Europas Yacht des Jahres 2023Schaulaufen der Nominierten vor Port Ginesta

Jochen Rieker

 · 26.10.2022

Kann was wegstecken. Die Oyster 495 kam in ungewöhnlichem Dekor zu den Tests vor Port Ginesta, überzeugte aber mit Nehmerqualitäten
Foto: EYOTY/A. Lindlahr
Exklusiv: Fotogalerie der Kandidatinnen, die vorige Woche zum letzten Test antraten

Von herb bis handig – so stark variierten die Bedingungen bei den finalen Testfahrten für die Wahl zu Europas Yacht des Jahres. Vorige Woche trafen sich die zwölf Jury-Mitglieder, die in ihren Ländern jeweils die führenden Segelmagazine vertreten, in Port Ginesta, nur wenige Meilen südwestlich von Barcelona. Zu den Nominierten, die antraten, zählte auch die neue Bente 28 aus Deutschland. Hier erste Fotos der Finalisten – und ein paar Insights von der Erprobung auf See

Vier Tage, 14 Boote. Das versprach ein abwechslungsreiches, aber auch pralles Programm für die Chefredakteure und Cheftester, die in dieser Form zum 20. Mal die besten Newcomer des Jahres suchen. Und auch wenn die Gewinner erst kurz vor der boot Düsseldorf feststehen werden, wo am 21. Januar auf der Flagship Night des Delius Klasing Verlags und der Messe Düsseldorf die Preisverleihung stattfindet: Ein bisschen was können wir schon jetzt verraten. Zum Beispiel, dass Oyster die wohl speziellste Yacht ins Rennen schickte, die wir je gesehen haben. Die 495 namens “Tuga” kam im gelb-orangen Graffiti-Look und zeigte auch unter Deck nichts vom sonst üblichen britischen Understatement. Der Grund: Das Testboot gehört niemand Geringerem als dem ehemaligen Formel-1-Rennstallbesitzer Eddie Jordan, für den unter anderen Michael Schumacher und Heinz-Harald Frentzen fuhren.

Die Farbgebung und Gestaltung floss nicht ins Urteil der Jury ein, was offen gestanden gar nicht so einfach war. Die Kommentare zum Design variierten: Außen fanden manche Kollegen Ähnlichkeiten mit “einem Stück der Berliner Mauer”, innen mit “psychedelischer Kunst”. Ein Kollege musste sofort wieder ins Cockpit, weil er sonst seekrank zu werden drohte. Das kann aber auch am Schwell gelegen haben, der bis zu zweieinhalb Meter betrug; so genau ließ sich das nicht differenzieren. Eddie ist jedenfalls ein cooler Eigner, weil er sich nicht lange bitten ließ, um uns sein Boot zu überlassen, das quasi frisch aus dem Harzeimer kam. Auf Youtube erklärt er, warum er sich für den Namen entschieden hat und warum die 495 auf keinen Fall weiß werden sollte.

Irgendwie mochten wir seine “Tuga” am Ende alle auf die ein oder andere Art. Geholfen haben dabei natürlich die wirklich feinen Segeleigenschaften und der propere Ausbau von Oysters jüngster und kleinster Yacht.

Bente 28 und Excess 14 als spannende Neuheiten

Weil eben von Schwell die Rede war: Die Bente 28, eine der Kleinsten im Feld, schlug sich ebenfalls wacker. Wir hatten sie zwei Wochen vorher erstmals am Bodensee gesegelt, jetzt noch mal in freier Wildbahn, bei 5, in Böen bis zu 6 Beaufort. Antoine Cardin war auch dabei, ihr Konstrukteur, der sonst bei Judel/Vrolijk & Co Regattayachten zeichnet und an einem spannenden Kleinstserienprojekt arbeitet, über das wir hier in Kürze berichten werden. Er bringt Einflüsse der bretonischen Offshore-Szene mit, und so sieht die Bente denn auch aus. Obwohl sie mit gut drei Tonnen klar ein Fahrtenboot ist, kein Racer, ließ sie sich gut durch den welligen Parcours prügeln. Ins Rutschen kam sie auch immer wieder mal. Bravo!

