Schwarz oder Silber, diese Frage galt es, zum Projektstart zunächst zu beantworten. Dabei ging es nicht um die Farbe des Rumpfes, sondern um dessen Material – eine Grundsatzfrage bei Seglern über 40 Meter Länge: Alu oder Carbon? Mit einer Länge von 47 Metern positioniert sich “Nilaya” an der Obergrenze dessen, was Kohlefaser-Konstruktionen leisten können. “Meine 34 Meter lange (Vollcarbon-)Baltic war eine fantastische Yacht, mit der wir um die ganze Welt gesegelt sind und viele Regatten gewonnen haben”, erzählt der Eigner von “Nilaya”. “Während der zwölf Jahre mit ihr wurde mir klar, wie die nächste sein sollte: komfortabel und so schnell, dass sie Superyacht-Regatten gewinnen kann.”
„Nilaya“ bedeutet im Sanskrit „glückseliges Heim“
Die Liste, die Projektmanager Nigel Ingram von MCM Newport Nauta Design und Reichel/Pugh vorlegte, war lang und durchdacht. Da sich für den Auftraggeber Komfort neben einem erweiterten Raumangebot auch auf geringe Geräuschpegel unter Deck bezieht, beschließt er, den Rumpf aus Aluminium bauen zu lassen: “Wir wollten, dass sie leise ist – eine entscheidende Eigenschaft, wenn es um die Lebensqualität an Bord geht – auch für die Crew.” Abgesehen vom akustischen Vorteil sprechen für Metallrümpfe auch die Stoßfestigkeit des Materials und die Möglichkeit, Reparaturen in nahezu allen Teilen der Welt unkompliziert durchführen zu lassen.
Nun beweisen Werften, die Supersegler aus Komposit fertigen – der längste Rumpfkörper aus Carbon misst 60 Meter – Einfallsreichtum bei der Minimierung von Geräuschemissionen. Zudem spricht für die hochsteifen und -festen Fasern ein höheres Innenraumvolumen, das sich aus dünnwandigen Rumpfschalen mit wenigen Versteifungen ergibt. Als das größte Pfund der Hochleistungsfasern gilt gemeinhin das niedrige spezifische Gewicht.
Mario Pedol vom italienischen Designstudio Nauta, das mit diesem Projekt zum zweiten Mal mit den US-Konstrukteuren Reichel/Pugh arbeitete, räumt mit einer Mär auf: “Ich dachte, ein Aluminiumrumpf würde 60 bis 70 Prozent mehr wiegen als einer aus Carbon, aber das Gewicht von Rumpf und Deck macht nur etwa 15 Prozent des Gesamtgewichts einer Segelyacht aus.”
Letztendlich ging es nicht ganz ohne die schwarzen Gewebematten. Und dass dennoch die Wahl auf die Alu-Spezialisten von Royal Huisman fiel, ist nicht verwunderlich. Das Traditionsunternehmen aus Vollenhove verarbeitet Aluminium wie keine zweite Werft und schweißt seine Rümpfe noch in eigenen Hallen aus der Legierung Alustar. Kompositbauteile lieferte der Nachbar- und Schwesterbetrieb Rondal. “Featherlight” nennen die Niederländer die erstmals an “Nilaya” erprobte Hybridkonstruktion aus Fasern und Leichtmetall. Vollständig aus Kohlefasern besteht etwa das 17,50 Meter lange Monocoque aus Aufbau und Cockpit.
Am sorgsam geschwungenen Deckshaus lässt sich ablesen, dass Nauta Design auch in der Formgebung neue Wege einschlug. Allein dieser gewaltige Sprung des Decks! Nur folgt es keinem klassisch bogenförmigen Verlauf, sondern einem eher geradlinigen Gefälle. Das schmeichelt dem Auge nicht minder, nimmt dem ohnehin recht flachen Rumpf nochmals ein Stück Massivität.
Das Längen-Breiten-Verhältnis von 4,5 ist gegenüber der Vorgängerin geblieben, die Neue läuft aber im Heck wesentlich ausladender aus. Die breiteste Stelle misst auf Höhe des Cockpits satte zehn Meter. Der Steven verläuft nun beinahe lotrecht, die Wasserlinie ist wesentlich länger und gleichzeitig schmaler. Möglich macht diesen achtern dramatischen Abfall des unteren Umfangs eine weiche Kimmkante, die kurz hinter dem Bug aufsteigt und in der Oberseite des Hecks mündet.
