Bevor es mit dem Segeln losgeht, muss der „Staubsauger“ erst einmal aus dem „Fahrradkeller“. Wird erledigt, im Schleusenvorhafen von Hooksiel.
Nanu? Ganz einfach. Der „Staubsauger“ ist ein übergroßer Code Zero, der seinen Spitznamen weghat, weil er angeblich jeden Windhauch von der Nordsee saugt, wenn er bei Leichtwind gesetzt ist. Er stammt noch von der alten Version der „Black Maggy“. Jetzt existiert ein und dasselbe Boot immer noch, aber in Neu. Wie aber kann ein neues Boot schon alt sein?
Das erklärt der „Fahrradkeller“, um den geht es hier eigentlich. Das ist nämlich der Spitzname für den Innenraum der neu entstandenen, verlängerten Bugsektion der bekannten „Black Maggy“, die immer eine Art Wolf im Schafspelz unter den Yachten war. Denn im Look eines gepimpten Holzjollenkreuzers getarnt, steckt ein Hightech-Geschoss, das bereits in der Urversion seinesgleichen suchte und sein Speedpotenzial oft unter Beweis stellte. Aber für die größte Klasse in einer bestimmten Regatta nicht lang genug war: die Einhandjagd Silverrudder in Dänemark. Die alte „Black Maggy“ hatte in überragender Weise die mittlere Klasse gewonnen. Damit dasselbe Schiff in derselben Regatta jetzt vielleicht den Erfolg noch in der großen Klasse wiederholen kann, musste das Boot zur Hälfte neu gebaut und verlängert werden. Ganz einfach.
Das neue „alte Boot“, das da im Vorhafen schwimmt, sieht aus, als sollte man Angst vor ihm haben bzw. ihm mit gehörigem Respekt begegnen. Im breiten Cockpit sieht es aber im Prinzip noch aus wie früher. Was nicht verwundert, denn es liegt ja hinter der Mitte, im „alten Boot“. Auf dem Vorschiff sieht die Sache schon anders aus. Hier ist viel mehr Platz, aus einem Kinder- ist ein Männerspielplatz geworden.
Die Travellerschiene ist extrem breit, überläuft beide Seitendecks und teilt de facto die Freiluft-Arbeitszone: vorn Bänke, achtern eine über drei Meter offene Wanne mit Fußleisten. Im achteren Bereich schwingt die Pinne, und im Normalbetrieb, wenn der Steuermann am Cockpitrand hockt, ist „Black Maggy“ ohne einen langen Teleskopausleger quasi nicht vernünftig zu steuern, aber welches moderne Boot ist das schon?
Das Großsegel gleicht eher dem eines A-Kat, bei dem die Schot eigentlich nur die Liekspannung kontrolliert. Das wichtigere Instrument für Anstellwinkel und letzten Endes Auftrieb ist der Traveller. Für beide Leinen finden sich optional zu nutzende Klemmen im Cockpitsüll, weil kaum eine Chance besteht, die mal eben schnell durch Vornüberbeugen zu grapschen, wenn sich der Steuermensch seinen Arbeitsbereich nicht vorbereitet hat.
Die meisten Leinen enden vorn im Cockpit. Die Genuawinschen sind auf massigen Carbon-Podesten nach achtern und nach innen gerückt, sodass auch ein Einbandsegler locker hinlangen kann. Für die Bedienung der beiden Backstagenpaare muss er sich lediglich umdrehen.
Auch die Trimmeinrichtungen für die Foils sitzen auf dem Kajütdach. Früher waren die „nur“ drei Meter lang, jetzt sind sie modifiziert und haben noch am unteren Ende nach außen gezackte Flaschen, wie Winglets bei Jets. Einige Holepunkte sitzen jetzt woanders als früher. Was nicht verwundert, immerhin sind es dieselben Segel, die wir setzen. Nur sind einige von ihnen durch die neue Geometrie etwas zwangsgekippt. Es gibt also jetzt fast arbeitslose Genua- oder Code-Zero-Holepunkte, die ihr Gnadenbrot als Umlenker für Beiholer verdienen.
