Mike Peuker
· 23.03.2023
Was schiefgehen kann, wird oft auch schiefgehen, ist die Erfahrung unseres Seemannschafts-Experten Mike Peuker. Seine Tipps für eine sorgfältige Törnvorbereitung
In diesem Artikel:
Die Sonne scheint, der Wind ist nur ein laues Lüftchen und die Wellen nicht der Rede wert – alles deutete auf einen Törn unter Maschine hin. Wenn schon nicht segeln, dann wenigstens sofort los! Gefrühstückt werden kann schließlich unterwegs, und die Backschaft von gestern kann danach in einem Abwasch erfolgen. Die Segel werden vorerst nicht gebraucht und bleiben deshalb auch noch verpackt, gesteuert wird vom Autopiloten, denn jetzt wandert erst einmal ein Spiegelei in die Pfanne.
Das Idyll ist perfekt, bis es überraschend wie eine Seifenblase platzt. Das eben noch so winzig kleine Motorboot – auf einmal groß, schnell und mit gewaltiger Welle – rast unmittelbar hinter meinem Heck vorbei. Mit der einen Hand versuche ich die vom Salontisch rollende, zum Glück fast leere Kaffeetasse aus der Luft zu angeln, während das unfertige Spiegelei sich aus der Pfanne befreit und hinter dem Herd ins darunterliegende Schapp verschwindet.
Dem armen Motorbootfahrer meine schlimmsten Schimpfwörter hinterherbrüllend, versuche ich, der Sauerei Herr zu werden. Als das Chaos einigermaßen gebändigt ist, schaue ich aus dem Niedergang, sehe eine wirklich dunkle Wolke und ahne, dass sich bereits das nächste Problem ankündigt. Tatsächlich dauert es nicht lange, und der Wind nimmt quasi auf Knopfdruck zu. Auch die See wirkt auf einmal richtig bedrohlich. Unter Deck aber herrscht nach wie vor Tohuwabohu.
Die Schilderung mag übertrieben klingen, so kann es aber durchaus kommen. Das Motto „Ordnung braucht nur der Dumme, das Genie beherrscht das Chaos“ ist nicht bordtauglich. Der kongeniale Physiker Albert Einstein, dem es zugeschrieben wird, war zwar selbst leidenschaftlicher Segler, doch es darf bezweifelt werden, dass er sich für Chaos an Bord ausgesprochen hätte. Wohl eher für eine Törnvorbereitung mit Sinn und Verstand.
Es spielt dabei keine Rolle, wie groß oder erfahren die Crew ist. Eine eingespielte Besatzung macht es unterwegs zwar einfacher, auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren, hat es aber trotzdem leichter, wenn sie vorbereitet ist. Und für die häufig anzutreffende Zweiercrew gilt ja sogar, dass immer dann, wenn einer sich länger unter Deck aufhält oder gar zeitweilig ausfällt, der andere zum Einhandsegler wird. Sie sollten es daher zum Standard machen, das Boot so vorzubereiten, dass man es auch allein führen kann.
Vor einer Atlantiküberquerung bedarf es natürlich einer anderen Vorbereitung als vor dem Tagesschlag bei schönem Wetter vor der Haustür. Doch auch der hat Potenzial für Missgeschicke, und darum sollten einige Handgriffe vor dem Auslaufen zur Bordroutine gehören.
Vergisst man auf meinem Schiff beispielsweise, die Seeventile nach Gebrauch der Toilette wieder richtig zu schließen, läuft das Becken langsam, aber sicher randvoll mit Wasser. Auf ebenem Kiel ist das noch nicht mal schlimm, solange man sich nicht wieder darauf setzt.
Richtig unangenehm wird es aber, wenn Bewegung in die Sache kommt. Beim Segeln auf der heimatlichen Schlei etwa, die an schönen Sommerwochenenden einer überfüllten Autobahn ähnelt. „Sind die Toilettenseeventile zu?“, schießt es mir dann stets durch den Kopf, und ich erinnere mich an die Situation, als ein Ausflugsdampfer mit entsprechender Bugwelle überholte. Ein Blick durch den Niedergang bestätigte damals meine Befürchtung. Bis ein Mitsegler das Problem gelöst hatte, schwappten schon die ersten fünf Liter in der Bilge, nach einem Umweg durch den ganzen Salon.
Für sich genommen sind solche Szenen Kleinigkeiten. Sie gehören zum Segeln dazu und sind zu tolerieren. Doch Murphy’s Law, nach dem alles schiefgehen wird, was auch schiefgehen kann, sorgt stets für neue Überraschungen. Deshalb gilt es, möglichst auszuschließen, dass etwas überhaupt schiefgehen kann. Denn spätestens, wenn sich mehrere unvorhergesehene Zwischenfälle gleichzeitig ereignen, wird es schwierig.
