America’s Cup“Britannia” auf einmal Favorit? – Design-Guru im Interview

Max Gasser

 · 10.09.2024

Einer der Köpfe hinter der neuen "Britannia": Der deutsche Physiker und Yachtdesigner Dr. Martin Fischer ist Chef-Designer beim britischen Team
Foto: Christophe Launay
Highspeed garantiert: Die sechs Yachten für den 37. America’s Cup im Überblick
Dr. Martin Fischer ist Chef-Designer beim britischen America’s-Cup Herausforderer Ineos Britannia. Bereits vor dem ersten Aufeinandertreffen der neuesten Generation von AC75-Foilern gab er seine Einschätzung ab und verriet spannende Details der neuen “Britannia”, die nun die Round Robins beim Louis Vuitton Cup für sich entscheiden konnte

YACHT: Die Designs der Herausforderer scheinen sich zumindest phasenweise auf Augenhöhe zu bewegen. Wie entscheidend wird also die Leistung der Segler beim 37. America’s Cup sein?

Dr. Martin Fischer: Die seglerische Leistung wird sicherlich eine große Rolle spielen. Insbesondere auch oder ja gerade deshalb, weil in Barcelona natürlich deutlich mehr Wellen sind, als wir in Auckland hatten. Die Wahrscheinlichkeit, einen Fehler zu machen, entweder beim Manöver oder selbst beim Geradeaussegeln, ist durch Wellen deutlich größer.

Was sind die besonderen Herausforderungen des Reviers, und welche Anpassungen hatte der Revierwechsel zur Folge?

Die Wellen sind einfach viel höher. In Barcelona wird es vermutlich Rennen geben mit einer Wellenhöhe von einem Meter oder vielleicht sogar mehr. Das sind Bedingungen, die wir in Neuseeland nie hatten. Und selbst bei einem halben Meter ist es schwierig, mit diesen Booten zu segeln. Ein Boot, das über 40 oder 50 Knoten schnell ist, durch Wellen zu manövrieren, ist nicht so einfach. Und deswegen mussten alle Teams natürlich gucken, wie man die Boote dafür toleranter macht.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Zum Beispiel dürfen die Foils nicht gleich den gesamten Auftrieb verlieren, wenn sie die Oberfläche durchstoßen. Denn Ventilation ist eine große Herausforderung, und wir mussten uns überlegen, wie man Foils macht, die gegenüber Ventilation tolerant sind.

Beim Rumpf haben alle einen Bustle (Ausformung des Rumpfes an der Unterseite, Anm. d. Red.), der den Endplatten-Effekt unterstützt, aber möglichst wenig bremst, wenn der untere Teil das Wasser berührt. Deshalb ist er bei allen im unteren Bereich sehr scharf geschnitten, sodass man keinen großen Widerstand erzeugt, wenn dieser Teil das Wasser trifft.

Gut zu erkennen: der tiefe, voluminöse Bustle der Briten. Die Ausformung an der Unterseite des Rumpfes könnte vor Barcelona entscheidend seinFoto: Ugo Fonollá/America's CupGut zu erkennen: der tiefe, voluminöse Bustle der Briten. Die Ausformung an der Unterseite des Rumpfes könnte vor Barcelona entscheidend sein

Das Volumen im Bustle ist nicht nur beim Eintauchen sinnvoll, sondern hilft auch beim Abheben …

Genau. Da gibt es ein Trade-off zwischen dem Widerstand beim Abheben, also wenn der Rumpf noch im Wasser ist, und der Effizienz, wenn das Boot dann fliegt. Wenn das Boot fliegt, hätte man am liebsten einfach nur eine Platte. Eine vertikale Platte, die den Druckausgleich verhindert. Aber das wäre natürlich beim Abheben ziemlich schlecht. Die benetzte Oberfläche wäre enorm, und das Boot würde bei wenig Wind nicht abheben. Also muss man den richtigen Kompromiss finden zwischen dem Risiko, beim Abheben zu scheitern, und der Effizienz, wenn das Boot dann fliegt.