Da dasselbe Rigg jetzt mehr Power abfedern muss und aufgrund des größeren Vorsegeldreiecks, ist ein zweites, inneres Vorstag hinzugekommen. Mittels einer schlauen Mimik, die zwei in Reihe geschaltete Curryklemmen und eine unter Deck versteckte Talje involviert, kann individuell viel Spannung erzeugt werden. Einige Fallen sind jetzt außerdem eins zu zwei geschoren.
Auch hinter dem Cockpit sieht es irgendwie anders aus. Früher waren da aufholbare Ruder in Kohlefaserkassetten. Jetzt ist da eine Carbonschürze, in der Imoca-Style-Klappruder an Kohlefaser-Klapprohren hängen. Machen wir es kurz: Unter demselben Rigg schwimmt neuerdings eine Performancebombe. „Jetzt kann ich die Herausforderung der Open 40s annehmen“, sagt der Chef an Bord.
Und so fühlt sie sich auch an. Wirklich so ähnlich wie ein Open 40. Obwohl nur wenig Wind ist, spurten wir mit Gennaker, Genua oder Code Zero selten mit weniger als zehn Knoten über die Jade. Wie vor sechs Jahren schon spielt auch jetzt die Strömung eigentlich keine Rolle. Was hier aber spielt, ist das Boot: Über den Pinnenausleger schmeichelt es im Handballen und lässt sich mit nur ganz leichten Bewegungen aus seiner Neutralität schubsen. Nicht schlecht für einen Eigenbau.
Gesegelt, erbaut, ertüftelt und konstruiert hat es nämlich Bootsbaumeister Wolfram Heibeck aus Hooksiel – alles in Eigenarbeit. Für seine Werft „Spezialbootsbau“ fungierte es bereits in der Urversion als Vorzeigeplattform für viele Produkte, die alle aus seiner Halle stammen: Foils, Rudermechanismen, Kohlefasermasten – außerdem ist die Kielmechanik von „Black Maggy“ wahrscheinlich weltweit einzigartig: Der Kiel kann geklappt UND geschwenkt werden, der „Open 32“ – so der Arbeitstitel des Bootes –, also quasi mit seinem Canting-Keel trockenfallen.
Mit einer exakten Vision von einem erweiterten Boot, das mehr kleiner Open 40 sein sollte als aufgebohrter Jollenkreuzer, setzte Heibeck Ostern 2018 die Säge an: Rickeracke, mit Geknacke ging es. Und schon war das halbe Boot weg und die ganze Saison. Denn so lange sollte es dauern, die alte „Black Maggy“ zur Hälfte neu zu bauen. Die fast fünf Meter lange alte Bugsektion ist jetzt als rollbarer Tresen unterwegs.
„Die Oberflächen haben die meiste Zeit gekostet“, sagt Heibeck im Herbst 2018, als das modifizierte Boot nach etwa 1000 Arbeitsstunden endlich wieder schwimmt. Und in der Tat sieht „Black Maggy“ eher aus wie ein Meisterstück zum Thema traditionelle Holzarbeiten als der getarnte Racer und eine der schnellsten Yachten Deutschlands, die sie ist. Die einheitlich gebeizte Oberfläche schimmert jetzt etwas heller als die des „alten“ Rumpfes. Die neue „Black Maggy“ sieht aggressiver aus. Und liegt auch damit im Trend der Zeit. Denn damit alles passt, musste Heibeck dem neuen Halbboot einen neuen Strak verpassen, zweieinhalb Zentimeter fehlten. Die stecken jetzt in einem Keil in der Nähe der Püttings. Und „Black Maggy“ hat jetzt Chines.
Dabei war sie beileibe nie ein Holzboot mit Karbonmast und Bugspriet, aber sie sah so aus. Nur die hauchdünne Außenschicht aus Mahagoni-Furnier kaschierte lediglich einen Kohlefaser-Aramid-Sandwich-Mix nach allen Regeln der Kunst. In der neuen Bugsektion steckt sogar noch etwas mehr Kohlefaser, Heibeck hat nach neuesten Erkenntnissen die Matrix geändert. Deswegen sieht es hier vorn unter Deck so düster aus. Deswegen die Konnotation mit dem Keller.
Von außen dagegen wirkt die neue verlängerte Bugsektion alles andere als düster oder konturlos; schuld hieran ist ein bootsbauerisches Phänomen namens „Balkenbucht“: Das Deck flacht zu den Seiten gefühlt immer stärker ab, je schmaler es wird. Und es wirkt sehr schmal, fast schnabelig. Dazu: Der Bugspriet ist weg, quasi eingemeindet. Heibeck hat „einfach“ einen Rumpf unter dem Spriet gebaut.
Die Optik der „abfallenden Vorschiffslinien“ ist en vogue. Wie bei vielen neuen Imoca 60s fällt „Black Maggys“ neue Nase auf Wasserlinienhöhe wulstiger aus als auf Deckslevel. Und der Kielsprung knickt etwa einen Meter hinter dem Steven etwas nach oben, sodass es fast aussieht, als läge der Bug vor einem „Knöchel“ auf dem Wasser. Der senkrechte Steven darüber taucht auch nie spektakulär ein, das „neue“ Boot segelt zwar wesentlich schneller, aber trockener.
Was beweist: Mit Mode haben diese Eingriffe rein gar nichts zu tun, auch wenn es scheint, als habe Meister Heibeck seinem Schiff aus rein optischen Gründen eine Nasen-OP verpasst. Am Ende stehen dann halt bessere Schiffe. Ein bizarrer Gedanke, dass gewaltige Performancesprünge möglich sind, indem man halbe Boote baut.
Dummerweise sind es fast immer Maxis, die entweder mit Millionenaufwand modifiziert oder gleich nach den neuen Gesetzen der Zeit gebaut werden. Die Segelriesen „Wild Oats XI“ (Australien), „Comanche“ (USA), „CQS“ (Südafrika/Neuseeland) sind prominente Beispiele dafür, dass Boote zersägt und wieder zusammengeklebt werden können. Teilweise wurden dann auch gleich neuartige Foilsysteme installiert, wie die DSS-„Planken“, die waagerecht nach Lee aus dem Rumpf geschoben werden, um dort ein gewaltiges aufrichtendes Moment zu schaffen.
Und solche massiven Umbauten, dachte sich Heibeck, müssen ja nicht immer in Australien oder Neuseeland passieren, das geht auch in Hooksiel. Und es muss ja nicht immer gleich um die Vendée Globe gehen, „Black Maggy“ standen vor allem die eisernen Regeln des Einhandklassikers Silverrudder in Dänemark im Weg.
Aber Heibeck studierte in Frankreich, allen berühmten Booten voran, stundenlang ein schwarzes Schiff, Alex Thompsons „Hugo Boss“. Gefühlt eine Million Mal ging er in Les Sables-d’Olonne vor dem Boot auf und ab. Kurz vor dem Start zur Vendée Globe, auf dem Steg der Stege. Bis er jeden Linientrick begriffen zu haben glaubte, jede Form kannte und den schwarzen Einhandboliden von jedem Winkel maximal fasziniert studiert hatte. Da war die neue „Black Maggy“ wohl schon im Kopf, nur bauen musste er sie noch.
Als wir später das schilfbeuferte Hooksmeer durchmotorten, die Schleuse lag achteraus, und den Staubsauger wieder im Fahrradkeller verstauten, stellten wir fest: Auch unter Deck hat sich nur wenig verändert, abgesehen von der schwarzen Höhle vorn. Da so ein Schiff ja viel Decksarbeit erfordert, hält sich die Unter-Deck-Zeit eher in Grenzen. Das Interieur war aber auch früher schon genial.
