FinnlandInsel-Hopping im Schärengarten vor Turku

Jan Jepsen

 · 24.10.2022

Swimmingpool in der Ostsee. Auf Björkö existiert ein großer Binnensee. Es ist der einzige im gesamten Archipel, die Insel ein gefragtes Törnziel
Foto: Jan Jepsen

Der Turku-Archipel in Finnland ist das Lieblingsrevier vieler skandinavischer Segler. Im Schutz der Schären finden sich zig traumhafte Plätze. Als Auswärtiger lässt sich das Inselreich mit der Charteryacht erkunden

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Dieser Törn beginnt, bevor man überhaupt einen Fuß auf finnischen Boden gesetzt hat. Vom Sonnendeck der Fähre nach Helsinki, mit der wir anreisen, schweift der Blick erstmals über die der Küste vorgelagerten Schären. Als würde das Schiff mitten durch einen japanischen Steingarten fahren, so fein arrangiert sieht das aus. Dazwischen vereinzelt ein paar Segelboote. Das lässt Vorfreude auf den bevorstehenden Törn im Turku-Archipel aufkommen. Aber auch eine gehörige Portion Respekt. Nirgends auf der Welt ist die Inseldichte höher als hier in Finnland. Laut Turku-Universität sind stattliche 44.225 große, kleine und winzige Eilande übers Revier verstreut. Nicht mit gerechnet all die numinosen Untiefen, die knapp unter der Wasseroberfläche lauern.

„Na und – kein Problem! Haltet euch einfach an die Fahrwasser“, rät einige Stunden später Hannu Pahtu. Er ist Chef von Midnightsunsailing und stellt uns in Dalsbruk zur Reviererkundung gleich mal sein größtes Schiff der Flotte zur Verfügung: eine Beneteau 50. Die ist nicht nur 15 Meter lang, sondern ihr Kiel geht vor allem 2,40 Meter tief. Uns erscheint das ein wenig überdimensioniert für dieses Revier. Doch Pahtu zuckt mit den Schultern: „Tut mir leid – Corona!“, sagt er. Um zu überleben, habe er drei kleinere Schiffe verkaufen müssen, und die anderen seien alle unterwegs.

Zum Schluss verrät er uns noch, wo es am schönsten ist. Auf einem Zettel notiert er die Namen von sieben Inseln und Häfen, die wir besuchen sollen. Die den meisten Ostseeseglern zumindest vom Hörensagen bekannten Åland-Inseln stehen nicht drauf. Sie anzusteuern halte er angesichts nur einer Charterwoche für überambitioniert. Da würden wir eine Menge anderes verpassen. „Guckt euch lieber Turku an. Das ist eine schöne, junge Stadt“, sagt er. Außerdem sei da diese Woche ein Straßenkunstfestival.

Die Kunst der schadlosen Schärennavigation in Finnland

Also los! Doch bevor wir uns gedanklich mit dem ersten Etappenziel beschäftigen, heißt es, sich mit der Kunst der schadlosen Schärennavigation vertraut machen. Auf Tuchfühlung mit dem Revier gehen – buchstäblich. Und das schön langsam, sprich: erst mal nur mit großer Genua. Vorm Wind mit Vollzeug gleich draufloszuhalsen, dabei nach Tonnen Ausschau zu halten und die dann allesamt richtig zuzuordnen, erscheint für den ersten Törntag doch ein wenig viel. Zumal die beiden Leichtmatrosen an Bord – meine zwei Jungs – erst noch einen Auffrischungskurs in Sachen Navigation und Kardinalzeichen benötigen.

Mehr Tuch tut auch gar nicht not. Das Schiff läuft ohne Groß mühelos sieben Knoten. Für mein Gefühl fast fünf zu viel, wenn man sich erst mal eine Orientierung inmitten der vielen Tonnen verschaffen möchte. Die ist dringend nötig. Links und rechts der Fahrwasser liegen jede Menge natürliche Stolpersteine.

Nach und nach fällt die Anspannung ab, und man kann das gemächliche Gleiten über glitzerndes Ostseewasser genießen. Die Umgebung könnte skandinavischer kaum sein: wo man hinschaut, Schären. Mal mehr, mal weniger bewaldet. Dazwischen ruhiges Wasser. Die einzigen Wellen stammen von anderen Booten, die einem entgegenkommen. Dazu Sonne satt und angenehme 3 bis 4 Beaufort aus Südost. Mehr geht nicht.