In meinem früheren Leben als Pilot war es selbstverständlich, diesem Problem mit einer Pre-Start-Checkliste zu begegnen. Eine Methode, die sich auch an Bord sehr gut bewährt hat. Die darauf festgehaltene Routine lässt sich im einfachsten Fall auswendig lernen, je komplexer sie ist, desto sinnvoller ist es, die einzelnen Handgriffe aufzuschreiben und schlicht abzuarbeiten. Die folgenden Vorbereitungen gehören bei uns an Bord vor dem Auslaufen zum Standard.
Das Schiff ist aufgeklart. Zur Kontrolle inspiziere ich es von der Vorpiek bis zur Achterkoje und checke jeden Winkel auf Gegenstände, die bei starkem Seegang zu unkontrollierten Geschossen werden könnten.
Dinge ohne festen Platz wandern unter Matratzen oder Bettzeug oder werden anderweitig an ihrem Platz fixiert. Wird eine rauere Fahrt erwartet, verschwinden alle verfügbaren Kissen in den Schapps, deren Inhalt zum Klappern neigt – etwa das Geschirr. So bleibt alles heil, ein ruhiges Schiff trägt in extremen Situationen aber auch erheblich zum Vertrauen der Besatzung bei.
Danach geht es an die Seeventile. Auf jedem Schiff gibt es solche, die geöffnet sein können oder müssen. Alle anderen aber werden geschlossen. Da Wasser nicht nur von unten kommt, sondern manchmal auch von oben, werden nun auch alle Luken kontrolliert und verriegelt.
Der Motor wird auf Undichtigkeiten, richtigen Ölstand und genügend Wasser für den inneren Kühlkreislauf überprüft. Auf einem Paneel gibt es Informationen über die Spannung von Versorger- und Starterbatterie sowie den aktuellen Dieselvorrat. Nach deren Check wandert ein flexibles 100-W-Solarpaneel auf die Sprayhood und wird dort mit vier Leinen fixiert. Je nach Sonneneinstrahlung und Output darf der Kühlschrank weiter kühlen oder muss als größter Verbraucher eben mal aus bleiben.
Die Lichtanlage, Posis, Dampferlicht und Ankerlicht werden eingeschaltet und getestet. Damit ist der Bereich unter Deck abgearbeitet.
Wenn kein ruhiges Wetter angesagt ist, bereite ich etwas zu essen für unterwegs vor. So muss niemand unter Deck oder gar am Herd stehen, wenn es ungemütlich ist und der- oder diejenige vielleicht sogar zur Seekrankheit neigt.
Das A und O beim Fahrtensegeln mit kleiner Crew ist der Autopilot. Essen, navigieren, auf dem Vorschiff arbeiten und nicht zuletzt schlafen funktionieren einhand oder mit kleiner Crew sehr viel besser, wenn währenddessen der mechanische oder elektrische Steuermann zuverlässig seinen Dienst versieht.
Ich verwende einen Pinnenpiloten, der für sehr viel größere Boote geeignet ist, und eine Windsteueranlage. Die Redundanz ermöglicht es, auch bei Ausfall eines Systems die Fahrt problemlos fortzusetzen. Das ist besonders wertvoll, wenn es sich um einen längeren Törn mit Nachtfahrten handelt. Beide Systeme, Pinnen- und Windpilot, werden daher vor dem Ablegen angeschlossen beziehungsweise einsatzbereit gemacht.
Der Auspuff der Standheizung wird mit einer Kappe gegen Wasserschlag verschlossen. Mehrere Winschkurbeln liegen griffbereit. Die Instrumente laufen und werden auf Funktion hin überprüft, ebenso das Funkgerät samt AIS-Receiver. Für den Fall, dass der bordseitige USB-Anschluss ausfällt, steht in der Backskiste eine alte Starterbatterie bereit, mit der über einen sehr langen Zeitraum Geräte wie das Mobiltelefon und das Tablet unabhängig vom Bordnetz betrieben werden könnten. Auch diese Batterie wird im Rahmen der Törnvorbereitung auf volle Ladung kontrolliert.
Logbuch, Bleistift, Kugelschreiber, Handfunkgerät, Signalhorn, Handpeilkompass, Zirkel, Kartenmaterial und Fernglas gehören zur ständigen Cockpitausrüstung und werden griffbereit gelegt.
Bei mir als passioniertem Youtuber sind neben all dem Genannten zusätzlich mindestens zwei Film- und Fotokameras entweder fest installiert oder zumindest so aufbewahrt, dass sie unterwegs schnell greifbar und einsatzbereit sind.
Kleinigkeiten wie Schäkelöffner, Messer, Leatherman, Feuerzeug, Stirnlampen, Sonnencreme, Basecap, Sonnenbrille und Ersatzlesebrille liegen in einem gesonderten Fach unter der Sprayhood bereit.