Es gibt hier immer noch keinen Wassertank und keine beweglichen Bodenbretter. Die firmieren nach wie vor unter „wozu auch“ und haben sich durch Abwesenheit bewährt. Immerhin ist „Black Maggy“ mittlerweile ein viel herumgekommener Fast-Ocean-Racer, der sich an ebensolchen Yachten orientiert. Und dort sind Wassertanks ja auch eher selten zu finden. Oder Kühlschränke, wobei „Black Maggy“ über eine liebevoll minimalistische Pantry mit Spüle aus Kohlefaser verfügt.
Geändert hat sich lediglich die Verkleidung über der Kielmechanik. Früher klappte hier ein riesiges Luk über dem nasslaufenden Teil des Kiels, jetzt finden sich hier nur noch zwei handgroße Schraubdeckel an den richtigen Stellen. Das ist nur erwähnenswert, weil die Verkleidung de facto ein horizontaler Raumteiler ist, analog zu einem Kielkasten, nur eben um 90 Grad gedreht. Er trennt den Wohn- vom Arbeitsbereich höchst physisch: Wer nach vorn will, muss darüber hinwegkrabbeln. Das ist seemännisch praktisch. Im Arbeitsbereich unterm Schiebeluk kann nämlich die Hölle los sein, können feuchte Leinen oder Segelsäcke in Pfützen patschen, und vorne ist alles pico. Die Praxis hat gezeigt, dass Heibeck vor allem in Ölzeug hier herumlungert, wenn er „Black Maggy“ einhand segelt.
Und weil es auf „Black Maggy“ schon immer um das Ausloten von Grenzen ging, um das Umsetzen der neuesten Ideen im Extrembootsbau, diktiert sie quasi neue Technologien wie beispielsweise eine Brennstoffzelle. Die neue Energiequelle speist jetzt die beiden Stromkreise, einer mit zwölf, einer mit 230 Volt. Das Boot ist halt von der Kohlefaserschürze am Heck bis zum Code-Zero-Padeye am Steven der schwimmende Beweis, dass Heibeck das Gras wachsen hört.
Als Nächstes kommen die Carbonwanten neu. Der Erbauer hat sie einst für die erste Version von „Black Maggy“ in seiner Werkstatt selbst gespult, indem er Kohlefasergarne zwischen zwei mit Wantenlänge voneinander entfernten Pins gespannt und fixiert hat. Die Terminals, mit denen die Fasern verbunden werden, hatte Heibeck ebenfalls aus Kohlefaser selbst gebastelt und die auch gleich einem professionellen Reißtest unterzogen.
Aber das ist ja nun schon ein paar Jahre her, und das stehende Gut aus Hightech hat bereits einige Meilen auf dem Buckel. Und damit ihm der eigene Kram jetzt nicht um die Ohren fliegt, gibt es bereits den zweiten Satz. Natürlich wird es bei textilen Wanten und Stagen bleiben. Aber das Technikkarussell hat sich weitergedreht, die neuen Wunderfasern auf der modifizierten „Black Maggy“ werden aus der Dyneema-Familie stammen.
Als wir das erste Mal an Bord waren, sind wir spontan nach Feierabend die 35 Seemeilen nach Helgoland gespurtet. Das ging in gut drei Stunden relativ fix. Und weil das Boot ohnehin meistens im zweistelligen Speedbereich fuhr, war das mit der Tide in der Jade ziemlich egal, lange hatten wir ja ohnehin nicht mit ihr zu tun.
Das wiederholen wir aktuell nicht, lassen uns aber vom neuen Rekord berichten: Hooksiel – Roter Felsen: zweieinhalb Stunden. Gute Aussichten für Heibecks Teilnahme am Silverrudder also.
Beim Silverrudder 2019 wurde Heibeck disqualifiziert, 2021 gewann er schließlich mit den neuen “Black Maggy” in der Gruppe Keelboats Large. Auch für das Silverrudder 2023 hat er wieder gemeldet.
Dieser Artikel erschien erstmals in YACHT 20/2018 und wurde für diese Online-Version aktualisiert.