An Tag zwei wird dann auch das Groß gesetzt. Wir haben uns zur südlichsten Hauptroute durch die Schären gen Westen vorgearbeitet. Das Fahrwasser wird breit genug, um so lange zu kreuzen, bis die Arme wehtun vom ewigen Dichtholen der großen Genua. Gut, wenn man zwei Teenager an Bord hat, die die Winschen als Fitnessgeräte entdecken und sich gegenseitig überbieten. Bis die Arme brennen.

Irgendeine schöne Schäre findet sich immer

Außer Tonnen und Untiefen will auch der Gegenverkehr im Blick behalten werden. Die Sommerferien in Finnland neigen sich ihrem Ende entgegen, viele Segelboote sind auf Kurs Heimat. Es ist ein bisschen wie auf dem Highway gen Helsinki. Es wird eifrig gegrüßt. Ausnahmslos. Die Jungs fragen, wo wir eigentlich hinwollen. Antwort: Schlagt was vor! Theoretisch könnte man fast überall an Backbord oder Steuerbord die Ausfahrt nehmen. Irgendeine Schäre, an der sich festmachen ließe, findet sich immer. Obwohl viele der Inseln in Privatbesitz sind. Lediglich an privaten Stegen anlegen, sehen sie auch noch so verlassen wie verlockend aus, ist tabu. Solange man nicht in Sichtweite der Sauna festmacht, greift das Jedermannsrecht. Mit anderen Worten, es bleibt genügend Freiheit für alle.

Dank Jedermannsrecht darf man selbst an Privatinseln festmachen. Dabei aber Abstand zu Ferienhäusern, Stegen und Saunen halten

Wir entscheiden uns schließlich für einen Boxenstopp in Borstö. Kurz Kräfte tanken und mittels Achterboje in Bullerbü-Ambiente im Gasthafen festmachen. Erst gegen Abend segeln wir weiter gen Westen, nach Jurmo. Auch dort gibt es einen Gasthafen und sogar einen kleinen Laden. Leider erweisen sich die Wassertiefen am Steg als zu flach für unser Schiff. Ein Mann mit schweren Schallschutz-Kopfhörern deutet an, wir sollten an der Pier für die Fähre längsseits gehen. Er sieht aus wie ein Hafenarbeiter oder Helikopterpilot.

Nachdem er unsere Leinen angenommen und an Bord zurückgereicht hat, stellt er sich als Wilhelm Helsingius vor und klärt uns auf, was es mit dem Ohrenschutz auf sich hat. Er sei früher Schlagzeuger gewesen und habe sich die Ohren kaputt getrommelt. Heute leide er an Tinnitus und sei sehr geräuschempfindlich. „Aber das ist nur ein Grund, weshalb ich den Sommer hier draußen auf Jurmo auf meinem Boot verbringe. Ich mag es hier, die Leute, das Leben“, erzählt Helsingius. Er hilft ein bisschen aus, wo er kann. Gibt auch uns noch ein paar Tipps, was wir als Nächstes ansteuern sollten.

Björkö als Highlight im Turku-Archipel

Ganz oben auf der Liste steht Björkö. Mit drei Ausrufungszeichen. Dort gebe es einen Naturhafen. Und auf der Schäre, Überraschung, einen Süßwassersee. Der einzige im ganzen Archipel! Dann aber folgt der Dämpfer, als die Frage nach unserem Tiefgang aufkommt. Ein ungläubiger, fast mitleidiger Blick. „2,40 Meter, du liebe Güte, das könnte knapp werden“, sagt Helsingius.

Sei es drum. Erst mal Jurmo anschauen. Die Insel ist anders. Von karger Schönheit und mit tragischer Geschichte. Einst lebten hier Strandpiraten, die schwedische Handelsschiffe ins Verderben lockten und plünderten. Dem König wurde das bald zu dumm. Er schickte Soldaten, die machten kurzen Prozess. Die Bewohner Jurmos wurden ermordet, die Insel komplett gerodet. Die Stille hier bekommt dadurch abends einen anderen Klang.

