Andreas Fritsch
· 31.08.2022
Die „Malizia – Seaexplorer“ hat die ersten Tests absolviert, Boris Herrmann und seine Crew haben die ersten Erfahrungen auf dem neuen Boot gesammelt. Im YACHT-Interview berichtet der Skipper, wo das Team steht und welche Herausforderungen es noch gibt
Die Franzosen sagen dazu „Es ist gut geboren“, das meint, dass es bisher ein Boot ohne unerwartete Kinderkrankheiten oder Probleme ist. Es gibt ja so Schiffe, die haben schon in der Werft oder die ersten Woche oder sogar Jahre viele Schwierigkeiten. „Corum“ hatte da zum Beispiel viel Pech, erst ist es viel zu spät fertig geworden, dann kam Corona dazwischen, jetzt haben sie einen Kiel verloren. Die haben noch nie ein Rennen beenden können. Da wird man so ein bisschen abergläubisch, deshalb sind wir so froh, dass bei uns alles ganz gut läuft.
Downwind bei mehr Wind hatten wir einfach zu selten, es war die letzten Wochen fast kein Wind. Wir hatten einmal 20 Knoten, aber nicht lang genug. Ein bisschen Dünung und Schwell gab es, aber einfach noch nichts Weltbewegendes. Trotzdem können wir uns das Boot ganz gut vorstellen, es scheint zu funktionieren.
Es geht darum, zu verstehen, wie nutze ich das Boot am besten, wann setze ich welches Segel? Das ist manchmal offensichtlich, bei Leichtwind von achtern setze ich den Spi, das überrascht natürlich niemanden. Aber wie ist das bei 18 Knoten aus 90 Grad? Welche Segelkombination ist dann die effektivste? Das müssen wir systematisch testen, für alle Segel, für alle Windstärken, weil das nicht so trivial ist. Es kann zwar sein, dass du mit einem größeren Segel schneller ins Foilen kommst, aber wenn du dann foilst, kann es sein, dass du mit dem großen Tuch oben mehr Reibungswiderstand in der Luft hast und das Boot dann nicht mehr weiter beschleunigt. Da kann es dann sein, dass lieber ein kleineres Segel gesetzt wird, bei dem man sich mehr Mühe geben muss, dass das Boot ins Foilen kommt und scheinbaren Wind aufbaut. Aber wenn das dann geschafft ist, fährt es stabiler, besser und sogar schneller, weil das kleinere Segel weniger Windwiderstand hat. Dafür ist auch die Kombination wichtig: lieber großes Vorsegel mit Reff im Groß oder kleineres mit?
Ein anderer Punkt ist der Ballast. Wir haben Tanks hinten, vorne und an den Seiten. Da experimentieren wir auch viel. Wir haben schon überraschende Ergebnisse gehabt. Manche Kombinationen, von denen wir dachten, sie machen uns schneller, haben uns in der Realität langsamer gemacht. Andere waren dann wieder erfolgreich, haben das Schiff super stabilisiert.
Wir haben schon mal gelernt, dass das Foil voll draußen nicht immer die beste Lösung ist. Man kann es auch ein bisschen einziehen, um den Flug zu stabilisieren oder um zum Beispiel am Wind bei leichterem Wind weniger Widerstand im Wasser zu haben. Da gibt es eine ganze Menge zu lernen, das dauert wahrscheinlich bis zum Ende des Ocean Race. Mindestens. Ich schätze, zwei Jahre werden wir experimentieren und immer mehr herausfinden.
Wir machen keine Rocket-Science daraus. Man schaut, geht das schneller so oder so oder eben nicht. Natürlich behalten wir dabei die Lasten im Auge, aber dass wir an die Grenzen gekommen sind, das gab es bisher zum Glück noch gar nicht. Es sieht ganz gut aus, die neuen Foils scheinen deutlich steifer zu sein als die des alten Bootes, die Lastgrenzen sind höher. Es werden einfach später Alarme ausgelöst als bei der vorigen „Seaexplorer“. Akademischer wird es erst später, wenn wir die Lastgrenzen erreichen und es darum geht, wie man sie vielleicht noch etwas verschieben kann, indem weniger Foil-Rake gefahren wird, weniger Ballast oder so etwas. Aber im Moment ist das noch ein sehr pragmatisches Ausprobieren.
