EssayÜber den besonderern Zauber der ersten Nachtfahrt

Steffi von Wolff

 · 16.12.2025

Wenn das Licht schwindet, öffnet sich uns Seglern eine fremde und zugleich faszinierende Welt.
Foto: YACHT/S. Hucho
Nachts segeln? Für YACHT-Kolumnistin Steffi von Wolff schlicht undenkbar. Schon die Idee sei absurd und ihr Schlaf sowieso heilig. Und dann, ganz spontan, probiert sie es doch aus. Ein Essay über ungeahnte Erkenntnisse sowie geradezu magische Momente unterm funkelnden Firmament.

​Die Stimmen unserer Stegnachbarn habe ich noch im Ohr. Von ungläubig – „Du machst Witze!“ – bis hin zu fassungslos ist alles vertreten. Dabei hatte ich lediglich beiläufig von mir gegeben, dass ich noch nie nachts gesegelt sei. Noch nicht einmal bei anbrechender Dunkelheit. Und dass ich folglich in meinen mittlerweile 59 Lebensjahren noch nie eine Sternschnuppe gesehen habe. Also ja, im Fernsehen, aber noch nicht so richtig selbst. So einen gleißenden Feuerschweif am schwarzen Nachthimmel. Dabei bin ich romantisch veranlagt. „Dornenvögel“, „Die Brücken am Fluss“ oder „Magnolien aus Stahl“ zählen zu meinen Lieblingsbüchern und -filmen. Aber man kann halt nicht alles haben im Leben.


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„Dass du das nicht vermisst!“, sagte Frank. „Überleg mal. So eine Sternschnuppe ist über viereinhalb Milliarden Jahre alt und besteht aus kosmischem Material.“ Und Michi ergänzte: „Ich finde es viel schlimmer, dass sie noch nie nachts gesegelt ist. Ein richtiger Segler segelt doch auch nachts.“ Dann redeten alle auf einmal auf mich ein. „Du musst das machen!“ (Claudi, energisch). „Du wirst es nicht bereuen“ (Frank, mutmachend). „Du musst wissen, was du nicht tust“ (wieder Michi, geradezu philosophisch).

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Und mein Mann? „Schon hundertmal hab ich ihr das alles gesagt, ohne Erfolg“, berichtete er resigniert. „Immer will sie lieber ein Kreuzworträtsel lösen, sticken, auf dem Tablet einen Film schauen und per se zeitig in die Koje.“

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Was soll an einer Nachtfahrt schon besonders sein?

Das ganze Gerede nervte. Genügte es denn nicht, dass ich seit Jahren tagsüber tapfer mitsegle und mir dabei manchmal immer noch übel wird? Dass mir hohe Wellen und Schräglage bis heute nicht ganz geheuer sind? Und überhaupt, was soll an einer Nachtfahrt schon besonders sein? Ja, gut, eine Sternschnuppe – also wirklich!

„Das kannst du nur verstehen, wenn du es mal gemacht hast“, erklärt mir mein Mann. „Es ist ganz anders als tagsüber. Alles, alles ist anders! Sagen die anderen ja auch – aber bitte.“ Er sagt das so, als sei der Stegfrieden in Gefahr.

Und dann kommt der Urlaub. Wie stets wird er von meinem Mann akribisch geplant. Bei welchem Wind woher und wohin. Welche Häfen ansteuern oder lieber doch nicht, weil hier und da und dort im Sommer zu viel Trubel auf den Stegen herrscht. Er liebt seine Ruhe. „Ich habe folgenden Plan“, bekomme ich schließlich erklärt. „Der Wind weht günstigerweise aus West, und das mit 12 bis 14 Knoten, das ist ideal. Ablandig, keine Welle, und wir werden schnell unterwegs sein. Wir segeln nach Anholt, das sind rund 150 Seemeilen. Wenn wir konservativ mit sechs Knoten Bootsgeschwindigkeit im Schnitt rechnen, brauchen wir rund 25 Stunden. Weil du ja nicht alleine am Rad stehen magst, müssen wir entweder unterwegs ankern oder in Tunø in den Hafen und dann am nächsten Morgen weitersegeln.“

„Gut“, stimme ich zu.

Bis hierhin also alles wie immer. Wir legen ab, die Stegnachbarn winken uns beim Ablegen hinterher, und ich bin sehr froh, weil die Sonne scheint, die Ostsee glatt ist und wir einen Anlieger fahren können. So mag ich das. Da braucht man auch keine Dunkelheit. Oder doch?