Wenig benetzte Fläche erhöht das Gleitpotenzial, die hohe Breite des Decks die Formstabilität. Dass das funktioniert zeigte “Nilaya” nach der Ablieferung während erster Tests vor Mallorca. Jim Pugh berichtet: “Das war eine wirklich erstaunliche Leistung für eine Superyacht. Obwohl wir nur zehn Knoten wahren Wind hatten, war die Reaktionsschnelligkeit bemerkenswert. Diese Yacht wird überall für Aufsehen sorgen, vor allem aber auf der Bucket.” Gemeint ist die inoffizielle WM der über 40 Meter langen Hightech-Segler vor St. Barths Ende März.
In die Karibik gelangte der 47-Meter-Bau mit Eigner an Bord, der seit seiner Kindheit auf Jollen und nach einer Swan 48 mehrere Nautor-Yachten segelte. Sein Fazit nach der Atlantikquerung: “Ich muss zugeben, dass die Yacht sehr komfortabel und schnell ist.” Die 2.775 Seemeilen absolvierte “Nilaya” in zehn Tagen, meist bei drei bis vier Windstärken und mit 11,6 Knoten im Mittel. Der Topspeed lag bei über 20 Knoten. Die Polardaten aus dem Velocity Prediction Program (VPP) sagen bei einem Windwinkel von 90 Grad in einer Brise von 15 Knoten fast 18 Knoten voraus.
Bereits bei leichten Winden sollte es schnell vorangehen und der Motor so oft wie möglich ruhen. Der ausgestellte Topp des Großsegels fängt den Wind in bis zu 63 Meter Höhe ein, wobei Rondal den Mast mit Hilfe der Out-of-Autoclave-Methode (OOA) in einem Stück fertigte. Den gleichen Aushärtungsprozess ohne Druck, aber bei hoher Temperatur durchliefen die Prepregs des 21 Meter langen Rollbaums, der achtern strömungsgünstig wie ein Flugzeugheck ausläuft. Die Form der Salinge folgt ebenso dem geringsten Luftwiderstand – zudem lassen die zum Bug hin konkav verlaufenden Spreizer ein etwas längeres Unterliek der J2 zu. Elliptische Kohlewanten von Carbolink sind auch eine Konsequenz aus Strömungssimulationen.
Für die CFD-Studien unter Wasser kooperierte Reichel/Pugh mit den America’s-Cup-Spezialisten von Caponnetto Hueber und Giorgio Provinciali. Auf dem Weg zur endgültigen Rumpfform liefen zwölf Modelle durch die digitale Schiffbau-Versuchsanstalt. Jim Pugh ist überzeugt: “Sie ist in keiner Weise eine Weiterentwicklung ihrer Vorgängerin – unsere Wissensbasis hat sich dramatisch erweitert. Neue CFD-Hydro-Tools liefern weitaus genauere Berechnungsergebnisse, sowohl in flachem Wasser als auch in Wellen. Diese Konstruktion ist der Beginn einer neuen Ära des Superyacht-Designs.”
Gewaltige Datenmengen beschäftigten auch Royal Huismans Konstrukteure, die für Finite-Elemente-Analysen (FEA) in einem großen Raum zusammenkamen – ein Ansatz, der auf der Methodik der Europäischen Weltraumorganisation basiert. Damit ließ sich vorhersagen, wie ein Bauteil oder benachbarte Elemente oder eine ganze Yacht auf Belastungen wie Last, Kraft, Hitze oder Vibration reagieren: eine Art digitales Prototyping – nur schneller und ohne Notwendigkeit physischer Modelle. Eine Konsequenz waren individuelle Abstände des Rumpfgerüsts zur Maximierung der Steifigkeit und Minimierung der Verdrängung.
