Mit drei Freunden wollte Marcus Neumüller Mitte Oktober noch einmal eine Woche aufs Wasser. Bereits im August hatte er im Netz eine erst ein Jahr alte 40-Fuß-Beneteau bei Athen gefunden; sie sollte 2.600 Euro kosten, inklusive SUP. „Da kannst‘ nix falsch machen“, dachte der südlich von Steyr lebende Österreicher. Er buchte direkt und überwies am 24. August nach Erhalt der Reservierungsbestätigung den vollen Charterbetrag.
Sechs Wochen später, nur einen Tag vor seinem Abflug, erreichte ihn allerdings aus heiterem Himmel eine verstörende Nachricht. Ein bereits vorab angereister Mitsegler hatte vom Flottenbetreiber in Alimos erfahren, dass der das Schiff nicht herausgeben werde. Der Grund: Boataround, die Online-Agentur, über die Neumüller gebucht hatte, war die Schlussrate von 1.200 Euro schuldig geblieben, obwohl längst fällig. Eine offenbar gängige Praxis, wie der Chef der Charterbasis anmerkte: „Mit denen haben wir des Öfteren solchen Ärger.“
Was für Marcus Neumüller und sein Crewmitglied folgte, war ein Wettlauf gegen die Zeit, begleitet von Ärger, Wut und der Sorge, die Schlussrate noch einmal zahlen zu müssen, um an die Charteryacht zu kommen. Per Mail, Telefon und über den Flottenbetreiber forderte er Boataround auf, ihre Vertragspflicht umgehend zu erfüllen. Der Druck zeigte Wirkung. Am Nachmittag überwies die slowakische Online-Agentur den ausstehenden Betrag schließlich doch noch – nur eine Stunde vor Auslaufen der letzten Frist.
„So einen Stress braucht kein Mensch!“, sagt der Arzt rückblickend. Nach seiner jüngsten Erfahrung werde er „sicher nicht mehr bei Boataround buchen“. Es gebe ja genug andere Agenturen, die für ihre Qualität bekannt und zudem zertifiziert seien. „Wir waren einfach geblendet vom günstigen Preis“.
Neumüller und seine Crew hatten noch Glück. Andere Boataround-Kunden traf es zuletzt härter: Mal waren die gebuchten und zugesagten Yachten gar nicht verfügbar, mal blieb die Agentur monatelang Auszahlungen oder Rückerstattungen schuldig, mal entsprachen die auf der Homepage gepriesenen Rabatte nicht einmal im Ansatz den tatsächlich offerierten Nachlässen.
Nico Gast aus Neuenhagen bei Berlin erlebte gleich eine ganze Kaskade unerfreulicher Überraschungen. Er hatte für einen Törn im September einen 14-Meter-Katamaran über Boataround gebucht und anbezahlt. Weil der zum gewünschten Zeitpunkt nicht zur Verfügung stand, wurde ihm als Ersatz ein gleich großes Konkurrenzmodell angeboten. Gast bezahlte im Juli und August die letzten beiden Charterraten und reiste am 27. September „voller Vorfreude“ an.
Doch auch das Ersatzboot blieb ihm und seiner Crew verwehrt, weil wie im Fall von Marcus Neumüller die letzte Rate nicht weitergeleitet worden war. Der Basisleiter habe daraufhin den Vertrag storniert und den 46-Fuß-Kat anderweitig verchartert.
Als Ersatz offerierte Boataround nur einen wesentlich kleineren 40-Fuß-Kat, der erst am Folgetag bereitstehen sollte, zudem rund 350 Kilometer entfernt. Notgedrungen ließ sich Nico Gast in seiner Zwangslage auf den abermaligen Tausch ein, mietete ein Auto und machte sich mit seiner Crew auf den Weg.
Die Mehrkosten für den Wagen und der entgangene Segeltag wurden ihm nicht gutgeschrieben. Selbst die Erstattung des Differenzbetrags für die Charter in Höhe von 906 Euro blieb Boataround wochenlang schuldig. Erst als Gast eine Frist bis Ende Oktober setzte und bei Nichterfüllung mit Insolvenzantrag drohte, reagierte die Agentur.
