Tatjana Pokorny
· 04.04.2023
Während die Etappensieger sich von den Feiern ihrer Erfolge am Wochenende erholen, kämpfen auf der Ocean-Race-Königsetappe immer noch zwei Teams um den dritten Podiumsplatz. Es ist das Duell zweier angeschlagener Mannschaften, die im Endspurt alles geben müssen. Sam Davies berichtet
Der Jubel über Team Malizias Sieg auf der Königsetappe hallt noch nach. Der Erfolg beim der Kap-Hoorn-Gipfelsturm hat Begeisterungsstürme ausgelöst und alle Augen auf Malizia-Skipper Boris Herrmann, seine Crew und das gewonnene Duell gegen Kevin Escoffiers Team Holcim – PRB gerichtet. Nach dem spektakulär spannenden Spitzenduell waren die beiden höchsten Podiumsplätze der Mammut-Etappe am 2. April vergeben. Der dritte aber ist noch unbesetzt. Um den ringen im Atlantik zwei lädierte Crews mit allen Kräften, die sie noch haben.
Bei gut 200 Seemeilen bis zur Ziellinie vor Itajaí in Brasilien lieferten sich die Teams 11th Hour Racing und Biotherm am 37. Tag auf See einen unerbittlichen Zweikampf. In leichten bis mittleren Winden suchten sie am Mittag des 4. April den schnellsten Weg entlang der südamerikanischen Ostküste. Wie hart diese Aufgabe nach mehr als fünf Wochen auf See mit diversen technischen Problemen an Bord beider Imocas ist, berichtet Sam Davies vom Team Biotherm.
Die in Frankreich lebende Britin hatte schon ihre letzte Vendée Globe nach einer “Ufo”-Kollision aufgeben müssen. Nun hat es vor wenigen Tagen auch Team Biotherm erwischt, das sie an der Seite von Skipper Paul Meilhat neben Damien Seguin und Anthony Marchand verstärkt. Der französische Imoca war am 31. März mit einem unbekannten Objekt im Wasser kollidiert. Es sind aber nicht “nur” die Schäden am Backbord-Foil und dem Foilkasten, die Sorgen bereiten, wie die 48-Jährige in einer persönlichen Zwischenbilanz berichtet.
“Es stimmt: Wenn man Kap Hoorn passiert, fühlt es sich so an, als wäre man schon fast am Ziel, als hätte man das Rennen bereits gewonnen und die größten Herausforderungen hinter sich gebracht. Doch die letzten 1.800 Meilen haben sich als genauso hart erwiesen, und das Rennen ist noch lange nicht vorbei!
Wir waren ohnehin schon ‘blind’, also ohne Windinstrumente und daher mit einem viel weniger effizienten Autopiloten unterwegs. Aber wir hatten gelernt, uns anzupassen und Wege zu finden, das Beste aus ‘Biotherm’ herauszuholen. Dann mussten wir ein intensives Tiefdruckgebiet durchqueren, das uns wieder einmal stürmischen Wind und fürchterlichen Seegang bescherte. Das führte zu einer Reihe von ziemlich beängstigenden ‘Wipeouts’ – zum Glück nur mit geringem Schaden. Aber wir konnten sehen, dass ‘Biotherm’, ihre Segel und Ausrüstung langsam wirklich müde wurden.
Durch den Riss drang Wasser ins Boot ein.”
Dann ist unser Backbord-Foil vor drei Tagen mit etwas im Wasser kollidiert, als wir mit J0 und vollem Großsegel schnell unterwegs waren. Das Foil wurde dadurch ziemlich stark beschädigt. Auch der Rumpf hatte einen Riss um den unteren Bereich des Foilkastens herum. Durch den Riss drang Wasser ein. Der Aufprall war durch das Knacken im Carbonrumpf sehr laut, aber nicht sehr heftig für die Crew. Es mus ein kleineres Objekt gewesen sein. Es hat das Boot nicht zum Stillstand gebracht. Glücklicherweise hat sich niemand verletzt.
Wir haben eine schnelle Schadenanalyse durchgeführt. Dann haben wir uns zunächst darum bemüht, die in ihren Lagern eingeklemmten Foils einzuziehen. Danach haben wir einen Plan gemacht, wie wir die Risse im Rumpf und in der Struktur füllen können, um weiteres Eindringen von Wasser zu minimieren.
Wir genießen jede Meile des Renens. Egal, was uns zugemutet wird.”
Glücklicherweise haben wir die Situation so weit unter Kontrolle gebracht, dass wir auf Kurs Itajaí weitersegeln können, wenn auch mit reduzierter Geschwindigkeit. Wir haben genügend Lebensmittel an Bord, da wir mit unserem ‘gebrochenen Flügel’ offensichtlich länger brauchen werden, um ins Ziel zu kommen. Auch das war ein wichtiger Punkt, den es zu überprüfen galt! Allerdings haben wir nur noch eine letzte Gasflasche. Also schränke ich meinen Teekonsum ein, damit wir nicht die schreckliche Strafe erleiden müssen, kaltes gefriergetrocknetes Essen zu uns zu nehmen!
Unser Team lächelt und lacht immer noch. Wir genießen jede Meile des Rennens – egal, was uns zugemutet wird! Je weniger Seemeilen noch zu absolvieren sind, desto mehr kleine Probleme tauchen auf. Die Liste ist lang ... Wir müssen dieses Baby so schnell wie möglich nach Itajaí und zu ihrer liebevollen Landmannschaft bringen!
Wir denken, dass wir nicht die Einzigen mit Problemen sind …”
Trotz unserer ‘Probleme’ haben wir 11th Hour eingeholt und zwischendurch auch überholt. Die Spannung steigt also. Wir denken, dass wir nicht die Einzigen mit ‘Problemen’ an Bord sind, und wir glauben, dass der dritte Platz zum Greifen nah ist. Also sind wir im Rahmen der Möglichkeiten unseres müden Bootes hundertprozentig motiviert, bis zum Schluss alles zu geben. So sehr ich dieses Team und das Segeln auf diesem erstaunlichen Boot auch liebe, kann ich gleichzeitig bestätigen, dass ich mich auf ein kaltes Bier und eine heiße Dusche freue (in dieser Reihenfolge!). Ich denke, das haben wir verdient!
Mit der Ankunft der beiden Boote in Itajaí wird am 5. April zwischen 15 und 20 Uhr deutscher Zeit gerechnet.
Auch der jüngste Report aus dem Ocean-Race-Hauptquartier ist dem Duell um Platz drei gewidmet: