Windstärke sechs auf dem Solent. Heftiger Regen peitscht, Wolken jagen tief am grauen Himmel dahin – kein ungewöhnliches Wetter für einen Tag am letzten Novemberwochenende. Und auch die neun Frauen an Bord der „Maiden“ stört es nicht, die 2018 zu einem einzigartigen Projekt aufbrechen.
Das Boot hat die Welt bereits früher schon mehrfach umrundet. Bereits beim Whitbread Round the World Race 1989/90 war die „Maiden“ unter Skipperin und Eignerin Tracy Edwards dabei, auch damals an Bord ausschließlich Frauen: ein Novum in der Geschichte des Hochsee-Langstreckensegelns – und in jener Zeit hoch umstritten.
Obwohl dieses Mal Edwards an Land zurück bleibt, war sie es, die das neue Projekt mit dem Namen „The Maiden Factor“ initiiert hat. Das verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele: Frauen den Zugang zum Regattasport erleichtern und Frauenhilfsprojekte in aller Welt unterstützen. Anderthalb Jahre lang hat Edwards das Projekt unermüdlich vorangetrieben, von der Wiederentdeckung des Schiffs bis hin zu dessen umfangreichem Refit und schließlich Relaunch im August 2018. Anschließend aber sagte sie: „Ich trete bewusst einen Schritt hinter das Projekt zurück.“
Nahe Southampton, in der Lounge des am Hamble gelegenen Royal Southern Yacht Club, wo die „Maiden“ zwischenzeitlich einen Liegeplatz gefunden hatte, erzählt Tracy Edwards, dass nicht sie bei dieser Sache im Mittelpunkt stehe: „Es geht um die neuen Frauen der ‚Maiden‘. Es ist jetzt ihr Boot, und ich möchte, dass sie das wirklich so fühlen.“ Dann fügt sie noch hinzu, dass die Crew großartig sei. Weshalb also solle sie sich noch weiter einmischen? Alle Mädchen an Bord sind einfach fabelhaft. Ich möchte ihnen nicht über die Schulter schauen. Ich möchte nur hier sein und sagen: ‚Bravo, gut gemacht!‘“
Das klingt ungewöhnlich für jemanden, der es viele Jahre lang gewohnt war, den Kurs vorzugeben. Und doch ist es genau das, wofür das „Maiden“-Projekt steht: junge Frauen stärken, das Ruder an die nächste Generation übergeben. Darin ist Tracy Edwards noch genauso stark wie damals.
„Wie vor über 30 Jahren ist es für Mädchen heute noch genauso schwer, auf ein Boot zu kommen. Daher rechne ich es Mark Turner hoch an, dass er es geschafft hat, beim Volvo Ocean Race 2014/2015 die Teams dazu zu bewegen, endlich auch Frauen in ihre Crews aufzunehmen. Sein Anreizsystem, gemischte Mannschaften an Bord zu belohnen, war ein Geniestreich“, ist Edwards voll des Lobes für den 2017 zurückgetretenen Chef der Weltumsegelungsregatta.
Trotzdem sei der Kampf um die Gleichberechtigung beim Segeln noch lange nicht vorbei. „Wir müssen Mädchen auf Booten positiver gegenüberstehen; wir haben es satt, stets dieselben alten Schlachten schlagen zu müssen.“ Auch deshalb sei ihr Maiden-Factor-Projekt so wichtig.
Tracy Edwards weiß sehr genau, wovon sie spricht – und worüber sie sich bis auf den heutigen Tag ärgert. Mit ihrer legendären Whitbread-Kampagne hat sie schon vor über 30 Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass Frauen im Yachtsport durchaus mit Männern konkurrieren können. Ihre Idee, eine rein weibliche Crew ins härteste Etappenrennen um die Welt zu schicken, stieß seinerzeit auf enormen Widerstand.
Die damals 23-Jährige hatte viele Kämpfe auszustehen, um ernst genommen zu werden. Persönliche Anfeindungen bis hin zur Weigerung ihres Yachtclubs, ihrer Crew vorübergehend eine Mitgliedschaft zu gewähren, zählten dazu. Ihre Anfrage nach einem Sponsoring-Vertrag lehnten 350 britische Unternehmen schlichtweg ab – niemand wollte ein Frauenteam unterstützen. Edwards musste schließlich ihr Haus verpfänden, um die 1979 von Bruce Farr entworfene „Disque d’Or“ für das Rennen kaufen zu können. Das Boot hatte bereits unter dem damaligen Schweizer Hochsee-Heroen Pierre Fehlmann am Whitbread-Rennen 1981/82 teilgenommen.
Letztendlich bescherte Edwards eine zufällige Begegnung mit König Hussein von Jordanien den Durchbruch, er finanzierte ihre Whitbread-Kampagne mit 800.000 Britischen Pfund. Auch wenn das im Vergleich mit den Budgets der anderen großen und etablierten Teams nur eine dürftige Summe war, konnte sie damit ihren Traum Wirklichkeit werden lassen.
Und der bestand nicht nur darin, den Männern hinterherzusegeln. Ganz im Gegenteil: Mit ihrer in „Maiden GB“ umbenannten Yacht – ein Wortspiel für „Made in Great Britain“ – lehrte sie die Konkurrenz rasch das Fürchten. Die zweite und zugleich längste und auch härteste Etappe der Regatta von Uruguay nach Australien gewannen die Seglerinnen auf „Maiden GB“ mit beachtlichen 30 Stunden Vorsprung. Damit nicht genug, folgte im dritten, taktischeren Abschnitt des Rennens von Australien nach Neuseeland sogleich ein weiterer Etappensieg. Damit war endgültig auch den letzten Zweiflern der Wind aus den Segeln genommen, die den vorherigen Erfolg als Zufall abgetan hatten.
Schon damals nutzte Edwards die Publicity, um mit überkommenen Klischees gründlich aufzuräumen. Beim Stopp in Australien sagte sie in einem Fernsehinterview: „Wenn du eine Frau bist, wird dir gesagt, was du zu tun und zu lassen hast, was du kaufen sollst und was nicht, wer und wie du zu sein hast. Und dann segeln wir ins Südpolarmeer, und keiner ist mehr da, der uns Vorschriften macht. Wir sind 28 Tage an Bord, müssen uns weder richtig waschen noch ordentlich anziehen und uns erst recht nicht die Haare frisieren. All das war eine großartige Erfahrung für uns!“
Viel wichtiger aber sei, dass es in ihrer Frauencrew niemals Machtgeplänkel, egoistisches Verhalten oder Kommunikationsprobleme gegeben habe. „Im Gegenteil haben wir sehr intensiv gegenseitig auf uns aufgepasst. Das habe ich bei einer Männercrew so nie erlebt.“
Während der verbleibenden drei Etappen des Whitbreads mussten die Frauen zwar zurückstecken, am Ende reichte es jedoch für den bemerkenswerten zweiten Platz im Gesamtklassement. Damit erzielten Edwards und ihre Mitstreiterinnen das beste Ergebnis eines britischen Teams seit 1979. Auch danach war keine andere Segelmannschaft von der Insel beim Whitbread oder dem Volvo Ocean Race als Nachfolgeveranstaltung mehr so erfolgreich.
Tracy Edwards wurde zum Yachtsman of the Year und neben Paul Gascoigne zur BBC Sports Personality of the Year gewählt. Mit 28 Jahren hatte sie Geschichte geschrieben und eine ganze Generation von Frauen inspiriert.
In den Folgejahren indes verließ Edwards dann jedoch das Glück. 1998 beteiligte sie sich an einem Jules-Verne-Rekordversuch um die Welt auf dem 92-Fuß-Katamaran „Royal & Sun Alliance“ (vormals „Enza“). Der Törn endete abrupt, als die Yacht 2000 Meilen vor der Küste Chiles den Mast verlor. Immerhin, viele der wiederum ausschließlich weiblichen Crewmitglieder starteten danach eine erfolgreiche Karriere, wie Emma Richards, Sam Davies, Miranda Merron und Sharon Ferris.
Edwards, die kurz darauf eine Tochter bekam, machte erneut von sich reden, als sie das Oryx-Quest-Rennen um die Welt organisierte, das von Katar aus startete und auch dort enden sollte. Tatsächlich aber endete es in einem Desaster, als die dortige Sportorganisation sich weigerte, das versprochene Sponsoring-Geld zu zahlen und Edwards mit acht Millionen Pfund Schulden für bankrott erklärt wurde.
In der Segelszene wurde es danach still um sie. Edwards studierte Psychologie, arbeitete für Wohltätigkeitsorganisationen und Kinderhilfswerke. Auch an der UN-Konvention für die Rechte der Kinder wirkte sie im Jahr 2009 mit. Kurz, es schien, als hätte sie mit dem Segeln abgeschlossen.
Dann aber erhielt Edwards 2014 die Nachricht, dass jemand ihre geliebte „Maiden GB“ gefunden habe. Das Schiff rottete aufgegeben in einem Hafen auf den Seychellen vor sich hin. Für die Britin bestand kein Zweifel, dass sie augenblicklich handeln musste. „Ich konnte das Schiff nicht einfach dort seinem Schicksal überlassen“, erzählt sie. „Mit der ‚Maiden‘ bin ich nicht nur emotional eng verbunden, sie ist ja auch ein Stück unserer britischen Yachtsporthistorie.“
Mithilfe einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne wurde Geld gesammelt, um das Boot zu kaufen. Anschließend die Mittel zu finden, um es nach Großbritannien zu transportieren und wieder in Schuss zu bringen, war eine andere Sache. 30 Jahre nach ihrer erfolgreichen Whitbread-Kampagne stand Edwards genau derselben institutionellen Feindseligkeit gegenüber wie damals.
„Die Unternehmen sagten, es ist eine großartige Idee, aber wir investieren dieses Jahr lieber in den Fußball. Und das zu einer Zeit, in der wir das 100-jährige Jubiläum des Frauenwahlrechts vor uns hatten und wo die MeToo-Debatte in aller Munde war. Eigentlich hätte es da ein Kinderspiel sein müssen, Sponsoren für die Sanierung der ‚Maiden‘ zu finden. War es aber nicht. Es wurde eine mühsame Suche.“
Und eine Suche mit ähnlichem Ausgang wie drei Jahrzehnte zuvor: Erneut half die jordanischen Königsfamilie aus. König Husseins Tochter Prinzessin Haya erklärte sich bereit, die Yacht-Restaurierung im Gedenken an ihren Vater zu unterstützen. Die Prinzessin setzte sich ferner auch für die Idee ein, das fertige Boot anschließend für ein soziales Projekt zu nutzen, welches ihr ebenfalls am Herzen liegt: dem Recht von Mädchen auf Ausbildung.
Edwards und Prinzessin Haya riefen die Maiden Factor Foundation ins Leben. Die Stiftung soll künftig Wohltätigkeitsorganisationen in aller Welt unterstützen, die bereits im Bereich der Mädchen- und Frauengleichberechtigung arbeiten.
Unterdessen ist die komplett sanierte „Maiden“ mit ihrem markanten grauen Rumpf, ihrem langgezogenen Spiegel und ihrem hoch aufragenden Rigg so unverwechselbar wie einst. Dennoch gibt es deutliche Unterschiede zum ursprünglichen Schiff. „Der Fokus liegt nicht mehr so sehr auf den Renneigenschaften. Die Yacht ist jetzt eher aufs moderate Langstreckensegeln ausgerichtet“, erklärt Allie Smith, die den Refit in den zurückliegenden Monaten betreute. Smith ist selbst Veteranin der British Steel Challenge von 1992.
Die neue Konzeption des Schiffs hat Tony Castro umgesetzt. Dem Rigg beispielsweise verpasste er gepfeilte Salinge und ließ die zuvor vorhandenen Backstagen weg. Es werden nun kleinere, nicht überlappende Vorsegel gefahren sowie ein asymmetrischer Spinnaker an einem Bugspriet. Der Baum verbreitert sich nach oben hin, sodass er das Groß beim Segelbergen besser aufnimmt. Und die Rutscherschiene teilt sich im unteren Mastbereich, damit das aufgetuchte Groß am Vorliek nicht so sehr in die Höhe ragt. Neue Spibäume aus Carbon ersetzen zudem die alten aus Aluminium.