Auf Trustpilot, einem führenden Kundenzufriedenheitsportal, erfreut sich das 2016 gegründete Unternehmen zwar weiterhin einer guten Bewertung. Mit 4,5 von 5 möglichen Sternen wirbt Boataround selbst für seinen Service. Die jüngsten Beurteilungen, auffallend oft anonymisiert abgegeben, sind allesamt herausragend. Wer sich die Mühe macht, auch die Ein-Stern-Bewertungen aufzurufen, findet aber Dutzende vernichtender Kritiken, mit einer signifikanten Häufung seit August.
Die Vorgänge erinnern an die Endphase einer anderen, mit zig Millionen an Investorengeldern und hohem Anspruch gestarteten Online-Agentur: Zizoo. Das Startup-Unternehmen mit Hauptsitz in Wien und Geschäftsführung in Berlin behielt 2023 über Monate die Chartergebühren von Kunden ein, bevor Anfang vorigen Jahres der Betrug aufflog und an beiden Standorten Insolvenzverfahren eingeleitet wurden.
Auch Zizoo war angetreten, den kleinteiligen, bis heute von vielen Familienbetrieben geprägten Markt für die Vermittlung von Charterbooten zu monopolisieren – ähnlich wie Booking.com den weltweiten Reisemarkt dominiert. Mit einer einfach nutzbaren Website, aggressivem Marketing und hohen Rabatten wollten sie traditionellen Agenturen und Flottenbetreibern das Wasser abgraben. Doch verbrannten sie schneller Geld, als sie Marktanteile hinzugewannen.
In der Branche wächst nun die Sorge, dass Boataround in ähnlichen Schwierigkeiten stecken könnte. Bei der Bootsmesse in Biograd trafen sich daher Ende Oktober Vertreter mehrerer Charterfirmen, um sich gemeinsam gegen die Discount-Strategie zu stemmen, welche die ohnehin knappen Gewinnmargen erodieren lässt. Zwar kooperieren viele von ihnen mit der Online-Agentur, um ihre Flottenauslastung zu verbessern. Doch ist allen bewusst, dass Negativerfahrungen wie die von Marcus Neumüller oder Nico Gast auch ihrem eigenen Ruf schaden können.
Manche erwägen bereits, die Zusammenarbeit mit Boataround ganz einzustellen. Denn die Slowaken zeigten sich zuletzt sehr erfinderisch, was das Unterlaufen von Listenpreisen betrifft. Vor den jetzt propagierten Frühbucher-Rabatten warben sie mit sogenannten „Secret Deals“ von bis zu 50 Prozent – einem Angebot, bei dem der Kunde lediglich Bootstyp, Revier und Törndauer vorgeben konnte, aber keine Gewähr hatte, welches Schiff er am Ende tatsächlich bekommen sollte und von welcher Basis - eine Art Blind Date mit einem Boot.
Gegen diese Vermarktungsform bildete sich rasch Widerstand, weil sich die Flottenbetreiber gegeneinander ausgespielt fühlten. Auch die Kunden berichteten von teils problematischen Erfahrungen. Inzwischen sind die Schnäppchen von der Website verschwunden. Noch existierende spezifische Suchmaschinen-Treffer führen nicht mehr zum „Secret Deal“, sondern lediglich auf die Homepage.
Simone Morelli, Chef von North Sardinia Sail, geht die Rabattschlacht der Slowaken schon lange zu weit. Er entschloss sich bereits zu Jahresbeginn, die Zusammenarbeit ganz einzustellen. Im Januar schrieb er an seine übrigen Vermarktungspartner: „Schluss mit dem Discount-Vertrieb!“ Das Geschäftsprinzip von Boataround sei „skrupellos, fragwürdig und ausschließlich rabattgetrieben“. Er kritisierte auch, dass manche Anbieter von der Online-Agentur als „valued partner“ hervorgehoben würden, als „geschätzte Partner“, ohne dass für die Kunden nachvollziehbar sei, auf welchen Kriterien diese Auszeichnung beruhe.
