Vineta, Ufos, HexenkreiseGeheimnisvolle Mythen rund um die Ostsee

Maik Brandenburg

 · 15.04.2023

Das sagenhafte Vineta vorm Untergang, wie es sich die Koblenzer Fotografin und Künstlerin Hannelore Schneider vorstellt
Foto: Hannelore Schneider

Sie besegeln die  Ostsee  und glauben, sie zu kennen? Irrtum! Unterm Kiel befindet sich eine Welt voller Rätsel und Mysterien: Ufos sind gelandet, Städte versunken, Wellen explodiert. Eine Reise zu den Mythen der Ostsee.

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Die Ostsee ist ein magisches Meer. Das weiß jeder, der sie schon einmal befahren und ihre ganz besonderen Stimmungen, ihre charakteristische Atmosphäre genossen hat. Sie verströmt einen Zauber, der seinesgleichen sucht. So weit, so wunderbar.

Für manche Menschen aber ist die Ostsee nicht nur ein magischer, sondern auch ein mysteriöser Ort voller Geheimnisse und unerklärlicher Phänomene. Denn entgegen der Vermutung, das wohlbekannte Revier sei längst bis ins letzte Detail erforscht, lassen diese Rätsel Raum für Fantasie und befeuern den Erkenntnisdrang. Sie führen aus längst vergangenen Zeiten ins Heute, aus den Tiefen der See in die Tiefen des Universums. Im Wahrheit nämlich ist die Ostsee ein Meer voller Sagen und Legenden und Dingen, die mit rationalem Verstand zuweilen schwer erklärbar sind.

Hexenringe auf dem Meeresgrund vor Møn

Vor der dänischen Insel Møn zeichnen sich merkwürdige Kreise am flachen Grund ab. Sie haben dunkle Umrisse und stehen dicht beieinander. Viele sind beinahe doppelt so groß wie der Mittelkreis auf dem Fußballfeld – um die 15 Meter. Natürlich zogen und ziehen die ominösen Ringmuster Sinnsucher aller Kaliber an.

Und die Experten in Übersinn erklärten gleich mal drauflos. Weil sie den legendären Kornkreisen auf manchen Feldern ähneln, können es nur Botschaften aus dem All sein – womöglich die Landeplätze tauchfähiger Ufos? Oder sie stammen von einer bislang unentdeckten Zivilisation in der Ostsee, es dürfte sich um die Beete submariner Kleingärtner handeln. Oder um die Tanzplätze aquatischer Hexen, die sich alljährlich zur Walpurgisnacht zum Wasserballett vor Møn verabreden. Nicht ganz so abwegig schien die Theorie, es handle sich schlicht um Bombenkrater. Nur dass die Ringe aus Seegras bestehen, war leicht zu beweisen. Schlüssige Erklärungen lassen ansonsten auf sich warten.

Vor Møn zieht das Seegras seine Kreise. Über Jahre gab es keine andere Erklärung als: Hexenwerk!Foto: Jacob T. Johansen
Vor Møn zieht das Seegras seine Kreise. Über Jahre gab es keine andere Erklärung als: Hexenwerk!

Mittlerweile glauben Forscher der Universität Kopenhagen, der Erscheinung am Meeresboden erfolgreich auf den Grund gegangen zu sein. Demnach sei das kalkige Terrain, gleich dem der Rügener Schreibkreide, für die Ringe verantwortlich. Es enthält wenig Eisen. Und das neutralisiert normalerweise giftige Sulfide wie etwa Schwefelwasserstoff, die durch organische Sedimente verursacht werden.

Vor Møn aber gelingt das nicht: Das Seegras, das sich eigentlich zu riesigen Matten auswächst, stirbt ab. Nur junges Seegras am Rande widersteht dem Angriff der Sulfide, mit seinen Ablegern bildet es die Unterwasserkreise. Sollte allerdings der Eintrag organischer Stoffe durch die Landwirtschaft weiter steigen, werden auch die jungen Halme nicht mehr lange standhalten können, dann gibt es in der Gegend bald gar kein Seegras mehr. Manchmal ist einem der Rausch der Fantasie lieber als die nüchterne Wahrheit.

Vineta das Atlantis der Ostsee

Es soll das Atlantis der Ostsee sein: das sagenhafte Vineta. Angeblich war es ein unglaublich reicher Ort. „Die Stadt ist angefüllt mit Waren aller Völker des Nordens, nichts Begehrenswertes oder Seltenes fehlt“, schrieb der Chronist Adam von Bremen im 11. Jahrhundert. Die Glocken aus Gold, die Fenster mit Diamanten besetzt, die Bewohner in edelste Pelze gekleidet, so ging die Mär. Doch die Gier der Städter war ihr Untergang.