An der Sprayhood klemmen auch zwei Wäscheklammern. Eine grüne und eine rote. Was es damit auf sich hat? Sie helfen bei der Navigation, besonders in unbekanntem Revier. Ich klemme sie entsprechend der Betonnung backbord und steuerbord an die Sprayhood. Sind die roten Tonnen etwa an steuerbord zu passieren, dann steckt auf der Seite auch die rote Wäscheklammer und die grüne auf der anderen. Ein einfacher, aber sehr hilfreicher Tipp von einem Freund.
Ähnlich einfach und hilfreich ist ein Fensterleder, das bei mir stets unter der Sprayhood liegt. Es dient mir dazu, die Kameraobjektive, die Gläser des Fernglases und meine Brillengläser zu reinigen. Außerdem ist es, etwas angefeuchtet, so rutschfest, dass ein darauf abgelegtes Handy, das Tablet oder die obligatorische Tafel Schokolade auch bei starker Krängung erst einmal an ihrem Platz bleiben.
Sämtliche Schoten, Fallen und Strecker, die ins Cockpit auf den Aufbau umgelenkt sind, werden hier klariert und die Enden in den Niedergang geworfen. So stören sie im Cockpit nicht und hängen kinkenfrei unter Deck.
Eine Pütz für die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Anwendungen gehört zur Cockpitausstattung und ist griffbereit. Schwimmwesten, Lifebelts und Regenklamotten hängen an der Tür zum WC neben dem Niedergang und sind auf diese Weise ohne große Verrenkungen vom Cockpit aus zu erreichen.
Auch wenn es sich bis jetzt so anhört, als würde ich den ganzen Tag im Cockpit sitzen wollen – das genaue Gegenteil ist der Fall! So richtig glücklich bin ich erst, wenn das Schiff unter Selbststeueranlage allein fährt und ich mich neben dem Ausguck auch anderen Dingen widmen kann.
Wenn jetzt aber Gewitter, Regen, starker Seegang oder Starkwind überraschen, bin ich darauf vorbereitet, habe alles in Reichweite, was gebraucht werden könnte, und kann daher gelassen der Dinge harren, die da kommen mögen.
Ändert sich die Windstärke, muss man auf meinem Schiff – und das ist heutzutage eher untypisch – das Cockpit verlassen. Ich habe Vorsegel mit Stagreitern. Das bedeutet, dass diese Segelfläche nicht aus dem Cockpit an den sich verändernden Wind angepasst werden kann. Wenn andere von achtern ein- oder ausrollen, ist bei mir an Bord der oft mühsame Weg auf das Vorschiff nötig, um das Vorsegel zu wechseln.
Sollten wir vor unserem Törn schon wissen, dass wir mit einiger Wahrscheinlichkeit später in schlechteres Wetter kommen, bereiten wir das nächstkleinere Vorsegel bereits im Hafen vor.
Die Arbeitsfock ist fertig angeschlagen, das Fall ist eingeschäkelt, die Schoten fest am Schothorn und ins Cockpit geführt und das ganze Segel an die Seereling gelascht. Der Hals des nächstkleineren Segels wird, wie bei der Arbeitsfock, mit einem Softschäkel am entsprechenden Decksbeschlag eingeschäkelt. Die Stagreiter dieses Segels werden alle zwischen Hals und dem untersten Stagreiter der bereits angeschlagenen Arbeitsfock eingehakt.
Kommt es nun zum Segelwechsel, lassen wir die Arbeitsfock vom Cockpit aus fallen und laschen sie an die Seereling. Dann tauschen wir Fall und Schoten von der Arbeitsfock zum anderen Vorsegel. Anschließend müssen nur noch die Stagreiter der Arbeitsfock ausgehakt und weggebunden werden. Nun wird das neue Vorsegel wieder aus dem Cockpit gesetzt.
Wenn all diese Handgriffe erledigt sind, ist das Boot auslaufklar. Der Schiffsführer sollte sich nun überzeugen, ob auch die Besatzung vorbereitet ist. Sind alle passend angezogen, haben ihr Ölzeug griffbereit und Sonnencreme im Gesicht – ist jeder satt und ohne körperliche Beschwerden?
Und schließlich muss er selbst auf die anstehenden Aufgaben vorbereitet sein, den Seewetterbericht für das Fahrtgebiet eingeholt und die navigatorischen Aufgaben des anstehenden Törns bedacht haben. Was es dabei alles zu berücksichtigen gilt, lesen Sie in YACHT 9, wo es in Teil II der Törnvorbereitung um das Routing geht.
Mike Peuker
Der ehemalige Pilot Mike Peuker segelt mit Familie und einhand sportliche Törns auf seiner Comfortina 32 „Nubia“ und führte jahrelang Skipper-Trainings auf klassischen Holz-Folkebooten durch. Für die YACHT schrieb er seine besten Praxis-Tipps auf