Ab wann heben die AC75s der neuesten Generation ab?

Unter 6,5 Knoten wird nicht gesegelt. Ich gehe davon aus, dass alle Teams ihre Boote so entworfen haben, dass sie bei 6,5 Knoten Wind abheben können. Man könnte das Boot zwar auch vor dem Start anschleppen, um ins Fliegen zu kommen, bei wenig Wind besteht aber immer das Risiko, dass man irgendwann ein Manöver verbockt und dann wieder abheben muss. Oder dass es kurzzeitig mal ein Windloch gibt. Es wäre ein hohes Risiko, das zu ignorieren.

Alle Designs für den 37. America’s Cup im Detail:

Wie kam es zum neuen Regelwerk, sollten die Boote schneller werden, oder war es einfach eine abweichende Design-Herausforderung im Vergleich zu Auckland?

Wir, also Team New Zealand als Verteidiger, und Ineos Britannia als erster Herausforderer haben uns nach dem vergangenen Cup überlegt, wie wir die Regeln ändern könnten oder sollten, damit die Rennen interessanter werden. Und ein Schwachpunkt in Auckland war ganz klar, dass die Boote bei sehr wenig Wind Schwierigkeiten hatten abzuheben. Um die Leichtwindabhebeeigenschaften zu verbessern, wurde unter anderem die Spannweite der Foils auf 4,50 Meter vergrößert. Das hat zur Folge, dass der sogenannte induzierte Widerstand ungefähr 20 bis 25 Prozent abnimmt. Das ist ein erheblicher Gewinn.

Gab es weitere Anpassungen am Regelwerk?

Ja, das Boot wurde außerdem leichter. Zum einen haben wir weniger Ballast in den Foils, und dann wurde auch die Crew von elf auf acht Segler reduziert. Das führt insgesamt zu einer Gewichtsreduzierung von knapp einer Tonne. Aber auch dazu, dass wir weniger Leute haben, die Energie erzeugen. Daher wurden Fahrradfahrer erlaubt.

Außerdem wurde eine Selbstwendefock erlaubt, und die Backstagen sind weggefallen. Beides sind Maßnahmen, um den Energieverbrauch, insbesondere bei Manövern, zu senken, um das Boot überhaupt mit acht Leuten segeln zu können.

In aerodynamischer Position: hinter Steuermann und Trimmer haben zwei Radfahrer Platz, die für die benötigte Energie sorgenFoto: Ivo Rovira/Americas CupIn aerodynamischer Position: hinter Steuermann und Trimmer haben zwei Radfahrer Platz, die für die benötigte Energie sorgen

Welchen Effekt hat das Wegfallen der Backstagen auf das Rigg?

Bei Luna Rossa hatten wir beim AC36 schon versucht, ohne Backstagen zu segeln, das wurde dann aber verboten. Also das Rigg vom letzten Mal hat das ausgehalten, es musste also nichts geändert werden. Im Regelwerk sind lediglich einige Verstärkungen im Mast verpflichtend hinzugekommen . Die Lasten auf den Wanten steigen natürlich, wenn die Backstagen wegfallen, und deswegen wurden die Punkte, an denen die Wanten am Mast befestigt sind, etwas verstärkt. Aber im Prinzip kann man mit einem Mast vom letzten America’s Cup auch bei diesem America’s Cup segeln.

Ein interessanter Bereich der Regeländerungen bezieht sich auf die Kopplung von Funktionen an Bord. Was hat es damit auf sich?

Man kann alles Mögliche auf dem Boot messen. Es ist aber verboten, Messungen, die den Zustand der Yacht beschreiben – Geschwindigkeit, Windgeschwindigkeit, Krängung, was auch immer –, in die Steuerung des Bootes einzuspeisen. Aber es ist erlaubt, diese Größen auf einem Display anzuzeigen. Allerdings nur mit einer Verzögerung von zwei Sekunden. Letztes Mal war es eine Sekunde, dieses Mal sind es zwei.

Das wurde eingeführt, um zu verhindern, dass die Teams ein System einbauen, wie es die Neuseeländer damals in Bermuda hatten. Sie hatten einen Autopiloten, der zu jedem Zeitpunkt ausgerechnet hat, wie die Foils eingestellt werden mussten. Und das haben sie als Anzeige deklariert. Das heißt, das wurde auf einem Touchscreen angezeigt, und derjenige, der die Foils kontrolliert hat, ist mit seinem Finger einfach einem Punkt gefolgt. Wenn die Anzeige die Daten nur zwei Sekunden später anzeigen kann, ist das zu spät. So wurden derartige Systeme verhindert.

Was sich neben dem Unterschied von einer Sekunde aber geändert hat, ist, dass man andere Größen in Kontrollsysteme einbauen darf. Also zum Beispiel darf man den Großschotzug messen, eine Kontrolle haben, die es dem Segler ermöglicht zu sagen: „Ich will jetzt fünf Tonnen Großschotzug haben.“ Und dann stellt das System fünf Tonnen ein. Das ist erlaubt. Das war letztes Mal nicht der Fall. Und man darf auch Koppelungen machen. Wenn ich den Großschot-Traveller auffiere, will ich in der Regel auch den Fock-Traveller fieren. Man darf jetzt beide koppeln, sodass sie sich immer simultan ohne Zeitverzögerung bewegen. Man könnte beispielsweise auch den Ruderwinkel mit dem Traveller kombinieren. Vieles, aber nicht alles ist erlaubt.

Wie läuft der Designprozess beim America’s Cup ab?

Man kann nicht das ganze Boot auf einmal entwickeln. Das heißt, das Boot wird unterteilt in verschiedene Bereiche, also Foils, Ruder, Segel, Rumpf und so weiter. Dann fängt man an, unter bestimmten Annahmen die einzelnen Komponenten zu entwickeln. Das läuft dann aber sehr schnell auf eine Iteration raus. Die Rumpfform beeinflusst natürlich die Foilform, und das wiederum die Segel und, und, und. Das heißt, das muss alles gekoppelt werden, nur kann man es eben nicht alles auf einmal optimieren. Und deswegen wird das in der Regel über eine Iteration gemacht.

Ein allgemeines Beispiel für Optimierungsprobleme: Wir wollen ein Teil optimieren, das 100 freie Parameter hat. Dann ist es viel schwieriger, diese Optimierung mit 100 freien Parametern durchzuführen als zwei getrennte Optimierungen mit 50 Parametern, jede mit 50. Das ist deutlich einfacher. Oder eben zehn unterschiedliche Optimierungen mit zehn Parametern.

Wir teilen das Optimierungsproblem also auf verschiedene Bereiche auf und optimieren dann jeden Bereich. Um die Kopplung zwischen diesen Bereichen hinzukriegen, also das Gesamtsystem dann wieder zu optimieren, wird das Ganze in einer Iteration gemacht. Das heißt, man macht eine erste Schleife durch, in der man Rumpf, Foils und so weiter unter bestimmten Annahmen optimiert. Dann wirft man alles zusammen und guckt sich an, wie das funktioniert, und diese Ergebnisse liefern dann die modifizierten Annahmen für die nächste Designschleife, und so geht es dann weiter.

Welche Rolle haben die kleineren Leq12-Testboote im Prozess gespielt?

Sie waren extrem hilfreich, um bestimmte Hypothesen zu testen. Die Wellen in Barcelona waren für alle Neuland. Und wir wussten nicht wirklich, wie schwierig es ist, mit so einem Boot in solchen Bedingungen zu segeln. Da haben die Leq12-Boote eine große Rolle gespielt. Da wurden mit den Foils und den Kontrollsystemen Tests durchgeführt unter den Bedingungen in Barcelona. Das floss dann in den Designprozess für das eigentliche Rennboot ein.

Kantig wie Teslas Cybertruck: Das Leq-Testboot von Fischers Team hat optisch nur wenig mit dem neuen AC75 zu tunFoto: Ugo Fonollá/America's CupKantig wie Teslas Cybertruck: Das Leq-Testboot von Fischers Team hat optisch nur wenig mit dem neuen AC75 zu tun

Kann man beispielsweise Foils 1:1 auf ein großes Boot hochskalieren?