Seither ist Vineta verschwunden – mehr oder weniger. Nur einmal im Jahrhundert, an einem Johannistag, erhebt es sich aus den Fluten. Dann ist jener gut dran, der etwas Geld in der Tasche hat, und sei es auch nur ein Cent. Der würde reichen, so heißt es, um die ganze Stadt zu kaufen.

Noch hat diese Koinzidenz nicht statt­gefunden, den Archäologen bleiben nur Spekulationen. Angeblich liegt Vineta vor Koserow auf der Insel Usedom, dort sollen stets noch seine Glocken aus der Tiefe zu vernehmen sein. Bereits die Menschen des 16. Jahrhunderts pilgerten in Scharen zum „Vineta-Riff“ vor Koserow und vermeinten, jene Glocken zu hören. Auch das nahegelegene, heute polnische Wollin beansprucht Vineta für sich; hier ist eine versunkene, rund 1.000-jährige Handelssiedlung nachgewiesen. Vor Arkona, Rügens nördlichstem Kap, wurde Vineta ebenfalls vermutet (manche wähnen dort sogar ein Heiligtum des griechischen Sonnengotts Apollo). Oder am Peenemünder Haken nahe der Insel Ruden. Oder vor Barth an einem heute versandeten Mündungsarm in den Saaler Bodden.

Wo lag Vineta? Ein möglicher Ort der untergegangenen Stadt wird vor Usedom vermutetFoto: Karte Eilhard Lubinus
Wo lag Vineta? Ein möglicher Ort der untergegangenen Stadt wird vor Usedom vermutet

Vielleicht befindet sich Vineta auch vor der schwedischen Hanö-Bucht, an der Mündung des Flusses Verkeån. Dort entdeckten Archäologen vor einiger Zeit eine in der Lagune versunkene Siedlung aus der mittleren Steinzeit. Zwar funkelten keine Diamanten am Meeresgrund. Dafür fanden die Forscher mehrere verbundene Fischfallen aus geflochtenen Haselruten, es soll nunmehr die älteste Reuse Nordeuropas sein. Auch eine Spitzhacke aus Elchgeweih, Hightech anno 7.000 v. Chr., ging den Wissenschaftlern ins Netz. Darauf sind rätselhafte Zeichen zu sehen, eine Art Schrift. Bisher konnte sie nicht entziffert werden. Womöglich ist ja die wahre Geschichte Vinetas darauf verzeichnet.

Ostsee-Ufo vor den Åland-Inseln

Einige sehen in dem eigenartigen Gebilde ein abgestürztes Raumfahrzeug Außerirdischer, andere das Wrack eines so geheimen wie hochtechnisierten (leider aber dennoch untergegangenen) Schiffs. Die Fachleute bemühen sich um Sachlichkeit und sprechen von einer „Ostsee-Anomalie“.

Der Durchmesser des kreisrunden Objekts beträgt rund 60 Meter, es ist etwa vier Meter hoch und liegt in einer Tiefe von bald 90 Metern nördlich der Åland-Inseln. Besser: Es steht, und zwar auf einer Art Pfeiler, der acht Meter hoch ist. Wer will, erkennt in der Struktur „Treppen“, er sieht „Eingänge“, „Korridore“ und „Aufbauten“. Die Form des, ähm, Dings erinnert den einen an einen Käfer, den anderen an einen Falken im Flug. Liebhaber der US-Filmserie „Star Wars“ indes gehen davon aus, dass das Gebilde Teil der Imperialen Sternenflotte ist. Eine lange „Bremsspur“ im Meeresboden scheint die Raumschiff-These zu stützen.

Äußerst merkwürdig mutet das „Ufo von Åland“ an, hier in einer Animation anhand von Sonar-Messdaten. Das Geofakt gibt den von extraterrestrischem Leben Überzeugten jede Menge Anlass zu SpekulationenFoto: Hauke Vagt
Äußerst merkwürdig mutet das „Ufo von Åland“ an, hier in einer Animation anhand von Sonar-Messdaten. Das Geofakt gibt den von extraterrestrischem Leben Überzeugten jede Menge Anlass zu Spekulationen

Der Schwede Peter Lindberg, der das Gebilde mit einem Team von Schatzsuchern 2011 entdeckte, berichtete von merkwürdigen Erlebnissen. Demnach soll genau über dem „Wrack“ die Bordelektronik seines Bootes ausgefallen sein; weder Handys noch Satellitentelefone funktionierten noch. Etwas weiter weg war dann alles wieder normal. Das liege an einem auf der Erde nicht vorkommenden Metall, so die Spekulation. Zudem sei ein bislang nicht entschlüsselbares Radiosignal registriert worden. Ein Tauch­roboter versagte in der Nähe, eine Radaraufzeichnung lieferte „geisterhafte Fotos“. Die Mutmaßungen schossen hoch wie Monsterwellen.

