SachverständigeGutachter in drei Tagen – geht das? Der Praxis-Check

Fabian Boerger

 · 13.05.2025

Wie groß ist der Schaden und welche Reparaturen sind erforderlich? Diese Fragen zu klären, ist die Aufgabe eines Gutachters.
Foto: Fabian Boerger
Ob beim Unfall oder dem Bootskauf: Wenn Expertise gefragt ist, geht’s selten ohne Gutachter. Doch den richtigen zu finden, ist schwierig. Worauf es ankommt, zeigt ein Blick in die Praxis.

Wie zarte Wurzeln durchs Erdreich ziehen sich feine Haarrisse durch das marineblaue Gelcoat einer Comfortina 38. Ganz behutsam, als könne Nils Leutloff, 53, den Ursprung des Schadens erspüren, tastet er über die beschädigte Stelle entlang des Zierstreifens am Wasserpass. Zwar hat er schon längst eine Vermutung, wie der Gelcoatschaden entstanden sein könnte, doch der muss er nun genau nachgehen.

Sonderfall Boot: Schäden oft komplex

Nils Leutloff ist Bootssachverständiger. Ein bekannter Yachtversicherer beauftragte ihn, den Sachverhalt zu begutachten und die Frage zu klären: Kann der Schaden von einem Orca-Angriff stammen? Eine Vermutung, die naheliegt. Die Comfortina 38, die Leutloff begutachtet, ist die „Meu“, das Ausbildungsschiff des Lübecker Yacht-Clubs. Skipperin Clara Weimar und Crew hatten auf dem Weg in die Karibik gerade die Biskaya überquert, als Orcas sie angriffen, wobei das Ruder stark beschädigt wurde.

Seit Oktober 2024 ist sie wieder zurück in Travemünde und steht in einer Halle der Böbs-Werft. Leutloff schaut sich den Schaden an, um das Ausmaß zu bestimmen und die nötigen Reparaturen mit allen Beteiligten abstimmen. Das ist wichtig, denn im Unterschied zum standardisierten Kfz-Bereich kalkulieren Werften ihre Reparaturkosten in Absprache mit dem Gutachter. Der Grund: Oft sind die Schäden an Booten komplex, die Materialien vielfältig.

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Wichtiges Allgemeinwissen nur über Erfahrung

Der gelernte Bootsbauer ist seit rund sieben Jahren als unabhängiger Sachverständiger tätig. Schadensbegutachtungen bilden einen erheblichen Teil seiner Beauftragungen, aber auch Kaufberatungen gehören zu seinem Arbeitsalltag. Bevor Leutloff freischaffender Sachverständiger wurde, arbeitete er als Projektleiter bei Airbus und später für circa zehn Jahre für ein renommiertes, auf Yachten spezialisiertes Sachverständigen- und Beraterbüro. Sukzessive sei er eigenständiger geworden und habe das „claim handling“ verinnerlicht - die Art, wie ein Versicherungsschaden zu organisieren und abzuarbeiten ist.

Gutachter in drei Tagen – geht das?

Darüber, welche Erfahrungen ein Sachverständiger benötigt, um in den Beruf einzusteigen, scheiden sich die Geister. Ähnlich wie bei Beratern, Journalisten oder Therapeuten ist die Bezeichnung „Sachverständiger“ nicht geschützt. Es gibt keine spezielle Berufsausbildung oder staatliche Zulassung. Das bedeutet, dass prinzipiell jeder, der in dem Bereich arbeiten möchte – ganz gleich, ob er Vorerfahrung hat oder nicht –, das kann und Gutachten erstellen darf.

Für die Auftraggeber bedeutet es, dass es an ihnen liegt, die Spreu vom Weizen zu trennen. Hinzu kommt die Tatsache, dass seit einigen Jahren Schulungen angeboten werden, die man bereits nach drei Tagen als zertifizierter Sachverständiger abschließen kann.

