The Ocean RaceGlücksgefühle nach der „halben“ Vendée Globe

Jochen Rieker

 · 02.04.2023

Ester Gratulant, erster Austausch unter Skippern: Boris Herrmann mit Kevin Escoffier nach dessen Ankunft heute Früh am Steg in Itajaí
Foto: The Ocean Race/Sailing Energy
Impressionen von der Zielankunft in Itajai und was danach folgte

Es war eine lange Nacht für die Crews von Boris Herrmann und Kevin Escoffier. Die Skipper von „Malizia – Seaexplorer“ und „Holcim – PRB“ beglückwünschten sich heute Früh am Dock gegenseitig zum Ausgang der Königsetappe von The Ocean Race, die halb so lang war wie eine ganze Vendée Globe. Eindrücke aus Itajaí

Einen größeren Kontrast hätte der Südatlantik seinen Bezwingern nicht bieten können. „Nur wenige Stunden vor der Ankunft in Itajaí hatten wir Wellen, so hoch wie ein zweistöckiges Haus, so kurz und steil, dass wir mit unserem Boot nicht dazwischenpassten“, berichtete Malizia-Co-Skipper Will Harris heute Früh vom kräftezehrenden Finish der dritten, der wichtigsten Etappe von The Ocean Race.

Immer wieder schüttelt er den Kopf, wenn er an die letzten 150 Seemeilen vor dem Ziel zurückdenkt.

Als es endlich geschafft ist, gegen 2 Uhr in der Früh, ist der Südatlantik dagegen windstill wie ein Dorfteich. Nur ein leichter Restschwell erinnert noch an die Brecher, die tags davor längs die brasilianische Küste hochrollten. Um die Ziellinie an der Hafenmole zu erreichen, müssen Boris Herrmann und seine Crew sogar noch von der J2 auf die J0 wechseln, das größte Amwind-Segel, das unversehrt geblieben ist.

Eskortiert von einem Hubschrauber und einem guten Dutzend Boote, gleitet „Malizia – Seaexplorer“ schließlich zum ersten Sieg in diesem Rennen, zum ersten Sieg überhaupt bei einer Imoca-Regatta.

Da ist es in Deutschland früher Sonntagmorgen. Und doch hängen zu dieser Stunde Zehntausende Segelfans an den Bildschirmen. Allein im Youtube-Live-Feed des Teams, via iPhone übertragen und von Teamchefin Holly Cova kommentiert, schauen 6.000 Menschen zu. Kaum am Schwimmsteg angekommen, muss Boris Herrmann für Eurosport, ARD und ZDF Live-Interviews geben.

Einmal mehr hat es der Hamburger geschafft, die Nation fürs Segeln zu begeistern – wie schon im Januar vor zwei Jahren, als er seine erste Vendée fast gewonnen hätte.

Malizia-Crew begeistert die Fans

Es ist natürlich auch das Resultat, das zählt. Mit dem Sieg in Itajaí setzen sich der Malizia-Skipper und seine famose Crew an Platz zwei der Gesamtwertung – von Rang vier kommend. Mindestens ebenso beeindruckend aber, wie hart erkämpft er war.

Seit mehr als zwei Wochen war es für die Fans wie für die Segler ein ständiges Bangen, Fighten, Bloß-nicht-Nachlassen. Und kein anderes Team hat es dabei so gut verstanden, die Öffentlichkeit auf sein Abenteuer mitzunehmen.

Boris ist inzwischen eine internationale Marke. Noch während der TV-Interviews am Steg, frühmorgens um halb vier, rufen ihm brasilianische Fans über die Absperrung lauthals ihre Glückwünsche zu. Zwei Deutsche sind auch extra gekommen, um dem Idol nahe zu sein.

Beim Gang auf die Bühne muss der Skipper mehrmals pausieren, um Selfie-Wünsche der Zuschauer zu erfüllen. Im Publikum stehen auch Teammitglieder von Kevin Escoffier, die applaudieren und johlen. Es gibt wohl niemanden in dieser Nacht, der Antoine Auriol, Boris Herrmann, Will Harris, Rosalin Kuiper und Nico Lunven diesen Sieg missgönnt.

Im Gegenteil: Auch hochrangige Mitglieder vom The-Ocean-Race-Management haben Malizia den Gewinn der Etappe gewünscht – nicht nur als Wechsel nach der bisher makellosen Rennbilanz von „Holcim – PRB“, sondern auch, weil „kein anderes Team so positive Vibes produziert“, wie ein Offizieller, der aus Gründen der Neutralität ungenannt bleiben möchte, gegenüber YACHT online sagte.

Wie Holcim-Skipper Kevin Escoffier sein Ergebnis auf Etappe drei einordnet

Selbst Kevin Escoffier, dessen Ehrgeiz und Siegeswille nichts weniger als beeindruckend ist, zeigte sich am Morgen nach dem Einlaufen auf Platz zwei entspannt. Er hätte zwar nichts dagegen gehabt, erneut als erstes Boot ins Ziel zu kommen, sagte er am Steg. Aber seine Führung bleibt so komfortabel wie nach dem Passieren des Wertungstors vor Australien auf halber Strecke. Er könnte eine Etappe abbrechen und wäre immer noch an Position eins.

“Wir haben zu Beginn dieser Etappe immer gesagt, dass die wichtigste Aufgabe darin besteht, mit der Crew und dem Boot in guter Form in Itajaí anzukommen, und das haben wir geschafft”, sagte der Franzose, der mit Charles Caudreliers Dongfeng Racing Team bereits die letzte Auflage des Ocean Race gewonnen hatte. “Neun von zehn Punkten für die Etappe zu holen ist natürlich sehr gut und gibt uns eine gute Ausgangsposition für den Rest des Rennens.”

Als er sein unter nahezu allen Bedingungen bemerkenswert schnelles Verdier-Design an den Schwimmsteg gelegt hatte, war Boris Herrmann der erste Gratulant. Über die Reling tauschten sich die beiden topplatzierten Skipper des Rennens über ihre Erfahrungen und den Zustand ihrer Imocas aus. Eine schöne Geste, die vom großen gegenseitigen Respekt und der Kameraderie zeugt. “Starke Etappe”, sagte Escoffier zu dem Mann, der ihn in der Schlussphase so erfolgreich auf Distanz zu halten vermochte.

Bravo an deine ganze Mannschaft, Boris! Superb!“

Boris Herrmann brachte an diesem Morgen nichts ins Bett. Er blieb im Ocean Race Park, besprach sich mit Teammitgliedern, reflektierte das Rennen, mochte einfach nicht abschalten. Zu unfassbar dieser Erfolg, zu hoch der Adrenalin-Pegel, zu aufreibend die Bedingungen bis kurz vor dem Ziel, als dass er sich mal eben hätte hinlegen wollen.

Als kurz nach 6 Uhr die Morgendämmerung jenseits des Itajaí River die Szenerie in ein magisches Licht verwandelte und er seine Tasche von Bord trug, drehte er sich noch einmal nach seinem Boot um, das so sehr seine Handschrift trägt und dem er bei der Siegerehrung mit einem Moment des Schweigens gedachte, was im Freudentaumel der brasilianischen Fans eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit zu sein schien.

Beim Etappenstopp in Kapstadt hatte er im YACHT-Gespräch gesagt, dass er noch nicht die gleiche innige Verbindung spüre wie bei der alten “Malizia”. Das hat sich nach den vergangenen 14.700 Seemeilen inzwischen geändert.


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