Die meisten Wissenschaftler gehen bislang von einem sogenannten Geofakt aus, ähnlich dem Yonaguni-Monument im Ostchinesischen Meer vor Japan; die Ufo-ähn­liche Form sei Zufall. Auf den ersten Blick ist es eine menschengemachte Pyramide. Doch deren ziemlich exakte Kanten und Linien sind sehr wahrscheinlich durch natürliche Erosion entstanden.

Gletscher der Eiszeit könnten demnach die Konstrukteure des Ostsee-Ufos sein, sie brachten den Koloss hierher, das Wasser schliff ihn zur heutigen Form. Er besteht im Wesentlichen aus vulkanischem Gestein. Dazu wurden nach Bodenproben die eisenhaltigen Minerale Goethit (nach Goethe benannt) und Limonit nachgewiesen. Mithin keineswegs extraterrestrische Materialien.

Selbst menschliche Baumeister kommen in Frage. Die Ostsee entstand nämlich erst nach der letzten Eiszeit, also vor rund 12.000 Jahren. Zuvor könnten frühe Architekten, avantgardistische Genies der Steinzeit, die wundersame Anlage geschaffen haben. Und der ansteigende Meeresspiegel überspülte ihr Meisterwerk. Vor einiger Zeit wurde nahe des großen auch ein kleineres Geofakt gefunden.

Oder ist es doch ein Erkundungs-Ufo? Das Beiboot des Superschiffs? Solange nicht klar ist, um was es sich wirklich handelt, hat jeder recht.

Seeschießen in der Ostsee

Krach, bumm, peng! Was war das? Ein Gewitterdonner bei schönstem Sonnenschein? Ein Militärjet, der die Schallmauer durchbrochen hat? Möglicherweise. Es kann aber auch ein Ereignis gewesen sein, dessen Natur den Forschern immer noch Kopfzerbrechen bereitet: das sogenannte „Seeschießen“. Es tritt – auch andernorts – zumeist bei klarem, ruhigem Wetter auf, wenn die See glatt und die Luft warm ist. Fischer der Ostsee kennen in diesem Zusammenhang den „Seebären“, eine Woge, die aus dem Nichts zu kommen scheint, nachdem ein gewaltiger Knall die Stille zerrissen hat, der den Wasserspiegel „zersplittern“ und den Boden erbeben lässt.

Die meisten Detonationen erfolgen unregelmäßig. Nach manchen Explosionen konnte man allerdings die Uhr stellen. Etwa in Flandern, wo derartige Böllerschüsse die Bauern zuverlässig zum Mittagessen riefen – jedoch nur im Sommer, wenn es schön warm und windstill war. Nicht ganz so entspannte Menschen früherer Zeiten bekreuzigten sich und hofften, dass der „Groll Gottes“ an ihnen vorüberzog. Oder dass der Zorn der Geister der Tiefe bald verraucht sei.

Später wurde vermutet, dass Meeres­beben die Ursache sein könnten, dass die Vulkane im Abyss so gewaltig rumsten. Oder dass submarine Erdrutsche dafür verantwortlich sind. Nur: In der Ostsee gibt es weder Vulkane noch unterseeische Berge, von denen gewaltige Schlammlawinen abgehen könnten. Waren es also doch die „Kanonen des Teufels“, wie ein abergläubischer Kapitän ins Logbuch schrieb?

Noch immer ist nicht 100-prozentig klar, wie diese Detonationen entstehen. Am plausibelsten ist diese Theorie: Demnach verdichtet sich die Luft über dem Wasser durch kräftige Windstöße, das Gleichgewicht ist gestört. Mit einem Donnerschlag wird es wieder hergestellt. Das Ganze ist natürlich noch weit komplexer und noch nicht bis ins Letzte erkannt. Aber das wird es, sicher, eines Tages.

Lochsteine, Bernstein und Findlinge

Vielleicht sind die Strände ja die geheimnisvollsten Orte der Ostseeküste. Denn nirgends sonst befinden sich mystische und mysteriöse Objekte in einer derartigen Zahl.

Da wären zunächst die Hühnergötter. Das sind Feuersteine, in die das Meer über Jahrtausende ein Loch „gebohrt“ hat. Sie sind klein wie Sandkörner oder fast so groß wie Findlinge. Wer sie entdeckt, hat doppelt Glück. Denn erstens sind sie ziemlich selten. Aber vor allem sind sie, zweitens, Glücksbringer. Die Eingeweihten wissen: Man soll durch das Loch die Sonne anvisieren und sich dann dreimal um sich selbst drehen. Jetzt ist der Lochstein bereit, einen Wunsch zu erfüllen.