Kritik an Schnellverfahren

Dieses Angebot wirkt wie Öl im Feuer der Kritiker. Zu denen gehört unter anderem der Verband der Sportboot- und Schiffbau-Sachverständigen (VBS). Die Ausbildung im Schnellverfahren werde den hohen Anforderungen des Berufs nicht gerecht, weder in Bezug auf das nötige Fachwissen noch hinsichtlich der Berufserfahrung, schreibt der Verband auf seiner Webseite.

Weiter heißt es dort: „Organisationen, die damit werben, einen Interessenten in drei Tagen zum Sachverständigen auszubilden, sind genau der falsche Weg, um den Markt vor schwarzen Schafen zu schützen, und dienen keinesfalls als Qualitätsmerkmal bei der Gutachterauswahl.“

Schnell-Ausbildung: “Die meisten Teilnehmer mit Vorerfahrung”

Eine von mehreren Einrichtungen, die mit dreitägigen Kursen um Teilnehmer wirbt, ist das Bildungszentrum für nautischen Sachverstand (BNSV) mit Sitz in Oberthulba-Reith, nördlich von Würzburg. Laut der Webseite des Unternehmens sollen die Teilnehmer in drei Tagen wichtige Grundlagen zur Gutachtenerstellung, Wertermittlung und Kaufberatung erlernen.

Marcel Fuchs, Ausbildungsleiter des BNSV, ist sich der Kritik an dem Schnellverfahren bewusst. „Es ist klar: Wer letzte Woche als Bäcker in der Backstube stand, der wird nächste Woche nicht als Sachverständiger arbeiten“, sagt er. Gleichzeitig betont Fuchs, dass die Erfahrung zeige, dass die meisten Kursteilnehmer bereits mit entsprechender Vorkenntnis – etwa als Bootsbauer oder Motortechniker – in die Kurse kämen. Eine Voraussetzung für die Teilnahme sind solche Vorerfahrungen jedoch nicht.


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In den Kursen gehe es vielmehr darum, Interessierten einen Einstieg in die Branche zu ermöglichen und schrittweise die nötigen Gutachter-Fähigkeiten zu vermitteln, so Fuchs. Das technische Fachwissen müssten die Teilnehmer mitbringen. In den drei Tagen konzentriere man sich darauf, den strukturellen Aufbaus des Berufs und die rechtlichen Grundlagen zu vermitteln. Das könne man in drei Tagen durchaus vermitteln, sagt Fuchs.

Nach dem Einstieg klein anfangen

Im Anschluss an den Basiskurs empfehle man den Absolventen klein anzufangen – zum Beispiel mit einer Kaufbegleitung bei einfacheren Booten. Danach müssen weitere Schritte folgen, wie Weiterbildung und Austausch mit Experten auf Netzwerktreffen, die das Bildungszentrum auch organisiert. Gleichzeitig warnt Fuchs vor Überschätzung: „Es wäre verwegen, ohne Vorkenntnisse auf die Balearen zu fahren und die Folgen der Grundberührung einer 60-Fuß-Yacht zu bewerten.“

Tätigkeit für Einsteiger öffnen

Der Kritik der Verbände entgegnet der Ausbilder mit einer anderen Perspektive. Derzeit sei die Gemeinschaft der Sachverständigen sehr geschlossen, so Fuchs - der Einstieg sei schwer. Er plädiert dafür, offen für neue Wege zu sein: „Darauf, dass Sachverständige mit Erfahrung vom Himmel fallen, kann man lange warten. Wir suchen nach Wegen, Know-how aufzubauen.“

Ob dieser Ansatz langfristig zu einer Öffnung der Branche führt, wird sich zeigen. Zumal weiterhin die Qual der Wahl aufseiten der Auftraggeber liegen wird, die selbst einschätzen müssen, ob es sich bei einem Gutachter tatsächlich um einen Experten handelt. Doch wie lässt sich das herausfinden?


