RiggtrimmVorstagsspannung, das vergessene Trimminstrument

Hauke Schmidt

 · 20.10.2022

Riggtrimm: Vorstagsspannung, das vergessene TrimminstrumentFoto: YACHT/J. Kubica
Bei derart viel Druck sollte das Vorstag stärker gespannt sein. Dadurch sackt es weniger nach Lee, und das Vorsegel wird flacher

Auch das Vorstag muss richtig getrimmt sein: Welche Folgen der unvermeidliche, aber begrenzbare Durchhang des Vorstags für die Kreuzeigenschaften hat – und wie die Crew damit umgehen sollte

Dieser Artikel wurde von Hauke Schmidt in Zusammenarbeit mit Barry Hayes von UK Sailmakers Irland verfasst

Wenn es um den Vorsegeltrimm geht, denken viele Segler an die Schot- und Holepunktposition – nicht zu Unrecht, denn mit den beiden Einstellungen lassen sich Anstellwinkel und Verwindung des Segels direkt beeinflussen. Soll das Profil verändert werden, kommt die Fallspannung zum Tragen. Was dabei in der Regel übersehen wird: Auch der Durchhang des Vorstags verändert die Form des Segels.


So bestimmen Sie Ihren Vorstagsdurchhang:

Von unten: Der beste Weg, den Vorstagsdurchhang zu erfassen, sind Fotos entlang des Vorlieks. Hier ist gut zu erkennen, wie tief das Segelprofil wird
Foto: UK-Sailmakers/Barry Hayes

Ob es sich um ein Fahrtenboot oder eine Regattayacht handelt, spielt dabei erst einmal keine Rolle. Der Vorstagsdurchhang hat immer dieselben Folgen. Selbst ein perfekt gespannter Draht hängt schon durch sein Eigengewicht ein wenig durch, ein gewisser Durchhang ist nicht zu vermeiden. Das bedeutet: Die Verbindung vom Mast zum Vorstagsbeschlag ist keine gerade Linie, sondern ein leichter Bogen. Kommt Druck ins Segel, so vergrößert sich der Effekt, sprich der Bogen wird runder. Wie stark das Stag nach achtern sackt, hängt vom Bootstyp und den vorhandenen Trimmeinrichtungen ab. Bei Regattabooten sind es in der Regel weniger als zehn Zentimeter, während auf Fahrtenyachten deutlich mehr auftreten kann.

Das Stag sackt nicht nur nach hinten, sondern auch nach Lee, und zwar in einem Winkel von etwa 45 Grad zur Mittschiffslinie. Damit ändert sich der Kraftverlauf im Segel, das Tuch wird in der Mitte der Vorliekslänge weniger gespannt und bekommt ein tieferes Profil.


Profil und Verwindung:

Verzogen:  Auf diesem Bild ist das Vorstag zu lose, das Vorliek ist zu rund, und das Vorsegel hat ein tieferes Profil, als vom Segelmacher vorgesehen
Foto: UK-Sailmakers/Barry Hayes

Welche Auswirkungen hat der Vorstagstrimm?

Bewusst eingesetzt, ergibt sich so ein effizientes Trimminstrument: Je weiter das Stag nach achtern sackt, desto fülliger wird das Vorliek, das Profil wird tiefer. Damit lässt sich bei Leichtwind mehr Vortrieb generieren. Leider hat der zusätzliche Durchhang auch Auswirkungen auf das Achterliek. Es wird geschlossen, was in der Regel unerwünscht ist. Es gilt also, das richtige Maß zu finden.

Besonders auf Booten mit schmalen, sehr eng geschoteten Vorsegeln hat man mit dem Durchhang zu kämpfen, denn diese Segelkonfiguration arbeitet nur effektiv, wenn die Luft am Achterliek der Fock gut abfließen kann und der Spalt zum Großsegel nicht zu sehr geschlossen wird. Daher ist auf solchen Booten an der Kreuz schon bei mittleren Windbedingungen eine hohe Vorstagsspannung nötig.

Wenn die Achterstagsspannung nicht ausreicht, um den Durchhang unter Kontrolle zu bringen, sollte der Holepunkt des Vorsegels nach achtern getrimmt werden. Dadurch bekommt es mehr Twist, und der Spalt zum Großsegel öffnet sich wieder. Sobald das Achterstag nachgetrimmt ist oder der Winddruck nachlässt und das Vorstag wieder gerader ist, sollte der Holepunkt wieder nach vorn gefahren werden.


Vorstag: Welche Folgen hat zu starker Durchhang?

Riggtyp und Segel entscheiden darüber, wie viel Vorstagsdurchhang in Ordnung geht. Schmal geschnittene Vorsegel aktueller Performance-Cruiser reagieren deutlich empfindlicher auf ein durchhängendes Vorliek als weit überlappende Genuas älterer Riggkonfigurationen. Außerdem spielt die Beschlagsausstattung eine Rolle. Denn um ausreichend Spannung aufs Vorstag zu bekommen, ist ein potenter Achterstagspanner nötig.