Aus den FEA-Sessions ergaben sich Gewichts-Budgets für einzelne Abschnitte und die Verwendung von Carbon für Rohre, den Kasten des Liftkiels (4,50 bis 6,90 Meter), die Ruderschäfte oder die eingelassene Tenderbucht auf dem Vordeck; teils wurden Kompositelemente auf Schotten und Türrahmen geklebt. Die Kohleluken verschließen Titanriegel, die innen Carbonstangen für gleichzeitiges Entriegeln verbinden. Beim Heizungs-, Lüftungs- und Klimatisierungssystem speckte man 600 Kilogramm ab, am Masttopp 50 Kilogramm. Dessen Verjüngung auf allen vier Seiten resultierte in einem vermeintlich kleinen Gewinn – allerdings an entscheidender Stelle. Die Verringerung der Teakdeckstärke von durchschnittlich 15 auf neun Millimeter brachte 1.300 Kilogramm ein.
Dass die Backstagen Schlösser und hydraulische Zylinder in Position halten – ein Wunsch des Eigners –, spart .1200 Kilogramm und drei bis vier Kubikmeter Volumen in der Lazarette im Vergleich zur typischen Anordnung mit kaptiven Winschen. Dort, wo automatische Fier- und Holhelfer zum Einsatz kommen, sind es Hybridformate für Zugkräfte bis 18 Tonnen. Sie setzen auf Alugehäuse und Carbontrommel und wiegen nur halb so viel wie konventionelle Metallmodelle. Zudem sank der Durchmesser von 600 auf 450 Millimeter, Gewichtssenkung: 890 Kilogramm.
Das Antriebssystem wurde um 2.000 Kilogramm erleichtert und setzt auf Flexibilität statt Masse: Den Scania-Motor mit seinen rund zwei Tonnen unterstützen ein E-Motor sowie zwei Generatoren mit variabler Drehzahl. Das Batteriepaket erlaubt geräuscharmen Betrieb und Lastspitzenkappung.
Die Ausrüstungsdiät brachte eine Gesamtgewichtsreduktion von drei Prozent. Beim Rumpf wurden gegenüber reinem Alu elf Prozent eingespart. Für den Innenausbau wandte Royal Huisman die Sandwichbauweise mit Schaumkernen und dünnen Holzfurnieren an. Nauta Design entwickelte mit der Gestalterin der Eigner, May Vervoordt, das Interieur von “Nilaya”, was im Sanskrit “glückseliges Heim” bedeutet. Das Ergebnis ist eine Mischung aus kontrastierenden Hölzern, hellen Polstern und gedämpften Blau- und Terrakottatönen für Sofas und Kissen.
„Elegante und raffinierte Materialien verschmelzen sanft mit dem natürlichen Licht und schaffen eine wirklich gemütliche Umgebung“, sagt Pedol. Ganz vorn ist die Eignersuite verortet, dahinter VIP-Kabine und TV-Lounge, gefolgt von Hauptsalon, zwei Gästekabinen, der Galley, Crew-Messe, Navi und vier Doppel-Crewkabinen. (Den Innenausbau dürfen wir in diesem Artikel leider nicht zeigen.)
Essenziell für den Decksentwurf von Pedol und seinem Team war ein Mock-up, das in Royal Huismans Lackierhalle aus Holz entstand. Proportionen und Anordnungen wurden unter simulierten Krängungswinkeln auf Ergonomie und Laufwege getestet. Als Resultat schützt ein stattlicher Süllrand das Gästecockpit, und der Arbeitsbereich dahinter profitiert von einem breiten Schanzkleid, an dessen Innenseite die Räder befestigt sind. Die weit außen liegende Steuerposition garantiert beste Sicht, aufgrund der Breite aber auch schwindelerregende Positionen bei starker Lage. Der muss man sich im Cockpit nicht anheimgeben: Aus den Duchten entfalten sich jeweils krängungsvariable Sitze, die bis zu 30 Grad Lage ausgleichen.
„Wir wollten innovative Technologien, aber nichts Experimentelles“, resümiert der “Nilaya“-Eigner. Dazu gehört eine Steueranlage mit getrennten Zügen und Schubstangen aus Carbon, um die 47 Meter ermüdungsfrei wie präzise zu bewegen. In den beiden Rädern integrierte Rigging-Projects-Getriebenaben, die auf Wunsch die Steuerkräfte um bis zu 25 Prozent reduzieren. So reagiert der Alu-Carbon-Bau vor dem Wind schneller, etwa um Wellen besser aussteuern zu können. An der Kreuz wird für volle Kontrolle wieder zurückgeschaltet. Wie so vieles an Bord vereint auch das Rudergehen das Beste aus zwei Welten.