Morellis harte Haltung könnte Schule machen. Schon jetzt beraten zahlreiche Charterfirmen, wie sie mit einer Art freiwilliger Selbstverpflichtung den Preiskrieg einhegen können. Sie erwägen, den Agenturen ein Limit zu setzen, was unabgestimmte Vergünstigungen umfasst. Es wäre eine kleine Revolution.
Friedrich Schöchl, Chef des Versicherers Yacht-Pool, ist in die Gespräche involviert. Er engagiert sich seit Jahren für mehr Transparenz und Verlässlichkeit im Chartermarkt. Dafür hat er das anerkannte Qualitätssiegel „Checked & Trusted“ etabliert, das nicht nur die Kundenzufriedenheit evaluiert, sondern auch die Bilanzzahlen von Agenturen und Flottenbetreibern prüft. Es wird jeweils nur für ein Jahr vergeben, um aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen.
Gegenüber der YACHT sagte Schöchl: „Onlineagenturen wie Boataround, getragen von branchenfremden Risikokapitalgebern, weisen teils wirtschaftliche Verhältnisse auf, die niemals einer Bonitätsprüfung nach den Kriterien des Yacht-Pool-Siegels standhalten würden.“ Bei manchen Firmen lehnt Schöchl sogar die Vermittlung von Charterversicherungen ab, um nicht in Verbindung mit deren Geschäftspraktiken gebracht zu werden.
Besonders problematisch sei, so der Branchenkenner, wenn die Vorauszahlungen von Charterkunden zur Finanzierung des laufenden Geschäftsbetriebs verwendet würden. „Kurzfristig mag das funktionieren. Doch die Vorschüsse werden den Agenturen nur treuhänderisch überlassen. Spätestens, wenn diese ihrer Weiterleitungspflicht nicht termingerecht nachkommen, handelt es sich um eine Zweckentfremdung – mit weitreichenden Folgen für die Charterkunden.“
Nutzt Boataround die Anzahlungen bestimmungswidrig als Überbrückungsfinanzierung? Oder sind die zahlreichen Vorfälle der vergangenen Monate lediglich auf Nachlässigkeit und Systemfehler zurückzuführen? Das lässt sich derzeit nicht abschließend beurteilen. Auf Trustpilot erklären die Slowaken bei kritischen Einträgen meist nur, dass sie stets um besten Kundenservice bemüht und Erstattungen bereits in Bearbeitung seien. Alles gut also?
Tatsächlich geben die Bilanzen der als Aktiengesellschaft eingetragenen „Boataround.com a.s.“ Anlass zu Skepsis. Nach den Zahlen von Finstat, der führenden Onlineplattform für Finanzinformationen über slowakische Unternehmen, ist die Charter-Agentur hoch verschuldet. Kumuliert hat sie bis Ende 2023 rund 5,8 Millionen Euro an Verbindlichkeiten angehäuft und steckt sogar beim Staat in der Kreide wegen nicht bezahlter Sozialabgaben.
Allein im Geschäftsjahr 2023 wies Boataround einen Verlust von 1,07 Millionen Euro aus. Jüngere Kennzahlen liegen nicht vor. Der Vorstand hat für 2024 bisher keine Bilanz veröffentlicht und die letzte Abgabefrist im September ignoriert. Warum, darüber schweigt sich das Unternehmen aus. Auch auf wiederholte Nachfragen der YACHT zu den jüngsten Entwicklungen reagierte Boataround nicht.
Friedrich Schöchl von Yacht-Pool empfiehlt Charterkunden vor diesem Hintergrund, vermeintlich unschlagbare Frühbucher-Tarife gründlich zu hinterfragen. „Wer heute bucht, streckt mitunter Tausende Euro in gutem Glauben für mehr als ein halbes Jahr vor. Ein Risiko, über das jeder vernünftige Mensch zweimal nachdenken sollte.“