Am nächsten Tag kommt Wilhelm mit guten Nachrichten ans Boot. Er hat für uns telefoniert, mit den neuen Besitzern Björkös. Die sagen, mit unserem Tiefgang sollten wir uns in der Einfahrt zur Bucht einfach weiter westlich halten, dicht unterm Ufer. Dort wäre es entgegen der Seekarte bis zu drei Meter tief. Nichts wie hin! Die Etappe ist kurz, dafür können die Jungs, nachdem wir angekommen sind, ohne Sorge vor lästigen Quallen ausgiebig im See auf der Insel baden. Der ist, umgeben von der Ostsee, eingerahmt von einer magischen Schärenlandschaft. Unfassbar schön.

„Im Sommer liegen hier bis zu 100 Schiffe“, erzählt uns Santeri, dem gemeinsam mit Freundin Tiia die Insel gehört. Die beiden betreiben auf Björkö ein Café. Das junge Paar hat den alten Bauernhof auf dem Eiland samt See vor ein paar Jahren erstanden. Mit Aussteigerleben habe das nichts zu tun. „Das Café öffnen wir nur während der Saison. Nächste Woche schon fliegen wir nach Seoul zum Studieren“, sagt Santeri. Er will Ingenieur werden, Tiia studiert International Business. In ihrem Café bieten sie selbst gebackenen Kuchen an. Wir probieren Rhabarbertörtchen, sie sind köstlich! Das Rezept, verraten die beiden, sei 400 Jahre alt, so alt, wie der Hof zurückdatiert.

Turku als urbane Abwechslung zur Schären-Einsamkeit

Nach drei Tagen Schärenbummelei wird klar, die Åland-Inseln ansteuern wäre tatsächlich mühsam. Der Wind weht nach wie vor stramm aus Südwest, in Böen sind es bis 6 Beaufort. Warum da gegenan knüppeln, wenn sich in jeder Himmelsrichtung ein lohnendes Ziel findet! Korpoström und Högsåra zum Beispiel. Oder Utö, eine der äußersten Inseln des Archipels. Nach kurzer Rücksprache mit der Crew fällt die Entscheidung auf Turku. Mal ein bisschen Kultur nach so viel Natur. So ein Wechsel trägt zweifellos zum Reiz des Reviers bei.

Der Weg zur Stadt wird zum Genuss. Die Halsen sitzen, und weit und breit keine Welle, die unsere Rauschefahrt stört. Da kommt Freude auf. Mit sieben bis acht Knoten segeln wir ungerefft Slalom um die Schären. Gegen Abend machen wir dann erst mal in Korpoström fest. Die Marina ist sehr beliebt bei den Einheimischen. Zum einen wegen des Restaurants, zum anderen wegen der wechselnden Ausstellungen und kulturellen Darbietungen. An diesem Tag wird gerade eine Vernissage zum Thema „Traditioneller Bootsbau im Archipel“ veranstaltet. Nebenbei erfahren wir, dass morgen die Nacht der Künste in Turku stattfindet. Ein Grund mehr, die Raumschotsbrise auszukosten.

Finnland als Segler-Paradies

Je näher man Turku kommt, desto zahlreicher die Segelschiffe und desto gediegener die Ferienhäuser an den Ufern. Beinahe wähnt man sich in den Hamptons statt in Finnland. Wir segeln bis fast hinauf in den Fluss Aura. An Backbord passiert man dabei das Forum Marinum, eine Flotte historischer Schiffe. An Steuerbord moderne Häuserfassaden. Voraus schließlich eine uralte Kettenfähre, die im Schneckentempo über den Fluss rattert. Kurz davor liegt die Gästemarina, die auch ohne Reservierung Platz für uns hat. Einen günstigen noch dazu: 35 Euro für 15 Meter Schiff, inklusive Strom und Sauna! Ausweise oder Schiffspapiere brauchen wir nicht vorzuzeigen. Weniger Bürokratie geht kaum. Und mehr Gastlichkeit auch nicht. Finnland ist ein Land für Segler.

Turku ist wie versprochen jung und quirlig, fast ein wenig mediterran. Die Menge flaniert am Fluss entlang oder fährt Elektroroller. Mit der Nacht der Künste sind vor allem Straßenkünstler gemeint. Die Darbietungen sind zwar eher dürftig, doch das ist kein Problem. Turku selbst ist Attraktion genug.

Vielerorts sind die Fahrwasser zwischen den Schären breit genug, um bei Wind von vorn unbeschwert aufkreuzen zu können

Tags drauf hat sich der Wind gelegt. Wir kreuzen wieder ein Stück hinein in die Schären, machen den Fähren Platz und wollen in Seili an den Holzsteg, scheitern dort aber in der schönen, schilfigen Bucht an der Wassertiefe. Ein Dingi ist leider nicht an Bord. Danach folgt eine kleine Odyssee auf der Suche nach einem Platz für die Nacht unter Berücksichtigung der Privatsphäre der Ferienhaus-Finnen. Davon gibt es gerade in der Nähe Turkus reichlich. Hinter jeder Ecke das nächste Kleinod. Und jedes Mal mit Haus und Steg. Man kann nur stöhnen und seufzen. So idyllisch, so schön und doch so unbrauchbar für einen Segler, dass man sich kurzzeitig ausgegrenzt fühlt.

Schließlich finden wir dann aber doch noch die perfekte Schäre für die Nacht. Das Wasser bis an den Stein heran tief genug, um über den Bug aussteigen zu können. Rasch die Festmacher an Land sowie den Heckanker ausgebracht, schon liegen wir windgeschützt vor „unserer“ kleinen Insel. Vom Vollmond beschienen. Von der Sonne geweckt. Von den Göttern geküsst. Selten war die Welt schöner und friedlicher.


Fünf Tipps für den Törn in Finnland

Jurmo: Die Insel hat ihren ganz eigenen, kargen Charme. Es gibt einen kleinen  Laden, eine Seefahrerkirche und selbstverständlich eine Sauna mit Meerblick. Im Sommer ist hier meist sehr viel los
Foto: Jan Jepsen

Revier-Infos Finnland/Turku

Foto: YACHT

Anreise

Mit der Finnlines-Fähre von Travemünde nach Helsinki, idealerweise samt eigenem Auto. Die Überfahrt dauert entspannte 30 Stunden. Die Vierbett-Innenkabine kostet pro Passage für vier Personen inkl. Pkw in der Vorsaison ab 428 Euro, die Außenkabine 493 Euro. Wer die Rückfahrt mitbucht, erhält 20 Prozent Rückfahrt-Rabatt.

Wind & Wetter

Auf den Inseln ist das Wetter allgemein etwas wärmer als auf dem finnischen Festland. Im Sommer liegen die Temperaturen zwischen 15 und 25 Grad Celsius. Wind häufig aus südwestlicher bis westlicher Richtung. Im Frühsommer sorgt der große Temperaturunterschied des kalten Wassers und der bereits erwärmten Luft für kräftigeren Seewind. Vor allem zwischen den äußeren Schären steht dann mitunter eine kurze, steile Welle. Ende September muss mit ersten Herbststürmen gerechnet werden.

Navigation & Seemannschaft

Das Revier ist anspruchsvoll. Steine, Felsen und Schären sehen überall nicht nur sehr schön, sondern auch sehr ähnlich aus. Die wohl wichtigste Regel: Jederzeit zu wissen, wo genau man sich befindet. Papierseekarten sollten deshalb stets im Cockpit griffbereit liegen und ständig mit der Realität abgeglichen werden. Rote und grüne Tonnen finden sich eher selten, oft nur in sehr engen Fahrrinnen. Anders als in Schweden überwiegen in den Schären bei Turku Kardinaltonnen ohne Toppzeichen. Mit der farblichen Anordnung der schwarz-gelben Kennung sollte man daher bestens vertraut sein. Von Nachtfahrten zwischen den Steinen wird generell abgeraten.

Literatur & Seekarten

„Küstenhandbuch Ostsee“ von der Edition Maritim, 69,90 Euro; Finnische Sportbootkarten Satz D über Hansenautic, 58 Euro.

Charter

Wir waren mit einer Beneteau 50 von Midnightsunsailing unterwegs. Die Basis in Dalsbruk befindet sich südlich von Turku und westlich von Helsinki. Das Schiff kostet je nach Saison zwischen 2.600 und 3.900 Euro. Eine Jeanneau SO 33i oder eine Dufour 325 liegen zwischen 1.250 und 2.200 Euro pro Woche. Buchung unter www.midnightsunsailing.fi oder via gängige Agenturen.

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