Dabei spielt es keine Rolle, wie groß er ist, er hat stets magische Kräfte. Das wussten bereits die Fischer und Bauern der Küste, die so einen Hühnergott über ihre Türen hängten, um das Haus vor Blitzeinschlag zu schützen. An Reusen gebunden, hielt er die Netze auf dem Grund und lockte nebenbei, wie auf Befehl eines höheren Wesens, die großen Fische in die Maschen. Außerdem legten die Bauern – darum der Name – Hühnergötter in die Nester ihres Federviehs, samt dem Wunsch nach mehr Eiern. Wundersamerweise funktionierte es, die Hennen legten im wahrsten Sinne des Wortes los.

Den Steinen mit Loch werden seit jeher magische Kräfte zugeschrieben, sie sollen beschützen und beglückenFoto: Pascal Schürmann
Den Steinen mit Loch werden seit jeher magische Kräfte zugeschrieben, sie sollen beschützen und beglücken

Die magischen Kräfte des Bernstein

Ein weiterer Wunderstein der Strände ist gar kein Stein – der Bernstein ist fossiles Harz von einem urzeitlichen Baum. Über die Jahrmillionen wurde es nicht nur ziemlich hart; es lud sich auch mit spiritueller Energie auf. Jedenfalls sahen das die Schamanen der Wikinger so, die den Bernstein in ihre Boote packten, um gegen die Stürme gefeit zu sein. Oder noch früher die Menschen der Bronzezeit, die den braungelben Harzklumpen als Amulett verwendeten. Andere vergruben ihn vor dem Haus, auch das sollte schützen.

Bis in heutigen Tage hat der Bernstein seine überirdische Power bewahrt. Dem Baby, das eine Bernsteinkette um den Hals trägt, soll es das Zahnen erleichtern. Solch eine Kette, an der betroffenen Stelle angebracht, kann Rheuma besiegen. Bernsteinöl, in einem komplizierten Verfahren gewonnen und in Stubenecken getropft, treibt die Ameisen aus dem Haus und die dort versteckten Dämonen gleich mit. Bernsteinpulver ward einst Arzneien beigemixt, die gegen Halsschmerzen oder sogar gegen Syphilis halfen. Außerdem gegen Ängste und Depressionen – was allerdings nicht unbedingt an den Bernsteinen gelegen haben mag. Eher dürfte schon die Suche nach ihnen hilfreich gewesen sein; ein Strandspaziergang weckt bekanntlich alle Lebensgeister.

Tonnenschwere Findlinge

Noch mehr Sagen und Legenden ranken sich um Findlinge. Viele sind Dutzende Tonnen schwer, manche sogar Hunderte. Rügens größter etwa: Der Buskam genannte Stein vor dem Seebad Göhren wiegt satte 500 Tonnen. Die Findlinge liegen im Wasser, am Ufer, im Küstenwald, manchmal sogar auf den Äckern. Lange Zeit war unbekannt, wie sie dort hinkamen. Der Teufel selbst habe sie aus Grimm gegen Kirchen geschleudert, Riesen hätten Murmeln mit ihnen gespielt, Aliens sie als „Ballast“ aus Ufos abgeworfen.

Noch bis weit ins 19. Jahrhundert war die Herkunft der Riesenkiesel ungelöst. Mittlerweile ist klar, dass sie mit den eiszeitlichen Gletschern auf Reisen gegangen waren. Vom hohen europäischen Norden gelangten die glazialen Kolosse bis an die Küsten der Ostsee, manche Findlinge trieb die Wanderlust sogar bis an den Rand der Alpen. Doch auch, wenn dieses Mysterium aufgeklärt ist – ihren Zauber werden die gigantischen Steine wohl nie verlieren.

Versteinerungen sind überall zu finden. Man braucht nur ein gutes Auge und etwas Fantasie, dann sieht man sie: Enten, Schnecken, Katzen, Insekten. Aber manche Fossilien sind keiner heute bekannten Lebensform zuzuordnen: Trolle, Kobolde, Engel – sämtlich versteinert und in den unterschiedlichsten Größen vertreten. Einige von ihnen haben merkwürdige Formen, Knollennasen in Gesichtern mit nur einem Auge, Gestalten mit zwei Köpfen und drei Armen, geflügelte, herzförmige Figuren. Womöglich der Beweis, dass irgendwann doch Außerirdische die Ostsee bevölkerten? Auf jeden Fall sehr rätselhaft.

So wie noch manches andere in der vermeintlich so vertrauten Ostsee.


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