Wir haben ein sehr gutes Gefühl raumschots, vor allem VMG downwind, da präsentiert sich das Boot super. Da hatten wir letztes Wochenende eine Fahrt von zweieinhalb Tagen und kamen mit einer schönen hohen Dünung und 12 bis 14 Knoten Wind zurück. Da ist „Malizia – Seaexplorer“ konstant über 20 Knoten und bis zu 24 Knoten gefoilt. Und der Autopilot hat das Schiff schön gerade auf den Foils gehalten, hat es aggressiv gesteuert. Das Boot ist sehr stabil und stetig in seiner idealen „Fluglage“ geblieben. Und der Autopilot reagierte sehr gut auf eine Änderung der Welle, besonders, wenn sie von hinten kommt. Da hatten wir alle ein Grinsen im Gesicht! Das ist es ja, was wir erreichen wollten. Bei der Vendée wird statistisch 65 bis 70 Prozent downwind gesegelt, dafür haben wir das Boot optimiert, und das ist uns anscheinend gut gelungen. Das ist ein bisschen der Unterschied zu den Verdier-Schiffen, die downwind alle etwas Probleme haben, aber sehr gut reachen. Wir haben andere Prioritäten gesetzt. Nun müssen wir noch alle anderen Windwinkel lernen.
Die sind alle schon mit an Bord. Es ist auch egal, ob wir das Boot fürs Ocean Race oder die Vendée optimieren. Wir haben einfach noch eine ganze Menge zu tun, deshalb segeln wir auch meist nachts, damit die Shorecrew tags am Boot arbeiten kann. Aber diese Testphase wird Ende August langsam abgeschlossen. Dann folgt das erste Training in Port La Forêt und damit die Konfrontation mit den anderen Teams. Sich das erste Mal mit den anderen zu Messen wird natürlich ein spannender Moment.
„Apivia“ und „Linked Out“ sind die beiden stärksten Teams, die dabei sein werden. Die machen wahrscheinlich Einhandtrainings für die Route du Rhum. Wir werden als Crew segeln, der Schwerpunkt ist bei uns einfach etwas anders. Die Route du Rhum werden wir jetzt nicht auf Sieg segeln. Es ist wichtiger, dass ich mich für die Vendée Globe qualifiziere und das Boot in einem Stück lasse, damit wir für das Ocean Race bereit sind.
Ein paar Sachen sind noch nicht fertig, die halten uns aber nicht vom Segeln ab. Es wird noch ein Sitz eingebaut, hier ein Luk gedichtet, dort Kabel gezogen, es ist eben einfach noch eine Menge zu tun. Durch das umschichtige Segeln wird aber 24 Stunden am Boot gearbeitet.
Ich weiß es nicht genau, schätze aber so 2.000 Meilen. Einmal bin ich 300 Meilen alleine gesegelt, als Teil des Qualifyings für die Route du Rhum.
Nein, da segelt man einfach in einem günstigen Windwinkel von Lorient los und wieder zurück. Nichts Spektakuläres.
Ich freue mich sehr darauf. Es ist ja unser Ansatz, das Projekt mit den Leuten zu teilen, die uns unterstützen, die mit uns mitfiebern bei den Rennen. Ich freue mich, die Elbe hoch zu segeln, ihnen das Boot zeigen zu können. Und für das Team ist es auch eine schöne Auszeit. Nach der vielen Arbeit ist das eine willkommene Ablenkung.
Nach dem Azimut-Rennen ist Port la Forêt dran. Danach kommt das Boot noch einmal kurz in die Werft für letzte Check-ups vor der Route du Rhum. Es geht jetzt Schlag auf Schlag. Jetzt heißt es einfach segeln, segeln, segeln, damit man irgendwann an dem Punkt ist, dass wir das Boot so gut kennen, dass man in jedem Moment spürt, jetzt will es ein wenig mehr Foil oder weniger, andere Ballastverteilung und so weiter. Das dauert viel länger als bei normalen Booten, weil die Kombination aus Ballast, Foil, Besegelung eben so viele Varianten zulässt. Ein Jahr ist da wirklich nicht viel.
Alle schauen sich natürlich an, was die anderen machen. Ist schwer zu sagen, was funktioniert, was nicht, da sind nicht leicht Schlüsse zu ziehen. So richtig sagen, was funktioniert und was nicht, kann man erst nächstes Jahr.
Die Ruder sind extrem, der Rumpf ist sehr schmal und flach im Unterwasserschiff. Da sind drei extreme Entscheidungen gefallen. Aber das Boot sieht gut aus, und nach dem, was man so am Steg hört, scheint es auch gut zu laufen.
„Linked Out“ wird wohl extrem, sieht sehr schmal aus, von den anderen ist es schwer zu sagen. Es wird aber überraschend neue Formen geben, denke ich. Langweilig wird es bei den IMOCAs nie!