Vielleicht will ich mir selbst etwas beweisen

Wir segeln mit guter Fahrt durch den Kleinen Belt, passieren später die Brücken von Middelfart. Und dann kommt die Dämmerung angeschlichen. Ich steuere bereits seit einiger Zeit und will meinen Mann schon bitten, zu übernehmen. Da habe ich plötzlich die Eingebung, einfach noch ein bisschen weiterzufahren. In den Sonnenuntergang. Mein Mann wirft mir hin und wieder einen verwunderten Blick zu. Ich ignoriere es und tue, als ob nichts sei. Doch das stimmt nicht.

Der Sonnenuntergang ist der Wahnsinn! Geradezu majestätisch. Ich habe durchaus schon Sonnenuntergänge erlebt, aber der hier ist anders. Vielleicht weil ich steuere, vielleicht weil mir das mit dem „nachts segeln“ im Kopf herumschwirrt. Vielleicht weil ich den anderen oder mir selbst etwas beweisen will. Vielleicht weil ich mal eine „richtige“ Seglerin sein möchte. „Welchen Kurs muss ich steuern?“, höre ich mich fragen. Sein Blick ist Gold wert.

Während die Nacht schrittweise das Meer übernimmt, stehe ich da und fahre hinein in die sanfte Dunkelheit. Da, der Mond! Langsam gleiten silberne Streifen übers Wasser, das in einem beruhigenden Fluss unter mir weiß, was es zu tun hat. Zu sehen ist nicht viel, aber das, was zählt, schon: Leuchtfeuer, Tonnen, andere Schiffe.

Mein Mann fragt, ob ich mich sicher fühle und er sich mal hinlegen kann, und ich nicke nur und frage mich, woher diese Ruhe in mir kommt. Einfach schön, angenehm, es kann so bleiben. Ja. Ich fühle mich sicher. Und geborgen. Es ist einfach so.

Mal steuere ich, mal setze ich den Autopiloten ein, mal korrigiere ich die Schoten. Ansonsten ist es wunderbar still, und meine Gedanken, die sich immer um alles Mögliche drehen, schalten ein paar Gänge zurück und legen eine Pause ein, um dann langsamer ihre Runde durch meinen Kopf zu drehen. Bin ich jetzt entschleunigt (so heißt das ja jetzt)? Wie alt ist eigentlich das Wasser unter mir? Ist das noch das Originalwasser in der Ostsee, in dem schon die Wikinger zu ihren Raubzügen aufgebrochen sind? Was hat das Wasser denn wohl alles gesehen? Ach, ist das Plätschern schön!

Die Welt hat beschlossen, mal ruhig zu sein

Ein neues Gefühl ist da. Was ist das? Zufriedenheit wohl. Ja, ich bin zufrieden. „Nachtschwarz“ ist ein schönes Wort. „Nachtschwarzsilber“ aber auch. Ich sehe nur das Meer und den Mond. Keinen Horizont, kein Ufer, nur Dunkelheit, durchsetzt vom Licht des Mondes. Ich höre das Wasser und den Wind – ansonsten nichts.

Die Welt hat beschlossen, mal ruhig zu sein. Es ist ein merkwürdiges, aber durchaus angenehmes Gefühl, so dazustehen und alles ist im Fluss. Ich denke langsam und an Vergangenes, an Menschen, die nicht mehr da sind und nie mehr wiederkommen werden, und zum ersten Mal habe ich kein trauriges Gefühl dadurch, sondern ein nahes. Als würde ich abschließen. Wer weiß, vielleicht schweben die Seelen tatsächlich über einem herum.

Der Mond über mir wirkt so nah, und nun schaue ich hoch in den Himmel, der so klar ist, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Was natürlich auch daran liegt, dass ich immer so früh in der Koje verschwinde. Der Begriff „zum Greifen nah“ gewinnt an Bedeutung. Und dann die Sterne!

Hilfe, sind das viele! Tausende – und dazwischen das Schwarze, das Tiefe, das zufrieden Machende. Ich schaue wieder hi­nauf, bewundere die Sterne, und dann, plötzlich, tut sich der Himmel für einen Moment auf, eine Bewegung ist zu sehen, etwas scheint zu explodieren. Eine Sternschnuppe muss das sein, rasend schnell, ein leuchtender Strich durch die Ewigkeit. Und noch eine. Und noch eine.