Diese Qualitätsmerkmale bieten Orientierung:

1. „Öffentliche Bestellung und Vereidigung“

  • Der Titel "Sachverständiger" ist geschützt und erfordert fachliche Ausbildung und Erfahrung. Es gilt als Gütesiegel und höchste Qualifikation in Deutschland.
  • Prüfung bei der Handwerkskammer oder IHK notwendig für die öffentliche Bestellung.
  • Sachverständige müssen Unabhängigkeit und kontinuierliche Fortbildung nachweisen.
  • Gerichte und Behörden bevorzugen öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige aufgrund ihrer Vertrauenswürdigkeit.

2. Verbandszugehörigkeit

  • Aufnahme in Verbände erfordert Erfüllung bestimmter Kriterien, wie Prüfungen und regelmäßige Fortbildungen.
  • Mitglieder-Gutachten werden regelmäßig geprüft und ein Verhaltenskodex existiert.
  • Die Anforderungen der Verbände an Mitglieder variieren allerdings stark. Manche Verbände verlangen umfassende Prüfung und Erfahrung, während andere nur geringe Voraussetzungen wie ein dreitägiges Seminar akzeptieren.

3. Achtung bei Zertifikaten

  • Ein Zertifikat zeigt nur, dass jemand an einer Veranstaltung teilgenommen hat, und bedeute nicht, dass die Person ein Fachmann ist.

Das heißt nicht, dass nur jene gute Arbeit leisten, die öffentlich bestellt sind oder einem anerkannten Verband angehören. „Natürlich können auch Sachverständige ohne Verbandszugehörigkeit gute Leistungen erbringen“, so Hauke Weber von der IHK Kiel. Auch muss nicht jede Begutachtung oder Kaufempfehlung vor Gericht standhalten können. Allerdings dienen diese Merkmale Auftraggebern als Stütze für eine fundierte Meinung. Und schließlich sind sie es, die am Ende das Risiko tragen.


Oberste Priorität? Fachliche Qualifikation

Auf Anfrage der YACHT, nach welchen Kriterien der Yachtversicherer Pantaenius seine Sachverständigen auswählt, antwortete das Unternehmen, dass für sie die fachliche Qualifikation oberste Priorität habe. Das Netzwerk des Unternehmens decke die vielseitig notwendigen Spezialisierungen ab, sagt Holger Flindt, Leiter der Schadenabteilung bei Pantaenius. “Solche Qualifikationen entstehen nicht durch Schulungen allein, sondern vor allem durch langjährige Berufserfahrung."

Zusätzlich seien Fortbildungen essenziell – etwa zur handwerklichen Qualität von Gutachten oder zu rechtlichen Aspekten. Ein vertrauenswürdiger und zuverlässiger Bootsachverständiger, so Flindt, zeichne sich neben seiner Objektivität vor allem durch die Fähigkeit aus, Aufwände realistisch einzuschätzen.


Tipps zur Gutachter-Wahl

1. „Selbsternannt“

Sachverständig ist per Definition, wer besondere Sachkenntnisse in einem Fach­gebiet nachweist. Ob das bei einem selbsternannten Fachmann der Fall ist, lässt sich nur anhand dessen einschätzen, was er über sich erzählt und was andere über ihn berichten. Wer einen Gutachter oder Sachverständigen – beides meint das Gleiche – sucht, sollte sich Referenzen zeigen lassen

2. Verbandszugehörigkeit

Etwa im Deutschen Boots- und Schiffbauerverband oder im Verband der Sportboot- und Schiffbausach­verständigen. Die Verbände gewährleisten:

  • Aufnahmeprüfung/Kontrolle der Berufsqualifikation
  • Fortbildungspflicht
  • Regelmäßig stichprobenartige Prüfung von Gutachten der Mitglieder
  • Fachlicher Austausch der Mitglieder untereinander

3. Bestellung und Vereidigung durch die Kammer

  • Berufsspezifische Aus­bildung erforderlich (z. B. Bootsbauer, Schiffbau-Ing.)
  • Berufspraxis als Sach­verständiger Gutachter
  • Prüfung vor der Kammer

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