Die dominierende Farbe im finnischen Sommer ist Grün. 400 Kilometer nördlich von Helsinki glaubt man gern, dass 70 Prozent von Finnland mit Wald bedeckt sind. Regelrecht bunt geht es im Nautor-Hafenbecken zu. Links eine klassische weiß-blaue 115, die in Pietarsaari zum Refit eincheckt. Rechts zur Ablieferung bereit eine dunkelblaue 54 neben einer grünen 60. Gegenüber die Ur-Swan 36 „Tarantella“ von 1966, in Weiß und mit den berühmten blauen Zierstreifen. Mittendrin und nahezu auf Freibordhöhe mit der 115 die Swan 78: stahlgrauer Rumpf mit schwarzem Carbonrigg, golden leuchtendem Teakdeck und den Markenstreifen auf dem Süll. Die 78 gilt bei Nautor als „die Größte der Kleinen und die Kleinste der Großen“. Sie ist jetzt das Bindeglied zwischen den Maxis und den kleinen, meist ohne Crew gesegelten Swans unter 20 Meter. Nur konsequent, mit ihr den Linienumbau zu beginnen.
„Haromis“ Bordwände ragen steil und weit nach oben, der lotrechte Steven geht in eine lange Wasserlinie und ein Heck über, das fast so offen ausläuft wie das der ClubSwan 50. „Dieser Rumpf gibt uns bedeutend mehr Platz unter Deck“, antwortet Germán Frers trocken auf die Frage, was diesen Formenwandel ausgelöst habe. Und ergänzt: „Du musst mit der Zeit gehen.“ Er, der mit 17 Jahren seine erste Segelyacht konstruierte und seit über 40 Jahren Swans zeichnet, erfindet sich neu? Nicht ganz.
Die 78 strahlt die unabdingbare Frers’sche Eleganz und Zeitlosigkeit aus. Nirgendwo ist ein Zentimeter zu viel. Und rein konstruktiv ist der nach achtern ausladende Rumpf eine Konsequenz aus der Pflichtenheft-Forderung nach einem Doppelruder zur Reduktion des Ruderdrucks und Erhöhung der Redundanz. Weg fiel der stärker geneigte Spiegel, der bei den benachbarten Schwänen rund in das Deck und weiter in die Flunder-Aufbauten übergeht. Nebeneffekt des Jumbo-Hecks: Es begünstigt eine Tendergarage, in der ein bis zu 4,60 Meter großes Beiboot über eine patentierte Vorrichtung gedreht werden kann.
Auch bei den neuen Modellen – auf die 78 folgten 65 und 98 – haben Eigner nicht mehr die Wahl zwischen Mittel- (Eignerkabine vorn) und Achtercockpit (Eignerkabine achtern). Je nach Layout kam das Deck aus einer eigenen Form. Mit der neuen Swanline benötigt die unter italienischer Leitung stehende Werft nur je eine Form für Rumpf und Deck, die in GFK und Prepreg-Kohlefasern laminiert werden. Der Plattformbau senkt sowohl Preis als auch Ablieferungszeiten. Pro Jahr sollen drei 78 das Boatbuilding Technology Center (BTC) in Pietarsaari verlassen. Möglich machte das Zwei-in-eins-Layout das neue Kajütdach, das in ganz ähnlicher Ausprägung bereits auf der ersten Wally 80 – „Genie of the Lamp“ – zu sehen war.
1995 löste der Argentinier mit dem Stummelaufbau weit hinter dem Mast eine wahre Flushdeck-Revolution aus. Auf „Haromi“ umschließt das Kajütdach, anders als bei den meisten minimalistischen Schierdeckern, den Steckmast. Im ursprünglichen Designbriefing sollte der Mast vor dem Kajütdach stehen, ehe ein veränderter Segelplan beides als Einheit nach hinten rückte. Beim ersten Interieur-Mock-up bemerkte Frers, dass der Salon zu klein geraten war, und zog den Aufbau in die Länge. So wurde der in den Wohnraum ragende Mast zu einer kohlefasernen Mahnung, dass „Haromi“ bei aller Interieur-Exzellenz auf Regatten getrimmt ist.
Alle Eigner der vier bereits verkauften 78-Einheiten wählten die Frontkabine mit großem Doppelbett im Bug. Bei dieser Layoutvariante wandern Crewkabine, Naviecke und Galley nach hinten und bieten der Mannschaft bei langen Überführungstörns hohen Komfort und bei Regatten kurze Wege. Achtern an den Salon schließen sich zwei Gäste-Doppelkabinen an, die an gleicher Stelle bleiben, wenn das Eignerapartment hinten liegt. Das Interieur designte Swan gemeinsam mit dem „Maestro“, wie die Nautor-Mitarbeiter Germán Frers intern nennen. „Das Beste an Swan ist das, was man nicht auf Anhieb sieht“ – wieder so ein nach Floskel klingendes Motto, wenn es nicht aus dem Mund eines Finnen käme.
