Seine Heimkehr hatte sich Jörn Grote anders vorgestellt. Es ist ein Spätsommertag, als er die kleine schleswig-holsteinische Gemeinde Güster erreicht und am Steg seines Elternhauses festmacht. Hier, unmittelbar an einem Seitenarm des Elbe-Lübeck-Kanals, verbrachte er seine Jugend. Und hier lernte er auch den Umgang mit Pinne und Schot. Sein Vater sagte einst, man könne von der Heimat in die weite Welt hinaussegeln. Da ahnte Grote noch nicht, dass er genau von dort, aus weiter Ferne, einmal nach Güster zurückkommen würde – und zwar auf eigenem Kiel!
Als es im September 2016 so weit ist, wird ihm die Ankunft allerdings nicht leicht gemacht. Mit seiner „Archangel“, einer Buccaneer 40, hatte er gerade erst den Atlantik überquert, war die Elbe hinaufgefahren und wollte den Trimaran schließlich auf die heimatlichen Gewässer steuern. Doch die Behörde vor Ort meint, dafür sei das Boot zu groß. Begründung: „Ein Trimaran ist nach Bauart dafür geeignet, die Welt zu umsegeln oder den Atlantik zu überqueren; er ist aber nicht dafür geeignet, auf einem vergleichsweise kleinen See zu fahren beziehungsweise zu liegen.“ Auch der Gang vor Gericht hilft Grote nicht. Die Richter entscheiden: Im Wasser darf das Boot nicht bleiben.
Damit hat Jörn Grote nicht gerechnet. Dabei war es genau diese restriktive und pedantische Art der Bürokratie, die ihn einst dazu brachte, Deutschland zu verlassen. 28 Jahre lang war er fort, erlebte zahlreiche Abenteuer, von denen viele nur träumen, und fand in der Karibik ein neues Zuhause. Nun kehrt er vor bald neun Jahren aus familiären Gründen heim – und die deutsche Engstirnigkeit holt ihn ein. Seine Eltern waren kurz zuvor gestorben, er muss sich mit seinen Geschwistern ums Elternhaus kümmern. Vor Ort möchte er zudem sein 2013 gekauftes Boot einem gründlichem Refit unterziehen.
Der behördliche Entscheid hält ihn nicht ab von seinem Vorhaben. Kurz entschlossen nimmt er die Sache im Wortsinn selbst in die Hand. Mithilfe von Seilzügen und Winschen zieht er den mehrere Tonnen schweren, zwölf Meter langen und siebeneinhalb Meter breiten Trimaran an Land. Da das Boot nun aus dem Wasser ist, geben sich die Behörden zufrieden.
Das alles ist Geschichte. Inzwischen ist das elterliche Haus verkauft. Und die „Archangel“ liegt in einer Bootshalle, einen Steinwurf entfernt von der Kieler Förde. Nur der Refit, der ist noch nicht ganz abgeschlossen. Die Rümpfe strahlen zwar in neuem Orange, die Kajüten sind erst entkernt und dann wieder aufgebaut worden, und auch die Elektrik, der Motor und die Segel sind neu. Verschiedene Restarbeiten sind hingegen noch zu erledigen.
Wenn Jörn Grote von seinem Disput mit den Behörden erzählt, schmunzelt er. Es ist nur eine von vielen Anekdoten, die der 60-Jährige aus seinem bewegten Leben zu berichten weiß. Doch gerade sie veranschaulicht Grotes Anpacker-Mentalität. Er geht die Dinge an, probiert und wagt. Damit ist er bislang gut durchs Leben gekommen. Und genau so soll es auch weitergehen bei seiner jetzt bevorstehenden Reise um die Welt. Praktische Erfahrung dafür hat er gewiss genug gesammelt.
Mitte der Siebzigerjahre – Jörn Grote ist gerade zwölf Jahre alt – kommt er das erste Mal mit dem Segeln in Berührung. Sein Vater hatte eine 420er-Jolle für das Gewässer vor der Haustür gekauft. Schnell bringt sich der Junior ein, macht sich das Boot zu eigen. Doch bis ihn das Segelfieber vollends packt, sollen noch einige Jahre vergehen. Nach der Schule absolviert er eine Ausbildung zum Fotografen. Anfang der Achtzigerjahre zieht er nach Westberlin. Dort eröffnet er ein Studio; nebenbei repariert er alte Möbel. Mit Werkzeug und Maschinen umgehen zu können, das wird noch von Vorteil für ihn sein.