Das ist nicht allgemeingültig, aber in gewissen Grenzen geht das.

Dann könnten die AC75s der vorherigen Generation sehr hilfreich gewesen sein ...

Der alte AC75 ist sehr hilfreich, und da kann man viel lernen. Allerdings waren die Regeln jetzt so, dass man auf den alten Booten keine neuen Komponenten testen durfte. Also zum Beispiel war es nicht erlaubt, neue Foils an die alten Boote zu schrauben. Das hätte den Neuseeländern vermutlich einen sehr großen Vorteil verschafft, weil deren Boot vom letzten Cup ganz klar den anderen Booten überlegen war. Ein paar Sachen sind allerdings erlaubt, zum Beispiel im Bereich Hydrauliksysteme oder Deckslayouts. Diese konnte man verändern und dann auf den alten Booten testen. Und das haben ja auch einige Teams, wie zum Beispiel die Schweizer, gemacht. Genauso die Neuseeländer und auch die Amerikaner.

Wie viel haben Sie von den Entwicklungen der anderen mitbekommen, und beziehen Sie diese in Ihr eigenes Design ein?

Also ganz zu Anfang hat man natürlich überhaupt keine Informationen darüber, was die anderen machen. Wir haben erst Informationen bekommen, als die ersten Leq12 auf dem Wasser waren. Da konnte man natürlich schon sehen, in welche Richtung die Teams die Entwicklung getrieben haben. Aber das war schon relativ spät, da waren wir alle mit unseren Designs schon ziemlich weit. Allerdings war es noch nicht zu spät, um irgendwas zu ändern. Was wir da bereits wussten und was jetzt bestätigt wurde, war, dass zum Beispiel alle Teams bei den Foils ungefähr in die gleiche Richtung gegangen sind.

Da scheinen sich alle einig zu sein. Bei den Rümpfen sieht das anders aus. Beim Leq12 konnte man bezüglich der Rümpfe nicht viel sehen. Zum einen, weil einige Teams den AC40 als Testplattform benutzt haben. Zwei Teams haben ihre eigenen Leq12 gebaut, das waren wir und die Italiener. Da konnte man aber auch nicht viel sehen, weil es in erster Linie darum ging, eine Plattform für die Tests zu haben. Und zumindest aus meiner Sicht habe ich auch große Zweifel daran, dass man zum Beispiel die Aerodynamik von so einem Boot einfach hochskalieren kann. Das funktioniert nicht wirklich.

Bezüglich der Foils scheint es so, als hätten alle Teams ein relativ flaches, nach hinten ausgestelltes Blatt mit hochgebogenen Fixed-Tips an den Foilspitzen. Auch die Bulbs in der Mitte haben große Ähnlichkeiten. Was macht diese Form so gut?

Das stimmt, wir haben das alle sehr ähnlich. Dass das Foil hinter dem Arm sitzt, hat verschiedene Gründe. Zum einen versuchen wir so, den Abstand zwischen dem Foil und dem Gewichtsschwerpunkt des Bootes möglichst klein zu halten. Außerdem scheint es auch so zu sein, dass ein Foil weniger Widerstand hat, wenn es hinter dem Arm sitzt.

Wenn man sich den Umriss der Foils ansieht, dann sind die alle mehr oder weniger dreieckig. Die Festigkeit definiert das. Wenn man ein rein elliptisches Foil machen würde, wäre das von der Festigkeit her einfach zu schwierig. Das Biegemoment an der Foilwurzel wäre zu groß, und man bräuchte sehr dicke Foils, was sehr großen Widerstand erzeugen würde. Die relativ dreieckige Form ist also zu großen Teilen durch die Festigkeit bestimmt.