Endorphine rasen durch mich durch. Ich bekomme Nackenschmerzen, aber es ist mir egal. Warum hat mir niemand vorher gesagt, wie schön die Nacht unter freiem Himmel auf einem Boot sein kann? Und Sternschnuppen. Ja, ich weiß, man hat es mir gesagt, aber die hätten doch alle viel eindringlicher sein müssen!

Nächstes Mal besser vorbereiten – nächstes Mal?

Das Boot schlendert gelassen und mittelschnell durch die glatte See, der Wind meint es gut mit mir – es ist, als ob Wind und Schiff verstehen, dass ich jetzt keine Bö, keine Wende brauche, sondern einfach nur den Kopf nach hinten legen und gucken möchte. Ich bin froh, dass ich alleine bin. Dass ich mich nur für mich habe. Worte würden nur stören. Dann sehe ich aufs Wasser, und das funkelt irgendwie. Als wären Sterne unter der Oberfläche. Ich möchte sie so gern aus dem Meer herausholen, die Sterne, und mitnehmen. Es ist magisch. Über mir das Weltall, unter mir die Tiefe, und ich dazwischen, getragen von Wind und Wellen.

Die Zeit verliert sich, sie ist mit einem Mal egal. Erst spät merke ich, dass ich friere. Ich gehe schnell den Niedergang hinab nach unten, um mir meine Jacke aus dem Schrank zu holen. Und um Socken und Schuhe anzuziehen, denn ich bin immer noch barfuß. Und stoße mir prompt die Zehen an den Stufen an. Autsch! So schön es ist, sich einfach mal treiben zu lassen und die Nachtfahrt zu genießen – besser ist es, wenn man sich etwas darauf vorbereitet. Das merke ich jetzt. Aber es war ja eine Spontanaktion. Wie auch immer, warme Sachen und vor allen Dingen dicke Socken sollte man sich rechtzeitig anziehen. Und für den Fall der Fälle Schal und Ölzeug bereitlegen. Denn wir wissen ja, die See macht, was sie will, und die Wettervorhersage stimmt weiß Gott nicht immer. Ich bekomme Lust auf einen heißen Kaffee, aber habe keinen vorbereitet. Selbst schuld. Nächstes Mal – nächstes Mal? – weiß ich’s besser!

Es passiert nichts und doch so viel

Mein Mann ist unterdessen tatsächlich eingeschlafen. Ich kann es kaum glauben. Was für ein Vertrauen! Ich beeile mich, wieder nach oben an Deck zu kommen, weil ich nichts verpassen will von dem, was mich erwartet: Ruhe, Frieden, Sternschnuppen, Sterne, Wasser, Dahintreiben. Es passiert nichts und doch so viel.

So viele Gedanken, so viele Gefühle. Ich sehe Konturen auf dem Mond. Die Nacht ist glasklar, die salzige Luft betörend. Wie hatte ich darauf nur all die Jahre verzichten können! Und dann ein neues Gefühl: Ich bin angekommen. Wo? Das weiß ich nicht, aber ich fühle so. Wahrscheinlich weil ich so zufrieden bin. Weil schöne Gefühle mich in Wellen durchlaufen und ich mir vorkomme, als wäre ich von innen mit Glück angemalt.

Ich schaue hin und wieder auf den Kartenplotter. Wir sind auf Kurs, alles gut. Kein anderes Schiff in der Nähe, das uns gefährlich werden könnte. Und der Wind weht weiterhin sanft und die See zeigt sich immer noch von ihrer ruhigen Seite. Danke dafür, lieber Wind und liebe Wellen, dass ihr mich so wohlwollend mitnehmt!

Magisch und sternschnuppenschön

Diese Nacht ist magisch. Ich werde sie nie vergessen. Da – wieder eine Sternschnuppe. Wie alt sind eigentlich Sterne? Ich segle weiter, gehe auf neuen Kurs, mache dann wieder den Autopiloten an und lege mich im Cockpit hin. Schaue nach oben, wo die Sterne glitzern und der Mond mit stoischer Ruhe auf mich herabscheint. Und dann: Bin ich einfach glücklich.

Irgendwann kommt mein Mann an Deck, da stehe ich wieder am Rad. „Und, wie ist es?“, fragt er. „Magisch und sternschnuppenschön“, erwidere ich, während die Glückshormone in mir tanzen. „Ich wollte, es würde immer so bleiben.“ Da kommt er an mich heran und legt den Arm und mich. Gemeinsam schauen wir nach oben in den noch immer dunklen Himmel. Da – wieder eine Sternschnuppe! Ich bin beseelt. Wir schweigen. Dann sagt er: „Wir frieren den Augenblick ein und halten ihn fest.“

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