Denn die gelten als grundehrlich und als bootsbauerisch extrem gewissenhaft. Die sichtbare Qualität stimmt vom Deck bis in die Bilge, wo jeder Zentimeter erreichbar ist. Um an Fallen und Strecker zu gelangen, müssen Deckenpaneele und schallschluckende Metallplatten, die an Vibrationsstiften hängen, losgeschraubt werden. Den nötigen Halt auch bei Seegang geben massive, von Leder umhüllte Handläufe. Die vorderen und hinteren Spanten schließen dicht ab, ein für Nautor seit Jahren wichtiger Sicherheitsaspekt. Stephan Semmerling, der äußerst aktive Vertreter des deutschen Eigners, ließ größere Tanks und Lithium-Ionen-Batterien installieren, die einen Tag Segelspaß ohne Generatorunterstützung ermöglichen. Dank Teleskopkiel wandert der 140-Kilowatt-Flautenschieber von Steyr unter den Salonboden, wo er geräuscharm arbeitet. Der Motor ist über Bodenplatten sowie eine Tür hinter dem Niedergang zugänglich.
Mit 42 Tonnen ist „Haromi“ nicht wirklich ein Leichtgewicht. Auf dem Alholmsfjärden aber springt die 23,99 Meter lange Slup erstaunlich schnell an. Bei bis zu zehn Knoten Wind toppt sie raumschots und unter Genua die wahre Windgeschwindigkeit spielerisch. Dem Trend zu mehreren Vorsegeln folgend können Gennaker oder Code Zero, Fock und ein Stagsegel am Carbonmast von Southern Spars stehen. Selbst hoch am Wind ist der Ruderdruck erstaunlich gering. Angenehm ist, dass das Steuergefühl direkter wird, je stärker die Krängung ist. Ideal sind 20 Grad Neigung. Dann ragt das Luv-Ruderblatt vollständig hervor und erzeugt keinen Wasserwiderstand.
Dass die erste Swan 78 mehr Racer-Cruiser als umgekehrt ist, hat einen einfachen Grund: Eignervertreter Stephan Semmerling erhielt bei der Wahl der Zusatzausstattung Carte blanche. „Wir haben es auf die Spitze getrieben“, sagt Semmerling lachend und sichtlich zufrieden an das Achterstag gelehnt. Auf sein Geheiß hin wurde der Bugspriet länger, und „Haromi“ erhielt zwei zusätzliche Winschen am Mast sowie eine für die Großschot zentral vor den Steuerrädern.
Diese drei Winschen sind bei der zweiten, weniger sportlichen Baunummer kaptiv und arbeiten unter Deck. Die Harken-Carbonwinschen treiben bei ORC-Regatten Kurbeln an. Im Hydraulikbetrieb laufen bis zu vier gleichzeitig auf Hochtouren, ohne dass das Öl heißläuft. „Es wird im Kreis mit Vordruck gekühlt“, freut sich Semmerling. Er, der sich bei diesem Projekt als aktiver Entwickler sah, verordnete den Groß- und Vorsegelwinschen Trimmpanels, die sich in der Standardversion zentral am Steuerrad befinden. Das Segellaminat bestellte der Regatta-ambitionierte Eigner bei Quantum Sails und orderte gleich ein weit ausgestelltes Großsegel mit, das im 40-Fuß-Container zum Rolex Swan Cup nach Porto Cervo reist.
Germán Frers geht, nachdem er bei zehn Grad Außentemperatur für sechs Stunden an Bord war, durch die Kabinen, öffnet hier ein Schapp, prüft da ein Pütting und testet das von Plastik überzogene Eignerbett ausgiebig. Er würde den achtern liegenden Eignerbereich wählen.
„Mehr Privatsphäre“, gibt der Grandseigneur im Hafen Aufschluss. In beiden Layouts ausnahmslos dem Komfort verschrieben haben sich die in den Süllrand eingelassenen Sitzflächen. Während einer Regatta würde sicher niemand hier Platz nehmen. Alte Werte, neue Formen, so könnte man Nautors Linienumbau überschreiben. Dieses Statement untermauert das: „Wir sind sehr konservativ. Den einzigen Raum für Verrücktheiten lässt die Farbe des Rumpfes.“
Dieser Artikel erschien erstmals in der BOOTE-Exclusiv-Ausgabe 5/2018 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.