Das Foil von American Magic steht stellvertretend für alle Mainfoils der neuen Generation, da diese alle ähnlich sindFoto: Alex Carabi/America's CupDas Foil von American Magic steht stellvertretend für alle Mainfoils der neuen Generation, da diese alle ähnlich sind

Die Foils sind diesmal weniger nach unten abgewinkelt …

Ja, das hat verschiedene Gründe. Man unterscheidet zwischen T-Foils und einem Foil, bei dem die Foilspitzen nach unten gehen. Wenn das Foil die Wasseroberfläche durchstößt, ist der Winkel mit dem T-Foil deutlich günstiger als mit dem Winkel zu den Foils. Und da in Barcelona eben Wellen sind, sind alle in Richtung T-Foil gegangen.

Am Ruder hebt sich das Foil bei allen Teams in der Mitte leicht an. Bei Ihnen ist das etwas extremer, welchen Effekt hat das?

Wir nennen das Seagull-Shape, also wie die Flügel einer Möwe, die in der Mitte hochgehen. Das ist in erster Linie, um Kavitation an der Schnittstelle zwischen Ruder und Tragfläche zu verhindern. Wenn man Vertikal und Horizontal einfach stumpf zusammensetzt, dann hat man in dem Bereich Unterdruckspitzen, und das führt zu Kavitation und zu Widerstand.

Das Ruder der neuen “Britannia” mit Flügel in Seagull-ShapeFoto: Alex Carabi/America's CupDas Ruder der neuen “Britannia” mit Flügel in Seagull-Shape

Man darf nur einen dreiteiligen Satz Foils bauen, also zwei Foils mit einem als Ersatz. Inwieweit dürfen bis zum Cup noch Modifikationen gemacht werden?

Man kann schon noch einiges machen. Wir dürfen insgesamt nur drei Foils benutzen, und die müssen das gleiche Design haben. Modifikationen müssen so sein, dass 80 Prozent der Masse, also des Gewichts, unangetastet bleiben. Das heißt im Umkehrschluss, man kann 20 Prozent modifizieren. Wenn man sieht, dass irgendwo etwas nicht so ist, wie man sich das vorgestellt hat, kann man da schon noch was machen. Aber man kann das alte Foil nicht so neu bauen, sodass 80 Prozent der Masse baugleich ist. Das ist nicht erlaubt, es muss das Original sein. Das gilt alles auch für das Ruder.

Inwieweit kann man die Foil-Arme oder zumindest ihre Verkleidung anpassen?

An denen kann man nicht viel machen. Die Foil-Arme sind sogenannte Supplied Components. Das heißt, alle Teams müssen sie beim gleichen Hersteller kaufen, und der strukturelle Teil ist komplett identisch. Genau das Gleiche gilt für die Vorderkante. Die Hinterkante können die Teams selbst bauen, dennoch ist die Form vorgeschrieben. Aber der One-Design-Foil-Arm endet an einem bestimmten Punkt, allerdings nicht ganz unten. Der letzte vertikale Teil zählt in der Vermessung als Teil des Foils. Also kann man da machen, was man will.

Das Emirates Team New Zealand hat ein neues Großschotsystem entwickelt, um die beiden Segelhäute einzeln anzusteuern. Welche Vorteile hat das, und könnte dieses System möglicherweise entscheidend werden?

Wir hatten uns das auch angeguckt, sind aber zu dem Schluss gekommen, dass da nicht viel drin ist. Es gibt Vor- und Nachteile für dieses System. Die Vorteile liegen in erster Linie darin, dass der Angriffspunkt der Schot am Segel weiter nach unten kommt. Wir glauben, dafür eine andere Lösung gefunden zu haben, die insgesamt leichter ist und weniger Reibung hat.

Für den Trimm macht es keinen großen Unterschied?

Ich hoffe nicht. Es immer möglich, dass wir uns täuschen. Aber wir haben da keinen großen Vorteil gesehen.

Allgemein scheinen alle Teams das Crewgewicht möglichst weit nach vorn verlagert zu haben warum?

