis zum lieblicheren Westteil.

 | Karte: YACHT-Grafik
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1. Ungskär

Der Hafen der kleinen Schäre ist durch ein schmales, ausgepricktes Fahrwasser zu erreichen. Über seinen kräftigen Molen findet sich eine kleine Ansammlung hübscher Häuschen mit bunten Gärten und unzähligen Igeln. Seeseitig zeigt die kleine Schäre beeindruckende Felsformationen, durchzogen von glitzerndem Quarz. Boote mit mehr als 1,80 Meter Tiefgang können alternativ Stenshamn anlaufen.

 | Karte: YACHT-Grafik
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2. Hasslö

Die Insel ist recht flach und bietet sich für Radtouren durch eine weite Heidelandschaft oder einen Badeausflug zum feinen Sandstrand bei Sandviken im Süden an. Sie war einst Mittelpunkt der Fischerei in den östlichen Schären. Der große Fischereihafen Garpahamnen im Osten hat Gastliegeplätze und einen Werftbetrieb.

 | Karte: YACHT-Grafik
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3. Karön/Ekenäs bei Ronneby

Die bezaubernde Insel Karön wartet mit einer traumhaften Landschaft und prachtvollen alten Villen aus Holz mit geschnitzten Fassaden, Erkern und Veranden auf. Ihr gegenüber liegt Ekenäs, der Sportboothafen von Ronneby, wo es Strom, Wasser, Kraftstoff und ein Restaurant gibt.

 | Karte: YACHT-Grafik
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4. Tjärö

Die Ferien- und Wassersportinsel mutet an wie das schwedische Paradies. Dabei ist hier kaum etwas künstlich in Szene gesetzt. Alle Zutaten sind da: Sauna, Kro, Wanderwege, alte Wälder und schöne Liegeplätze, wahlweise vor Anker oder an Felshaken und Anlegestegen.

 | Karte: YACHT-Grafik
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5. Tärnö

Auf der kleinen Landzunge Tjuvanabben im Norden steht seit mehr als 300 Jahren eine der ältesten Eichen Blekinges. Bei Wanderungen auf den Wegen durch Wald und Wiese lassen sich beeindruckende Klippenformationen bewundern. Auf der höchsten Erhebung, dem Drakaberg, steht Schwedens ältester Holzleuchtturm, 1910 gebaut und bis heute in Betrieb. Schatzsucher gehen am Südufer der Insel spazieren, an dem das Treibgut der ganzen südlichen Ostsee anlandet.

 | Karte: YACHT-Grafik
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6. Hanö

Eine mehr als reichhaltige Flora und Fauna und atemberaubende Blicke vom 60 Meter hoch gelegenen Fyrkullen zeichnen die Insel ganz im Westen des Archipels aus. Sie ist recht einfach anzusteuern und ein sehr beliebter Zwischenstopp in der Hanöbucht. Im Sommer kann es im Hafen sehr voll werden, mit Päckchen ist zu rechnen.

 | Karte: YACHT-Grafik
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