Auch unter Deck profitiert die Crew von deutlich mehr Komfort, als für die Frauen von 1989 zur Verfügung stand. Es gibt nun eine Heizung – sogar auch für den Nassschrank – sowie eine Klimaanlage, dazu zwei Gefrierschränke, einen Kühlschrank, einen Elektroherd und einen Backofen. Des Weiteren wurde die Anzahl der Kojen von zwölf auf neun reduziert. Und um den heutigen Sicherheitsanforderungen zu genügen, sind zu den vorhandenen zwei Schotts noch einmal drei hinzugekommen. Zu guter Letzt hilft beim Manövrieren im Hafen jetzt ein Bugstrahlruder.
Für die Tour um die Welt standen eine Reihe von Skipperinnen bereit sowie vier Seglerinnen, die während der gesamten Reise dabei waren. Für ihren Posten hatten sich Hunderte Seglerinnen beworben. Ferner konnten auf Einladung je zwei Seglerinnen eine Etappe bestreiten, die Erfahrung und Seemeilen sammeln wollen. Und schließlich gab es noch Platz für jeweils zwei Crewmitglieder, die bereit waren, fürs Mitfahren zu zahlen. Diese durften im Übrigen auch männlich sein.
Bei der Auswahl von Skipperinnen und Crew kam es Tracy Edwards weniger auf seglerische Erfahrung oder gar Erfolge an; ihr war stattdessen wichtig, dass die Frauen mit ganzem Herzen hinter dem Maiden-Factor-Projekt stehen. Dazu zählt unter anderen die Britin Dee Caffari. Sie sagt: „Wenn du hörst, wie emotional Tracy über das Boot und seine Geschichte spricht, dann bekommst du einfach eine Gänsehaut. Ohne Pionierinnen wie sie wäre meine Karriere nicht möglich gewesen“, versichert sie. „Also trage ich nun meinen bescheidenen Teil dazu bei, um hoffentlich andere junge Frauen zum Segeln zu inspirieren.“ Der Sport werde derart von Männern dominiert, dass Frauen sehr viel Geschick und Beharrlichkeit aufbringen müssten, sich einen gleichwertigen Platz zu erobern. „Die veralteten Geschlechterrollen lösen sich zwar auch beim Segeln allmählich auf, aber es dauert viel länger und gestaltet sich viel schwieriger, als nötig wäre.“
Gastskipperin auf der ersten Etappe der Tour 2018, die mit vielen Zwischenstopps von Southampton durchs Mittelmeer und Rote Meer nach Beypore in Indien führte, war Nikki Henderson, zugleich die jüngste Skipperin beim Clipper Round the World Race 2017/18. Sie sagt: „Dass das Boot um die Welt segelt, damit Geld für die Ausbildung junger Mädchen gesammelt wird, ist großartig.“ Man gebe damit Frauen eine Chance, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Wie so viele Segelvorhaben, wurde auch die Welttour der “Maiden” durch die Coronapandemie unterbrochen. Wo auch immer sie bisher Stopps eingelegt hatte, war sie mit großem Jubel empfangen worden. Seit September 2021 ist das Boot wieder auf Mission und hatte schon 30.000 Seemeilen im Kielwasser, als die Teilnahme am Ocean Globe Race anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Whitbread Round the World Race von 1973 bekannt gegeben wurde.
“Es scheint es nur passend, dass die vielen schönen Yachten, die an den verschiedenen Whitbread-Regatten teilgenommen haben, wieder um die Welt gefahren werden, nachdem sie gerettet und restauriert wurden. Das ist natürlich auch bei “Maiden” der Fall”, sagt Tracy Edwards. Dabei wird auch die Regattateilnahme als große Möglichkeit gesehen, die Botschaft des Projektes weiter zu tragen. Selbstverständlich wird auch dieses Rennen von einer reinen Frauencrew unter Skipperin Heather Thomas bestritten. Nach zwei gesegelten Etappen liegt “Maiden” aktuell auf dem dritten Platz in der Gesamtwertung.
Das Retro-Rennen um die Welt findet anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Whitbread Round the World Race von 1973 statt. Am 10. September 2023 starteten 14 Crews in Southampton zum 27.000-Meilen-Törn, der in vier Etappen unterteilt ist, durch das Südpolarmeer und um die drei großen Kaps führt.
Die Zwischenstopps sind in Kapstadt in Südafrika, Auckland in Neuseeland und Punta del Este in Uruguay, bevor die Weltumsegelung im April 2024 wieder in Großbritannien endet.
Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT-Ausgabe 12/2019 und wurde für diese Onlineversion bearbeitet.