Fern der Küste zieht es ihn doch immer wieder zurück ans Wasser. Mit Kuttern befährt er die Elbe und mit der „Falado von Rhodos“, einem kleinen Rahsegler, geht es hinaus aufs Meer. Mit ihr sammelt er schließlich auf einem Törn von Spanien in die Niederlande seine erste Hochseeerfahrung – „und ich verliebte mich komplett ins Segeln“. Danach dauert es nicht mehr lange und er verkauft sein Berliner Studio. Das Geld steckt er in sein erstes eigenes Boot, einen achteinhalb Meter langen Miglitsch-Kreuzer. Damit soll es ins Mittelmeer gehen.
Ein Jahr Segeln steht auf dem Plan. Freunde raten allerdings ab vom Mittelmeer: zu kalt im Winter. Warum also nicht zu den Kanaren, fragt er sich. Dort angekommen, trifft er viele, die sich auf die Atlantiküberquerung vorbereiten. Also überdenkt er erneut seine Pläne: Warum nicht auch über den Ozean?
1989 erreicht er die Karibik. Gerade einmal 100 US-Dollar hat er bei seiner Ankunft in der Tasche, erzählt er. Die Hälfte geht gleich beim Einklarieren drauf. Also muss zügig ein Job her – und der lässt nicht lange auf sich warten. Der Eigner einer Ferrozement-Yacht, einem aus Beton gebauten Boot, sucht einen Charterkapitän. Jörn Grote ist der richtige Mann für die 13 Meter lange „Soliloquy“. Einen Führerschein hat er zwar nicht. Den habe er auch nicht gebraucht, sagt er. „Wenn man sein Boot über den Atlantik gesegelt hat, dann reichte das vielen als Nachweis.“ Eine Testfahrt und er hat den Job.
Doch die Zusammenarbeit soll nicht lange währen. Wenige Monate später verwüstet Hurrikan „Hugo“ weite Teile der Karibik und des Südostens der Vereinigten Staaten. Auch die „Soliloquy“ trifft es hart, sie erleidet schwere Schäden. So schwer, dass der Eigner sie loswerden möchte – und so gerät sie in Grotes Besitz. Er nimmt sich der Yacht an und macht sie wieder fit. Fortan ist sie das neue Zuhause von ihm und seiner Frau Yasmin Baksh, die er zuvor auf Trinidad kennengelernt hat.
Bald darauf erfährt Grote, dass in Trinidad Burma-Teak auf großen Plantagen angebaut wird. Er erkennt seine Chance. Während der Weltmarktpreis für Teakholz Anfang der Neunzigerjahre bei rund 15 Dollar pro Quadratfuß liegt, zahlt man in Trinidad nur ein Zehntel. Grote lädt sein Betonboot voll und segelt nach Venezuela: „Ich war der einzige Tischler, der auch das richtige Holz an Bord hatte.“ Mit dem, was er nicht loswird, segeln er und seine Frau weiter durch die Karibik, verkaufen die Reste an andere Bootsbauer. Es ist ein rentables Geschäft.
Während er das Holz veräußert, bietet seine Frau Schmuck und Kleidung in den örtlichen Hotels an: „Wir waren eine schwimmende Boutique, wurden auf allen Inseln willkommen geheißen und hatten überall Freunde.“ Zwei Jahre geht das so. Von Trinidad nach Venezuela, dann die Kleinen Antillen hinauf bis zu den Jungferninseln. 4.000 Seemeilen, immer alles ohne Maschine.
Mitte der Neunzigerjahre verlagert sich das Leben des Paares zunehmend an Land. Sie bekommen ihr erstes von vier Kindern und ziehen erst nach Tobago, wenig später nach Trinidad. Zu dieser Zeit steckt die Bootsbranche auf der Insel noch in den Kinderschuhen. Doch die Zahl der Yachten, die in den Sommermonaten die Insel im Süden der Karibik ansteuern, steigt. Es hat sich herumgesprochen, dass Trinidad während der Hurrikan-Saison sicher ist.
Mit zunehmender Zahl an Seglern steigt auch der Bedarf an Bootsbauern. Grote erkennt erneut die Gelegenheit und gründet gemeinsam mit einem Partner eine Reparaturwerft. „Wir haben alles gemacht“, berichtet er, „Ruder, Kiele, Teakdecks, Glasfaserarbeiten und neue Anstriche.“ Zwischen 2000 und 2008 sind es rund 200 Eigner, die sie mit Arbeiten an ihren Booten beauftragen.