Excess 14 trifft genau die Mitte zwischen schwimmendem Ferienhaus und rasendem Zweirumpfer

Mit Spannung erwartete die Jury den neuen Excess 14, das jüngste Boot der noch jungen Kat-Linie der Beneteau-Gruppe. Wer öfter hier vorbeischaut, weiß, dass wir die früheren Modelle nicht restlos goutierten, weil sie vor allem leistungsmäßig hinter den von Beneteau selbst geschürten Erwartungen zurückblieben. Nun, das ist vorbei! Der neueste Wurf trifft wirklich genau die angestrebte Mitte zwischen schwimmendem Ferienhaus und rasendem Zweirumpfer.

Zwei Tonnen Gewichtsersparnis

Wie das gelang, zeigen und erzählen wir in ein paar Wochen ausführlich. Wobei: Zeigen dürfen wir’s eigentlich nicht. Entwickler Hervé Piveteau, früher ein gefürchteter Mini-Transat-Skipper, heute noch ein beseelter Gewichts- und Vortriebs-Optimierer, hat zusammen mit den Konstrukteuren von VPLP etliche Hundert Kilo über Bord geworfen. Genau genommen waren es sogar fast zwei Tonnen! Er will aber nicht, dass wir alle Tricks verraten, die wir gefunden haben. Vincent Lauriot-Prévost, das “LP” in “VPLP”, kam eigens auch nach Port Ginesta, um seine Schöpfung bei den Tests zu erleben. Er hat für das nächste Boot noch mehr Ideen und uns ein paar davon verraten. Man darf also gespannt sein, was da noch kommt. Und Beneteau kann stolz sein, was sie bereits erreicht haben. Chapeau!

Es ist bei den Tests zu Europas Yacht des Jahres ja so wie bei jedem Zusammentreffen von mehreren Booten: Auch wenn es gar nicht wirklich drum geht, wer am schnellsten und am höchsten (oder tiefsten) laufen kann gematcht wird allemal. Der Excess 14, nominiert in der Klasse Multihull Cruisers, fand sich so immer wieder in Duellen mit Kats der Performance-Kategorie verwickelt. Und er sah dabei ziemlich gut aus.

Vier Performance-Cruiser am Start

Gemessert haben sich die Juroren zwangsläufig auch, wenn sie auf den Performance-Cruisern unterwegs waren, denen mit nur einem Rumpf. Davon kamen gleich vier der fünf Nominierten in dieser Klasse nach Port Ginesta: die Elan E6, die Grand Soleil 40 Performance, die Italia 12.98 in der Bellissima-Version und die Solaris 50. Ebenso die Ice 62 und die Oceanis Yacht 60, beide Vertreter der Luxusklasse, beide ähnlich lang, beide nicht gerade langsam. Klar, dass da Spontanregatten ausgesegelt wurden.

Wenn man sich was hätte wünschen dürfen, dann wäre es ein Wolpertinger geworden. So sagen die Bayern zu einem Wesen, das irgendwie viele ist. Unser Wolpertinger zur See hätte die Präzision der Grand-Soleil-Ruderanlage, das Feedback der Italia, die Linien der Solaris, die Vorschiffskoje der Beneteau, den Liftkiel und den Code 55 der Ice, außerdem die Ingeniosität des Balance 482, dessen Erlebnis-Duschbad achtern, die Frechheit der Bente, die Gediegenheit der Oyster, die Nachhaltigkeit des Ecoracer 25 und noch so einige Attribute mehr von den hier nicht Genannten. Vielleicht gibt’s kommendes Jahr eine Kandidatin, die all das hat und kann. Das wär was!

Die erste Runde der Tests fand bereits Mitte September vor La Rochelle statt. Hier zeigen wir alle Nominierten zur European Yacht of the Year 2023!