Den Gewichtsschwerpunkt nach vorn zu bringen hat den Vorteil, dass man dadurch mehr aufrichtendes Moment erzeugt. Wenn der Gewichtsschwerpunkt sehr weit hinten ist, dann drückt das Ruder nach oben. Je mehr das Ruder nach oben drückt, desto mehr verliert man an aufrichtendem Moment.

Es gibt die Theorie, dass Ihr Ruder sogar nach unten zieht …

Ja, das ist auch bei allen Booten der Fall. Also ab einer bestimmten Geschwindigkeit ziehen die alle nach unten. Das kann man auch leicht sehen. Bei den AC40s zum Beispiel hat man es gesehen, wenn ein Manöver schiefgeht und der Elevator des Ruders aus dem Wasser rauskommt, dann stürzt das Boot nach vorn ab. Das zeigt, dass das Ruder in dem Fall nach unten gezogen hat.

Voluminöser Unterschied: “Britannia” (l.) und “Patriot 2.0” (r.) im direkten VergleichFoto: Alex Carabi/America's Cup (l.); Job Vermeulen/America's Cup (r.)Voluminöser Unterschied: “Britannia” (l.) und “Patriot 2.0” (r.) im direkten Vergleich

Ihr Boot und das von American Magic gehen sehr weit auseinander, was das Volumen – insbesondere im Bustle – angeht. Wie kommt es bei den gleichen Reviervoraussetzungen zu solch unterschiedlichen Ergebnissen?

Die Amerikaner haben ganz offensichtlich alles auf minimalen aerodynamischen Widerstand ausgelegt. Deswegen auch die Radfahrer, die nicht sitzen, sondern liegen. Das hat es ihnen ermöglicht, die Sidepods abzusenken. Sie haben vermutlich die kleinste Angriffsfläche, wenn man sich das Boot von vorn ansieht. Es gibt unterschiedliche Auffassungen, ob das richtig ist oder nicht. Wir sind ganz offensichtlich einen etwas anderen Weg gegangen.

Bei den Amerikanern sitzen Steuermann und Trimmer nebeneinander. Wie groß ist der aerodynamische Nachteil, wie groß wiederum der Vorteil bezüglich des Gewichtsschwerpunktes?

Ich nehme auch an, dass es darum ging, den Schwerpunkt nach vorn zu kriegen und zum anderen auch für die Segler eine bessere Sicht zu ermöglichen. Ich bin mir nicht sicher, ob der Gewinn, den sie vermutlich in der Richtung haben, den Nachteil, den man aerodynamisch hat, ausgleichen kann.

Bei allen Teams sitzen Steuermann wie beim vorherigen Cup hintereinander, lediglich American Magic hat sich für Sitzplätze nebeneinander entschiedenFoto: Ugo Fonollá/America's CupBei allen Teams sitzen Steuermann wie beim vorherigen Cup hintereinander, lediglich American Magic hat sich für Sitzplätze nebeneinander entschieden

Auch Alinghi ist insbesondere in einem Punkt einen eigenen Weg gegangen und hat die Sidepods der Crew radikal abgeschnitten, das Deck dahinter ist komplett flach. Optik oder revolutionär?

Ich denke nicht, dass es optisch ist. Ich denke schon, dass die sich das genau überlegt haben. Wir gucken uns das an, um genau zu verstehen, was der Hintergrund ist. Auch, um zu verstehen, wo die Schwächen und Stärken dieses Ansatzes sind. Wir haben unsere Vorstellungen dazu, aber dazu kann ich jetzt nicht so viel sagen. Unser AC75 zeigt, was wir denken, was die beste Lösung ist. Wir gehen davon aus, dass die Lösung von Alinghi nicht die beste ist. Aber das werden wir erst genau wissen, wenn wir gegeneinander segeln.

Die frühzeitig abgeschnittenen Crewpods von Alinghis “BoatOne” sind hier vor dem Einwassern gut zu erkennenFoto: Ugo Fonollá/America's CupDie frühzeitig abgeschnittenen Crewpods von Alinghis “BoatOne” sind hier vor dem Einwassern gut zu erkennen

Meistgelesen in der Rubrik Regatta