Auf Trinidad könne man auch ohne formale Ausbildung Bootsbauer sein, sagt er. Genau diese Freiheit und die Lebensfreude der Menschen seien es, die ihn immer an der Karibik fasziniert hätten. Nicht ein Zertifikat sei entscheidend, sondern die Fähigkeit, die zu erledigende Arbeit zu meistern. „Wer handwerklich begabt ist, findet in der Karibik einen Job“, ist Grote überzeugt.
Neben den Reparaturen entwickelt sich ein neues Geschäftsfeld für ihn: Immer mehr Eigner, die ihr Boot zu Grote geben, möchten es auch von ihm überführen lassen. Eines der ersten ist die „Signe“. „Diese 35 Meter lange, ketsch-getakelte Yacht war mein Meisterstück“, sagt Grote. Neben einem neuen Anstrich soll der Rumpf mit echtem Gold verziert werden. Es ist eines der größten Schiffe, die er in Trinidad restauriert. Auf die Reparaturen folgen zahlreiche Überführungen – innerhalb der Karibik, in die USA, nach Europa. Vor allem eine ist ihm in Erinnerung geblieben.
»Wer handwerklich begabt ist, der findet in der Karibik ohne große Probleme immer einen Job.«
Es ist Mitte Dezember, die „Signe“ soll von New York nach Antigua verholt werden. Bald nach der Abfahrt verschlechtert sich das Wetter rasant. Nachts um vier Uhr passiert es dann: ein Knock-down, das Boot wird auf die Seite geworfen. Genau in diesem Moment steigt ein Crewmitglied aus der Kajüte an Deck. Da die Frau noch nicht eingehakt ist, geht sie über Bord. „Ich habe sie nur noch an mir vorbeifliegen sehen“, erzählt Grote. Doch sie hat Glück. Geistesgegenwärtig greift sie nach einem Seil und kann zurück an Bord gezogen werden.
Als sich das Boot wieder aufrichtet, steht Wasser im Maschinenraum, die Kommunikation ist tot und die Epirb-Notfunkbake hat sich losgerissen und Alarm ausgelöst. In der Folge schickt die Küstenwache ein Flugzeug, um nach den vermeintlich Schiffbrüchigen zu suchen. Doch sie sichten nur treibende Ausrüstung, die fortgespült worden war, als das Schiff in den Wellen lag. Erst als sie Bermuda erreichen, kann die Crew der „Signe“ den Irrtum aufklären. Boot und Crew waren mit einem blauen Auge davongekommen.
Die Werft in Trinidad läuft zunächst parallel zu den Überführungen weiter. Mit der Zeit wird es allerdings zunehmend herausfordernd, beides zu koordinieren. 2008 fällt daher die Entscheidung, sie zu schließen. Damit ist nun mehr Zeit für Überführungsjobs. Die gibt es reichlich, jedes Jahr bringt Grote eine Yacht in die Karibik und ein bis zwei Boote nach Europa – mal als Kapitän, mal als Wachführer.
Neben modernen Yachten sind es auch Klassiker wie die „Thendara“, eine 35-Meter-Yacht von 1936. Am Ende kommt er auf 21 Transatlantiktörns: „Ich liebe Langfahrten. Wenn die Arbeiten erledigt sind und der Proviant verstaut ist, kann man das Handy beiseitelegen und einfach nur segeln – was gibt es Schöneres?“
Heute, sagt er, komme es bei einer Ozeanpassage vor allem auf die Vorbereitung an: „Ich bin im Laufe der Jahre mit vielen Kapitänen gesegelt. Die besten unter ihnen haben am wenigsten zu erzählen.“ Ihre Schiffe seien so gut präpariert, dass sie ihr Ziel ohne Schwierigkeiten erreichen, sagt er. „Vorbereitung ist alles.“
Das gilt auch für das Projekt, das er nun angehen will. In der Kieler Bootshalle stehen mittlerweile die letzten Arbeiten an. Bis Ende Juli muss alles fertig sein, denn dann wird der Hafenkran für mehrere Monate repariert. „Die Zeit drängt also. Wir wollen los, solange das Wetter noch schön ist.“ Dann wird es in Etappen erst zurück in die Karibik gehen, mit Zwischenstopps bei Freunden und Bekannten, bevor Jörn Grote und seine Frau 2026 den Schritt ins Ungewisse wagen wollen. Beabsichtigt sei, über Panama in den Pazifik zu gehen.
Überführungen wird er weiterhin anbieten, doch mehr Planung gebe es noch nicht, sagt er. „Dafür ist der Pazifik auch viel zu groß.“ Was er und seine Frau sich jedoch fest vorgenommen haben: „Immer weitersegeln, um die ganze Welt.“