Regattayachten sind normalerweise entsprechend ausgerüstet, daher beträgt der Vorstagsdurchhang selten mehr als zehn Zentimeter. Auf einem Fahrtenboot kann der Durchhang deutlich größer sein – manchmal bis zu 30 Zentimeter. Dieser übermäßige Vorstagsdurchhang verschlechtert vor allem die Kreuzeigenschaften, da ein zu tiefes Profil größere Anstellwinkel benötigt und das Boot wenig Höhe läuft. Wie viel Durchhang tatsächlich vorhanden ist, lässt sich am besten mit Fotos überprüfen. Dazu lässt man das Achterstag in Neutralstellung, also nur leicht angesetzt, und geht an den Wind. Am deutlichsten ist der Durchhang zu erkennen, wenn man entlang des Vorstags ins Segel fotografiert. Da der größte Durchhang in der Mitte des Vorlieks entsteht und einige Meter über dem Deck liegt, fällt es selbst mit dem Foto nicht leicht, ein exaktes Maß zu ermitteln.

Der Trick besteht darin, die Perspektive so zu wählen, dass der Mast im Hintergrund sichtbar wird. Dadurch erhält man eine gerade Referenzlinie. Der Abstand zwischen der Vorderkante des Mastes und dem Vorstag lässt sich über die Breite des Profils der Rollreffanlage abschätzen, siehe die vorhergehende Seite.


Die richtigen Einstellungen fürs Vorstag

Auf einem Regattaboot unter 40 Fuß sollten es nicht mehr als zehn Zentimeter sein, da das Vorliek des Segels sonst zu rund und das Profil zu tief wird. Bei größeren Booten darf der Wert auch größer sein. Aber nicht nur die Bootsgröße, sondern auch die Auslegung des Segels spielt eine Rolle. Eine leichte Genua 1 hat in der Regel mehr Reserven, um dem Vorstag zu folgen, als ein für mehr Wind ausgelegtes Tuch.

Wie eingangs beschrieben, kann der Durchhang auf Fahrtenbooten deutlich größer sein, da mit den serienmäßigen Trimmeinrichtungen nicht die nötige Riggspannung erreicht werden kann. Das lässt sich zwar im Segeldesign berücksichtigen, die Möglichkeiten sind aber begrenzt, daher sollte man sich an den auf Racern üblichen zehn Zentimetern orientieren. Für diesen Durchhang sind auch Tourensegel ausgelegt, und man erhält ein gutes Gleichgewicht zwischen Riggspannung und der Form des Segels. Bei mehr Durchhang wird das Rigg unter Last weich, und das Vorliek ist zu voll.

Bei Leichtwind lässt sich der Vortrieb des Vorsegels mit einem losen Vorstag deutlich verbessern. Das tiefe Profil ist aber nur sinnvoll, solange das Boot langsam ist. Sobald es beschleunigt, sollte das Achterstag sukzessive angesetzt und der Durchhang verringert werden. Dabei auf die Bootsgeschwindigkeit achten. Wenn das Segel zu früh flach getrimmt wird, fehlt womöglich die Kraft, um durch die Welle zu fahren.


Spanner-Tuning

Varianten:

Hydraulische Integralspanner sind sehr kräftig und komfortabel
Foto: YACHT/N. Günter

Das Achterstag bestimmt den Vorstagsdurchhang. Wie sich der Trimm erleichtern lässt:

Bei Topp- oder 9/10-Riggs übernimmt das Achterstag einen Teil der Vorstagsspannung, womit der Durchhang auch ohne Backstagen gut kontrolliert werden kann. Beim 9/10-Rigg beeinflusst es zudem die Mastkrümmung. Das ist bequem, denn mit einem Zug am Achterstag werden Vor- und Großsegel gleichzeitig flacher, und es kann sehr einfach Druck aus dem Boot genommen werden. Allerdings treten auch große Kräfte auf, weshalb die serienmäßigen Trimmeinrichtungen nicht immer ideal sind. Am leichtesten lassen sich Taljensysteme durch einen zusätzlichen Klappläufer aufrüsten. Mit nur einer zusätzlichen Umlenkung kann die Untersetzung verdoppelt werden. Allerdings müssen dazu die Längen des Achterstags und eines eventuell vorhandenen Klappläufers angepasst werden. Gewindespanner sind die simpelste Ausführung und allenfalls bei Toppriggs brauchbar. Bis etwa 40 Fuß können Kurbelspanner eine komfortable Alternative sein, darüber ist in der Regel auch auf Yachten mit 9/10-Takelung ein Hydraulik-System nötig.

Beim 9/10-Rigg wird ein Teil der Vorstagsspannung über die gepfeilten Salinge von den Wanten gehalten. Das Achterstag biegt den Mast und erhöht gleichzeitig die Vorstagsspannung. Die mögliche Mastkurve wird von den Unterwanten begrenzt. Damit keine negative Kurve entsteht, darf das Achterstag beim Segeln nicht komplett gelöst werden. Zu viel Zug führt zu losen Oberwanten.

Da das Achterstag mit relativ kurzem Hebel über dem Vorstag angreift, wirkt es auch gegen übermäßigen Durchhang. Es ist aber ein kräftiger Spanner gefordert. Schon auf einer 37-Fuß-Yacht kann bis zu einer Tonne Zug nötig sein. Die Spannung sollte sich schnell an Windänderungen anpassen lassen. Untersetzungen von 24:1 bis 48:1 oder eine Hydraulik sind erste Wahl.


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